Anzeige
Forscher / Entdecker

Die Nonne, die zur Heiligen wurde

Ein Leben im Dienst der Kirche

Über die erste Lebenshälfte von Hildegard von Bingen ist nur wenig bekannt, weil im Mittelalter nur bedeutende Ereignisse aufgeschrieben wurden. Wann und wo sie geboren wurde, ist beispielsweise nicht eindeutig belegt. Überliefert ist immerhin das ungefähre Geburtsjahr: um 1100. Der damalige Wohnsitz ihrer adeligen Familie lag in Niederhosenbach in Rheinland-Pfalz. Dort verbrachte die junge Hildegard jedoch nur die ersten acht Jahre ihres Lebens.

Skulptur von Hildegard von Bingen vor dem Kloster Eibingen
Skulptur von Hildegard von Bingen vor dem Kloster Eibingen, von Karlheinz Oswald, 1998. Bereits mit rund 14 Jahren trat Hildegard von Bingen in ein Benediktiner-Kloster ein. © Gerda Arendt/CC-by 3.0

Um sie zu erziehen und auf ein Leben im Dienste Gottes vorzubereiten, ließen die Eltern Hildegards sie zunächst von der strengreligiösen Adeligen Jutta von Sponheim unterrichten. Dann gaben sie ihre Tochter in die Obhut des Benediktiner-Klosters auf dem Disibodenberg bei Bad Kreuznach – sie sollte Nonne werden. Hildegard war zu der Zeit etwa 14 Jahre alt und wurde zusammen mit ihrer Lehrerin Jutta und einer anderen jungen Frau in das bis dahin reine Männerkloster aufgenommen.

Nonne mit Visionen

Dort erregte Hildegard von Bingen rasch Aufsehen wegen ihrer „Visionen“, die sie schon als Kind hatte und in ihren eigenen Berichten später „göttlich“ nannte. „In meinem dritten Lebensjahr sah ich ein so großes Licht, dass meine Seele erzitterte“, schrieb sie. Medizinern zufolge könnte es sich bei ihren „Visionen“ um Halluzinationen gehandelt haben, ausgelöst durch Migräne-Attacken. Denkbar ist Historikern zufolge jedoch auch, dass Hildegard göttliche Visionen vortäuschte, um ihre eigenen Gedanken kundzutun. Denn die Vorstellung von himmlischen Eingebungen war damals weit verbreitet und akzeptiert – Visionen fanden damit mehr Gehör als die Gedanken von Frauen. Zudem betonte Hildegard, ihre Eingebungen nicht im Rausch oder Traum, sondern bei klarem Verstand, aus ihrer „Seele“ gehabt zu haben. Möglicherweise war Gott für sie so real, dass sie ihre eigenen Gedanken für göttliche Eingebungen hielt.

Zunächst zweifelte die junge Frau jedoch den Berichten zufolge an einer göttlichen Herkunft ihrer Eingebungen. Erst ab ihrem 43. Lebensjahr habe Hildegard schließlich ihre so erhaltenen theologischen Vorstellungen auf Latein niedergeschrieben – auf Anweisung von Gott, wie sie selbst berichtete. „Und wieder vernahm ich eine Stimme vom Himmel, und sie sprach zu mir: Erhebe deine Stimme und schreibe also!“, heißt es in der „Scivias“, ihrem ersten und bekanntesten Werk.

Auszug aus dem theologischen Manuskript „Liber divinorum operum“ (Das Buch vom Wirken Gottes) von Hildegard von Bingen
Auszug aus dem theologischen Manuskript „Liber divinorum operum“ (Das Buch vom Wirken Gottes) von Hildegard von Bingen. Hergestellt im 12. Jahrhundert, aufbewahrt in der Universitätsbibliothek Gent. © Universiteitsbibliotheek UGent/CC-by 4.0

In der Folgezeit verfasste Hildegard weitere umfangreiche theologische und autobiografische Schriften. Darin prägt sie ein für ihre Zeit fortschrittliches Bild eines menschenfreundlichen, gütigen Gottes. „Der Gott der Prophetin vom Rupertsberg ist nicht unnahbar, sondern ein Gott des Mitgefühls“, sagt die Historikerin Barbara Beuys. In Hildegards Gottesbild waren zudem Mann und Frau gleichberechtigt und der Mensch eng mit der Natur und dem Kosmos verbunden.

Anzeige

Beliebte Schwester

Die Inhalte dieser Handschriften sind durch Überlieferungen und Kopien bis heute erhalten. Die Originale gelten meist als verschollen. Doch wie viel Fakt und wieviel erfunden, verdreht oder übertrieben ist, bleibt fraglich. „Nicht alles, was darinsteht, ist eins zu eins für bare Münze zu nehmen“, sagt Matthias Schwandt, der in Bingen das Museum am Strom über Hildegard leitet, in einem Vortrag. Denn bei den Werken handelt es sich um von ihr selbst oder der Kirche autorisierte Fassungen und Darstellungen ihres Lebens – entsprechend einseitig und „gefällig“ sind die Inhalte. Auch ihr Sekretär, der Mönch Volmar, „verbesserte“ bei seinen Abschriften die Texte Hildegards. Hildegards Leben und Wirken bleibt damit im Vagen.

Als sicher gilt jedoch, dass Hildegard rund 40 Jahre lang im Kloster Disibodenberg lebte, das in dieser Zeit weitere Schwestern aufnahm und ein eigenes Frauenkloster bekam. Hildegard war darin zunächst Nonne (Schwester) unter der Meisterin (Magistra) Jutta. Nach deren Tod wurde Hildegard mit etwa 36 Jahren selbst Meisterin und damit geistige Mutter der anderen Schwestern. Überlieferungen kennzeichnen sie als charismatische und beliebte Frau, die einstimmig in ihre Position gewählt wurde – auch weil sie weniger streng und asketisch lebte als Jutta.

Prophetin und Predigerin

Der Ruf von Hildegards Visionen breitete sich später auch in höheren Kirchenkreisen aus. Wegen ihrer wortgewandten theologischen Niederschriften ernannten der Mainzer Erzbischof und Papst Eugen III. Hildegard schließlich zur Prophetin und Seherin. Sie erlaubten ihr zudem, ihre Texte zu veröffentlichen und öffentlich zu predigen, was sie fortan auf Missionsreisen an Rhein, Nahe, Mosel und Neckar auch tat.

Sie gilt damit als die erste Frau, der vom Papst eine solche Autorität verliehen wurde. Damals wie heute eine Sensation und „einmalig in der fast 1.000-jährigen Kirchengeschichte“, wie die Historikerin Beuys sagt. „Bis heute hat keine Frau in der Kirche ähnliche öffentliche Auftritte gewagt.“

Klostergründung bei Bingen

Hildegard wurde daraufhin als Prophetin berühmt und ihr Kloster erhielt viel Zulauf. „Für das Kloster auf dem Disibodenberg brach eine goldene Zeit an. Die Gläubigen pilgerten in die Klosterkirche, um der heiligen Frau nahe zu sein, und spendeten großzügig“, sagt Beuys. Hildegards Einfluss ermöglichte ihr schließlich, sich vom Disibodenberg zu lösen und ein eigenes Kloster zu gründen. Um 1150 bezog sie mit ihren Mitschwestern die neuen Gemäuer auf dem Rupertsberg bei Bingen am Rhein, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Der Ort prägte auch ihren Namen: Hildegard von Bingen.

Als Äbtissin führte Hildegard das anfänglich arme und provisorische Kloster mit ihren guten Beziehungen zu wirtschaftlichem Erfolg. Dessen zunehmender Reichtum und Größe löste bei einigen anderen Kirchenvertretern Missgunst aus. Doch Hildegard verteidigte sich und ihr Kloster gegen die Kritik, dort nicht nach dem religiösen Gelöbnis der Armut und Demut zu handeln. Neben ihren Visionen machte sie Berichten zufolge auch dieses selbstbewusste Auftreten überregional bekannt.

Portrait von Hildegard von Bingen. Strichgravur von W. Marshall.
Portrait von Hildegard von Bingen. Strichgravur von W. Marshall. Inzwischen gilt Hildegard von Bingen offiziell als Heilige. © Wellcome Images / Wellcome Collection gallery / CC-by 4.0

Wegen des großen Zulaufes zu ihrem Kloster wurde dieses schließlich zu klein. 1165 kaufte Hildegard daher ein leerstehendes Augustinerkloster auf der anderen Flussseite und gründete dort ein Tochterkloster – in Eibingen in Rüdesheim am Rhein. Im Gegensatz zum elitären Rubertsberg durften dort dann auch nicht-adelige Bürgerinnen eintreten.

Verehrung als Heilige

1179 starb Hildegard von Bingen im Alter von etwa 80 Jahren im Kloster auf dem Rupertsberg. Viele Menschen verehrten sie schon damals wegen ihrer theologischen und weltlichen Ansichten als Heilige. Einen offiziellen Antrag, sie heilig zu sprechen, stellten die Nonnen vom Rupertsberg erstmals 1228. Die katholische Kirche erkannte Hildegard von Bingen 2012 durch den deutschen Papst Benedikt XVI. offiziell als Heilige und Kirchengelehrte an. Andere christliche Kirchen verehren sie ebenfalls und erinnern an sie an ihrem Todestag, dem 17. September. Im Gegensatz zu ihrem Geburtstag war dieses Datum damals bedeutend genug, um dokumentiert zu werden.

  1. zurück
  2. 1
  3. |
  4. 2
  5. |
  6. 3
  7. |
  8. 4
  9. |
  10. 5
  11. |
  12. weiter
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Hildegard von Bingen – Visionärin des Mittelalters
Wer war die berühmte Nonne und Gelehrte vom Rhein?

Die Nonne, die zur Heiligen wurde
Ein Leben im Dienst der Kirche

Äbtissin mit politischem Gespür
Wie weit reichte das Netzwerk der Hildegard von Bingen?

Das Erbe der „Hildegard-Medizin“
Wissenschaftlerin, Naturheilerin oder Kräuterhexe?

Hildegard, die Dichterin und Komponistin
Kirchenlieder mit ungewöhnlichen Noten

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Alchemie - Forscher entschlüsseln die geheimen Rezepte der Alchemisten