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Biologie

Selbstmord der Oktopus-Weibchen aufgeklärt

Freisetzung eines Cholesterin-Vorläufers treibt Kopffüßer zur Selbstzerstörung

OKtopus
Die Weibchen des Kalifornische Zweipunktkraken (Octopus bimaculoides) hungern sich nach ihrer Eiablage buchstäblich zu Tode. Was dieses selbstzerstörerische Verhalten auslöst, war bisher unklar. © Kathryn Knight/ University of Chicago

Tierischer Selbstmord: Oktopus-Weibchen ändern nach der Eiablage drastisch ihr Verhalten und führen durch Hungern und Selbstverstümmelungen ihren Tod selbst herbei. Was diesen tödlichen Verhaltenswandel auslöst, könnten Forschende nun herausgefunden haben. Demnach schüttet die Sehdrüse der Kopffüßer eine Art „Selbstmord“-Botenstoff aus. Das Überraschende jedoch: Dabei handelt es sich um eine Vorstufe des Cholesterins, die auch beim Menschen vorkommt.

Tintenfische sind für ihre hohe Intelligenz und ihre Farbwechsel-Fähigkeit bekannt, auch die Genomstruktur dieser wirbellosen Tiere ist einzigartig. Doch speziell bei den Oktopussen gibt es noch eine Besonderheit: Trotz ihres hohen Entwicklungsstands und großen Gehirns sterben sie ungewöhnlich früh – und tragisch: Nach ihrer ersten Eiablage bewachen die Weibchen ihre Eier und hungern sich dabei buchstäblich zu Tode. Sogar Selbstverstümmelung wurde schon beobachtet. Das Schlüpfen ihrer Jungen erlebt die Oktopusmutter meist nicht mehr.

OKtopus
Dieser Zweipunktkrake hat sich nach der Eiablage komplett in seine Höhle zurückgezogen. © Kathryn Knight/ University of Chicago

Oktopus-Sehdrüse im Visier

Was aber ist der Auslöser für dieses Selbstmord-Programm der Oktopusse? Erste Hinweise darauf hatten Biologen bereits in den 1970er Jahren gefunden: Entfernten sie beim Karibischen Zweifleckenoktopus (Octopus hummelincki) die Sehdrüse nach der Eiablage, überließen die Oktopusmütter ihre Eier sich selbst, fraßen normal weiter und überlebten die Fortpflanzung. Das legte nahe, dass die Sehdrüse der Oktopusse eine Schlüsselrolle bei dem selbstzerstörerischen Verhalten spielt.

Die in Augennähe am Gehirn der Kopffüßer sitzende Sehdrüse hat ähnliche Funktionen wie die menschliche Hirnanhangsdrüse, die Hypophyse. Auch sie produziert vor allem Geschlechtshormone, die unter anderem Paarung und Fortpflanzung regulieren. Möglicherweise, so die Vermutung, waren diese Hormone auch für den merkwürdigen Verhaltenswandel der Oktopus-Weibchen verantwortlich. „Welche Signalstoffe diesem Wandel zugrunde liegen, war jedoch unbekannt“, erklären Z. Yan Wang von der University of Washington in Seattle und ihre Kollegen.

Überraschende Veränderungen

Was genau in der Sehdrüse der Oktopusse passiert und wie sich die dort produzierten Botenstoffe mit der Paarung der Weibchen verändern, haben Wang und ihr Team nun erstmals näher untersucht. Dafür analysierten sie bei Weibchen des Kalifornischen Zweipunktkraken (Octopus bimaculoides) die Genaktivität und die chemischen Substanzen in der Sehdrüse – sowohl vor der Paarung als auch nach der Eiablage.

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Das Ergebnis: Wie erwartet fanden die Forschenden eine deutliche Zunahme bei zwei Steroidhormonen, Pregnenolon und Progesteron, die typischerweise mit der Schwangerschaft beziehungsweise der Eiproduktion assoziiert sind. Zusätzlich zeigten sich jedoch bei zwei weiteren Stoffwechselwegen Veränderungen nach der Eiablage, die auf den ersten Blick wenig mit der Reproduktion zu tun hatten: Die Sehdrüse schüttete vermehrt Vorstufen von Gallensäuren sowie einen Cholesterin-Vorläufer aus, das 7-Dehydrocholesterin (7-DHC).

„Keine dieser beiden Substanzen war zuvor dafür bekannt, an der Semelparität beteiligt zu sein“, erklären Wang und ihre Kollegen. Als Semelparität werden Lebensstrategien bezeichnet, bei denen sich ein Lebewesen nur einmal im Leben fortpflanzt und dann stirbt.

Cholesterin-Vorläufer als „Selbstmord“-Signal?

Was aber hat der Cholesterin-Vorläufer mit dem „Selbstmord-Programm“ der Oktopusse zu tun? Einen Hinweis darauf liefert unter anderem eine genbedingte Erkrankung beim Menschen. Kindern mit dem Smith-Lemli-Opitz-Syndrom fehlt ein Enzym, das normalerweise 7-Dehydrocholesterin in das Blutfett Cholesterin umwandelt. Dadurch reichert sich das giftige 7-DHC bei ihnen an. Als Folge entwickeln diese Kinder schwere Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten – darunter auch selbstverletzendes Verhalten.

Nach Ansicht der Forschenden legt dies nahe, dass das 7-DHC auch beim Oktopus eine Schlüsselrolle bei dem selbstzerstörerischen Verhaltenswandel spielen könnte. „Beim Oktopus könnte das 7-DHC die Produktion von Signalfaktoren auslösen, die letztlich zum Tode führen. Alternativ könnte die Anreicherung des 7-DHC selbst wie beim Menschen tödlich sein“, mutmaßen Wang und ihre Kollegen.

Neuer Blick auf das Cholesterin

Damit könnte das Team nicht nur die Ursache des selbstzerstörerischen Endes der Oktopus-Weibchen aufgeklärt haben – ihre Resultate liefern auch spannende Einblicke in die unterschiedlichen Wirkungsweisen und Effekte des Cholesterins und seiner Stoffwechselwege – einem sowohl bei wirbellosen Tieren wie beim Menschen wichtigen Molekül.

„Wir wissen, dass Cholesterin in Bezug auf die Ernährung bedeutsam ist und dass es auch bei verschiedenen Signalsystemen im Körper eine Rolle spielt“, erklärt Wang. „Es ist beteiligt an so unterschiedlichen Dingen wie der Flexibilität der Zellmembran bis zur Produktion von Stresshormonen. Dennoch war es eine große Überraschung, dass es auch eine Rolle für Lebenszyklusprozesse wie beim Oktopus spielt.“ (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.04.043)

Quelle: University of Chicago

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