Den arktischen „Mikroben-WGs“ auf der Spur

Expedition ins Nordpolarmeer

Polarstern und HHU-Forschende
Expedition ins Nordpolarmeer
Für Ellen Oldenburg und Ovidiu Popa von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ging es 2022 an Bord der Polarstern hoch in den Norden.© scinexx

Der Großteil des Lebens in der Arktis ist mikroskopisch klein. Abermilliarden Bakterien und winzige Algen tummeln sich im Wasser und Eis des Nordpolarmeers. Doch ihr Lebensraum verändert sich rapide – mit unbekannten Folgen für die Winzlinge der Arktis. Zwei deutsche Biologen sind an Bord des Forschungsschiffes Polarstern mitgefahren, um herauszufinden, wie sich die „Mikroben-WGs“ in Zeiten steigender Temperaturen und schmelzenden Eises neu organisieren.

Keine andere Region auf der Erde bekommt den Klimawandel so heftig zu spüren wie das Nordpolarmeer. Steigende Temperaturen und schmelzendes Meereis werden wahrscheinlich dafür sorgen, dass dieser einzigartige Lebensraum bis 2050 im Sommer eisfrei ist. Das betrifft neben ikonischen Arktis-Bewohnern wie dem Eisbären auch die Allerkleinsten: Bakterien und Phytoplankton, die Basis aller marinen Nahrungsnetze.

Forschende arbeiten deshalb fieberhaft daran, mehr über die Folgen des Klimawandels für die mikrobiellen Lebensgemeinschaften in der Arktis zu erfahren. Welche Arten werden aussterben? Welche ihren Platz einnehmen? Und welche Auswirkungen hat das für das Ökosystem Nordpolarmeer?

Das Nordpolarmeer schmilzt davon

Eisiges Paradies in Gefahr

Hoch im Norden liegt das eisige Nordpolarmeer, auch Arktischer Ozean genannt. Es ist eine unwirtliche Welt der Eisschollen und Einsamkeit. Die Hälfte des Jahres ist das Meer dort in ununterbrochenen Sonnenschein getaucht, die andere Hälfte in tiefe Nacht. Hier oben scheinen nur wenige zu überleben, darunter Eisbären und Walrosse.

Nahrungskette
Phytoplankton bildet die Basis aller marinen Nahrungsketten. © Karlson et al./ Ambio /CC-by 4.0

Ohne Mikroben nix los

Doch wenn man genau hinsieht, ist es hier gar nicht so einsam, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn der Großteil der Arktisbewohner ist mikroskopisch klein. Im Wasser und Eis des Nordpolarmeeres tummeln sich Abermilliarden Bakterien und winzige Algen. Trotz ihrer geringen Größe halten diese gewissermaßen „den Laden am Laufen“, denn sie sind essenziell für funktionierende Nahrungsketten.

Und das geht so: Die Algen, auch Phytoplankton genannt, betreiben zusammen mit den Cyanobakterien Photosynthese – genauso wie Landpflanzen. Sie ernähren sich und wachsen, indem sie Biomasse aus Sonnenlicht, Wasser und Nährstoffen herstellen. Das macht sie zum energiereichen Snack für andere Arktisbewohner. Unter anderem stehen sie auf der Speisekarte von Zooplankton (zum Beispiel Krill), kleinen Fischen und Krustentieren.

Die auf dieser Basis beruhende Nahrungskette setzt sich immer weiter fort, bis sie schließlich bei Spitzenprädatoren wie Haien und Orcas endet. Ohne Phytoplankton und photosynthesebetreibende Bakterien würde dieses Nahrungsnetz in sich zusammenbrechen und selbst große Räuber müssten hungern.

Auch die im Meerwasser und am Meeresgrund lebenden Bakterien, die selbst keine Photosynthese betreiben, sind nützlich für das Ökosystem und seine Nahrungsketten. Sie bauen organisches Material ab, zum Beispiel Ausscheidungen oder Kadaver, und machen die darin enthaltenen Nährstoffe wieder nutzbar für andere Lebewesen.

Framstraße
In der Framstraße fließen der Arktische und der Atlantische Ozean ineinander. © Bdushaw/CC-by-sa 3.0

„Atlantifizierung“ steht bevor

Aktuell ist allerdings unklar, wie es mit den Algen und Bakterien im Nordpolarmeer weitergehen wird. Denn ihr Lebensraum verändert sich in der Folge des Klimawandels viermal so schnell wie der globale Durchschnitt. Die globale Erwärmung sorgt in der Arktis für rasch steigende Temperaturen und dafür, dass sich das Meereis immer weiter zurückzieht und schmilzt. Prognosen gehen davon aus, dass das Nordpolarmeer bis zum Jahr 2050 im Sommer regelmäßig eisfrei sein wird. Eine riesige Veränderung, die das Leben der Arktisbewohner auf den Kopf stellt.

Einen Vorgeschmack auf dieses Szenario liefert aktuell bereits die sogenannte Framstraße, ein Seeweg zwischen Grönland und Spitzbergen, der den Nordatlantik mit dem Nordpolarmeer verbindet. In der Framstraße findet im Moment eine sogenannte „Atlantifizierung“ statt, in deren Zuge warmes, salzhaltiges Atlantik-Wasser vermehrt in den Arktischen Ozean vordringt, wodurch das Meereis dort stärker schmilzt.

Wie geht es mit den Mikroorganismen weiter?

Zusätzlich sorgen die atlantischen Wassermassen aber auch für eine veränderte Nährstoffverfügbarkeit und eine schwächere Schichtung der Wassersäule – zwei von mehreren Faktoren, die sich stark auf die Zusammensetzung mikrobieller Lebensgemeinschaften in der Framstraße auswirken.

Die Atlantifizierung könnte so zum Beispiel dazu führen, dass vermehrt atlantische Mikroben in die „Framstraßen-WG“ einziehen und dort dann die arktischen Vormieter verdrängen – mit bislang unbekannten Folgen für das gesamte Ökosystem. Wissenschaftler erforschen deshalb fieberhaft, wie die Zukunft der mikrobiellen Lebensgemeinschaften in der Arktis aussehen wird und wie sie den eisigen Lebensraum verändern könnte.

Wie sich „Mikroben-WGs“ erforschen lassen

Expedition in den hohen Norden

Das Nordpolarmeer ist und bleibt ein schwer zugänglicher Lebensraum. Eisige Temperaturen, Polarnacht- und tag sowie herumstreifende Eisbären machen es Mikrobenforschern nicht gerade leicht, an verlässliche Daten zu kommen. Wer hier oben Proben sammeln will, der braucht Widerstandsfähigkeit und eine hochmoderne Ausstattung.

Ovidiu und Oldenburg
Ovidiu Popa und Ellen Oldenburg bei Forschungsarbeiten auf einer Eisscholle. Im Hintergrund liegt die Polarstern vor Anker. © Ellen Oldenburg

Polarstern, ahoi!

Diese Erfahrung haben auch Ellen Oldenburg und Ovidiu Popa gemacht. Im vergangenen Jahr sind die beiden Wissenschaftler vom Institut für Quantitative und Theoretische Biologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) zu einer zweimonatigen Forschungsreise ins Nordpolarmeer aufgebrochen. Und zwar an Bord der „Polarstern“, des ikonischen Forschungseisbrechers des Alfred-Wegener-Instituts, dessen Expeditionen und Versorgungsfahrten ihn schon durch die ganze Welt geführt haben.

Auf der Polarstern finden 44 Crewmitglieder und 55 Wissenschaftler und Techniker unterschiedlichster Fachrichtungen Platz. Das Schiff ist mit neun wissenschaftlichen Laboren ausgestattet, in denen internationale Forschende unter anderem an biologischen, geologischen, chemischen, ozeanografischen und meteorologischen Fragestellungen arbeiten können. Oldenburg und Popa widmeten sich zusammen mit einem Biologen-Team der Fragestellung, wie sich die mikrobiellen Lebensgemeinschaften im Nordpolarmeer zusammensetzen.

Eiskante
Die Mikroben-WGs an der Eiskante geben Aufschluss über die Zukunft des Nordpolarmeeres. © Mario Hoppmann

Eiskante als Kristallkugel

Von besonderem Interesse waren dabei die „Mikroben-WGs“ an der Eiskante, also dem Übergang zwischen eisbedeckter Zone und offenem Wasser. „Die dort herrschenden wechselnden Bedingungen ähneln stark den sich rasch wandelnden Gegebenheiten in der zentralen Arktis, die auf die Klimaerwärmung zurückzuführen sind. Beispielsweise beobachtet man einen raschen Übergang von festem Eis zu schmelzendem Wasser und schließlich zum offenen Ozean“, erklärt Oldenburg, die gerade an der HHU promoviert.

Die Eiskante simuliert also gewissermaßen die Sommer der Zukunft, in denen das arktische Eis komplett schmelzen wird. Kennen wir die Mikrobenzusammensetzung der heutigen Eiskante, kennen wir auch die der künftigen Arktis.

Probenentnahme
Wann eine Probenentnahme anstand, wussten die Biologen oft nur einen Tag im Voraus. © Ovidiu Popa

Sonnenschein und Eisbären

Auf der Suche nach Antworten sind Oldenburg und Popa am 28. Juni 2022 an Bord der Polarstern gegangen und gen Norden aufgebrochen, zu einer Jahreszeit, in der die Sonne in der Arktis sechs Monate lang nicht untergeht. „Es ist den ganzen Tag hell, strahlender Sonnenschein“, berichtet Arktisforscherin Oldenburg. „Egal ob drei Uhr nachts oder zwölf Uhr mittags: Es sieht immer gleich aus. Man muss sich wirklich selbst daran erinnern, wann man schlafen gehen muss und wann Aufstehenszeit ist. Übermüdet macht man schließlich nur Fehler und wir müssen die Proben ja vernünftig nehmen.“

Wann genau eine solche Probenentnahme auf dem Programm stand, wusste die Crew meist nur einen halben bis ganzen Tag im Voraus. Denn der Alltag auf dem Schiff richtete sich stark nach den Wetterbedingungen, erklärt Oldenburg. Bei gutem Wetter und ruhiger See konnten die Wissenschaftler zum Beispiel auf nahegelegene Eisschollen gehen und dort Wasser- und Eisproben aus verschiedenen Tiefen nehmen.

Dabei mussten Oldenburg und Popa sich aber auch vor umherstreifenden Eisbären in Acht nehmen. Um die Sicherheit der Forschenden zu gewährleisten, gab es auf der Polarstern spezielle Wach-Schichten. Wurde ein Bär gesichtet, ertönte das Schiffshorn und die Wissenschaftler mussten so schnell wie möglich zurück an Bord kommen. Leuchtraketen und laute Geräusche sollten den ungebetenen Gast vertreiben.

Remote Access Sampler
Ellen Oldenburg arbeitet im Schiffslabor an einem Remote Access Sampler (RAS). © Ovidiu Popa

Ein „Haikäfig“ für Mikroben

Neben manuell vor Ort genommenen Proben arbeitet die Arktismikroben-Forschung aber auch mit sogenannten Remote Access Samplern, kurz RAS. Diese wuchtigen Instrumente erinnern an eine Mischung aus Haikäfig und Wasserkasten und bleiben – befestigt an einer Boje – ein komplettes Jahr im arktischen Wasser. Dort öffnen und schließen sich die Flaschen eines RAS alle ein bis zwei Wochen automatisch und sammeln so regelmäßig Wasser- und Mikrobenproben von ein und demselben Standort.

Nach Ablauf dieses Jahres muss der RAS wieder aus dem Wasser geholt werden, um die Proben im Labor auswerten zu können. Kamen Oldenburg und Popa mit der Polarstern an einem solchen „fälligen“ RAS vorbei, gehörte es auch zu ihren Aufgaben, diesen an Bord zu holen.

Zwischen Labor und Spielbrett

Als Ausgleich zu den härteren körperlichen Tätigkeiten standen für die beiden Düsseldorfer Biologen aber auch immer wieder Schichten im Schiffslabor an. Bei diesen verarbeiteten Oldenburg und Popa die zuvor gesammelten Proben samt darin befindlicher Mikroorganismen. Konkret bedeutet das, dass sie die Algen und Bakterien mithilfe spezieller Filter in verschiedene Größenklassen aufteilten und die so getrennten Proben dann für den Weitertransport nach Deutschland einfroren.

Wenn die beiden Biologen mal nicht auf Eisschollen oder im Labor unterwegs waren, genossen sie das Leben an Bord zusammen mit dem Rest der Besatzung. „Wir hatten natürlich auch Freizeit, in der wir uns mit der Mannschaft unterhalten oder auch mal Spiele spielen konnten. Es gab auch einen Freizeitbereich auf dem Schiff“, erzählt Popa, der jederzeit zu einer neuen Expedition auf der Polarstern aufbrechen würde.

Keine rosige Zukunft für polare Arten

Arktische Bakterien adé?

Ellen Oldenburg und Ovidiu Popa von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) sind nun seit rund einem Jahr wieder zurück in Deutschland und werten im Labor die Proben aus, die sie im Nordpolarmeer gesammelt haben. Dafür analysieren sie das genetische Material, das sich darin befindet, und schließen so auf die verschiedenen Mikroorganismen, die am Fundort leben. In Kombination mit ozeanografischen Daten wie Salzgehalt und Temperatur können sie außerdem herausfinden, welche Faktoren die Mikroben-Zusammensetzung beeinflussen und wie diese zukünftig aussehen könnte.

Framstraße Strömungen
Die Mischzone aus atlantischem (rot) und arktischem Wasser (blau) ist ein wichtiger Ort für Mikroben-Proben. © Brn-Bld /CC-by 4.0

Blick in die Arktis der Zukunft

Noch sind die Auswertungen von Oldenburgs und Popas Forschungsreise nicht ganz abgeschlossen, weshalb sie noch keine finalen Ergebnisse mitteilen können. In der Zwischenzeit haben die beiden Düsseldorfer Biologen aber auch noch mit anderen Forschungsteams zusammengearbeitet und Proben der Vorjahre entschlüsselt. Dabei herausgekommen sind die aktuellsten verfügbaren Erkenntnisse zum Mikrobenleben in der Framstraße – dem Seeweg, in dem Atlantik und Arktis ineinander fließen.

Zusammen mit Forschenden um Taylor Priest vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen haben Oldenburg und Popa zum Beispiel herausgefunden, welchen Einfluss das einströmende atlantische Wasser auf die Bakteriengemeinschaften der Arktis hat. Dafür werteten sie die Daten von mehreren Remote Access Samplern (RAS) aus, die zwischen 2016 und 2020 in rein arktischem Wasser und in der Mischzone aus arktischem und atlantischem Wasser positioniert waren.

Planktonblüte
Planktonblüten wie diese stellen für Bakterien der gemäßigten Breiten ein energiereiches Mahl dar. © Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, NASA GSFC

Jahreszeiten reizen Neuankömmlinge

Diese Mischzone ist besonders interessant, weil die dort herrschenden Bedingungen die zukünftigen eisfreien Sommer des Nordpolarmeeres widerspiegeln und so einen Blick in die Zukunft der Arktis erlauben. Und in dieser zukünftigen Arktis werden offenbar viele Bakterien leben, die aktuell noch nicht im hohen Norden vorkommen, wie Oldenburg und Popa zusammen mit Priests Team herausgefunden haben. Ihre Auswertungen zeigen, dass Gebiete, in die viel atlantisches Wasser strömt und auf deren Oberfläche nur wenig Meereis treibt, auch von Bakterien aus gemäßigten Zonen besiedelt werden.

Ihre Zusammensetzung ist allerdings jahreszeitenabhängig und durch die jährlichen Phytoplankton-Blüten bedingt. Gibt es viel Phytoplankton, gibt es auch viele an mildere Bedingungen angepasste Bakterien, die sich von der organischen Masse ernähren. Ist wieder weniger Phytoplankton verfügbar, dominieren Bakteriengemeinschaften mit anderen Nahrungsquellen.

Die RAS, die in rein arktischem Wasser stationiert waren, zeigen hingegen weiterhin typisch polare Bakteriengemeinschaften, die sich im Jahresverlauf kaum verändern und speziell an das Leben unter oder in der Eisscholle angepasst sind. Zum Beispiel können sie auch anorganische Verbindungen abbauen und sich davon ernähren. Sie sind also nicht auf Phytoplankton angewiesen.

Zwischen Verdrängung und Anpassung

Insgesamt deuten die Daten von Priest und seinen Kollegen aber trotzdem auf eine zunehmende „biologische Atlantisierung“ des Arktischen Ozeans hin, bei der Arten aus gemäßigten Zonen Schritt für Schritt die alteingesessenen arktischen Bakterien verdrängen werden. Vor allem jene Arten, die stark an ein Leben in und mit dem Eis angepasst sind, könnten künftig von Arten mit breiteren Anpassungen schlichtweg ersetzt werden, wie Oldenburg und Popa zusammen mit ihrem Team herausgefunden haben.

Bakterien Verteilung

Bakterien aus den gemäßigten Breiten (rechts) dringen immer weiter in das Reich der arktischen Bakterien (links) vor. © Priest et al./ The ISME Journal /CC-by 4.0

Die Forschungsgruppe sagt daher eine groß angelegte, klimabedingte Verschiebung der Arten und Lebensräume voraus. Jene Bakterien, die aktuell noch in den Randregionen des Nordpolarmeeres leben, werden wahrscheinlich immer mehr in dessen Zentrum vordringen und Arten aus dem Atlantik machen es sich zunächst in den Randregionen und später womöglich ebenfalls im Zentrum gemütlich.

Gleichzeitig könnten einige Arten auch neue Anpassungen entwickeln und sich dadurch weiterhin an ihrem bisherigen Lebensraum behaupten, doch das trifft eher auf Bakterien mit größeren ökologischen Nischen und höherer Konkurrenzfähigkeit zu. Nicht auf jene, deren Leben fest mit der Existenz von ganzjährigem Eis verwoben ist.

Eisige Algen verteidigen ihren Platz

Phytoplankton zeigt Zähne

Nicht nur Bakterien, sondern auch Phytoplankton steht unter dem Einfluss der klimatischen Veränderungen in der Arktis. Doch anders als bei Bakterien verläuft die Reaktion von Phytoplankton auf steigende Temperaturen und schmelzendes Meereis nicht ganz so linear und nicht zwingend im Sinne von „Alles, was auf Eis spezialisiert ist, hat keine Zukunft“. Womöglich gerät die starke Spezialisierung arktischer Algen ihnen sogar nicht einmal zum Nachteil.

Arktisches Plankton
Einige arktische Phytoplanktonarten wie diese Chaetoceros kommen auch in wärmeren Gefilden gut zurecht. © Richard A. Ingebrigtsen, Department of Aquatic Biosciences – University of Tromsø/CC-by 3.0

Polare Arten sind fitter

Darauf deutet zumindest eine bislang unveröffentlichte Studie von Ellen Oldenburg und Ovidiu Popa von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) hin, in der sie zusammen mit weiteren Kollegen die Zusammensetzung und Zukunft arktischer Algengemeinschaften untersucht haben. Als Datengrundlage dienten RAS, die zwischen 2017 und 2018 Wasserproben aus atlantischen sowie Mischgewässern der Framstraße nahmen.

Die RAS offenbaren, dass einige hochspezialisierte arktische Algenarten auch problemlos im atlantischen Wasser klarkommen, anders herum jedoch nicht. So konnten einige polare Arten wie Grammononema striatula, Chaetoceros neogracilis, Fragilariopsis cylindrus und Melosira arctica auch im atlantischen Wasser in großen Mengen nachgewiesen werden. Oldenburg und ihr Team gehen deshalb davon aus, dass sie – obwohl angepasst auf ein Leben im ewigen Eis – auch mit gemäßigtem, atlantischem Wasser gut klarkommen.

Odontella
Bakterien der gemäßigten Breiten wie diese Odontella aurita tun sich mit kaltem Wasser eher schwer. © Richard A. Ingebrigtsen, Department of Arctic and Marine Biology – University of Tromsø/CC-by-sa 3.0

Barriere stoppt atlantische Neuankömmlinge

Umgekehrt haben es typische Algenarten der gemäßigten Breite offenbar deutlich schwerer, im kalten Wasser zu überleben. Als Beispiel nennen die Forschenden die Kieselalge Odontella aurita, die auch für die grünlich-bläuliche Frühlingsblüte in der Deutschen Bucht verantwortlich ist. Sie kam in kalten, vom Meereis beeinflussten Gebieten nur selten vor, braucht also wahrscheinlich wärmere Temperaturen zum Gedeihen.

Das Temperaturgefälle zwischen arktischem und atlantischem Wasser bildet aktuell also noch eine Barriere, die gemäßigte Arten davon abhält, in großen Zahlen gen Norden zu wandern. „Dieser Trend wird sich fortsetzen, auch wenn sich die ozeanografischen Bedingungen im Atlantik weiter nach Norden verschieben“, berichten Oldenburg und ihr Team.

Denn die Barriere wird vor allem durch die Schmelze des Meereises aufrechterhalten. Das kalte, verflüssigte Eis erneuert alljährlich die Trennung zwischen den Wasserbereichen und wird daher wohl auch in Zukunft eine Masseneinwanderung von atlantischem Plankton verhindern. Und selbst wenn diese Barriere irgendwann nicht mehr bestehen würde, könnte sich das arktische Plankton wahrscheinlich trotzdem gegen die Neuankömmlinge behaupten, da es schließlich auch in wärmerem Wasser gut zurechtkommt.

Eisberg
Die Mikroben-Erforschung im Nordpolarmeer ist noch lange nicht vollendet. © Mario Hoppmann

Auswirkungen auf das Ökosystem unklar

Doch obwohl Oldenburg, Popa und ihre Kollegen so viele neue Erkenntnisse über die Mikroben-WGs in der Arktis gewonnen haben, sind es immer noch nicht genug, um die Folgen der veränderten Lebensgemeinschaften für das Nordpolarmeer abzuschätzen. „Inwieweit sich das auf das Ökosystem auswirkt, können wir erstmal noch nicht vorhersagen“, erklärt Popa. „Dafür brauchen wir noch viel mehr Daten über längere Zeiträume hinweg, die wir in mathematische Modelle packen und damit dann Vorhersagen machen können, was das alles für das Ökosystem bedeutet.“

Da Bakterien und Phytoplankton enorm wichtig für ein funktionierendes Ökosystem Nordpolarmeer sind, könnten bereits kleinste Veränderungen in ihrer Zusammensetzung schon verheerende Auswirkungen haben – und das vom kleinen Krebs bis zum Orca.

Wie war das Leben auf der Polarstern?

Die Forschenden im scinexx-Interview

Ovidiu Popa und Ellen Oldenburg im Interview. © Harald Frater/ scinexx – Das Wissensmagazin
Ovidiu Popa und Ellen Oldenburg von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) waren zwei Monate an Bord der „Polarstern“  auf Forschungsexpedition im Nordpolarmeer. Wie sie die Zeit erlebt und was sie dabei herausgefunden haben, berichten sie im Interview mit scinexx.
 

Transkript des Interviews

Ich bin Ellen Oldenburg, ich mache hier an der Heinrich-Heine-Universität meinen PhD, also mein Doktor. Ich bin jetzt in meinem letzten Jahr. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Arktisforschung, das heißt ich bin Theoretikerin und gucke mir am Computer an: Wie verhalten sich Organismen, in welchem Bereich wenden wir Modelle an, wie sich diese Organismen in der Zeit in der Arktis verhalten, welche Einflüsse das hat.

Ja, hallo, also ich bin Ovidio Popa, ich bin hier Senior Scientist am Institut für Quantitative und Theoretische Biologie und ich arbeite in den Bereichen Bioinformatik und Datenanalyse und auch einer meiner Hauptprojekte ist die Analyse mikrobieller Daten aus den Polargebieten.

Worum ging es bei Eurem Projekt auf der Polarstern?

Dr. Ovidio Popa: Bei unserem Projekt auf der Polarstern geht es darum, dass wir Mikroorganismen aus den verschiedenen Bereichen des Polarmeeres und seines ökologischen Systems isolieren und uns hier im Labor angucken können, und zwar auch im speziellen Bereich der Eiskante. Das ist dort der Bereich, wo gerade so das Eis beginn. Damit können wir sehen, welche Organismen im Eis unter dem Eis, beziehungsweise im offenes Wasser leben – genau an dieser Kante, wo der Übergang ist von flüssigen zu festen Medien.

Ellen Oldenburg: Ja genau, es wird sich angeguckt wie wir diese Organismen nehmen können, wie wir sie verarbeiten können, was die verschiedenen Einflüsse sind in der Umgebungen, in denen sie sich befinden und was das über einen Einfluss einmal auf die Organismen hat, die Communities, die wir dann da finden, also die Zusammensetzung und wie diese sich verändern über die Zeit und was da gemacht werden.

Wie gestaltet sich der Tagesablauf an Bord?

Ellen Oldenburg: Der Tagesablauf ist eigentlich relativ kurzfristig, also man plant immer ungefähr 12 bis 24 Stunden im voraus, weil man immer gucken muss, wie sind die Wetterbedingungen, was ist das, was man gerade vor sich hat, was sind die Aufgaben: Werden verschiedene Samples genommen mit verschiedenen Geräten oder werden Geräte rausgeholt, die schon ein Jahr im Wasser festlagen und nun einfach reingeholt und bearbeitet werden müssen. Je nachdem, wie die Wetterbedingungen sind, regelt sich danach auch der Alltag.

Man muss immer gucken, das Schiff ist quasi 24 Stunden in Betrieb. Das heißt wir gucken uns an: Sind wir jetzt auf einer Eisscholle, wie sind die Wetterbedingungen, was haben wir für Samples, haben wir die Zeit, die Proben hochzuholen, rauszunehmen, zu verarbeiten, einzufrieren, wegzupacken. Je nachdem, was halt ansteht und wie das Wetter ist, hängt davon auch unsere Arbeitsalltag ab.

Wie verlief die Probenentnahme?

Dr. Ovidio Popa: Unsere Probenentnahme verlief auf zwei Arten, also es gab einmal die sogenannten biologischen Stationen, die anhand von bestimmten Wassermassenprofilen definiert worden sind. In diesen Profilen hat man mit einem sogenannten CTD, das ist so ein Sammelgerät, was in die Tiefe gelassen wird und dann in verschiedenen Tiefen unterschiedliche Mengen an Wasser aufnehmen kann. Zurück am Schiff wurde das Wasser dann über die sogenannte fraktionierte Filtrierung, das sind Filter mit unterschiedlichen Porengrößen, gefiltert, um das ganze biologische Material, was im Wasser ist, aufzufangen. Diese Filter wurden dann eingefroren, die haben wir dann später hier mit zurückgebracht und analysieren das genetische Material.

Wenn man aber eine Eisstation hat, das heißt man hat eine Eisscholle gefunden, die beprobt wurde, dann ist man auf sEis gegangen, nachdem das alles vorbereitet wurde von den Spezialisten. Dort hat man ein Loch gebohrt in das Eis, so dass man Proben aus dem Eis genommen hat, bzw. auch unter dem Eis, also mit einem speziellen Gefäß, womit wir dann bis zu 15 Meter Tiefe unter dem Eis das Wasser sammeln konnten. Dieses Wasser wurde dann auf das Schiff transportiert. Dort im Labor hat man das Wasser auch gefiltert, ebenfalls dann über unterschiedliche Porengröße, sodass man die verschiedenen Größen der Organismen auffangen kann und separieren kann.

Welche Erkenntnisse konntet Ihr bereits gewinnen?

Ellen Oldenburg: Was man bisher sagen kann, beruht auf bisher auf Proben über vier Jahre, das ist das längste, was wir haben, also jede Woche ein Sample, eine Probe unserer Organismen. Das heißt, wir können zum Beispiel sehen, was Unterschiede sind in Bereichen, wo wir rein atlantischen Einfluss haben, rein polaren Einfluss haben und in diesem Mischbereich, dass da unterschiedliche Communities leben, die sich unterschiedlich verhalten. Das heißt, unterschiedliche Wassereinflüsse haben unterschiedlichen Einfluss, das heißt, wenn wir irgendwann es so haben, dass wir mehr Schmelzwassereinflüsse haben durch die verschiedenen Eisschollen, die runterkommen durch Eisschmelze zum Beispiel, kommen unterschiedliche Communities gut damit klar, manche Organismen kommen nicht so gut damit klar und das sind die einzelnen Auswirkungen, die man jetzt sehen kann an Veränderungen der Wassermassen.

Dr. Ovidio Popa: Die ökologischen Konsequenzen sind tatsächlich gar nicht vorhersehbar erstmal, denn wir haben schon beobachtet, dass gewisse Gemeinschaften einfach weniger werden. Über die Zeit sieht man, dass ihre Abundanz abnimmt und manche andere in Abundanz zunehmen. Wie sich das auf das Ökosystem auswirkt, das können wir erstmal noch nicht vorhersagen, dafür brauchen wir noch viel mehr Daten, die wir jetzt auch über die Zeit nehmen und in sogenannte mathematische Modelle packen, um dann Vorhersagen machen zu können, was das auch für das Ökosystem bedeutet.

Wie war das Leben an Bord?

Ellen Oldenburg: Ja, es ist halt was völlig anderes als in meinem normalen Alltag, der sonst so eine Routine hat. Man weiß nur zwölf Stunden voraus, was so ungefähr passiert und ja, es ist den ganzen Tag hell, also immer hell. Es ist immer zwölf Uhr Mittags, strahlender Sonnenschein und man man merkt, dass sein biologischer Rhythmus komplett anders ist, wenn wir nicht diesen typischen Tag-Nacht-Rhythmus haben. Man muss wirklich gucken, dass man auch rechtzeitig schlafen geht.

Denn ob es 3 Uhr nachts ist oder zwölf Uhr Mittags, es sieht immer gleich aus und je nachdem, welche Aufgabe man hat, ob man eher abends arbeiten muss, mal einen Tag oder mehr morgens arbeiten muss, muss man sich wirklich selber daran erinnern: Ich muss jetzt schlafen gehen und jetzt ist Aufstehenszeit, dass man seinen typischen Rhythmus behält.
Es ist etwas, was wirklich schwierig ist zu behalten und da muss man wirklich gut die Orientierung behalten, einfach, wie man seinen Tag schafft und auch, dass man die Proben vernünftig nehmen kann, weil man es übermüdet macht. Somit muss man sich da immer strikt daran halten, dass man weiß, wann man arbeitet und wie.

Dr. Ovidio Popa: Also wir hatten Glück, wir hatten eine super Mannschaft und ein super Team dabei, deswegen hatten wir sehr viel Spaß. Die Zeit vergeht doch schneller als man denkt, auch wenn man acht Wochen da ist, das fühlt sich gar nicht so an. Man hat nie Langweile gehabt. Erst einmal, weil man viel zu tun hatte, aber man auch in der Freizeit hatte man natürlich Zeit, die man auch damit verbringen konnte, dass man sich mit der Mannschaft unterhält und dass man auch schon mal Spiele spielt. Es gibt auch einen Freizeitbereich auf dem Schiff und da ist für das Wohl einer Person schon gesorgt.

Es war eine schöne spannende Zeit, auch zum Teil körperlich sehr anstrengend, da man so viel Wasser transportieren musste, dann diese Verankerungen, die wir gelassen haben. Trotzdem sehr spannend und würde es gerne auch nochmal machen, auf jeden Fall.

Was steht als nächstes Projekt an?

Ellen Oldenburg: Auf jeden Fall natürlich nochmal dieses Erlebnis haben zu können, also auf jeden Fall nochmal zu gucken, dass man Anträge schreibt, dass man nochmal auf so eine Expedition gehen kann. Wir haben viele Fragen beantwortet bekommen, aber deswegen auch noch mehr Fragen, die wir stellen wollen und jetzt genauer stellen können, weil wir genau wissen, wie ist der Ablauf, wie werden die Proben genommen und wo genau wollen wir hin, was sind Bereiche, wo wir nochmal uns genauer angucken wollen.

Zum Beispiel haben wir uns jetzt Bakterien und Eukaryoten angeguckt, aber wir können das ja auch wieder verbinden, einerseits mit dem Zooplankton, was wir da gefunden haben und andererseits, was dort jetzt noch nicht so vorhanden ist, sind die Viren oder die Phagen, die wiederum die Bakterien beeinflussen und infizieren und auch in ihnen leben. Das sind dann Sachen, die wir uns als nächstes quasi angucken wollen, weil auch diese klein, noch kleineren Bereiche ja einen großen Eindruck darauf haben können, wie sich unsere Umgebung verändern.

Dr. Ovidio Popa: Wir brauchen noch einiges an Daten für unsere mathematischen Modelle, damit wir das Ökosystem einigermaßen beschreiben können, mit einem Modell um Vorhersagen treffen zu können, wie sich das in Abhängigkeit von Veränderungen der Umweltparameter anpasst, sich verändert. Dafür brauchen wir, wie Ellen schon sagte, noch Proben für die Viren zum Beispiel oder weitere Proben von den Zeitreihen, damit wir dort noch mehr Sicherheit haben über die Dynamik.

Welchen Rat könnt Ihr rückblickend Studierenden geben?

Ich würde jedem Studenten das vorschlagen, wenn der mal in den Bereich der Theorie geht, sollte der sich immer genau überlegen, woher die Daten kommen, immer praktisch einen Teil selber machen. Wirklich nicht nur rein in der Theorie am Computer sitzen, auch, wenn man ein Experte in Mathematik ist und sehr gut programmieren kann. Man muss die Biologie verstehen, das kann man nur vor Ort, wenn man selber die Proben auch genommen hat.

Ellen Oldenburg: Ich glaube, ich bin da genau von der anderen Seite,. Ich habe ein reines Biostudium. Ich würde immer sagen, guckt euch alles an. Guckt euch alles an und hinterfragt auch alles. Weil, mein Problem war es immer, ich habe die Proben verarbeitet und jetzt will ich sie auch analysieren. Jetzt will ich auch wissen, was kommt raus. Ich will sie nicht nur verarbeiten und dann irgendwem geben und ich möchte das ganze Bild sehen können. Um das ganze Bild sehen zu können, muss man aus verschiedenen Bereichen Dinge wissen und aus verschiedenen Bereichen über seinen eigenen Teller and gucken. Also sich immer angucken, einerseits die Theorie, aber man darf nie die andere Sache vernachlässigen.

Man braucht die praktische Arbeit und man muss es mit der Theorie verbinden, weil nur in Verbindung macht es überhaupt Sinn. Das war auch das Schöne auf dem Schiff. Man muss auch mit den anderen Bereichen, den Spezialisten für Eis, den Spezialisten für die Großtiere, den Spezialisten das Wetter checken, wie es sich beeinflusst. All das sind Dinge, die deinen Kreis, auf den du dich spezialisiert, beeinflussen. Du brauchst ein breiteres Wissen und eine breitere Range, in der du dich bewegen kannst, um zu verstehen, was gerade bei dir passiert.

So wie es bei uns absolut toll war zu sehen, wie werden die Proben überhaupt genommen, weil wir immer gesagt haben: Das fehlt, das bräuchten wir noch genauer hier, dass bräuchten wir da. Und wir konnten aufs Schiff gehen und die Proben nehmen, konnten dann sagen, okay, das ist ja toll, wir können das auch automatisieren, wir können das auch so machen. Ach, das sind die Sachen, die ihr braucht für euer Modell. Und wenn man das wirklich in direkter Interaktion und Zusammenarbeitet in den verschiedenen Disziplinen, nur dann kann da was Vernünftiges rauskommen.