Naturphilosoph und der „deutsche Darwin“

Ernst Haeckel

Ernst Haeckel
Ernst Haeckel – Naturphilosoph, Vordenker der Evolutionsbiologie und „deutscher Darwin“. © historisch, aus: Photographische Gesellschaft, 1906

Ernst Haeckel war ursprünglich Mediziner. Doch schon früh interessierte er sich auch für die Naturwissenschaften und stieß immer wieder auf die Evolutionslehren Charles Darwins. Und genau diese waren es, die den Rest seiner Forschungen prägten und ihn zum Zoologen, Philosophen, Zeichner und Freidenker machten.

Ab den 1860er Jahren verbreitete Haeckel als Vorreiter seiner Zeit die Ideen Darwins und baute sie zu einer Abstammungslehre aller Tiergruppen aus. Er versuchte zudem, die menschliche Evolution zu erklären und fand auch eine Begründung dafür. Auf ihrer Basis formulierte er sein biogenetisches Grundgesetz. Aber was besagt es? Warum gilt es heute nur begrenzt?

Und was genau machte Haeckel zum „deutschen Darwin“? Wie kam es dazu? Welche Erkenntnisse zog er aus Darwins Theorie? Und warum stellte er sich im Laufe seines Lebens gegen die christliche Schöpfungsgeschichte? Was steckt hinter seinem Monismus? Und was ist uns bis heute von dem populären Wissenschaftler geblieben?

Haeckel taucht in die Welt der Naturwissenschaften ein

Vom Medizinstudenten zum Reisenden

Ernst Haeckel wird am 16. Februar 1834 in Potsdam als Sohn eines Beamten geboren. Nach dem Umzug nach Merseburg in der damaligen Provinz Sachsen geht Hackel dort auf ein Domgymnasium. Bereits in seiner Schulzeit interessiert er sich für die Biologie. Nur weiß er damals noch nicht, in welchem Maße diese sein restliches Leben prägen wird…

Karrierebeginn in der Medizin

Obwohl er sich bereits während seiner Zeit am Gymnasium intensiv der Pflanzenkunde widmet und auch erstmals auf die Schriften von Charles Darwin und Alexander von Humboldt trifft, studiert Haeckel nach seinem Abitur im Jahr 1852 – auf Wunsch der Eltern – zunächst Medizin in Berlin. Auf Drängen seines Vaters wechselt er aber noch im gleichen Jahr an die Universität Würzburg. Die dortige medizinische Fakultät besitzt aufgrund von Professoren wie Albert von Kölliker, Franz von Leydig und Rudolf Virchow einen hervorragenden Ruf.

Rudolf Virchow
Haeckel assistierte Rudolf Virchow, Freunde wurden sie aber nie. © National Institutes of Health

Haeckel assistiert in Würzburg dem berühmten Medizinprofessor Virchow, der das Denken des jungen Mediziners entscheidend mitprägt: Virchow nimmt an, dass sich alle körperlichen Funktionen durch die Interaktion von Zellen erklären lassen. Mit dieser Zellpathologie unterscheidet sich der Wissenschaftler deutlich von den damals verbreiteten Anhängern idealistischer Naturphilosophien.

Dennoch entwickelt sich zwischen Haeckel und Virchow nie eine persönliche Freundschaft, denn aus Sicht Haeckels erklärt der Ansatz des Professors den menschlichen Körper zu mechanistisch und ohne die Annahme einer immateriellen, geistigen Lebenskraft.

Wechsel zur Biologie

Während seines Studiums führt Haeckel immer wieder auch naturwissenschaftliche Forschungen durch. So beschäftigt sich der junge Mediziner während einer Studienreise auf Helgoland mit der Erforschung wirbelloser Meerestiere. Schließlich promoviert er 1875 mit seiner Dissertation „Über die Gewebe des Flusskrebses“. Ein Jahr später erhält er das Staatsexamen und im März 1858 seine Approbation.

Doch nach dem Abschluss seines Medizinstudiums gibt Haeckel seine Medizinerlaufbahn auf, um sich der vergleichenden Anatomie und Zoologie zu widmen. Dazu plant der junge Arzt eine Habilitation bei dem Meeresbiologen Johannes Müller. Doch daraus wird nichts: Der überraschende – und von Haeckel für Suizid gehaltene – Tod Müllers zwingt ihn dazu, seine Pläne zu ändern. Carl Gegenbaur, ein befreundeter Professor aus Würzburg, schlägt Haeckel eine gemeinsame Italienfahrt vor: Sie soll als Bildungsreise und ebenso der Vorbereitung für die Habilitation dienen. Haeckel sagt zu, muss jedoch letztlich ohne Gegenbaur aufbrechen – dieser erkrankt kurzfristig.

Als Künstler und Naturwissenschaftler unterwegs

1859 ist es dann so weit: Während des ersten Teils der Reise in Rom begegnet Haeckel dem Papsttum und der religiösen Kunst, fühlt sich davon aber abgestoßen und zweifelt an seinem Glauben. Bei seinem darauffolgenden Aufenthalt am Golf von Neapel wendet sich der Mediziner zunächst der naturtreuen Kunst zu.

Quallen
Auf dieser Illustration Haeckels sind Quallen und andere Meeresorganismen zu sehen. © Ernst Haeckel/ historisch

Einige Monate später auf Sizilien beginnt der junge Reisende schließlich mit naturwissenschaftlichen Forschungen, indem er die letzten Arbeiten Müllers aufnimmt: Er widmet sich den sogenannten Radiolarien – einer Gruppe von einzelligen Strahlentierchen. In kurzer Zeit sammelt Haeckel 101 neue Arten dieser Kleinstlebewesen.

Biologie mit Kunst vereint

Auch nach seiner Rückkehr von der Expedition zeigt der Wissenschaftler ein außerordentliches Interesse an der mikroskopischen Anatomie und der Zoologie. Durch seine Forschungen an Einzellern der Ordnung der Rhizopoden – der Wurzelfüßer – wird er 1861 an der Universität Jena mit der Schrift „De Rizopodum finibus et ordinibus“ habilitiert. Daraufhin unterrichtet er in Jena vergleichende Anatomie.

Bei seinen Arbeiten an der Universität nutzt Haeckel erneut sein künstlerisches Talent, um seine mikroskopischen Befunde zu dokumentieren – denn zu seiner Zeit war die Fotografie noch nicht weit verbreitet. Zwischen 1860 und 1862 veröffentlicht er fast 60 wissenschaftliche Illustrationen von beobachteten Kleinstlebewesen, Muscheln und Co., darunter zahlreiche Aquarelle und Farbzeichnungen. Dabei legt er großes Augenmerk darauf, die Symmetrien der Natur exakt nachzuempfinden.

Diese Werke Haeckels beeinflussen die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und sind noch heute bekannt, weil sie so realitätsnah und exakt gezeichnet sind.

Entdecker neuer Arten

Radiolarien
Arten-Tafel von Ernst Haeckel mit Radiolarien der Challenger-Expedition. © John Murray/ gemeinfrei

Ab 1869 unternimmt der Forscher weitere Reisen: Etwa nach Norwegen, Ägypten, Griechenland und England, sowie 1881 erstmals die Tropen. Zudem nimmt er Ende des 19. Jahrhunderts mit einigen Wissenschaftlern an der dreijährigen Reise des Forschungsschiffs „HMS Challenger“ teil. Das Forscherteam will dabei die Existenz von Leben in den dunklen Tiefen der Ozeane beweisen.

Hauptsächlich untersucht Haeckel bei seinen Forschungsreisen Kalkschwämme, Korallen, Medusen. Seine Arbeiten veröffentlicht er im Laufe der Jahre und beschreibt darin tausende neue Spezies – auch aus der Tiefsee. Insbesondere die Expedition der Challenger bringt ein unerwartetes Ausmaß an neuen Erkenntnissen, mit denen Haeckel unter anderem eine wichtige Grundlage für die weitere Erforschung dieser Tiergruppen bildet.

Wie Haeckel zur Evolutionstheorie kam

Als Darwinist unterwegs

In seiner Zeit als Professor für vergleichende Anatomie in Jena widmet sich Haeckel der Erforschung verschiedener Aspekte der Flora und Fauna, arbeitet aber auch weiter an der an der Morphologie und schließlich auch an der Evolutionsgeschichte aller Tiergruppen.

Namensgeber der Ökologie

Nach und nach veröffentlicht Haeckel Arbeiten, die einen größeren Bogen schlagen: Im Jahr 1866 gibt Haeckel dabei in seinem Buch „Generelle Morphologie der Tiere” der Ökologie ihren heutigen Namen. Der Forscher definiert darin die Ökologie als „die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt“. Später schlägt Haeckel eine etwas allgemeinere Definition vor, bei der er den Stoffhaushalt der Organismen hervorhebt.

Haeckel ist aber keineswegs Begründer dieser Wissenschaft, denn Vertreter, die sich mit der Ökologie beschäftigten, gab es schon viel früher. Haeckels Arbeiten befassen sich auch nicht tiefer mit der Ökologie. Stattdessen arbeitet er an der Erforschung kleiner Organismen weiter.

Erstes Treffen mit Darwin

Teide
Am Vulkan Teide auf den Kanaren traf Haeckel erstmals auf Darwin. © Thomas Wolf/ CC-by-sa 3.0

Auf einer Reise zu den Kanarischen Inseln nimmt Haeckel an der winterlichen Erstbesteigung des spanischen Teide teil, untersucht aber nicht nur Pflanzen- und Tierarten: Dort trifft er auch mit Charles Darwin, Thomas Huxley und Charles Lyell zusammen. Insbesondere Darwin und seine Evolutionstheorie inspirieren Haeckel.

Die Entstehung der Arten nach Darwin wecken Haeckels Interesse so sehr, dass er sich in seinem Werk „Generelle Morphologie der Organismen“ schließlich auf die Lehre Darwins beruft. Er kann darin nun die Ähnlichkeiten seiner erforschten Organismen als Verwandtschaft interpretieren. Dazu erstellt Haeckel Stammbäume zur Darstellung der Evolution der Tierarten und postuliert auch den möglichen, gemeinsamen Ursprung aller Organismen aus Einzellern.

Um das Wissen Darwins für die gesamte Bevölkerung verständlich zu machen, verfasst er die „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ und erklärt darin die wesentlichen Aussagen Darwins zur Abstammungslehre. Als Prorektor der Universität Jena verbreitet er als erster deutscher Forscher auf Vortragsreisen durch Deutschland Darwins Thesen – und gilt deshalb auch als „deutscher Darwin“.

Darwin einen Schritt voraus

Bald darauf ergänzt Haeckel sogar Darwins Sicht der Evolution: Er beschäftigt sich nicht nur mit den Verwandtschaften der Tiergruppen, sondern dehnt die Evolutionslehre erstmals auch auf den Menschen aus. So propagiert er 1847 die Abstammung des Urmenschen vom Affen.

Abstammung
Haeckel postulierte früh die Abstammung des Menschen vom Affen. © H.-P.Haack/ CC-by-sa 3.0

Seine hypothetische Übergangsform zwischen Affe und der Gattung Homo nennt Haeckel „Pithecanthropus alalus“. Er ordnet diesen Affenmenschen den schwanzlosen Schmalnasenaffen der alten Welt zu. Dieser konnte laut Haeckel noch nicht sprechen, weil er keinen Kehlkopf besaß. Dem Menschen eine Verwandtschaft zu Affen nachzusagen, gilt damals als großer Skandal. Haeckel wird deshalb nachgesagt der „Affenprofessor von Jena“ zu sein.

Woher stammt der Urmensch?

Die Stammart aller Menschen, die sich aus dem Pithecanthropus entwickelt haben soll, nennt Haeckel „Homo primigenius“. Damit ist er einer der ersten Forscher, der nicht den 1856 entdeckten Neandertaler als Urmensch bezeichnet. Haeckels menschlicher Vorfahr habe sich aus seiner Sicht schon früher entwickelt als die bisher angenommenen Ahnen: „Wahrscheinlich fand allerdings die körperliche Entwicklung des Urmenschen aus menschenähnlichen Affen bereits in der jüngeren oder pliocenen, vielleicht sogar schon in der mittleren oder miocenen Tertiärzeit statt.“

In seiner Schrift „Anthropogenie“ spekuliert der Evolutionsbiologe die mögliche Herkunft dieses menschlichen Vorfahren. Laut Haeckel deuten „die meisten Anzeichen auf das südliche Asien“ hin. „Vielleicht war aber auch das östliche Afrika der Ort, an welchem zuerst die Entstehung des Urmenschen aus den menschenähnlichen Affen erfolgte“, so der Forscher. „Vielleicht auch ein jetzt unter den Spiegel des indischen Ozeans versunkener Kontinent, welcher sich im Süden des jetzigen Asiens einerseits östlich bis nach den Sunda-Inseln, andrerseits westlich bis nach Madagaskar und Afrika erstreckte.“

Entwicklung des Embryos als Abbild der Evolution

Das biogenetische Grundgesetz

Haeckel ist nicht nur der erste deutsche Wissenschaftler seiner Zeit, der Darwins Evolutionstheorie verteidigt. Sondern auch der erste, der versucht, sie weiter auszubauen und zu ergründen. So vermutet er, dass alle Tiere – so auch der Mensch – den gleichen Ursprung haben und versucht dafür auch ein entsprechendes Argument zu finden.

Evolution im Schnelldurchlauf

Embryos
Egal ob Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel oder Säugetiere – alle Embryos und Larven ähneln sich im ersten Stadium ihrer Entwicklung größtenteils. © George John Romanes/ gemeinfrei

Um Darwins Evolutionstheorie weiter auszubauen, erarbeitet Haeckel eine embryologische Argumentation für die Theorie. Dafür formuliert er das bis heute bekannte „biogenetische Grundgesetz“. Dieses besagt, dass der Embryo oder die Larve in ihrer körperlichen Entwicklung, der Ontogenese, die stammesgeschichtliche Entwicklung dieser Tiergruppe gewissermaßen im Schnelldurchgang nachvollzieht.

Ausgangspunkt dafür war die Beobachtung, dass die Embryos zweier unterschiedlicher Arten – wie etwa von Fischen und Säugetieren – sich in ihren ersten Stadien stärker ähneln als erwachsene Exemplare derselben Arten. Zum Beispiel sind ein Jungfisch und ein menschlicher Embryo im ersten Stadium nach der Befruchtung noch kaum zu unterscheiden.

So bilden sich beim Menschen im Alter von wenigen Wochen nach der Befruchtung beispielsweise in der Halsregion Strukturen aus, die Kiemenspalten ähneln. Die Struktur wächst sich im Laufe der weiteren Entwicklung heraus, könnte aber ein Hinweis auf unsere ferne Verwandtschaft zu Fischen sein, so Haeckel.

Ursprung der Mehrzeller

Auf der Grundlage des biogenetischen Gesetzes erstellt Haeckel noch eine weitere Theorie. Diese soll den Ursprung von vielzelligen Organismen aus Einzellern erklären. Seiner Meinung nach habe die erste vielzellige Kreatur ähnliche Merkmale wie die Gastrula gehabt – die Phase der Embryonalentwicklung, in der der werdende Organismus nur aus einer äußeren und inneren Zellschicht besteht.

Auf ähnliche Weise sollte der Weg vom einzelligen zum mehrzelligen Organismus mit einer Teilung beginnen, bei der die Tochterzellen einen Cluster bilden. Anschließend entwickeln diese Zellschichten sich unterscheidende funktionale und anatomische Merkmale – einige sind für die Bewegung verantwortlich, andere für die Verdauung. Nach Haeckel entstand so ein erster vielzelliger Organismus, den er Gastrea nennt.

Haeckels Theorie heute

Doch die Gültigkeit des von Haeckel aufgestellten biogenetischen Grundgesetzes ist begrenzt, wie man heute weiß. Die stammesgeschichtliche Evolution der Organismen wird in der Embryonalentwicklung weder vollständig, noch immer in ihrer ursprünglichen Reihenfolge wiederholt. Daher spricht man heute nicht mehr vom biogenetischen Grundgesetz, sondern von der „biogenetischen Grundregel“.

Fliege
Sogar bei Wirbellosen codieren die Hox-Gene für die Ausbildung entscheidender Körperteile. © PhiLiP/ gemeinfrei

In den 1970er Jahren wurde Haeckels Theorie noch einmal eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Denn Forscher entdecken die sogenannten Hox-Gene. Bei diesen Genen handelt es sich um sehr alte und komplexe Gene, die allgemeine Körperstrukturen festlegen. Das Erstaunliche: Diese Gene kommen in gleicher Form bei Tieren unterschiedlichster Gattungen vor – bei Fischen wie beim Menschen – und greifen relativ früh in die Embryonalentwicklung ein.

Vom „deutschen Darwin“ zum Monisten

Naturgesetze statt Schöpfungsglaube

Ernst Haeckel verbreitet aber nicht nur die Evolutionstheorie Darwins als einer der Pioniere in Deutschland und baut sie weiter aus, sondern prägt die Wissenschaften auch noch darüber hinaus mit: Aus dem Darwinismus entwickelt er eine monistische Weltanschauung. Als Monismus wird eine Weltanschauung bezeichnet, nach der alle Wesen und Vorgänge auf ein Grundprinzip zurückgehen. Für Haeckel bedeutet dies, dass sich Gott und das Göttliche in den Naturgesetzen manifestiert.

Monismus statt Glaube

Obwohl Haeckel kein Atheist ist, positioniert er sich damit klar gegen den christlichen Schöpfungsglauben. Als Wissenschaftler und Anhänger Darwins ist er davon überzeugt, dass sich Arten ohne Gottes Mithilfe entwickelt haben müssen. Und auch der Mensch ist laut Haeckel auf „natürliche“ Weise entstanden und nicht durch einen göttlichen Schöpfungsakt.

Arbeitszimmer
Hier arbeitete Haeckel manchmal bis zu 18 Stunden am Tag und schrieb seine Bücher. © Gerbil/ gemeinfrei

Folglich fordert Haeckel Ende des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Veranstaltungen und Vorträgen, dass die Evolutionstheorie in den Schulunterricht eingeführt werden müsste. Kirchliche und staatliche Institutionen und auch viele wissenschaftliche Kollegen verspotten ihn dafür.

Deshalb verfasst der Forscher im Jahr 1899 ein allgemein verständliches Buch mit dem Namen „Die Welträtsel“. Es wird in vielen Auflagen und 25 Sprachen gedruckt und erläutert Haeckels Ideen des naturwissenschaftlichen Monismus.

„Alles ist Natur“

Im Detail besagt der Monismus Haeckels, dass sich das Universum selbstständig aus einer Ursubstanz entwickelt habe – ohne Gottes Mitwirkung. Die Welt ist demnach aus ihrer eigenen Dynamik heraus entstanden. Haeckel stellt sich vor, dass der Kosmos ein „allumfassendes Naturganzes“ ist. Gott hingegen ist für ihn die Summe aller Kräfte und Materie und deren Verbindung und nicht etwa ein persönlicher Schöpfer.

In den folgenden Jahren formuliert Ernst Haeckel seinen Monismus als untrennbare Einheit von Kraft und Materie und begründet seine Auffassung mit zwei allgemeinen Grundsätzen: „Alles ist Natur, Natur ist alles und neben oder über oder hinter der Natur ist nichts“ und „Alles ist den gleichen Gesetzen unterworfen und die Erkenntnis dieser Gesetze gründet sich auf Erfahrung.“ Ernst Haeckel gehört mit dieser monistischen Weltanschauung zu den führenden Freidenkern und Vertretern eines naturwissenschaftlich orientierten Fortschrittsgedankens des frühen 20. Jahrhunderts.

Um diese monistische Weltanschauung zu verbreiten, gründet Haeckel 1906 den Monistenbund am Jenaer Zoologischen Institut. Die Mitglieder des Bunds sollen nach dem Willen des Forschers nicht nur die naturwissenschaftliche Bildung verbreiten, sondern auch freidenkerische Bestrebungen fördern.

Umstrittene Ansichten

Haeckel ist aber wegen eines anderen Aspekts seiner Weltanschauung heute umstritten. Er vertritt basierend auf seinen Vorstellungen zu Evolution und Selektion eine „eugenische“ Sozialpolitik. Seiner Ansicht nach müsse es für das langfristige Wohl einer Gesellschaft legitim sein, unheilbare Kranke oder Behinderte von der Fortpflanzung auszuschließen oder sie sogar zu töten.

So schreibt er in seinem Buch „Die Lebenswunder“: „Es kann daher auch die Tötung von neugeborenen verkrüppelten Kindern, wie sie zum Beispiel die Spartaner behufs der Selektion des Tüchtigsten übten, vernünftiger Weise gar nicht unter den Begriff des ‚Mordes‘ fallen, wie es noch in unseren modernen Gesetzbüchern geschieht. Vielmehr müssen wir dieselbe als eine zweckmäßige, sowohl für die Beteiligten wie für die Gesellschaft nützliche Maßregel billigen.“

Die menschliche Gesellschaft teilt er zudem in höher- und niederwertige Rassen ein. Damit gilt Haeckel als entscheidender Wegbereiter von Euthanasie und Rassenhygiene, wie sie dann im Dritten Reich praktiziert wurde. Im Laufe der Jahre betätigt Haeckel sich politisch und ist Mitglied des Alldeutschen Verbandes, der für sein nationalistisches Gedankengut bekannt ist.

Andererseits setzt sich Haeckel auch stark für den Pazifismus ein, etwa indem er 1910 zusammen mit anderen bedeutenden Persönlichkeiten – wie etwa Friedrich Naumann und Max Weber – dazu aufruft, einen Verband für internationale Verständigung zu gründen. Dieser Verband soll ihnen zufolge Abkommen mit anderen Nationen fördern, um den Weltfrieden zu garantieren. Zudem unterstützt Haeckel aufkommende Friedensbewegungen.

Was geblieben ist

Meerestiere
Aquarelle wie diese machten Haeckel auch nach seinem Lehrende noch berühmt. © Ernst Haeckel/ historisch

Ab 1900 unternimmt der Wissenschaftler weniger praktische Forschungen und konzentriert sich auf Reisen. Es erscheinen Reiseberichte und ein bis heute berühmter Band mit weiteren Aquarellen. 1908 stiftet Haeckel das Phyletische Museum in Jena, das sich vor allem der Stammesgeschichte widmet. Ernst Haeckel stirbt schließlich am 9. August 1919 als weltberühmter Gelehrter in der Villa Medusa in Jena, seinem Wohnhaus.

Ein Jahr nach dem Tod Haeckels eröffnet das Ernst-Haeckel-Haus als Memorialmuseum des populären Wissenschaftlers in der Villa Medusa. Der Deutsche Monistenbund wird zunächst unter anderem von Haeckels Kollegen Wilhelm Ostwald fortgeführt. Aber wie auch andere Freidenkerorganisationen verbieten die Nationalsozialisten ab 1933 den Bund Haeckels.

Zudem nutzen die Nationalsozialisten die darwinistischen Vorträge und Schriften Haeckels zur Artenlehre aus, um ihren Rassismus und Sozialdarwinismus zu erklären. Gleichzeitig aber lehnen sie wesentliche Teile seines Weltbilds als unvereinbar mit ihrer Weltauffassung ab.