Das James-Webb-Weltraumteleskop und seine Mission

„Superauge“ im All

James-Webb-Teleskop
Mit einem Durchmesser von 6,50 Metern ist der 18-teilige Spiegel des James-Webb-Teleskop der größte je ins All gebrachte. © NASA/GSFC

Es ist das größte, komplizierteste und teuerste Instrument, das die Menschheit jemals in den Weltraum gebracht hat: Das James-Webb-Weltraumteleskop ist eine Mission der Superlative. Mit seinem 25 Quadratmeter großen Spiegel und hochsensiblen Infrarotoptiken wird dieses Teleskop weiter und schärfer sehen als alle vor ihm. Doch bis es soweit ist, haben Teleskop und Bodenteams 29 Tage des Bangens vor sich.

Wenn das Weltraumteleskop am 25. Dezember ins All startet, hat es die kompliziertesten Aktionen vor sich, die je im All absolviert worden sind. Denn dann müssen in einer Art umgekehrtem Origami der tennisplatzgroße Sonnenschild und die Spiegel aus ihrer kompakten Transport-Konfiguration entfaltet und ausgeklappt werden. Mehr als 300 Schritte und Mechanismen müssen dafür so präzise ablaufen wie ein Uhrwerk.

Wenn das jedoch gelingt und das James-Webb-Teleskop 29 Tage nach dem Start an seinem Arbeitsplatz 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt eintrifft, dann könnte es der Astronomie einzigartige Einblicke ins Universum bieten. Das neue „Auge im All“ kann bis in die Ära der ersten Sterne zurückblicken, aber auch die Atmosphären naher Exoplaneten analysieren und nach Lebensspuren suchen.

Was ist das Besondere am James-Webb-Teleskop?

Mehr als nur ein Hubble-Nachfolger

Wenn es um tiefe Blicke ins ferne Weltall geht und um spektakuläre Aufnahmen kosmischer Phänomene, dann ist das Hubble-Weltraumteleskop bisher das Maß aller Dinge. Seit mehr als 30 Jahren liefern seine Aufnahmen entscheidende Daten für die astronomische und astrophysikalischen Forschung. Doch allmählich kommt dieses „Auge im All“ in Jahre und Ausfälle häufen sich.

Jetzt erhält Hubble „Verstärkung“: Das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) soll zumindest einige Aufgaben des alternden Hubble Teleskops übernehmen.

Vergleich
Vergleich von Größe und Spiegel der Teleskope Spitzer, Hubble und James Webb. © NASA

Größer, schärfer, weiter

„Der Neue“ im All ist in vieler Hinsicht größer und moderner als sein dienstälterer Kollege. Während Hubble etwa das Format eines Lastwagens hat, hat das JWST die Ausmaße eines Flugzeugs vom Typ 737: Es ist ein Koloss von 22 Meter Länge und zwölf Meter Breite. Noch viel wichtiger aber ist das, was den Wert dieses Teleskops ausmacht: sein Hauptspiegel. Mit einem Durchmesser von 6,50 Meter ist er fast dreimal so groß wie Hubbles 2,40-Meter-Spiegel. Noch nie zuvor wurde ein so großer Spiegel in den Weltraum gebracht.

Dadurch hat das Webb-Teleskop eine um das Vielfache verbesserte Lichtausbeute und Auflösung. Das Hubble-Teleskop kann noch helle Objekte in rund 13,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung erkennen, wie es mit seinem „Legacy Field“ demonstrierte. Das JWST soll dagegen in noch fernere, ältere Regionen des Alls vordringen. Mit ihm sollen noch Galaxien aus der Zeit nur 300 Millionen Jahre nach dem Urknall sichtbar werden.

Spezialist statt Allrounder

Allerdings: Das Webb-Teleskop hat einen anderen Blick auf das Universum als Hubble, denn es „sieht“ einen anderen Ausschnitt des Strahlungsspektrums. Das Wellenspektrum des Hubble-Teleskops reicht vom UV-Bereich bis ins nahe Infrarot – es ist gewissermaßen ein Allrounder. Webb hingegen ist eher ein Spezialist fürs infrarote: Sein Spektrum reicht von 0,6 Mikrometern – dem gerade noch für uns sichtbaren roten Bereich des sichtbaren Lichts bis zu 28,5 Mikrometern und damit dem mittleren Infrarotbereich.

Lichtspektrum
Beobachtungsspektrum von Hubble und James Webb im Vergleich. © NASA

Damit ist Webb eher ein Nachfolger von Infrarot-Weltraumteleskopen wie Herschel oder Spitzer. Ihre Aufnahmen demonstrierten bereits, dass der Kosmos in Infrarotsicht mindestens ebenso spektakuläre Anblicke zu bieten hat wie im sichtbaren Licht. „Die Weltraumteleskope Hubble und Spitzer waren bahnbrechend und haben uns die Tür ins Infrarot-Universum geöffnet. Webb ist jetzt eine natürliche Weiterentwicklung dieser Missionen: Er kombiniert Spitzers Blick ins Infrarote mit Hubbles Auflösung und Sensitivität“, erklärt Daniel Weisz von der University of California in Berkeley.

Tatsächlich sieht Webb mit 0,03 Bogensekunden Auflösung sogar noch etwas schärfer als Hubble mit 0,05 Bogensekunden bei der gleichen Wellenlänge. Seine Infrarotoptiken so sensitiv, dass sie von der Erde aus noch die Wärme einer einzelnen Hummel auf dem Mond sehen könnten.

Auf der Suche nach der Kälte

Die hochsensitiven Infrarot-Optiken des Webb-Teleskops bringen aber neue Herausforderungen mit sich. Denn um die schwache Wärmestrahlung fernster Himmelsobjekte einfangen zu können, müssen Spiegel und restliche Optiken des JWST bis auf fast den absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. Nur so lässt sich verhindern, dass die Wärmeabstrahlung der Teleskopmaterialien die feinen Signale im Grundrauschen untergehen lässt.

Die Spiegel und Optiken des Teleskops dürfen deshalb nicht wärmer werden als etwa minus 218 Grad. Während andere Infrarot-Weltraumteleskope wie Spitzer dies durch eine aktive Heliumkühlung ihrer optischen Komponenten erreicht haben, ist dies bei einem so großem Spiegel wie beim Webb-Teleskop nicht möglich. Das JWST setzt daher auf eine andere Strategie: Es überlässt der Kälte des Weltraums die Kühlung.

Lagrangepunkt statt Erdorbit

Das aber bedeutet auch, dass dieses Weltraumteleskop anders als Hubble nicht im Erdorbit kreisen kann. Denn die Erde strahlt vom All aus gesehen Wärme und damit Infrarotstrahlung ab, die die Beobachtungen stören würde. Hinzu kommt, dass auch die Sonne je nach Position im Orbit für Störstrahlung sorgt. Um die Optiken vollständig gegen jeden Sonnenstrahl abzuschirmen, müsste das JWST entweder ein rundum eine isolierende Abdeckung besitzen, was aufgrund des riesigen Spiegels nicht möglich ist, oder aber ein beweglicher Sonnenschild müsste sich ständig anpassen.

Lagrangepunkt 2
Erdorbit und Lagrangepunkt 2. © NASA

Das James-Webb-Teleskop wird daher seinen Beobachtungsposten am Lagrangepunkt 2 beziehen. Dieser liegt rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf der der Sonne abgewandten Seite. Dort sorgt das Gleichgewicht der Anziehungskräfte von Sonne und Erde dafür, dass Raumsonden stabil und ohne großen Energieaufwand in einer Umlaufbahn kreisen können. Gleichzeitig kommt das Sonnenlicht dort immer aus der gleichen Richtung, Deshalb genügt ein einziger Schutzschild, um die thermische Strahlung abzuhalten. Beim JWST ist dieser Wärmeschutz ein so groß wie ein Tennisplatz und besteht aus fünf hauchdünnen Isoliermembranen.

Es ist daher kein Zufall, dass das Webb-Teleskop nicht das erste oder einzige am Lagrangepunkt 2 ist: Dort kreisen die nicht mehr aktiven Mirowellensatelliten WMAP und Planck, die die kosmische Hintergrundstrahlung kartiert haben. Noch aktiv sind dort zudem das Röntgenteleskop eROSITA und der europäische Weltraumteleskop Gaia.

Die wissenschaftlichen Ziele des Teleskops

Zurück zu den ersten Sternen

Der Grund, warum das James-Webb-Teleskop primär im Infraroten arbeitet, hängt eng mit den wissenschaftlichen Zielen seiner Mission zusammen. Denn eine der Aufgaben des JWST ist es, noch weiter zurück in die Vergangenheit des Kosmos zu schauen als Hubble – zurück in die Zeit, als sich die allerersten Galaxien bildeten. „Mit Webb wollen wir erstmals Galaxien aus der Zeit direkt nach dem Urknall erkunden“, erklärt Steven Finkelstein von University of Texas. „Das war bisher mit keinem anderen Teleskop möglich.“

Kosmische Evolution
Das James-Webb-Teleskop soll zurückschauen bis in die Ära der Reionisierung – der Zeit, als die ersten Sterne und Galaxien entstanden. © NASA/ESA, Joyce Kang (STScI)

Der Grund: Das Universum dehnt sich seit dem Urknall immer weiter aus und das führt auch zu einer Dehnung der Strahlung, die seit Jahrmilliarden zu uns unterwegs ist. Dadurch ist das Lichtspektrum ferner Galaxien und Sterne aus dem UV- oder optischen Bereich in das langwelligere Infrarot verschoben – und genau diesen Bereich kann das Webb-Teleskop mit seinem großen Spiegel und den optischen Instrumenten abbilden.

Zurück zum Anfang

Die bisher ältesten bekannten Galaxien stammen aus der Zeit nur gut 500 Millionen Jahre nach dem Urknall. Doch wann die Bildung der ersten Galaxien begonnen hat, ist bislang unklar: „Einige Modelle besagen, dass wir mindestens 50 Galaxien aus der Zeit vor der Reichweite von Hubble finden müssten, andere prognostizieren nur eine Handvoll“, sagt Finkelstein. Das Webb-Teleskop soll erstmals zeigen, wann die ersten Sterne und Galaxien entstanden und wie sie beschaffen waren. Das könnte auch klären, wie einige Quasare und Galaxien schon zu dieser frühen Zeit so enorm massereich werden konnten.

Hinzu kommt: Dank seiner hohen Lichtausbeute und scharfen Optiken kann das neue Weltraumteleskop die fernen Sterne und Galaxien nicht nur abbilden, sondern auch ihr Lichtspektrum hochaufgelöst aufschlüsseln. Dies leisten seine beiden Spektrografen MIRI und NIRSpec, die im mittleren und nahen Infrarot arbeiten. Letzterer besitzt fast 250.000 Mikroblenden, mit denen man gezielt Strahlung nur von bestimmten Bildausschnitten einlassen kann. „Wir öffnen einfach die Mikroblenden dieses Spektrografen, um zum ersten Mal die Spektren von hunderten dieser frühen Galaxien zu untersuchen“, erklärt Mark Dickinson vom National Optical-Infrared Astronomy Research Laboratory in Arizona.

Sternenwiegen, Galaxien und Dunkle Materie

Der Blick ins Infrarote hat aber noch einen Vorteil: Viele Prozesse im Kosmos sind von dichten Staubwolken umgeben. Durch sie ist beispielsweise die Entstehung neuer Sterne und Planeten im sichtbaren Licht nicht zu erkennen, der Staub verdeckt die Sicht. Die langwelligere Infrarotstrahlung hingegen durchdringt diese Wolken. Das JWST könnte daher erstmals die frühesten Stadien der Sternbildung enthüllen und damit letztlich auch die Vorgeschichte unseres eigenen Sonnensystems.

Ein weiteres Aufgabengebiet ist der genaue Blick auf einige Galaxien in der unmittelbaren Nachbarschaft unserer Milchstraße. Diese Zwerggalaxien sind größtenteils sehr lichtschwach und daher mit normalen Teleskopen nur schwer im Detail zu beobachten. Die scharfen „Augen“ des Webb-Teleskops können jedoch die Bewegungen dieser Galaxien und ihrer Sterne präzise kartieren.
Das könnte verraten, wie solche Galaxien miteinander interagieren und wie aus ihren Verschmelzungen größere Sternenansammlungen werden.

Aus ihrer Beobachtung könnten Astronomen aber auch mehr über die Verteilung der Dunkle Materie und ihre Rolle bei der Galaxienbildung erfahren. „Wie sich Strukturen im Universum bilden, hängt von den Eigenschaften der Dunklen Materie ab“, erklärt Roeland van der Marel vom Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore. Über diese soll das JWST mehr Aufschluss geben. Vielleicht klärt sich dann auch, warum einige Zwerggalaxien fast keine Dunkle Materie zu enthalten scheinen.

Spektrum
So könnte das vom JWST analysierte Lichtspektrum eines erdähnlichen Exoplaneten mit Atmosphäre aussehen. © NASA/ESA, CSA, STScI, Joseph Olmsted (STScI)

Fremde Welten im Blick

Besondere Hoffnung verbinden auch Planetenforscher mit dem neuen Weltraumteleskop. Denn mit ihm wird es erstmals möglich sein, die Atmosphären von Exoplaneten auf ihre Zusammensetzung hin zu analysieren – und nach chemischen Signaturen von außerirdischem Leben zu suchen. Eigens dafür gedacht ist das NIRISS-Instrument – ein Nahinfrarot-Spektrograf, der das überstrahlende Licht des Zentralsterns abschirmt. Dadurch kann er das weit schwächere Leuchten des Planeten einfangen und analysieren.

Webbs Optiken sind zudem scharf genug, um erste Fotos naher Exoplaneten zu liefern. Zu den ersten mit dem Teleskop anvisierten Zielen werden einige erdähnliche Exoplaneten in unserem nahen kosmischen Umfeld gehören, darunter auch die sieben erdgroßen Planeten des nur 40 Lichtjahre von uns entfernten Systems TRAPPIST-1. Denn von diesen Welten könnten gleich mehrere lebensfreundlich sein.

Der Spiegel des James-Webb-Teleskops

Beryllium, Gold und Eiseskälte

Herzstück des James-Webb-Weltraumteleskops und sein auffallendstes Merkmal ist der Spiegel: Aus 18 sechseckigen Teilen zusammengesetzt, hat der Primärspiegel einen Durchmesser von 6,50 Metern und eine Fläche von 25 Quadratmetern – mehr als das Fünffache des Hubble-Spiegels. Um ein optisches Instrument dieser Größe ins All zu bringen, ist einiges an innovativer Technik nötig. Die Nutzung im Infrarotbereich stellt die Technik vor weitere Herausforderungen.

Spiegelsegmente
Sechs Segmente des JWST-Spiegels vor dem Test in einer Kältekammer. © Ball Aerospace

„Webb ist das perfekte Beispiel dafür, wie der Forscherdrang der Wissenschaft die Ingenieurskunst zu neuen Grenzen treibt“, sagt Webb-Projektmanager Bill Ochs.

Ultrasteifes Leichtgewicht

Die erste Hürde für ein Weltraumteleskop mit Spiegeln dieser Größe ist das Gewicht: Weil die Nutzlast der verfügbaren Trägerraketen begrenzt ist, müssen alle Bauteile möglichst leicht sein. Würden die Spiegel des JWST wie beim Hubble-Teleskop aus Glas mit einer Metallbeschichtung bestehen, wäre das Ganze nicht mehr transportierbar. Deshalb haben die NASA-Ingenieure ein Material ausgewählt, das schon bei Überschallflugzeugen und im Space-Shuttle zum Einsatz kam: Beryllium.

Dieses Erdalkalimetall ist nach Lithium das zweitleichteste aller Metalle, trotzdem ist es extrem stabil. „Im Verhältnis zu seiner Masse hat Beryllium eine sehr hohe Steifigkeit“, erklärt NASA-Ingenieur Lee Feinberg, zuständig für alle optische Elemente des Teleskops. Dadurch ist Beryllium sogar sechsmal steifer als Stahl. Dank dieser Kombination von hoher Festigkeit und geringem Gewicht reicht eine Wabenstruktur aus nur millimeterfeinen Streben auf der Spiegelrückseite aus, um die hauchdünne Spiegelfläche zu stabilisieren.

Obwohl der Primärspiegel des JWST fast dreimal größer ist als der des Hubble-Teleskops, wiegt er dank des Berylliums und der extremen Leichtbauweise gut 100 Kilogramm weniger – 705 statt 825 Kilogramm.

Spiegelrücken
Die Spiegelfläche und die wabenartig strukturierte Rückseite der Spiegelsegmente besteehn aus Beryllium. © AXSYS

Kaum Bewegung bei Temperaturveränderungen

Doch das Beryllium hat noch einen zweiten, fast noch wichtigeren Vorteil: Es hat eine sehr hohe Wärmeleitfähigkeit und reagiert gleichzeitig kaum auf Temperaturveränderungen. Für die fast nanometergenau justierte Ausrichtung der Spiegel und ihrer Krümmung ist dies eine entscheidende Eigenschaft. Während andere Metalle sich bei Erwärmung ausdehnen und beim Abkühlen wieder schrumpfen, bleibt Beryllium bei den niedrigen Temperaturen des Alls über einen breiten Bereich stabil.

„Beryllium ist bei diesen Temperaturen einfach unglaublich: Selbst bei einer Temperaturveränderung bewegt sich da gar nichts“, sagt Feinberg. Allerdings ist das Beryllium nur bei kalten Temperaturen unterhalb von minus 200 Grad so thermostabil. Unter den bei der Herstellung der Spiegel herrschenden irdischen Temperaturen dehnt sich dagegen auch das Erdalkalimetall leicht aus.
Für die NASA-Ingenieure bedeutete dies, dass sie die Spiegelabmessungen so kalkulieren mussten, dass sie hier auf der Erde zwar zu groß sind aber im All dann auf genau die richtige Größe schrumpfen – und das auf Mikrometer-Bruchteile genau.

Heikle Politur

Das beste Material nutzt jedoch nichts, wenn die optische Oberfläche nicht die richtige Form und Glätte hat – wie der anfangs „schiefe“ Blick des Hubble-Welttraumteleskops vor gut 30 Jahren demonstrierte. Eine Abweichung von nur vier Mikrometern in der Krümmung des Spiegels machte damals die Aufnahmen unscharf. Erst dank einer „Brille“ in Form speziell angepasster optischer Instrumente konnte Hubble wieder scharf sehen.

Entsprechend heikel ist das Polieren der Beryllium-Segmente beim JWST: Weil dieses Weltraumteleskop anders als Hubble nicht im Erdorbit kreist, sondern 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt am Lagrangepunkt 2, ist eine Reparaturmission nahezu unmöglich. „Das Polieren der Spiegel galt als der schwierigste und wichtigste technische Meilenstein bei der Herstellung des Teleskops“, erklärt Feinberg. Erschwerend kommt hinzu, dass das Spiegel des Teleskops aus 18 Segmenten besteht, die einzeln poliert werden, aber sich hinterher perfekt ergänzen müssen.

Spiegeltest
Sowohl die Berylliumoberfläche des Spiegels als auch der hauchdünne Goldüberzug müssen perfekt poliert und fehlerfrei sein. © NASA/Chris Gunn

„Damit die Segmente des Primärspiegels wie ein einziger großer Spiegel funktionieren, müssen sie bis auf ein Zehntausendstel der Dicke eines menschlichen Haares genau ausgerichtet sein“, erklärt Feinberg. Jeweils sechs Aktuatoren auf der Rückseite der Spiegel sorgen dafür, dass diese Feinjustierung im Weltall stattfinden kann. Erst wenn der Spiegel und die gesamte Optik des Teleskops auf die endgültige Arbeitstemperatur von minus 220 bis minus 243 Grad abgekühlt sind, findet diese bis auf zehn Nanometer genaue Anpassung statt.

Gold für den perfekten Glanz

Doch für die fertigen Spiegel fehlt noch etwas Entscheidendes: die Goldbeschichtung. Denn erst diese rund 100 Nanometer dünne Schicht des Edelmetalls sorgt dafür, dass die eingehende Infrarotstrahlung nahezu vollständig reflektiert und auf den Sekundärspiegel fokussiert werden kann. Deshalb sind sowohl die Segmente des Primärspiegels als auch der konvexe, gut sieben Meter über dem Primärspiegel sitzende Sekundärspiegel mit Gold überzogen. Insgesamt wiegt diese Beschichtung nur rund 50 Gramm – das gesamte Gold dafür würde in einen Murmel passen.

Warum die Mission so riskant und schwierig ist

Umgekehrtes Origami

Wie verpackt man einen 25 Quadratmeter großen Teleskopspiegel und einen tennisplatzgroßen Sonnenschild in der Nutzlastkapsel einer Rakete? Genau dieses Problem mussten die Ingenieure der JWST-Mission lösen – und ihre Antwort war das wahrscheinlich komplizierte Gebilde, das je ins All geflogen ist.

Verpackt
Das JWST ist zusammengefaltet und fertig verpackt für den Start in der Ariane 5. © NASA/Chris Gunn

Das Eckige muss in das Runde – und wieder heraus

Die Nutzlastkapsel der Ariane-5-Rakete ist innen 16,19 Meter lang und hat einen Durchmesser von 4,57 Meter. Damit das Weltraumteleskop samt seiner riesigen Spiegel und Schutzschilde in dieses Volumen hineinpasst, müssen seine größeren Komponenten zusammengefaltet und zerlegt werden wie ein komplexes Origami-Faltkunstwerk. Und all das, was auf der Erde so sorgsam eingepackt wurde, muss sich dann im Weltraum automatisiert und mit der Präzision eines Uhrwerks zur genau richtigen Zeit wieder entfalten.

Eine ganze Armada von Hebeln, Bolzen, Motoren, Zahnrädern und Kabeln muss dafür perfekt ineinandergreifen. Fällt nur ein Teil aus, ist die gesamte Mission gefährdet. „Eine der ersten Lektionen, die ich vor 40 Jahren in diesem Business gelernt habe, war, Entfaltungen im Orbit unbedingt zu vermeiden“, sagt Mike Menzel, leitender NASA-Ingenieur der Mission. „Aber bei James Webb ist das nicht möglich. Stattdessen muss das Teleskop einige der komplexesten Prozeduren durchführen, die jemals versucht worden sind – entsprechend groß sind die Herausforderungen.“

Sensibler Sonnenschild

Ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung ist die erste Hürde schon das richtige Einpacken. Jahrelang tüftelten Dutzende Ingenieure daran, wie sich die hauchzarten, nur 0,025 bis 0,05 Millimeter dünnen Membranen des tennisplatzgroßen Sonnenschilds so falten und packen lassen, dass sie nicht schon durch die Erschütterungen beim Raketenstart oder beim Entfalten reißen. Schließlich wurde eine Konfiguration gefunden, in der sich der fünflagige Hitzeschutz wie eine Decke beidseitig um den Rest des eingeklappten Teleskops legt.

Um die fünf Sonnenschutzlagen im All aufzufalten, zu spannen und in die korrekte, drachenförmige Konfiguration zu bringen, muss zunächst die Schutzhülle zurückrollen und den Weg freigeben. Dann müssen sich 107 Halteklammern in der richtigen Reihenfolge lösen, um die Halteapparatur für die Membranen freizugeben. Nachdem diese ausgefahren ist, werden die Membranen langsam über ein System von 90 Zugseilen gespannt.

Sonnenschild
Extrem sensibel: Test des fünflagigen Sonnenschilds aus hauchdünnen Lagen des Polyimidmaterials Kapton, beschichtet mit Aluminium und dotiertem Silizium. © NASA/Chris Gunn

Als Vorbereitung für den Ernstfall wurden das Einpacken und die automatisierte Auspacksequenz Dutzende Male mit verkleinerten Modellen und dann originalgroßen Versionen des Sonnenschilds durchexerziert. Mehrfach kam es dabei zu Rissen und Schäden an den Membranen, so dass der Ablauf weiter optimiert werden musste. „Wir haben es geschafft, das Entfaltungs-Prozedere präzise zu synchronisieren, so dass ein langsamer, aber kontrolliert Ablauf entsteht“, sagt NASA-Ingenieur Alphonso Stewart, Leiter des für die Entfaltungssysteme zuständigen Teams.

Allerdings lässt sich das Vakuum des Alls in Vakuumkammern zwar nachbilden, nicht aber die Schwerelosigkeit. Das Team hat daher die automatische Entfaltung in verschiedenen Ausrichtungen überprüft, um den Schwerkrafteinfluss zumindest zu variieren. Eine Generalprobe in der Schwerelosigkeit aber hat es nicht gegeben.

Die Spiegel-Entfaltung

Nicht weniger entscheidend ist das Ausklappen des Primärspiegels. Seine 18 hexagonalen Einzelteile müssen perfekt aneinandergefügt und bis auf wenige Dutzend Nanometer genau ausgerichtet werden, wenn das Teleskop funktionieren soll. Weil der gesamte Spiegel mit 6,50 Metern Durchmesser zu groß für die Ariane-Kapsel ist, sind für den Transport zwei aus jeweils drei Segmenten bestehende Ränder des Spiegels eingeklappt. Diese „Flügel“ wieder auszuklappen, dauert allein schon rund drei Stunden.

Strahlengang
Das Webb-Teleskop kann nur dann scharf sehen, wenn alle 18 Segmente des Primärspiegels, der Sekundärspiegel und die optischen Instrumente inklusive des zentral liegenden Tertiärspiegels richtig ausgerichtet sind. © NASA/ STScI

Ebenfalls kritisch ist das Entfalten des Aufbaus, an dessen Spitze der 74 Zentimeter große Sekundärspiegel hängt. Für den Transport sind die drei 7,60 Meter langen Stangen eingeklappt und liegen parallel zum Hauptspiegel. Sie müssen sich daher aufrichten und ausfahren, um den Sekundärspiegel in den Strahlengang des vom Primärspiegel gebündelten Lichts zu bringen. Erst wenn diese groben Schritte absolviert sind, beginnt die Feinjustierung der Spiegel durch die Aktuatoren auf ihrer Rückseite. Sie können Ausrichtung und Krümmung jedes Spiegels so anpassen, dass ein perfektes Bild entsteht – sofern jeder der 138 Aktuatoren so funktioniert wie er soll.

178 kritische Prozesse

„Das Webb-Observatorium muss 50 als entscheidend eingestufte Entfaltungsschritte absolvieren und hat 178 Mechanismen, die dies leisten müssen. Jeder Einzelne von ihnen muss funktionieren“, sagt Menzel. „Das Webb-Teleskop zu entfalten, ist mit Abstand das Komplizierteste, das je ein Raumfahrzeug im All durchführen musste. Aber andererseits ist nichts an Webb einfach – und nichts davon haben wir schon einmal zuvor gemacht.“

Der Ablauf der Mission

29 Tage des Bangens

Schon die komplizierte, mehrschrittige Landung von NASA-Rovern auf dem Mars ist jedes Mal mit „sieben Minuten des Schreckens“ verbunden. Doch beim James-Webb-Teleskop müssen die Beteiligten gleich 29 Tage des Bangens aushalten. Denn so lange dauert es, bis die Hauptkomponenten des Weltraumteleskops vollständig entfaltet und in ihre Positionen gebracht sind.

Ariane 5
Wenige Minuten nach dem Start wird die zweiteilige Hülle der Ariane-Nutzlastkapsel geöffnet. © ESA / D. Ducros

Der erste Tag: Abtrennung und erstes Manöver

Die kritische Phase beginnt schon wenige Minuten nach dem Start: Die beiden Hälften der Nutzlastkapsel werden abgesprengt und 28 Minuten nach dem Start erfolgt die Abtrennung des Teleskops von der ausgebrannten Oberstufe der Ariane-5-Trägerrakete – ab jetzt muss das Webb-Teleskop allein seinen Weg zum Lagrangepunkt 2 finden. Dafür klappt es als erstes seine Sonnensegel aus, um sich mit Strom zu versorgen. Rund zwei Stunden nach dem Start folgen die Antennen für die Kommunikation mit der Bodenstation.

Gut zwölf Stunden nach dem Start absolviert das JWST ein erstes entscheidendes Manöver: Seine Antriebsdüsen feuern und geben ihm den nötigen Schub und den richtigen Kurs für den Flug zum Lagrangepunkt. Schon nach rund zwei Tagen wird das Teleskop den Mondorbit passieren – es ist damit deutlich schneller als die Apollo-Raumkapseln vor gut 50 Jahren.

Zwei Wochen der Entfaltung

Nach drei Tagen beginnt die große Entfaltung: Erst klappen die Halterungen für den Sonnenschild, aus, dann wird der gesamte optische Komplex des Teleskops um rund zwei Meter angehoben und bekommt so den nötigen Abstand vom Sonnenschild und den restlichen „warmen“ Teilen des Observatoriums. Im Verlauf der nächsten rund sieben Tage werden sich dann die fünf Schichten des Sonnenschilds nach und nach entfalten und spannen.

Die zweite Woche der Entfaltungssequenz gehört den Spiegel-Komponenten. Erst wird am zehnte Tag der Sekundärspiegel mit seinen Teleskopstangen ausgefahren, am zwölften Tag klappen die Seiten des Primärspiegels hoch. „An diesem Punkt ist entscheidend, dass diese Strukturen alle richtig eingerastet sind“, erklärt Lee Feinberg vom NASA-Team für den optischen Teil des Observatoriums. „Ein weiterer Aspekt, den wir im Auge haben müssen, ist die Vereisung: Es darf sich kein Eis auf den optischen Bauteilen bilden.“

Unter anderem deshalb werden die Spiegel erst nach dem Sonnenschild und einer gründlichen Abkühlung der Komponenten entfaltet. Sonst bestünde die Gefahr, dass Wasserdampf und andere Gase von den noch wärmeren Komponenten der Sonde ausgasen und auf den kälteren Spiegelflächen kondensieren.

So läuft die Entfaltung des Weltraumteleskops ab.© James Web Telescope

Messen, ruckeln – und beten

Nach 29 Tagen ist der fehleranfälligste und riskanteste Teil der Mission vollendet – hoffentlich erfolgreich. „Wir haben alles getan, damit wir es schaffen“, sagt der leitende Wissenschaftler und Nobelpreisträger John Mather von der NASA. „Wir haben argumentiert, uns gesorgt, geplant, Checklisten gemacht, die Teile gebaut und zusammengefügt und alles getestet, als wenn unser Leben davon abhänge.“

Sollte aber dennoch etwas schiefgehen, gibt es keine Kameras, mit denen das Bodenteams den Ablauf kontrollieren oder mögliche Fehler direkt sehen könnte. Einzige Informationsquelle sind unzählige Sensoren, die überall am komplexen Aufbau Rückmeldung geben, ob ein Bauteil gelöst, ausgefahren, eingerastet oder anderweitig seine Funktion erfüllt hat.

Sollte einer dieser Sensoren eine Fehlermeldung senden, müssen die Ingenieure versuchen, eine mit den Bordmitteln des Observatoriums machbare Lösung zu finden. Klemmt beispielsweise ein Bolzen, eine Klammern oder Kabel, kann das JWST sie versuchen loszuschütteln. „Dafür ruckeln wir die ganze Raumsonde vor und zurück“, erklärt Alphonso Stewart, Leiter des Deployment-Teams der NASA. „Außerdem können wir das gesamte Raumfahrzeug um nahezu jede Achse wirbeln.“

James-Webb-Teleskop
Etwa ein halbes Jahr nach seinem Start wird die wissenschaftliche Mission des James-Webb-Weltraumteleskops beginnen. © NASA/ Adriana Manrique Gutierrez

Ankunft und Beginn der Mission

Als Abschluss der Deployment-Phase wird das James-Webb-Teleskop am 29. Tag nach dem Start ein weiteres Flugmanöver durchführen, um in den Orbit um den Lagrangepunkt 2 einzuschwenken. Gelingt auch das wie geplant, stehen die Chancen gut, dass das größte und komplexeste jemals ins All gebrachte Weltraumteleskop seine Arbeit aufnehmen kann.

Bevor die wissenschaftliche Mission beginnt, vergehen allerdings noch einige Monate, in denen die Spiegel feinjustiert und alle Instrumente durchgetestet und kalibriert werden. „Wenn dann die ersten Daten für Wissenschaftler rund um die Welt eintreffen, wird es das Warten wert sein“, sagt Mather. „Denn letztlich versuchen wir auch die fundamentale Frage zu beantworten, woher wir kommen und warum ausgerechnet auf der Erde Leben entstanden ist.“