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Astronomie

Erste Neutrino-Karte der Milchstraße

Daten des IceCube-Detektors zeigen erstmals die Neutrino-Emission unserer Galaxie

Neutrino-Emission der MIlchstraße
Unsere Milchstraße mal anders: Diese Grafik zeigt die Dichte der in unserer Galaxie produzierten Neutrinos. © IceCube Collaboration/ Science Communication Lab

Galaktische Geisterteilchen: Physiker haben zum ersten Mal die Neutrino-Emission unserer Milchstraße nachgewiesen und kartiert. Die mit dem IceCube-Neutrinodetektor am Südpol eingefangenen Elementarteilchen zeigen unsere Heimatgalaxie erstmals in einem anderen „Licht“ als der elektromagnetischen Strahlung. Die Verteilung der galaktischen Neutrinos liefert zudem wertvolle Einblicke in die Interaktion des interstellaren Mediums mit kosmischer Strahlung, wie das Team in „Science“ berichtet.

Astronomen haben unsere Milchstraße schon in verschiedensten Spielarten der elektromagnetischen Strahlung beobachtet – von Radiowellen über sichtbares Licht bis hin zu Röntgen- und Gammastrahlung. Doch es gibt noch eine Sorte von Teilchen, die der Theorie nach von unserer Galaxie ausgehen: Neutrinos. Diese fast masselosen Elementarteilchen interagieren nur selten mit Materie und  entstehen unter anderem bei radioaktiven Zerfällen, durch Teilchenkollisionen in der Atmosphäre, in Supernovae oder der Kernfusion der Sonne.

IceCube
Das IceCube-Neutrino-Observatorium nutzt tief im Antarktiseis versenkte Photodetektoren, um Neutrinos anhand des bei Kollisionen mit Atomen freigesetzten Lichts zu detektieren. © Yuya Makino, IceCube/NSF

Wo stecken die galaktischen Neutrinos?

Gängigen Theorien zufolge müsste auch unsere Galaxie eine diffuse Emission solcher Teilchen erzeugen. Denn wenn energiereiche kosmische Strahlung auf das Gas- und Plasma des interstellaren Mediums trifft, setzt dies eine Zerfallskette in Gang, bei der neben Gammastrahlung auch Neutrinos produziert werden. Die diffuse Gammastrahlung dieser Prozesse haben Astronomen in der Milchstraße schon nachgewiesen. Der Nachweis einer galaktischen Neutrino-Emission stand jedoch noch aus.

„Frühere Suchen mit Neutrinodetektoren konnten kein statistisch signifikantes Signal finden“, erklären die Physiker der IceCube-Kollaboration. Einer der Gründe dafür: Diese galaktischen Neutrinos werden von einem enormen „Störrauschen“ durch Neutrinos aus der Erdatmosphäre überdeckt. „Selbst bei der Suche nach astrophysikalischen Neutrinos mit Energien im Teraelektronenvolt-Bereich bleiben diese atmosphärischen Neutrinos als substanzieller Hintergrund bestehen“, erklärt das Team.

Ein weiterer Grund: Viele energiereiche Neutrinos, die potenziell aus der Milchstraße stammen könnten, erzeugen keine langen, gut auf eine Herkunftsregion zurückzuführenden Spuren in den Detektoren. Stattdessen produzieren sie nur kurze Kaskaden sekundärer Teilchen, deren Richtung und damit Ursprungsort nur schwer zu ermitteln ist. „Kaskaden-basierte Suchen sind daher verlässlich in Bezug auf die Reinheit des Signals, aber weniger bei der Winkelauflösung der einzelnen Ereignisse“, erklären die Physiker der IceCube-Kollaboration.

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Teilchenkaskaden und neuronale Netze

Doch dank neuester KI-Technologie und zehn Jahren an Neutrino-Messdaten ist es dem IceCube-Team nun gelungen, diese Hürden zu überwinden. Basis dafür waren knapp 59.600 Neutrino-Ereignisse, die der im Eis des Südpols liegende IceCube-Detektor aufgezeichnet hatte. Um aus dieser enormen Menge an Ereignissen die Signaturen der galaktischen Neutrinos herauszufiltern, setzten die Forschenden einen auf lernfähigen neuronalen Netzen basierenden Analyse-Algorithmus ein. Dieser identifizierte rund sieben Prozent der detektierten Neutrinos als potenziell astrophysikalischen Ursprungs.

Neutrino-Milchstraße
Die Verteilung und Dichte der galaktischen Neutrinos spiegelt Form und Struktur der Milchstraße wider. Hier gezeigt ist eine Überlagerung einer optischen Aufnahme unserer Galaxie und der Neutrino-Dichte (blau).© IceCube Collaboration/U.S. National Science Foundation (Lily Le & Shawn Johnson)/ESO (S. Brunier)

Im nächsten Schritt nutzte das Team ein weiteres neuronales Netzwerk, um den Ursprung dieser Neutrinos anhand der Form und Ausrichtung der Kaskaden-Spuren zu rekonstruieren. „Zusammen ermöglichten uns diese verbesserten Methoden, eine Größenordnung mehr Neutrino-Ereignisse mit deutlich besserer Winkelauflösung auszuwerten“, berichtet Mirco Hünnefeld von der TU Dortmund, der federführend an der Entwicklung dieser Analysemethoden beteiligt war. „Dies resultierte in einer Analyse, die dreimal sensitiver ist als frühere Suchen.“

Als letztes überprüften die Physiker durch Abgleich mit Gammastrahlenkarten der Milchstraße, ob die von ihnen ermittelten Neutrinoverteilungen mit plausiblen Entstehungsorten in der Milchstraße zusammenpassen.

Milchstraße im Neutrino-„Licht“

Jetzt liegt das Ergebnis vor: das erste Porträt der Milchstraße im Neutrino-„Licht“. „Wir haben die Neutrino-Emission aus der galaktischen Ebene mit einer Signifikanz von 4,5 Sigma identifiziert“, berichtet die IceCube-Kollaboration. „Der beobachtete Neutrino-Überschuss aus der galaktischen Ebene liefert starke Belege dafür, dass die Milchstraße eine Quelle energiereicher Neutrinos ist.“ Die Ursprungsgebiete der von IceCube detektierten Neutrinos spiegeln die Form und Struktur der Milchstraße wider.

Wie die Neutrinokarte aussieht und wie die Verteilung der „Geisterteilchen“ mit der sichtbaren Struktur unsere Heimatgalaxie zusammenpasst, kann man in einem interaktiven Modul online anschauen. In ihm können Nutzer selbst durch die Neutrinodaten aus der Milchstraße navigieren und sie mit elektromagnetischer Strahlung in verschiedenen Wellenlängen abgleichen.

Neuer Einblick in kosmische Prozesse

„Unsere Heimatgalaxie erstmals mit solchen Teilchen statt mit Licht zu beobachten, ist ein großer Schritt“, sagt Naoko Kurahashi Neilson von der Drexel University. In der neuen Neutrino-Emissionskarte der Milchstraße ist bereits deutlich zu erkennen, dass besonders viele Neutrinos aus den gas- und sternreichen Regionen nahe des galaktischen Zentrums stammen – den Bereichen, in denen unter dem Einfluss der kosmischen Strahlung auch besonders viel Gammastrahlung entsteht.

„Das bestätigt, was wir über unsere Galaxie und die Quellen kosmischer Strahlung wissen“, sagt Neilsons Kollege Steve Sclafani. Der Nachweis und die Kartierung galaktischer Neutrinos eröffne damit eine neue Möglichkeit, kosmische Prozesse nachzuvollziehen und zu erforschen. „Mit der sich weiterentwickelnden Neutrino-Astronomie bekommen wir eine neue Linse, um den Kosmos zu erforschen“ , sagt Neilson. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adc9818)

Quelle: IceCube Collaboration, University of Wisconsin-Madison

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