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Evolution

Urahn der Mitochondrien identifiziert

Iodidimonadales-Bakterien könnten engste lebende Verwandte der Mitochondrien-Vorläufer sein

Mitochondrium
Aus welchem Urzeit-Bakterium entstanden einst die Mitochondrien – die Kraftwerke unserer Zellen? © Ozgu Arslan/ Getty images

Aus welchen Urzeit-Bakterien entstanden einst unsere Mitochondrien? Eine Antwort darauf könnten Forscher jetzt gefunden haben. Sie haben für gut 20 genetische und biochemische Merkmale der Mitochondrien nach Entsprechungen im Bakterienreich gesucht – und wurden fündig. Demnach könnten die meeresbewohnenden Iodidimonadales die engsten heutigen Verwandten der Protomitochondrien sein. Diese Alphaproteobakterien leben noch heute unter ähnlichen Bedingungen wie im Meer des Proterozoikums.

Die Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ unserer Zellen und ein typisches Merkmal aller Eukaryoten. Nach gängiger Theorie entstanden sie vor rund 1,6 bis 1,8 Milliarden Jahren durch eine Endosymbiose: Die Vorläuferzellen der Eukaryoten – wahrscheinlich Archaeen – nahmen ein für sie nützliches Bakterium in sich auf und aus der engen Symbiose mit diesem „Mitbewohner“ wurde im Laufe der Zeit ein Zellorganell. Auf ähnliche Weise akquirierten die ersten eukaryotischen Algen später ihre Chloroplasten.

Mitochondriale ATP-Produktion
Mitochondrien produzieren das Molekül ATP und damit den chemischen Energielieferanten für zelluläre Prozesse. © TarikVision/ Getty images

Wer war der bakterielle Vorfahre?

Doch aus welchem Urzeit-Bakterium gingen die Mitochondrien hervor? Bisher ist diese Frage ungeklärt. Zwar gab es schon einige Versuche, diese Protomitochondrien anhand des Bakterienstammbaums oder bestimmter Gene zu identifizieren, die Ergebnisse waren aber widersprüchlich. „Kompliziert wird dies durch die Debatte darüber, ob der bakterielle Vorfahre der Mitochondrien ein obligater oder fakultativ aerober Organismus war“, erklären Otto Geiger von der Nationalen Autonomen Universität Mexikos und seine Kollegen.

Als wahrscheinlichste Kandidaten gelten Bakterien aus der Klasse der Alphaproteobacteria. Sie umfassen jedoch so unterschiedliche Gruppen wie die Essigbakterien, die zu den Wurzelsymbionten gehörende Rhizobium-Gattung oder die Krankheitserreger Rickettsia und Brucella. Außerdem gehören viele im Meer und im Süßwasser lebende Gruppen dazu, darunter einige, die zu einer bakteriellen Variante der Photosynthese fähig sind. Aus welcher dieser so diversen Gruppen der Alphaproteobakterien die Protomitochondrien einst hervorgingen, ist strittig.

20 Kriterien für die Fahndung

Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Geiger und sein Team nun gezielt nach Parallelen im Stoffwechsel und den dafür zuständigen Genen und Proteinen gesucht. „Das Leitprinzip unserer Strategie ist, dass einige der damals auf die erste eukaryotische Zelle übertragenen Stoffwechselmerkmale in den bis heute überlebenden Nachfahren dieses Bakteriums überlebt haben könnten“, erklärt das Team. Diese im Genom erhaltenen Spuren könnten ähnlich wie ein „Missing Link“ verraten, zu welcher Gruppe das Protomitochondrium gehörte.

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Die Forscher wählten insgesamt 20 genetische Bauanaleitungen für Enzyme und Proteinkomplexe aus, die in Mitochondrien eine wichtige Rolle spielen und die einst vom Bakterium mit in die Zelle gebracht worden sein könnten. Dazu gehören mehrere Enzymkomplexe, die für Konstruktion und Funktion des Proteins Cytochrom c wichtig sind. Dieses wird vom Mitochondrium benötigt, um den chemischen Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) durch oxidative Reaktionen herzustellen.

Ebenfalls als Indikatoren dienten zwei Stoffwechselsubstanzen, die für die Synthese von zellulären Membranbausteinen wichtig sind. Einer davon, das Cardiolipin, kommt in Bakterien und im Inneren des Mitochondriums vor. Der andere Baustein, ceramid-basierte Sphingolipide, gibt es fast nur bei Eukaryoten, einige Bakterien haben aber Bauanleitungen für die Ceramid-Vorstufen dieser Membranlipide.

Meeresbakterien als nächste Verwandte

Als Geiger und sein Team die verschiedenen Gruppen der Alphaproteobacteria auf diese Kriterien hin untersuchten, wurden sie fündig: „Unter den Bakterien, die mindestens zwei dieser Kriterien erfüllten, besaßen Iodidimonas und ihre Verwandten die meisten“, berichten sie. Die Iodidimonadales umfassen Bakterien, die im Meer leben und dort vor allem in Habitaten mit wechselndem Sauerstoffgehalt vorkommen. „Sie leben in ökologischen Nischen, die mit denen im Ozean des Proterozoikums vergleichbar sind“, erklären die Wissenschaftler.

Nach Ansicht von Geiger und seinem Team könnten die Iodidimonadales damit die engsten noch heute lebenden Verwandten der Protomitochondrien sein – der Urzeit-Bakterien, aus denen einst mittels Endosymbiose die ersten eukaryotischen Zellen entstanden. „Diese Gruppe passt besser zum Stoffwechselprofil der Protomitochondrien als alle andern Alphaproteobakterien“, konstatieren die Forscher.

Ihre Analyse wirft zudem die bisher als Favoriten gehandelten Rickettsiales aus dem Rennen. Diese heute endoparasitisch und als Krankheitserreger lebenden Alphaproteobakterien galten bisher als mögliche Schwestergruppe der Protonmitochondrien. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adh0066)

Quelle: Science Advances, American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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