Für die große Variationsbreite unserer individuellen Merkmale ist nicht nur entscheidend, welche Gene wir in uns tragen, sondern auch, wo diese Gene sitzen: Eine jetzt in „Science“ erschienene Studie zeigt, dass Gene am Rand von Chromosomen mit größerer Wahrscheinlichkeit verändert werden als diejenigen in der Mitte. Damit spielen „Standortfaktoren“ in der genetischen Evolution der Merkmale eine größere Rolle als angenommen.
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Obwohl wir Menschen uns genetisch untereinander nur wenig unterscheiden, ist jedes Individuum einzigartig, eine Kombination zahlreicher Merkmalsvarianten. Bisher ist allerdings nicht klar, wie gerade die graduellen Unterschiede zwischen einzelnen Menschen nur durch die klassischen Evolutionsmechanismen Mutation, Selektion und Zufall zustande gekommen sein sollen. Wissenschaftler der New York und der Princeton-Universität sind nun jedoch auf eine überraschende Erklärung gestoßen.
Modell Fadenwurm
Für ihre Studie analysierten sie die Genexpression beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans, einem wegen seiner festen Zellzahl bei Genetikern und Entwicklungsbiologen sehr beliebten Modellorganismus. Im Genom verschiedener Würmer verorteten die Forscher 16.000 Merkmale und untersuchten, wie stark die jeweiligen Gene aktiv waren. Ihre Theorie: Hinter Merkmalen, die von Individuum zu Individuum stark variieren, könnten Gene mit besonders hoher Mutationsrate stecken.
Tatsächlich ergab der Genvergleich, dass Gene für Merkmale mit großer Spannbreite mit höherer Wahrscheinlichkeit mutiert waren. Am stärksten betroffen waren dabei vor allem die Erbanlagen, die keine für das Überleben des Organismus essenziellen Funktionen kodieren. Hier hatte offensichtlich die Selektion dafür gesorgt, dass lebenswichtige Merkmale weniger stark variieren. Doch diese Ergebnisse konnten die beobachteten individuellen Merkmalsvariationen nur zum Teil erklären.
Lage auf dem Chromosom entscheidend
Ein wichtiger Faktor musste noch fehlen –aber welcher? Eine Antwort fanden Wissenschaftler, als sich anschauten, an welcher Stelle der Chromosomen die verschiedenen Gene des Fadenwurms saßen. Schnell zeigte sich, dass Gene in der Mitte der Chromosomen seltener zur genetischen Variation von Merkmalen beitragen als solche an den beiden Enden. Mit anderen Worten: Die Lage eines Gens auf dem Chromosom beeinflusst die Spannbreite der Unterschiede des kodierten Merkmals
„Nachbarschafts-Effekt“ macht stabil
Mit Hilfe eines mathematischen Modells erkundeten die Wissenschaftler anschließend, welcher Mechanismus für diese ortsbedingten Mutationsdifferenzen verantwortlich sein könnte. Sie stellten fest, dass Gene, die von sehr vielen anderen Genen umgeben sind, dazu tendieren, evolutionär mit ihren Nachbarn verknüpft und dadurch stabiler zu sein. Da sich an den Enden zwangsläufig zumindest an einer Seite weniger oder sogar keine Nachbargene mehr finden, ist hier die Wandelbarkeit noch größer. In jedem Falle zeigt die Studie, dass in der genetischen Evolution der Merkmale „Standortfaktoren“ eine größere Rolle spielen als angenommen.
(New York University, 15.10.2010 – NPO)