Anzeige
Klima

Irdische Eisschmelze erreicht Rekordwerte

Unser Planet hat seit 1994 insgesamt 28 Billionen Tonnen Eis verloren

Eisschmelze
Schmelzwasserstrom auf dem grönländischen Eisschild – dieses Eisreservoir ist nur eine von vielen Komponenten der irdischen Cryosphäre, die immer schneller abtauen. © Ian Joughin

Ernüchternde Bilanz: Die Cryosphäre unseres Planeten hat seit 1994 insgesamt 28 Billionen Tonnen Eis verloren, wie die bisher umfassendste globale Eisbilanz enthüllt. Diese Eismenge ergäbe eine 100 Meter dicke Eisdecke über ganz Großbritannien. Den größten Anteil am Eisverlust haben das arktische Meereis und die antarktischen Schelfeise, dann folgen die Gebirgsgletscher und das Grönlandeis. Die Eisbilanz bestätigt zudem, dass sich die Eisschmelze beschleunigt.

Dass die Eisreservoire der Erde schmelzen, ist nicht neu. Schon seit Jahren beobachten Forscher das rapide Abtauen des arktischen Meereises, das Schrumpfen vieler Gebirgsgletscher und den zunehmenden Eisverlust in Grönland und der Antarktis. In Teilen der Westantarktis könnte die Gletscherschmelze sogar schon irreversibel sein und selbst die lange als stabil geltende Ostantarktis verliert inzwischen Eis.

Ganze Cryosphäre im Blick

Was aber bedeutet dies für die irdische Cryosphäre insgesamt? Das haben nun Forscher um Thomas Slater von der University of Leeds in der bisher umfassendsten Bilanz des irdischen Eises ermittelt. „In den letzten gut 30 Jahren gab es große internationale Bemühungen, das Verhalten einzelner Komponenten im irdischen Eissystem zu verstehen“, sagt Slater. „Unsere Studie ist die erste, die all diese Daten kombiniert und sich das gesamte Eis anschaut, das unser Planet verloren hat.“

Für ihre Studie werteten die Forscher Satellitendaten und Vor-Ort-Messreihen von mehr als 215.0000 Berggletschern, den polaren Eiskappen in Grönland und der Antarktis, dem arktischen und südpolaren Meereis und den antarktischen Schelfeisen aus. Ihre Zeitreihe erfasste dabei Daten von 1994 bis 2017.

28 Billionen Tonnen Eis weniger

Das Ergebnis: „Obwohl die Cryosphäre der Erde nur einen kleinen Anteil des globalen Energie-Ungleichgewichts absorbiert hat, hat sie in der Zeit von 1994 bis 2017 die erschütternde Menge von 28 Billionen Tonnen Eis verloren“, berichten Slater und sein Team. Gegenüber den 1990er Jahren hat sich der Eisverlust damit um 57 Prozent erhöht. Mitte der 1990er lag er noch bei rund 0,8 Billionen Tonnen pro Jahr, heute liegt die Abtaurate bei 1,2 Billionen Tonnen jährlich.

Anzeige

Wie die Forscher ermittelten, geht die Mehrheit der Eisverluste auf ein Abtauen durch die wärmere Atmosphäre zurück – dieses Schmelzen von oben ist für 68 Prozent des Eisverlusts verantwortlich. Die restlichen 32 Prozent wurden durch ein Abschmelzen von unten verursacht. Das wärmere Meerwasser hat Gletscherzungen und Meereis von unten her angetaut.

Eisbilanz
Bilanz der irdischen Eisverluste. © CPOM

Berggletscher noch vor Grönland

Die Hälfte des globalen Eisverlusts fand an Land statt: Gebirgsgletscher weltweit haben 6,1 Billionen Tonnen Eis verloren, Grönlands Eisschild schrumpfte um rund 3,8 Billionen Tonnen und die Gletscher der Antarktis haben rund 2,5 Billionen Tonnen Eis verloren. Das Schmelzwasser all dieser Regionen zusammen hat die globalen Meeresspiegel um knapp 35 Millimeter ansteigen lassen, wie die Forscher berichten.

„Der Eisverlust der antarktischen und grönländischen Eisschilde hat sich am stärksten beschleunigt“, sagt Slater. „Sie folgen nun dem Worst-Case-Szenario des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Der dadurch verursachte Meeresspiegelanstieg wird noch in diesem Jahrhundert schwere Folgen für die Küstenkommunen haben.“

Arktisches Meereis am stärksten betroffen

Die andere Hälfte des irdischen Eisverlusts geht auf das Meereis zurück. Insgesamt am stärksten betroffen ist das arktische Meereis, es hat in den 23 Jahren des Studienzeitraums 7,6 Billionen Tonnen Eis verloren. Knapp dahinter folgen die antarktischen Schelfeise mit 6,5 Billionen Tonnen weggeschmolzenem Eis. Viele dieser schwimmenden Eisflächen haben gerade in den letzten Jahren enorme Eisberge durch Eisabbrüche verloren, andere zeigen zunehmend Risse.

„Das Meereis trägt zwar nicht direkt zum Meeresspiegelanstieg bei, aber es hat einen indirekten Einfluss“, erklärt Slaters Kollegin Isobel Lawrence. „Eine der Schlüsselrollen des arktischen Meereises ist die Reflexion von Sonnenstrahlung zurück ins All – das hilft, die Arktis kühl zu halten.“ Doch wenn das Meereis schrumpft und die Albedo der Arktis dadurch abnimmt, absorbieren Ozean und Atmosphäre mehr Sonnenenergie und heizen die Polargebiete verstärkt auf.

„Das wiederum beschleunigt nicht nur das weitere Abtauen des Meereises., es verstärkt auch das Schmelzen der Gletscher und Eisschilde und trägt so indirekt zum Meeresspiegelanstieg bei“, sagt Lawrence.

„Eine direkte Folge des Klimawandels“

Nach Ansicht der Wissenschaftler bestätigen ihre Ergebnisse, dass die Cryosphäre unseres Planeten auf die globale Erwärmung reagiert. „Auch wenn ein kleiner Teil der Eisverluste in Gebirgsgletschern noch auf das Ende der ‚Kleinen Eiszeit‘ zurückgeht, kann es kaum Zweifel daran geben, dass die große Mehrheit des irdischen Eisverlusts eine direkte Folge der globalen Klimaerwärmung ist“, konstatieren Slater und sein Team.

Ihren Berechnungen nach haben alle irdischen Eisreservoire zusammen seit 1994 rund 8,9 Trilliarden Joule an Energie aufgenommen. Das entspreche rund 3,2 Prozent des Überschusses, den das gesamte Erdsystem in dieser Zeit akkumuliert hat, erklären die Wissenschaftler. (The Cryosphere, 2021; doi: 10.5194/tc-15-233-2021)

Quelle: University of Leeds

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

NAchglühen von GRB 221009A

Rekord-Ausbruch überrascht Astronomen

Neue fossile Riesenschlange entdeckt

Warum Chinas Großstädte absinken

Landschaft unter dem Thwaites-Gletscher kartiert

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Meereis adé? - Erster internationaler Polartag für eine schwindende Eiswelt

Bücher zum Thema

Polarwelten - von Paul Nicklen

Antarktis - Forschung im ewigen Eis von Norbert W. Roland

Top-Clicks der Woche