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Biologie

Wie die Küchenschabe die Welt eroberte

DNA-Vergleiche lösen 250 Jahre altes Rätsel zur Herkunft der "Deutschen Schabe"

Deutsche Schabe (Blatella germanica)
Die Deutsche Schabe (Blatella germanica) besiedelt heute fast die ganze Welt. Doch wo kommt sie ursprünglich her? © ErikKarits/ iStock

Woher kommt die „Deutsche Schabe“ alias Blatella germanica? Und wie gelang ihr die Ausbreitung über die gesamte Welt? Dieses seit 250 Jahren bestehende Rätsel haben nun DNA-Vergleiche gelöst. Demnach stammt die Küchenschabe keineswegs aus Deutschland, wie ihr Name suggeriert, sondern entwickelte sich in Südasien – und erst vor überraschend kurzer Zeit. Von dort aus eroberten diese Kakerlaken auf zwei Routen und in mehreren Etappen die Welt. Doch wann gelangten sie nach Europa?

Die Deutsche Schabe (Blatella germanica), auch als Küchenschabe bekannt, ist heute fast weltweit verbreitet – und verhasst. Denn die vorwiegend nachtaktiven Insekten bevölkern als „Ungeziefer“ fast ausschließlich Innenräume, vor allem Küchen, Lagerräume und Gaststätten, aber auch Einkaufszentren und Viehställe. Sie verursachen Fraßschäden, können aber auch Krankheiten wie Milzbrand, Tuberkulose oder Salmonellen übertragen. Unter den rund 40 bekannten Schabenarten ist die Deutsche Schabe die mit Abstand erfolgreichste und am weitesteten verbreitete.

Küchenschaben auf Weltkarte
Linné taufte die Schabenart Blatella germanica „Deutsche Schabe“, weil sie damals zuerst aus Mitteleuropa bekannt war. Ihr Ursprung liegt jedoch woanders. © Matthew Bertone und Coby Schal

Ist die Deutsche Schabe eine Europäerin?

Doch wo kommt sie her? Und wie und wann schaffte sie es, sich über die gesamte Welt auszubreiten? Diese Frage ist seit mehr als 250 Jahren ungeklärt. Der Naturforscher Carl von Linné beschrieb im Jahr 1776 die ersten Exemplare und gab ihr den Namen Blatella germanica, weil sie zuerst in Mitteleuropa gefunden wurden. „Aber der Ursprung und die Verbreitung der Deutsche Schabe sind bis heute ein Rätsel“, erklären Qian Tang von der Nationaluniversität Singapur und seine Kollegen.

Ein Grund dafür: Diese Schabe kommt draußen im Freiland nicht vor, so dass Vergleiche mit einem „Wildtyp“ nicht möglich sind. Merkwürdig auch: Obwohl die Deutsche Schabe zuerst in Mitteleuropa beschrieben wurde, hat sie keine engen Verwandten in Europa. Stattdessen legen phylogenetische Vergleiche Ähnlichkeiten mit freilebenden asiatischen Schabenarten der Gattung Blatella nahe. Doch wie die Urahnen der Küchenschabe nach Europa gelangten und wo genau ihr Ursprung lag, blieb offen.

Art entstand erst vor 2.100 Jahren

Jetzt bringen Tang und sein Team erstmals Licht ins Dunkel der Schaben-Herkunft. Um die Abstammung und den Verlauf der Ausbreitung der Blatella germanica zu rekonstruieren, analysierten und verglichen sie die DNA von 281 Deutschen Schaben aus 57 Fundorten in 17 Ländern. Auf Basis von Überstimmungen bei Punktmutationen im Erbgut konnten sie so rekonstruieren, wie die weltweite Population dieser Schaben zusammenhängt.

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Das überraschende Ergebnis: Die Deutsche Schabe ist erstaunlich jung. Ihr erster Vertreter entwickelte sich wahrscheinlich erst vor rund 2.100 Jahren in Indien oder Myanmar. Indiz dafür ist die hohe genetische Übereinstimmung bei Küchenschaben aus verschiedensten Ländern und Regionen, wie das Team berichtet. Zudem zeigt das Genom einiger asiatischer Schabenarten auffallende Ähnlichkeiten mit dem Erbgut unserer heimischen Schaben.

Auch den Vorfahren der Deutschen Schabe konnten Tang und seine Kollegen erstmals dingfest machen: Als wahrscheinlichen Vorfahren der Blatella germanica identifizierten sie die asiatische Schabenart Blatella asahinai. „Diese lebte wahrscheinlich schon vorwiegend in menschlichen Siedlungen und Gebäuden, als vor rund 2.100 Jahren die Hochkulturen Südasiens eine Blütezeit erlebten“, so die Forschenden.

Ausbreitung der Deutschen Schabe
Die Routen der Schaben: Vor 2.100 Jahren entstand die Art in Südasien. Von dort breitete sie sich erst innerhalb Asiens auf zwei Routen aus. Vor etwa 270 Jahren erreichte sie dann auch Europa. Die Diagramme zeigen die Nukleotid-Diversität an den verschiedenen Probenorten. © Tang et al./ PNAS, CC-by-nc-nd 4.0

Ausbreitung auf zwei Routen

Aber wie schaffte es Küchenschabe, so rasch von dort aus die gesamte Welt zu erobern? Auch dies haben die Wissenschaftler rekonstruiert: „Die globale Ausbreitung der Deutschen Schabe begann über zwei Routen, eine westliche und eine östliche“, berichten sie. Die erste Welle der Küchenschaben profitierte demnach vom Handel und den Feldzügen der islamischen Umayyaden- und Abbasiden-Herrscher vor rund 1.200 Jahren. „Die Schaben reisten gewissermaßen in den Brotkörben der Soldaten mit“, so das Team. Von Südasien aus gelangte die Deutschen Schabe so weiter nach Westen.

Die zweite, östliche Welle der Schaben-Ausbreitung begann vor rund 390 Jahren, als die Europäer ihre kolonialen und merkantilen Aktivitäten in Süd- und Südostasien ausweiteten. Die Küchenschaben reisten dabei als blinde Passagiere per Schiff mit und eroberten so nach und nach ganz Südostasien. „Trotzdem kam die Deutsche Schabe noch bis ins 18. Jahrhundert hinein vorwiegend in Asien vor“, schreiben Tang und seine Kollegen. Nach Europa gelangte Blatella germanica erst in den 1760er Jahren – kurz bevor Linné diese Art benannte.

Von Asien aus in die Welt

„Den Rest der Welt eroberte die Deutsche Schabe dann während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts“, erklären die Forschenden. „Technische Fortschritte wie beispielsweise die Dampfmaschine beschleunigten damals Transport und Globalisierung, gleichzeitig verbesserte sich der Komfort des Wohnens, beispielsweise durch Kanalisation und Heizung.“ Den wärmeliebenden Küchenschaben kam dies entgegen: Sie konnten nun auch Regionen erobern, die für sie zuvor zu kalt oder zu entlegen waren.

Die enge Verbindung zu den globalen Fernhandelsrouten ist noch heute am Genom der Schabenpopulationen ablesbar: „Deutsche Schaben aus Singapur und Australien sind enger mit Artgenossen in den USA verwandt als mit Schabenarten im geografisch benachbarten Indonesien“, berichten Tang und seine Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2401185121)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences

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