Propaganda-Objekt, geheime Militärbasis und ein giftiges Erbe

Camp Century – Stadt unter dem Eis

Camp Century
Vor 60 Jahren wurde Camp Century gebaut – eine Stadt unter dem Eis Grönlands. © US Army

Unter dem Codenamen „Project Iceworm“ plant das US-Militär Anfang der 1960er Jahre geheime Raketenbasen unter dem Grönland-Eis. Als Testfeld dafür dient „Camp Century“ – eine subglaziale Stadt. Doch die als Triumph der Technik gefeierte Anlage wird Opfer des sich bewegenden Eises. Heute droht ihr giftiges Erbe wieder zutage zu treten.

Es klingt wie aus einem James-Bond-Film: In einem riesigen Tunnelsystem unter dem Eis sollten bis zu 600 mobile Atomraketen verborgen und im Falle eines Atomkriegs abgefeuert werden. Von diesem Vorhaben erfuhr jedoch weder die für Grönland zuständige dänische Regierung etwas noch die Öffentlichkeit. Ihr wurde „Camp Century“ stattdessen als Meisterleistung US-amerikanischer Ingenieurstechnik verkauft und als Forschungsstandort für künftige Mondstationen…

Ein Bauprojekt im Grönlandeis

Die subglaziale Stadt

Schauplatz des Geschehens ist ein unwirtliches, 2.000 Meter hoch liegendes Eisfeld im Norden Grönlands – einer der unwirtlichsten Gegenden der Erde. Hier, rund 240 Kilometer von der Küste und ihrem milderen Klima entfernt, herrschen lebensfeindliche Bedingungen: Die Temperaturen sinken nachts auf bis zu minus 56 Grad und auch tagsüber steigt das Thermometer selten über minus 20 Grad. Der eisige Wind rast mit bis zu 110 Kilometer pro Stunde über die endlos weiten Eisflächen.

Radarmessung
An der Oberfläche ist von Camp Century nichts zu sehen – aber solche Radarmessungen per Schlitten enthüllen seine Relikte. © Karlsson et al. / Cold Regions Science and Technology, CC-by-sa 4.0

Eine Stadt für 200 Menschen

Spuren menschlicher Gegenwart oder gar Besiedlung gibt es hier nicht – so scheint es zumindest. Doch das täuscht: Tief unter der Eisoberfläche verborgen liegen die Überreste einer ganzen Stadt -Camp Century. In den 26 Tunneln und Kavernen dieser subglazialen Anlage lebten und arbeiteten Anfang der 1960er Jahre bis zu 200 Menschen, größtenteils Soldaten der US-Armee und Ingenieure.

„Die Geschichte von Camp Century ist fantastisch. Selbst heute erfordert es einige Fantasie, sich vorzustellen, wie eine Gruppe von Armee-Ingenieuren sich ihren Weg in das grönländische Eisschild grub und pflügte, um dort eine von Atomkraft angetriebene Stadt unter dem Eis zu errichten“, schreibt Kristian Nielsen von der University Aarhus in einer Studie zu Camp Century.

Der Bau von Camp Century begann im Jahr 1959, als die US-Armee in Grönland nach einem Standort für einen subglazialen Stützpunkt suchte. Rund 240 Kilometer östlich der US-Militärbasis Thule wurden die Armee-Ingenieure fündig: „Wir brauchten eine flache Oberfläche mit weniger als einem Grad Neigung, denn das ermöglicht es uns, alle Tunnel auf gleichem Niveau zu halten“, erklärt Colonol John Kerkering in dem 1961 von der US-Armee produzierten Film. „Schließlich wählten wir dieses Plateau – eine glatte, weiße Eisebene, so weit man sehen kann.“

Schneefräsen und Tunnel

Ein weiterer, wichtiger Vorteil des Standorts: „Dies war der unserer Versorgungsbasis Thule am nächsten liegende Ort, der nicht von der sommerlichen Eisschmelze betroffen war“, so Kerkering. Doch die monatelangen Bauarbeiten in dieser entlegenen Einöde erforderten einen enormen logistischen Aufwand. Alle Baumaterialien und Werkzeuge mussten per Raupenfahrzeug von der 240 Kilometer entfernten Thule Air Base herangeschafft werden. Eine solche Fahrt dauerte 70 Stunden.

Tunnelbau
Erst grub man die Tunnel, dann wurden sie mit Metallplatten und Schnee abgedeckt.© US Army Corps of Engineers

Um die Stadt unter dem Eis zu bauen, schaffte die US-Armee spezielle, in der Schweiz konstruierte Eisfräsen heran. Sie gruben sich von der Eisoberfläche aus schräg in die Tiefe, um dann rund acht Meter unterhalb der Eisoberfläche die waagerechten Tunnel der Anlage aus dem Eis zu fräsen. Die zunächst nach oben hin offenen Tunnel wurden mit gebogenen Stahlplatten abgedeckt und wieder mit Schnee und Eis überhäuft. Zur Belüftung der Stadt unter dem Eis wurden zahlreiche Löcher zur Oberfläche gebohrt, ebenso eine Reihe von Notausstiegen.

Der heroische Kampf der Armee-Ingenieure gegen die Elemente stand auch im Propagandafilm des US-Militärs über Camp Century im Vordergrund. „In dieser entlegenen Umgebung, 1.200 Kilometer vom Nordpol entfernt, ist Camp Century ein Symbol des unaufhörlichen Kampfes des Menschen, seine Umwelt zu erobern“, heißt es im Film. Das Unterfangen diene dazu, die Fähigkeit des Menschen zu verbessern, selbst unter polaren Bedingungen zu leben und zu kämpfen. Gleichzeitig galt die Anlage als Beleg für die überlegenen technologischen Fähigkeiten der USA.

Der erste mobile Atomreaktor

Ein Beispiel dafür war die hochgradig experimentelle Technik, die Camp Century seine Energie lieferte: der weltweit erste mobile Atomreaktor PM-2A. Die mit Uran-235 als Kernbrennstoff betriebene Anlage wurde im Auftrag der US-Armee von der American Locomotive Company entwickelt und so konzipiert, dass sie in Einzelteile zerlegt und am gewünschten Ort wieder zusammengebaut werden konnte.

Jedes Einzelmodul des mobilen Reaktors wog mehr als 350 Tonnen und wurde in einer Karawane von Raupenfahrzeugen über das Eis von Thule nach Camp Century transportiert. Dort montierten Ingenieure die Reaktoren in einem der Tunnel zusammen und im Oktober 1960 nahm das Atomkraftwerk von Camp Century seinen Betrieb auf. Es produzierte zwei Megawatt Strom sowie Wärme für Warmwasser und Heizung.

„City Under the Ice“ – so machte die US-Army Propaganda für Camp Century.© The Federal file

Camp Century zwischen Alltag und Propaganda

„American Way of Life“ unterm Eis

Camp Century war mit allem ausgestattet, was für ein Überleben im Hohen Norden nötig war. Doch dafür nahmen die tief unter der eisigen Außenwelt stationierten Soldaten, Techniker und Wissenschaftler in Kauf, weitgehend isoliert von der Außenwelt zu leben. Als Ausgleich dafür sollte das Innere der Anlage zumindest einige Annehmlichkeiten bieten.

Aufenthaltsraum
Alltag unter dem Eis: Aufenthaltsraum von Camp Century.© US Army

Bibliothek, Friseur und Cafeteria

Die „Hauptstraße“ der acht Meter unter dem Eis liegenden Stadt war gut 300 Meter lang, acht Meter breit und neun Meter hoch, die im rechten Winkel abgehenden Seitentunnel etwas schmaler. Die Räume im Inneren dieser Tunnel bestanden aus knapp 15 Meter langen Holzbarracken, deren Außenwände durch eine luftgefüllte Lücke vom Eis des umgebenden Gletschers isoliert waren. Dies sollte verhindern, dass zu viel Wärme aus den geheizten Räumen nach außen drang und das umgebende Eis abtaute.

Es gab Schlafräume, Aufenthaltsräume, ein kleines Hospital, eine Wäscherei und sogar eine Bibliothek und einen Friseur. Für das leibliche Wohl der Bewohner sorgten eine Großküche und eine Cafeteria, für das geistige Wohl eine Kapelle. Von der Eiseskälte auf dem Gletscher war im Inneren von Camp Century wenig zu spüren, denn alle Räume waren beheizt und wohnlich eingerichtet. Heizung und warmes Wasser lieferte ein verzweigtes Leitungssystem, das von einem tief ins Eis gebohrten Brunnen gespeist wurde. Pumpen förderten aus ihm fast 40.000 Liter Schmelzwasser täglich, dass dann von der Hitze des Atomreaktors erhitzt wurde.

„Wie in einer beliebigen Kleinstadt“

„Auf den ersten Blick könnte ein verblüffter Besucher glauben, in einem Science-Fiction-Film gelandet zu sein“, kommentierte 1962 der CBS-Journalist W-H. Wagner. „Aber in vieler Hinsicht ist das Leben in einem Kilometerdicken Gletscher gar nicht so anders als das in vielen Kleinstädten in den USA, Kanada oder Großbritannien. In diesem Moment führen einige hundert Wissenschaftler und Soldaten Tests durch, spielen Pingpong, schnitzen Modellflugzeuge, essen Steaks oder waschen ihre Wäsche…“

Plan Camp Century
Plan von Camp Century.© Historisch/ Atomic Heritage Foundation

Und genau diesen Eindruck sollte die Stadt unter dem Eis auch vermitteln: Dank der großartigen Technologien und Ingenieursleistungen können US-Amerikaner selbst in die unwirtlichsten Gegenden vordringen und dort dem „American Way of Life“ fortführen, so die Botschaft des Propagandafilms der US-Armee. „Karten, Fotografien und vor allem Live-Footage stellten das Camp als Errungenschaft der Ingenieursleistung dar, als Erweiterung des American Way of Live in der gefrorenen Einöde“, erklärt der dänische Forscher Kristian Nielsen.

Statt die subglaziale Stadt geheimzuhalten, machte man Camp Century als wissenschaftliches Projekt und als Symbol US-amerikanischen Erkundungsgeists publik. Gleichzeitig wurde Camp Century als Vorstufe zu noch innovativeren Projekten wie Raumstationen auf dem Mond gefeiert. So beschrieb der Journalist Walter Wagner 1962 die Anlage als den Wegbereiter einer außergewöhnlichen Zukunft. Die Welt von Morgen, so erklärte er, liege im Weltraum und das, was man in Camp Century lerne, mache diese Zukunft greifbar.

Symbol der Stärke im Kalten Krieg

Gleichzeitig aber propagierte die US-Armee Camp Century auch als Symbol der militärischen Stärke – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit der Sowjetunion ließ sich damit bei der US-Bevölkerung durchaus punkten. „Camp Century lieferte ein Beispiel dafür, dass Amerikaner mithilfe moderne Techno-Wissenschaft den Schrecken des Kalten Krieges entfliehen können“, erklärt Nielsen. Die Stadt unter dem Eis demonstrierte, dass selbst in entlegenen, von einem Atomkrieg nicht betroffenen Gebieten ein Überleben möglich wäre.

Allerdings: Den wahren Zweck von Camp Century erfuhr die Öffentlichkeit damals nicht – und auch nicht die dänische Regierung, zu deren Hoheitsgebiet Grönland gehörte.

Die geheime Seite von Camp Century

Projekt Iceworm

So vermeintlich offen das US-Militär ihr Camp Century in Grönland propagierte, so geheim war der eigentliche Zweck dieses US-Außenpostens im Eis. Denn er diente als Testgelände für das „Project Iceworm“ – den Plan eines riesigen nuklearen Stützpunkts unter dem Eis.

Tunnel
Die Tunnel von Camp Century waren ein Test für das geheime Project Iceworm – ein Netz subglazialer Raketenbasen.© US Army

Kalter Krieg in der Arktis

Die Motivation dahinter war klar: Anfang der 1960er Jahre waren die USA und die Sowjetunion auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Beide Seiten rüsteten massiv auf und suchten gleichzeitig nach Wegen, einen atomaren Erstschlag des Gegners zu verhindern, aber auch kontern zu können. Eine der strategisch wichtigsten Regionen dafür war die Arktis, weil sich dort beide Supermächte geografisch am nächsten kamen und potenzielle Angriffe durch Atomraketen am ehesten aus dieser Richtung kommen würden.

Während die Sowjetunion auf Atom-U-Boote, Horchposten in Sibirien und per Zug transportierbare Atomraketen setzte, setzten die USA auf Vorposten in Grönland. „Wissenschaft wird es uns erlauben, Grönland als arktisches Schwert und Schild zu nutzen – eine mächtige Bastion der abschreckenden Macht…“ hieß es 1958 in einem Bericht des Arctic Institute of North America, einem Think-Tank der US-Armee. „Moderne Technologie wird Militäroperationen im Hohen Norden ermöglichen – unter dem Eis, auf dem Eis und über dem Eis – etwas zuvor Undenkbares.“

Bereits 1951 sicherten sich die USA durch einen Vertrag mit der dänischen Regierung die Erlaubnis, US-Militärbasen auf der eisigen Insel zu errichten. Auch Camp Century wurde offiziell beantragt und genehmigt – als wissenschaftlich-militärische Teststation.

Ein subglaziales Waffenarsenal

Doch die wahren Pläne der US-Armee kannte Dänemark nicht – sie wurden erst 1997 publik. Demnach sah „Project Iceworm“ vor, den Norden Grönlands zu einem System subglazialer mobiler Abschussrampen für US-Atomraketen auszubauen. Auf einer Fläche von 130.000 Quadratkilometern – das entspricht der dreifachen Größe Dänemarks – sollte dafür das Eis untertunnelt werden.

In den verzweigten, insgesamt 4.000 Kilometer langen Tunneln würden man Schienen verlegen, auf denen dann rund 600 Atomraketen unter dem Eis gelagert und bewegt konnten. Der Plan sah vor, rund 2.100 subglaziale Kontrollzentren mit Abschussvorrichtung in dieses Tunnelsystem zu integrieren. Wenn es die Situation erforderte, konnte dann eine Atomrakete an diese Orte gebracht und von dem tiefer als acht Meter ins Eis versenkten Startsilos abgefeuert werden.

Minuteman-1
Unter dem Eis stationiert werden sollte eine abgespeckte Version der damals brandneuen Minuteman-1-Rakete.© US Air Force

Stationiert werden sollten in dieser subglaziale Raketenbasis eigens dafür abgewandelte Minuteman-Interkontinentalraketen. Diese 1959 entwickelten dreistufigen Feststoffraketen waren 16 Meter lang und mit Treibstoff fast 30 Tonnen schwer. Mit einer Reichweite von 10.000 Kilometern hätte sie einen atomaren Sprengkopf von Grönland aus bis weit in die Sowjetunion hinein transportieren können. Allerdings war die Rakete in ihrem Ausgangszustand zu groß und schwer für die Tunnel. Daher plante die USA-Armee, für Project Iceworm eine nur zweistufige, verkleinerte „Iceman“-Version einzusetzen.

Waffen für den „Gegenschlag“

Die dahinterstehende Idee war es, auf diese Weise ein Reservoir an Waffen für den atomaren Gegenschlag zur Verfügung zu haben. Denn selbst wenn die Sowjetunion einen Atomangriff auf die USA wagen würde, wären diese entlegenen und unter dem Eis verborgenen Raketenstützpunkte wahrscheinlich nicht betroffen und konnten dann Vergeltung üben – so die Logik des Kalten Krieges.

Camp Century spielte in diesem Szenario die Rolle eines Testfelds und Prototyps: In der subglazialen Stadt sollten Methoden und Technologien getestet werden, die den Bau des enormen Tunnelsystems ermöglichen würden. Auch die autonome Energieversorgung durch Atomreaktoren, die psychologische und gesundheitliche Belastung für die Besatzung, aber auch die Umweltbedingungen und vor allem die Dynamik des Eises waren Gegenstand der vorbereitenden Tests und Versuche.

Doch das Eis, das als Tarnung und Versteck so geeignet schien, machte den ehrgeizigen Plänen der US-Militärs einen Strich durch die Rechnung…

Keine Chance gegen die Macht des Eises

Vorzeitiges Ende

Eigentlich sollte Camp Century mindestens zehn Jahre halten und der Auftakt für ein weit größeres Tunnelprojekt sein. Doch das Gletschereis, in dem die subglaziale Station lag, erwies sich als kaum zu bändigende Kraft: Die Tunnel und Kavernen verformten sich, ihre Decken senkten sich ab und auf der Oberfläche türmte sich immer neuer Schnee auf.

Schneefräse
Kampf gegen die sich ansammelnden Schneemassen.© US Army

Kampf gegen die Eismassen

Um einen Kollaps der Tunnel zu verhindern, schaufelten die Bewohner von Camp Century gegen die Eismassen an. Jeden Monat entfernten sie mehr als 120 Tonnen Schnee und Eis von der Oberfläche, deren enormes Gewicht sonst die Decken der Station einzudrücken drohte. Doch es half nur wenig: Schon 1962, gerade einmal zwei Jahre nach Eröffnung der „Stadt unter dem Eis“, hatte sich die Decke über dem Kernreaktor-Tunnel schon um 1,50 Meter gesenkt.

Angesichts der fortschreitenden Tunnelabsenkung und der sich verstärkenden Gefahr von Einstürzen beschloss die US-Armee, diesen Pilottest für das Project Iceworm nicht fortzuführen. Der Nuklearreaktor wurde abgeschaltet, in seine Module zerlegt und zurück in die USA gebracht. Für die Stromversorgung der Bewohner sorgten nun Dieselgeneratoren. Doch das Ende von Camp Century war da schon vorprogrammiert: Ab 1964 war die Station nur noch im Sommer besetzt, 1967 wurde sie ganz aufgegeben.

In die Tiefe gesunken…

Den so aufwändig beworbenen Traum von einer Zukunftsstadt unter dem Eis mussten die Ingenieure und US-Militärs damit buchstäblich begraben – und ebenso den geheimen Plan einer subglazialen Atomwaffenbasis. Zurück blieben Dutzende Tunnel unter dem Eis, die mit der Zeit immer tiefer unter die Oberfläche hinabgesunken sind. Heute zeugt auf dem eisigen Hochplateau nichts mehr von der Präsenz des Menschen. Es scheint, als wäre Camp Century nie gewesen.

Doch unter der Oberfläche existieren noch Reste der einstigen Stadt: 2017 ließ die dänische Regierung das Gebiet von Camp Century mit einem Eisradar durchleuchten. Ein Forschungsteam zog dafür die Radarschlitten mehrere Tage lang in einem engen Suchgitter auf Skiern über das Eis. Die Aufnahmen enthüllten, dass die Eisoberfläche aus der Zeit von Camp Century heute rund 32 bis 35 Meter tief unter der Oberfläche liegt. Die alten Tunnel liegen in 45 bis 55 Metern Tiefe, sind aber noch alle erkennbar.

..und um 230 Meter verschoben

Die alte Station ist aber nicht nur in die Tiefe gesunken – das sich bewegende Gletschereis hat die gesamte Anlage auch horizontal verschoben. Wie das Team um Nana Karlsson vom dänischen Geologische Dienst ermittelte, liegt Camp Century heute 232 Meter südwestlich seiner ursprünglichen Position und bewegt sich noch immer. Im Schnitt 3,9 Meter pro Jahr schiebt das wandernde Eis die subglaziale Station in Richtung Meer.

Die alte Tunnel sind allerdings ist nicht das Einzige, das den glazialen Veränderungen ausgesetzt ist…

Camp Centurys Abfälle und die drohende Eisschmelze

Giftiges Erbe

Als Camp Century 1967 aufgegeben wurde, ließ die US-Armee nicht nur einen Großteil der Infrastruktur zurück, sondern auch reichlich Abfälle. „Vor zwei Generationen war es in etlichen Weltgegenden üblich, Müll einfach zu vergraben“, erklärt William Colgan, Glaziologe an der York University in Toronto.

Camp-Senken
Lage der Abfall- und Abwassersenken von Camp Century. © Karlsson et al. / Cold Regions Science and Technology, CC-by-sa 4.0

So auch in der subglazialen Stadt: Abwasser, Treibstoffreste und selbst schwachradioaktive Abfälle des Kernreaktors wurden in Eislöcher geworfen oder gepumpt. Denn unter dem Dutzende Meter dicken Eis würden diese Hinterlassenschaften sicher und von der Außenwelt isoliert begraben bleiben, so jedenfalls dachte man.

Abwasser, Diesel, PCBs und radioaktive Abfälle

Aus den Aufzeichnungen von Camp Century geht hervor, dass 1967 rund 240.000 Liter Abwasser, 200.000 Liter Dieseltreibstoff und rund 9.200 Tonnen Gebäudeteile, Reste der Schienen und andere feste Überreste der Anlage zurückgelassen wurden. Dazu kamen größere Mengen von mit polychlorierten Biphenylen (PCB) kontaminierten Bau- und Maschinenteilen, in denen diese heute verbotenen organischen Schadstoffe als Schmierstoff, Hydraulikflüssigkeit und Dichtung eingesetzt wurden. Insgesamt sind die Relikte der Station über 55 Hektar verstreut – das entspricht etwa der Fläche von 100 Fußballfeldern.

Ebenfalls im Eis geblieben ist eine unbekannte Menge schwach radioaktiver Abfälle, größtenteils in Form von verseuchtem Kühlwasser aus dem Reaktor der Anlage: „Der radioaktive Müll hatte nach offiziellen Angaben damals eine Radioaktivität 1,2 Milliarden Becquerel“, berichten Colgan und sein Team. Das sei zwar rund tausendfach weniger als die Verseuchung, die der Absturz einer atomwaffenbestückten Militärmaschine im Jahr 1968 am grönländischen US-Stützpunkt Thule Air Base verursachte. „Dennoch ist auch die radioaktive Hinterlassenschaft von Camp Century nicht trivial“, betont Colgan.

Wie lange hält das Eis dicht?

Bisher sind diese umweltschädlichen, strahlenden und teils giftigen Relikte von Camp Century noch tief im Eis vergraben. Den Radaranalysen der dänischen Geologen um Nanna Karlsson zufolge liegen die größtenteils kollabierten Gruben mit den flüssigen Abfällen heute zwischen 80 und 130 Meter unter der Eisoberfläche. Das allerdings wird nicht so bleiben, wie Colgan und sein Team mithilfe von Klimasimulationen ermittelt haben.

Ihren Ergebnissen nach ist die Eismassenbilanz für das Gebiet von Camp Century bisher noch positiv: Das Hochplateau bekommt jährlich mehr Eis durch Schneefall hinzu als in den sommerlichen Tauperioden wegschmilzt. Doch wie schon in anderen Regionen Grönlands verschiebt der Klimawandel diese Balance in den letzten Jahren und Jahrzehnten selbst im Norden allmählich in Richtung Eisverlust.

Radarmessung
Radarechos der Tunnel und Relikte. © Karlsson et al. / Cold Regions Science and Technology, CC-by-sa 4.0

Gefahr durch Schmelze und subglaziale Ströme

Nach Schätzungen des Forschungsteams könnte schon in den nächsten 75 Jahren die schützende Deckschicht über Camp Century abzutauen beginnen. Eine noch unmittelbarere Sorge bereitet jedoch das Schmelzwasser, dass von der Eisoberfläche über Risse und Spalten im Gletschereis bis in große Tiefen hinabstürzen kann. Studien belegen, dass es unter dem grönländischen Eisschild Dutzende subglazialer Seen und unzählige Schmelzwasserflüsse gibt. Wenn diese das Niveau von Camp Century erreichen, könnte sie die giftigen und radioaktiven Abfälle großflächig verteilen und bis ins Meer transportieren.

„Das birgt eine ganz neue politische Herausforderung, über die wir uns Gedanken machen müssen“, sagt Colgan. Denn die kontrollierte Bergung der Abfälle ist teuer und technisch aufwändig, vor allem aber ist nicht einmal geklärt, wer dafür überhaupt zuständig wäre. Zwar liegt Camp Century auf grönländischem Boden und damit in dänischem Gebiet, aber Verursacher der Abfälle war die US-Militär – und die hat sich in den Verträgen mit Dänemark zur Entsorgung ihrer Abfälle verpflichtet.

Noch bleibt den Verantwortlichen etwas Zeit, sich über die Zuständigkeiten zu streiten. Denn Colgan und sein Team empfehlen, mit der Bergung und Entsorgung der Abfälle abzuwarten, bis die Eisschicht soweit geschmolzen ist, dass die Schadstoffe nur noch knapp unter der Oberfläche liegen. Erst dann sollte man ernsthaft über einen Abtransport nachdenken, so die Wissenschaftler.