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Klima

Grönland: Schmelze überholt Prognosen

Pegelanstieg durch Grönlands Gletscher erreicht schon jetzt fast die Werte für 2100

Jakobshavn Isbræ
Eisabbruch an der Front des Jakobshavn Isbræ auf Grönland. Dieser Gletscher gehört zu den drei größten der Arktisinsel und trägt durch sein Abtauen messbar zum Meeresspiegelanstieg bei. © Nature press/ Nicolaj Krog Larsen

Schlimmer als das Worst-Case-Szenario: Der Meeresspiegelanstieg durch die Gletscherschmelze in Grönland nähert sich schon jetzt Werten, die erst für 2100 vorhergesagt waren, wie eine Studie enthüllt. Demnach haben die drei größten Gletscher Grönlands seit 1880 bereits 8,1 Millimeter zum Pegelanstieg beigetragen – bei „nur“ 1,5 Grad lokaler Erwärmung. Prognostiziert waren solche Anstiege jedoch erst für gut acht Grad Erwärmung, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.

Grönland ist das zweitgrößte Eisreservoir des Planeten und spielt eine Schlüsselrolle für Klima und Meeresspiegel. Doch schon länger deuten Messdaten daraufhin, dass Grönlands Gletscher immer schneller schmelzen. Möglicherweise ist beim Abtauen sogar schon ein erster Kipppunkt überschritten. Als Folge strömt immer mehr Schmelzwasser ins Meer und treibt den Meeresspiegel in die Höhe.

Welchen Anteil Grönland an diesem Pegelanstieg hat und wie sich dies in Zukunft entwickeln wird, ist jedoch unklar. Nach RCP8.5, dem Worst-Case-Szenario des Weltklimarats IPCC mit einer globalen Erwärmung von 3,7 Grad und einem Temperaturanstieg in der Arktis von gut acht Grad, könnte allein das Schmelzwasser der drei größten Gletscher Grönlands bis 2100 den Meeresspiegel um 9,1 bis 14,9 Millimeter anheben.

Drei Eisriesen

Ob diese Prognose weiterhin zutrifft, haben nun Shfaqat Khan von der Technischen Universität Dänemark und seine Kollegen überprüft. Dafür werteten sie historische Luftaufnahmen und Messdaten für die Gletscher Jakobshavn Isbrae, Helheim und Kangerlussuaq aus der Zeit von 1880 bis 2012 aus. Daraus ermittelten sie die Veränderungen von Eisdicke und Gletscherlänge und schlossen daraus auf die abgeflossene Schmelzwassermenge.

„Das Einzugsgebiet dieser drei großen Gletscher entspricht zusammen rund zwölf Prozent des gesamten grönländischen Eisschilds – sie bilden daher einen großen und repräsentativen Anteil“, erklärt Khan. „Ihr Eisverlust gibt uns daher einen recht guten Einblick in die Situation auch im Rest Grönlands und der Arktis und verrät uns, wie die Zukunft aussehen könnte.“

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Eisverlust größer als erwartet

Die Auswertungen ergaben: In den gut 100 Jahren seit 1880 haben die drei Grönland-Gletscher zusammen rund 3.000 Gigatonnen Eis verloren. Vor allem der Jakobshavn Isbrae und der Kangerlussuaq-Gletscher haben sich in dieser Zeit Dutzende Kilometer zurückgezogen und ihr Abtauen beschleunigt, wie die Forscher berichten. Weil das Bett dieser Gletscher landeinwärts abfällt, kann inzwischen immer häufiger warmes Meerwasser an ihrer Basis einströmen – was die Schmelze verstärkt.

drei Gletsxcher
Rückzug (links) und Bett-Topografie der drei Gletscher Jakobshavn Isbræ, Kangerlussuaq und Helheim. © Khan et al. / Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Aber auch der Helheim-Gletscher hat seit 1880 an Eis verloren, wenn auch nur sehr wenig. Ursache dafür ist vor allem ein zum Land hin ansteigendes Bett, in dem ein Grat den Eisstrom bremst und stabilisiert, wie Khan und sein Team berichten. Dadurch fließt dieser Gletscher langsamer ins Meer und seine Eisbasis ist auch nicht dem warmen Meerwasser ausgesetzt. „Insgesamt ist das Eis jedoch mit weit höherer Rate abgeschmolzen als wir erwartet hätten“, sagt Khan.

Schon jetzt 8,1 Millimeter Pegelanstieg

Das hat Folgen für den Meeresspiegel: Wie die Forscher ermittelten, haben diese drei großen Grönlandgletscher zusammen rund 8,1 Millimeter zum Meeresspiegelanstieg seit 1880 beigetragen. „Dieser Anstieg entspricht fast schon dem Worst-Case-Szenario für das Jahr 2100“, sagt Khan. „Aber dieses Zukunftsszenario des IPCC basiert auf der Annahme, dass die Temperatur in Grönland dafür um rund acht bis neun Grad anstiegen muss.“ Stattdessen ist dieser Wert schon bei 1,5 Grad lokaler Erwärmung fast erreicht.

Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass das Grönlandeis sensibler auf die Erwärmung reagiert als noch vor einigen Jahren angenommen. „Wir sehen hier, dass schon eine kleine Veränderung der globalen Temperatur eine große Wirkung hat“, sagen die Wissenschaftler. „Offensichtlich unterschätzen die gängigen Modelle den Worst-Case-Eisverlust dieser Gletscher – und das gilt wahrscheinlich auch für den Rest Grönlands.“

Keine guten Aussichten

Für die Zukunft sind dies keine guten Aussichten: „Wenn wir 100 Jahre in die Zukunft schauen und von dem Prognose-Szenario mit acht bis neun Grad Erwärmung in Grönland ausgehen, dann könnte der Meeresspiegelanstieg durch diese Gletscher drei- bis viermal so groß sei wie angenommen“, sagt Khan. „Unserer Meinung nach müssen die Modelle entsprechend den neuen Erkenntnissen aktualisiert und angepasst werden.“ (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-19580-5)

Quelle: Technical University of Denmark

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