Wie kleinste Teilchen unsere Zeit definieren

Atomuhren

optische Atomuhr
Atomuhren sind die Taktgeber unserer Weltzeit. Hier zu sehen ist die Vakuumkammer eine optischen Strontium-Atomuhr. © Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Sie sind die Taktgeber der Weltzeit: Seit 1967 definieren Atomuhren die Länge einer Sekunde und damit das Maß unserer Zeit. Doch seither ist auch ihre Entwicklung nicht stehen geblieben. Längst tüfteln Forschende an neuen, noch präziseren Varianten dieser Zeitmesser. Doch wie funktioniert eine Atomuhr? Wie genau geht sie? Und wo überall werden solche Uhren gebraucht?

Im Alltag reicht es uns meist, die Zeit bis auf die Minute oder Sekunde genau zu wissen. Doch für digitale Technik, Navigation, Wissenschaft und viele weitere Anwendungen muss die Zeit bis auf winzigste Sekundenbruchteile genau bekannt sein. Nur so können Prozesse und Maße synchronisiert und bestimmte Phänomene erforscht werden. Doch wie funktioniert das?

Von der Tageslänge zur Atomuhr

Wie wird die Zeit gemessen?

Wenn wir wissen wollen, wie spät es ist, blicken wir auf die Armbanduhr oder auf unser Handydisplay. Auch Radio, Fernsehen oder das Internet verraten uns auf die Sekunde genau die aktuelle Zeit. Aber wer bestimmt eigentlich, wann es wie spät ist? Und wie wird dies gemessen?

ERdrotation
Bis in die 1950er Jahre war die Erdrotation die Referenzgröße für die Dauer einer Sekunde. © emarto/iStock

Taktgeber Erde

Bis in die 1950er Jahre war unser Planet selbst der Taktgeber aller Zeitmessung – die Erdrotation diente als Referenz. Eine Sekunde war dabei definiert als der 86.400. Teil einer mittleren Tageslänge. Um die genaue Zeit zu ermitteln, bestimmten Astronomen, nach welchem Zeitintervall sich die Erde genau einmal um sich selbst gedreht hatte. Noch heute überwachen Forschende die Erdrotation sowohl mit astronomischen Methoden als auch mit neuartigen Ringlasern.

Das Problem jedoch: Das Tempo der Erdrotation ist nicht konstant. Sie verändert sich durch die Gezeitenkräfte des Mondes, die Bewegungen von Ozeanen und Atmosphäre, Strömungen im Erdkern und sogar Erdbeben. Als Taktgeber für die moderne Welt ist die Erdrotation deshalb nicht genau genug. Denn viele technische Prozesse, darunter das GPS-Navigationssystem, erfordern eine bis auf Sekundenbruchteile präzise und synchrone Zeitmessung.

„Quantensprünge“ als Zeitmesser

Doch wo findet sich eine genauere Referenz? Die entscheidende Idee dazu hatte der US-Physiker Isidor Rabi, der in den 1930er Jahren an Messmethoden für die Anregungszustände von Atomen forschte. Er schlug vor, eine atomphysikalische Konstante als Referenz zu nehmen – den Übergang eines Atoms von einem energetischen Zustand in einen anderen. Dieser „Quantensprung“ geschieht, wenn ein Atom Energie aufnimmt, beispielsweise in Form von Strahlung. Durch diese Anregung springen ein oder mehrere Elektronen des Atoms auf ein höheres Energieniveau.

Das Entscheidende daran: Die für diesen atomaren Zustandswechsel nötige Energie ist für jeden Atomtyp und jedes Energieniveau spezifisch. „Die Tatsache, dass die Energiedifferenz zwischen diesen Orbits einen so präzisen und stabilen Wert hat, ist die Schlüsselzutat für die Atomuhren“, erklärt Eric Burt vom Jet Propulsion Laboratory der NASA. „Sie ist der Grund dafür, dass Atomuhren mechanische Uhren weit übertreffen.“

Hyperfeinzustand
Als Basis für die Sekunde dient die Strahlungsfrequenz, bei der Cäsiumatome zwischen zwei Hyperfeinzuständen ihres Grundzustands wechseln. © scinexx

Auf die Frequenz kommt es an

Doch für die atomare Zeitmessung ist noch eine weitere Zutat nötig: Um die Atome zum Zustandswechsel zu bringen, ist Strahlung einer bestimmten Frequenz nötig. Nur wenn sie passt, absorbieren die Atome exakt die Energiemenge, die sie für den gewünschten Quantenübergang brauchen. Der Clou: Wenn man die Frequenz bestimmt, bei der die Atome den Quantensprung vollführen, dann kann dies als Zeitgeber nutzen. Denn die Frequenz ergibt sich aus der Zahl der Schwingungen pro Sekunde.

Umgekehrt kann man daher die Sekunde als die Zeit definieren, in der diese Zahl an Schwingungen ablaufen – und genau dies war Rabis Vorschlag. Als besonders gut für eine solche Zeitmessung geeignet stufte der Physiker zwei Zustandswechsel des stabilen Isotops Cäsium-133 ein. Rabi bekam dafür 1944 den Physik-Nobelpreis. 23 Jahre später, am 13. Oktober 1967, folgte die internationale Generalkonferenz für Maße und Gewichte seiner Empfehlung. Die Referenz für die Grundeinheit der Zeit bilden seither nicht mehr astronomische Parameter, sondern Atome.

Cäsiumatome im Mikrowellenfeld

Doch wie funktioniert die atomare Zeitmessung praktisch? An diesem Punkt kommen die Atomuhren ins Spiel. Sie sind heute die Referenz für alle Uhren auf dem Globus und bilden die Grundlage der koordinierten Weltzeit (UTC). In den dafür gängigen Cäsiumuhren werden zunächst Atome des Isotops Cäsium-133 verdampft und dann heruntergekühlt. Mithilfe spezieller Magnete filtert man dann diejenigen heraus, die sich in einem von zwei sogenannten Hyperfeinzuständen ihres energetischen Grundzustands befinden. Diese Atome werden in einem Strahl in eine Vakuumkammer, den Hohlraumresonator, geleitet.

Für die eigentliche Messung wird der Strahl aus Cäsiumatomen mit Mikrowellen bestrahlt. Wenn die Frequenz dieser Strahlung den richtigen Resonanzpunkt trifft, wechselt die maximale Anzahl der Cäsiumatome ihren Energiezustand. Wann das der Fall ist, wird erneut mithilfe einer magnetischen „Sortierung“ und speziellen Detektoren gemessen. Beim Cäsium-133 liegt diese Resonanzfrequenz bei 9.192.631.770 Schwingungen pro Sekunde. Die Sekunde ist daher definiert als die Zeit, nach der die Mikrowellen 9.192.631.770 Schwingungen absolviert haben.

Cäsium-Fontänenuhren
Cäsium-Fontänenuhren (CSF) an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. © PTB

Vom Atomstrahl zur Fontäne

Die Cäsium-Atomuhren bilden bis heute die Basis für die Messung der Atomzeit. Allerdings nutzen viele offizielle Messstellen inzwischen eine Weiterentwicklung dieser Technik, die sogenannte Cäsium-Fontänenuhr. Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig – die für Deutschland zuständige Messstelle im internationalen Atomuhren-Netzwerk – nutzt neben zwei klassischen Cäsiumuhren zwei Cäsium-Fontänenuhren als primäre Zeitgeber.

Für diese Atomuhren werden Cäsiumatome mittels Laser bis auf tiefe Temperaturen heruntergekühlt und dann von unten in den Hohlraumresonator eingespeist. Dadurch bilden die Atome eine Fontäne, die von unten aufsteigt und dann in einer ballistischen Kurve wieder nach unten abfällt. Der Vorteil: In einer solchen Fontäne bewegen sich die Atome langsamer und sind dadurch rund 50-mal länger dem Mikrowellenfeld ausgesetzt als bei der klassischen Atomstrahl-Cäsiumuhr. Dadurch kann der zeitgebende Übergang zwischen den beiden Quantenzuständen genauer bestimmt werden als bei der klassischen Cäsium-Atomuhr. Eine Fontänenuhr geht bis auf die Billiardstel Sekunde genau.

Doch es geht noch besser…

Warum optische Atomuhren genauer und präziser sind

Licht statt Mikrowellen

Dank Atomuhren können wir die Zeit in höherer Auflösung messen als je zuvor. Doch wie präzise und genau sind diese Uhren? Und wovon hängt dies ab?

Uhr
Präzision und Genauigkeit sind bei der Zeitmessung keine Synonyme. © Nikki ZElwski/ iStock

Präzision und Genauigkeit

Dafür müssen wir zunächst klären, was gemeint ist, wenn von Präzision und Genauigkeit einer Uhr die Rede ist. Auf den ersten Blick scheinen dies Synonyme zu sein, doch das täuscht. Nur weil ein Messergebnis genau ist, muss es nicht präzise sein und umgekehrt. Denn die Begriffe Präzision und Genauigkeit haben bei Messsystemen klar definierte, unterschiedliche Bedeutungen – dies gilt auch bei der Zeitmessung mit Atomuhren.

Die Präzision einer Atomuhr gibt an, wie stabil und gleichmäßig sie „tickt“. Weil schon winzige Störungen wie Temperaturschwankungen, Erschütterungen oder elektromagnetische Störfelder das Verhalten der Atome beeinflussen, können die einzelnen Messungen voneinander abweichen. Die Präzision gibt an, wie groß diese Messunsicherheiten sind. Je ungleichmäßiger eine Atomuhr „tickt“, desto länger und häufiger muss man messen, um die Dauer einer Sekunde sicher zu bestimmen. „Man kann die Uhr zwar präziser machen, indem man länger misst“, erklärt Vladan Vuletic vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Aber manche Phänomene müssen innerhalb kurzer Zeit gemessen werden.“

Die Genauigkeit einer Uhr verrät hingegen, wie korrekt sie die Zeit angibt. Je genauer sie ist, desto weniger geht sie im Laufe der Zeit vor oder nach. Eine gängige Quarz-Armbanduhr kann beispielsweise innerhalb eines Monats um einige Sekunden falsch gehen. Aktuelle Cäsium-Fontänenuhren sind dagegen so genau, dass sie selbst in rund 300 Millionen Jahren nur maximal eine Sekunde falsch gehen würden. Ihre Unsicherheit liegt bei weniger als dem Zehntel einer Billiardstel Sekunde (10-16).

Ytterbium-Atomuhr
Blick in die Ionenfalle einer optischen Atomuhr an der PTB, die mit Ytterbium-Ionen arbeitet. Die goldbeschichteten Elektroden helfen beim Festhalten der Ytterbiumatome während der Messung. © Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Optische Atomuhren ticken schneller

Ein Hemmnis aller Cäsium-Atomuhren ist jedoch ihre relativ niedrige „Tickrate“ – die Strahlungsfrequenz, die den Quantenübergang bei den Messatomen hervorruft. Beim Cäsium liegt diese Frequenz im Mikrowellenbereich, dadurch passen „nur“ rund neun Milliarden Schwingungen in eine Sekunde. Das schränkt die Genauigkeit der Messungen ein. Denn wenn die Frequenz höher wäre, dann würde dies die Auflösung der Messung deutlich verbessern – die Dauer einer Sekunde ließe dann noch genauer ermitteln.

Diese Möglichkeit bieten optische Atomuhren. Sie nutzen Atome wie Strontium und Ytterbium, deren Quantensprünge auf Strahlung im optischen Bereich reagieren. Der Vorteil: Sichtbares Licht schwingt mit einer sehr viel höheren Frequenz als Mikrowellen und erlaubt damit eine noch feinere, genauere Justierung des Punktes, an dem die Atome ihren Zustand wechseln. Dafür werden die Wolken ultrakalter Atome in einem Gitter aus Laserlicht in der Schwebe gehalten. Ein weiterer Laser erzeugt dann die Strahlung, die die Atome zum Zustandswechsel bringt. Bei Strontiumatomen erfolgt dieser bei einer Frequenz von 430 Billionen Schwingungen pro Sekunde – diese Schwingungszahl gilt damit als das Maß für eine Sekunde.

Zeitmessen mit Strontium und Ytterbium

2015 erzielten Forscher um Jun Ye vom US National Institute of Standards and Technology (NIST) mit einer solchen optischen Strontium-Atomuhr einen neuen Rekord in Präzision und Genauigkeit. Ihre Atomuhr würde in 15 Milliarden Jahren nicht einmal eine Sekunde vor- oder nachgehen. Die Präzision der Strontiumuhr war zudem so hoch, dass schon wenige Sekunden der Messungen reichten, um einen genauen Wert für die Sekundendauer zu ermitteln. Bei früheren Atomuhren waren dafür Stunden oder sogar Tage nötig. Auch an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig ist heute eine Strontium-Gitteratomuhr im Einsatz.

Strontium-Atomuhr
Diese optische Strontium-Gitteratomuhr an der PTB gehört heute zu den stabilsten und präzisesten der Welt. © Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Noch einen Schritt weiter ging 2016 ein Team um Andrew Ludlow vom NIST. Sie kombinierten gleich zwei Wolken von Ytterbium-Atomen zu einer optischen Atomuhr. Der Clou daran: Weil beide Atomgruppen mit demselben Messlaser bestrahlt werden, können winzige Abweichungen im „Ticken“ dieser Uhr direkt bei der Messung erkannt und korrigiert werden. Dadurch läuft die Ytterbium-Atomuhr so gleichmäßig, dass schon eine tausendstel Sekunde Messzeit reicht, um eine verlässliche Zeitangabe zu erhalten.

„Das bedeutet, dass die Abweichungen der Tickdauer bei weniger als 1,5 Trillionstel Sekunden liegen“, sagt Ludlow. „Damit übertrifft diese Uhr die Genauigkeit unserer früheren Strontiumuhr zwar nur ein wenig, dafür erreicht sie diese Genauigkeit aber zehnmal schneller.“

Wolken aus verschränkten Atomen

Doch es geht sogar noch genauer. 2020 stellte ein Team um Edwin Pedrozo-Penafiel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Ytterbium-Atomuhr vor, die ein weiteres Hemmnis bei der atomaren Zeitmessung umgeht: Weil die Messatome den Gesetzen der Quantenphysik unterliegen, kommt es zu einer Überlagerung der Zustände und zu Quantenfluktuationen. Dies erschwert die Messung. Doch durch eine Verschränkung der Ytterbium-Atome lässt sich dieser Störeffekt verringern.

verschränkte Atome in einer Atomuhr
Durch die quantenphysikalische Verschränkung der Messatome lässt sich die Präzision von optischen Atomuhren weiter steigern. © Vuletic et al./ MIT

Dafür werden die Atome vor der eigentlichen Messung einem zusätzlichen Laserstrahl ausgesetzt, dessen Licht zwischen zwei Spiegeln hin- und hergeworfen wird. „Dieses Licht dient quasi als Kommunikationsverbindung zwischen den Atomen: Das erste Atom verändert den Lichtstrahl leicht, das wiederum modifiziert das zweite Atom und der davon ausgehende Strahl beeinflusst wiederum das dritte Atom und so weiter“, erklärt Teammitglied Chi Shu vom MIT. Über mehrere Zyklen hinweg führt dies dazu, dass die Atome miteinander verschränkt werden – sie reagieren nun gleichgeschaltet.

„Durch die Verschränkung optimierte optische Atomuhren können innerhalb einer Sekunde eine höhere Präzision erreichen als die aktuellen optischen Uhren“, erklärt Pedrozo-Penafiel. Zudem sind sie auch genauer: Eine normale Ytterbium-Atomuhr geht in knapp 14 Milliarden Jahren nur rund eine halbe Sekunde falsch. Die Ytterbium-Uhr mit verschränkten Atomen läge dagegen weniger als 100 Millisekunden daneben.

Doch wozu benötigt man überhaupt eine so genaue Zeitmessung?

Wofür man hochgenaue Zeitangaben und Taktgeber benötigt

Wozu Atomuhren?

Im Alltag reicht es uns meist schon, wenn wir die Zeit auf die Minute, höchstens die Sekunde genau kennen. Im Leistungssport kann es manchmal aber auch um Hundertstelsekunden gehen. Aber wozu braucht man Atomuhren, die die Zeit bis auf die Billiardstel Sekunde oder sogar noch genauer messen können?

GPS-Satellit
Satellitennavigation funktioniert nur mit Atomuhren. © aapsky/ iStock

Ohne Atomuhren kein GPS

Ein wichtiges Einsatzgebiet von Atomuhren sind Satellitennavigationssysteme wie das GPS, das europäische Galileo-System, das russische GLONASS oder Chinas Beidou. Diese Systeme helfen nicht nur Autos, Schiffen oder Flugzeugen, ihre Route zu finden. GPS-Messdaten sind auch im Baubereich unverzichtbar, um beispielsweise beim Tunnelbau die richtigen Höhen und Maße einzuhalten. In der Wissenschaft dienen GPS-Sensoren unter anderem dazu, Vulkane und die Verschiebung des Untergrunds in Erdbebengebieten zu überwachen.

Bei all diesen Messungen spielen Atomuhren eine entscheidende Rolle – ohne sie würde die gesamte Satellitenortung nicht funktionieren. Denn die GPS-Empfänger auf der Erdoberfläche ermitteln die Position, indem sie die Signale von mehreren GPS-Satelliten auslesen und vergleichen. Jedes dieser Signale beinhaltet einen Zeitstempel, der die Absendezeit vom Satelliten bis auf wenige Nanosekunden genau angibt. Die aktuelle Position errechnet der GPS-Empfänger dann, indem er die Laufzeit der mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde gefunkten Signale ermittelt. Weil die Positionen der Satelliten bekannt sind, verrät dies den Standort auf der Erde.

Wie genau die Satellitenortung ausfällt, hängt demnach davon ab, wie präzise die Laufzeit der GPS-Signale gemessen werden kann. Deswegen haben alle Satelliten des Navigationssystems eine eigene kleine Atomuhr an Bord – in der Regel sind dies Cäsium- oder Rubidium-Uhren. Weil Flughöhe und Flugtempo der Satelliten ihren Gang beeinflussen, werden sie regelmäßig von Bodenstationen aus mit einer Referenz-GPS-Atomzeit kalibriert. Dies sorgt dafür, dass alle GPS-Satelliten im Gleichtakt „ticken“.

Warum Rechenzentren die Atomzeit brauchen

Doch auch für unsere digitalen Technologen ist die Atomzeit unverzichtbar. Die Spanne der von ihr abhängigen Anwendungen reicht von Transaktionen im globalen Finanzsystem über Internetserver bis zu den Datenzentren der großen Streamingdienste. „Allein im Jahr 2021 wurden jeden Tag geschätzt 2,5 Exabytes an Daten erzeugt. Große Datenbanken im Exabytemaßstab führen dabei mehr als 100.000 Transaktionen pro Sekunde durch“, erklärt David Chandler von GPS World.

Nur wenn diese Transaktionen alle in der korrekten zeitlichen Abfolge ablaufen, funktionieren die digitalen Systeme – egal ob es um Updateschritte, Geldtransfers oder das Streamen eines Films geht. Und an diesem Punkt kommen erneut die Atomuhren ins Spiel. Über spezielle Internetsignale und über die Satellitensysteme erhält jedes Rechenzentrum und jeder Server regelmäßig Zeitsignale, durch die die Computeruhren bis auf Sekundenbruchteile genau synchronisiert werden können. „Diese Methode liefert die bis auf fünf Nanosekunden genau und ermöglicht so 100 Millionen zeitgetaktete Transkationen pro Sekunde“, erklärt Chandler.

Einsteins Zeitdehnung auf der Spur

Doch für einige Anwendungen in der Physik reicht selbst diese zeitliche Auflösung nicht aus – beispielsweise, wenn es darum geht, die von Einsteins Relativitätstheorie postulierte Zeitdehnung zu überprüfen. Nach dieser vergeht die für eine Uhr oder Person langsamer, wenn sie einer Beschleunigung oder der Gravitation ausgesetzt ist. Umgekehrt ticken Uhren in einem Flugzeug oder auf einem Berggipfel ein wenig schneller als eine im Tal stehende Uhr.

mobile Atomuhr
Transportable Strontium-Gitteratomuhr der PTB mit ihrem Spezialanhänger.© Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Dass die Einsteinsche Zeitdehnung existiert, haben Wissenschaftler schon in den 1970er Jahren durch Messungen in Flugzeugen und auf Satelliten nachgewiesen. Diese Messungen waren jedoch nicht genau genug, um Abweichungen vom physikalischen Standardmodell völlig auszuschließen. Erst mithilfe von optischen Atomuhren sind Physiker diesem Ziel nähergekommen.

2018 gelang es Wissenschaftlern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) erstmals, die gravitationsbedingte Zeitdifferenz zwischen einem Berggipfel und dem Tal mit einer mobilen optischen Strontium-Atomuhr zu messen. Dafür transportierten die die Atomuhr auf einem speziell isolierten Anhänger in einen französischen Alpentunnel und verglichen die Messwerte mit denen einer zweiten optischen Atomuhr im rund tausend Meter tiefer liegenden Turin. Tatsächlich zeigte sich die von Einstein vorhergesagte Verschiebung der Messfrequenz.

Zeitdilatation im Millimeter-Maßstab

Im Jahr 2022 gelang Tobias Bothwell vom US National Institute of Standards and Technology (NIST) und seinem Team ein weiterer Durchbruch: Sie haben erstmals die Zeitdehnung innerhalb einer Atomuhr und mit nur einem Millimeter Höhendifferenz gemessen. „Wir haben zum ersten Mal den von der Schwerkraft verursachten Frequenzgradient innerhalb einer Atomprobe beobachtet und die Gravitations-Rotverschiebung bis in den Submillimeterbereich hinein aufgelöst“, berichten die Forscher.

optische Atomuhr
In dieser Kammer schwebt die Atomwolke, mit der Forscher die Zeitdehnung im Millimetermaßstab gemessen haben. © Jacobson/ NIST

Möglich wurde dies durch eine optische Gitteratomuhr, in der rund 100.00 ultrakalte Strontiumatome durch ein Lasergitter zu einer Säule mit einzelnen „Scheibchen“ geformt wurden. Zusätzlich waren die Atome jeder Schicht untereinander quantenphysikalisch verschränkt. Die einzelnen Atomscheibchen wurden dann mit dem Messlaser zum Zustandswechsel gebracht. Und tatsächlich: Weil unteren Atome stärker der Erdschwerkraft ausgesetzt waren, verschob sich die für ihre Anregung nötige Laserfrequenz um 0,1 Trillionstel in den langwelligeren roten Bereich des Spektrums. Dies entspricht den Vorhersagen der Relativitätstheorie mit einer Messunsicherheit von nur 7,6 Trilliardsteln.

Allerdings ist selbst dies noch nicht genau genug, um noch grundlegender physikalische Phänomene zu erforschen: „Wenn wir beispielsweise die Gravitations-Rotverschiebung nur um das Zehnfache genauer messen könnten als in unserem Experiment, könnten wir sehen, wie die atomaren Materiewellen auf die Raumzeit-Krümmung reagieren“, erklärt Bothwells Jun Ye. Aber wie lässt sich eine weitere Steigerung der Zeitmessung erreichen?

Auf dem Weg zur Atomkernuhr

Atomkern statt Hülle

Bisher sind optische Atomuhren die genauesten Werkzeuge für unsere Zeitmessung. In ihnen geben die Quantensprünge von Elektronen in den Atomhüllen den Takt vor. Doch es ginge noch besser – mit einer Atomkern-Uhr. Denn auch die Protonen und Neutronen im Atomkern können verschiedene Energiezustände einnehmen – und diese sind robuster und „ticken“ schneller als bei gängigen Atomuhren.

Atomkern
Der Atomkern ist weniger statisch als es solche Abbildungen glauben machen. © Adisonpk/ iStock

„Quantensprünge“ auch im Atomkern

Entgegen landläufiger Vorstellung ist der Atomkern kein statisches Gebilde: Auch die Protonen und Neutronen im Atomkern bewegen sich je nach Energiegehalt in bestimmten Orbitalen umeinander. Ähnlich wie bei den Elektronen der Atomhülle lassen sich auch diese Kernbausteine durch Energiezufuhr auf andere Bahnen anheben. Der Atomkern wechselt dadurch in den angeregten Zustand. Dies beeinflusst das Verhalten der Atome und könnte daher ebenfalls als Taktgeber gemessen werden – theoretisch.

Der große Vorteil einer solchen Atomkern-Uhr: Die Zustandswechsel der Kernbausteine sind weniger anfällig für Störeinflüsse wie beispielsweise elektromagnetische Strahlung. Denn der Atomkern ist besser gegen solche Störeffekt abgeschirmt. Um einen „Quantensprung“ des Atomkerns auszulösen, benötigt man zudem millionenfach mehr Energie als bei Elektronensprüngen in der Atomhülle.

Bei den meisten Kernen lässt sich dies nur durch energiereiche, kurzwellige Röntgenstrahlung erreichen – die eine weit höhere zeitliche Auflösung ermöglicht als die Mikrowellen oder das Laserlicht elektronenbasierter Atomuhren. Atomkernuhren könnten daher die Dauer einer Sekunde bis auf die Zeptosekunde genau anzeigen – den Billionsten Teil einer Milliardstel Sekunde. In einer Zeptosekunde schafft es Licht nicht einmal, ein Prozent eines mittleren Atoms zu durchqueren. Das Problem jedoch: Die nötigen starken Röntgenblitze können gängige Messlaser nicht erzeugen.

Thorium-229
Das Isotop Thorium-229 könnte sich als Zeitmesser in einer Atomkernuhr eignen. Es hat 90 Protonen und 139 Neutronen im Atomkern. © SM358/ gemeinfrei

Der Kandidat Thorium-229

Wissenschaftler suchen daher nach Atomkernen, die weniger hochenergetische und besser messbare Zustandswechsel aufweisen. Beim radioaktiven Isotop Thorium-229 wurden sie vor einigen Jahren fündig: „Knapp über dem Grundzustand – dem Zustand mit der kleinstmöglichen Energie – gibt es erstaunlicherweise einen weiteren Kernzustand, den wir Isomer nennen“, erklärt Thorsten Schumm von der TU Wien. Dieses Isomer liegt nur rund 8,3 Elektronenvolt über dem Grundzustand und wäre daher mit Messlasern erzeugbar.

Doch um das Thorium-Isotop zur Zeitmessung einzusetzen, muss man das Energieniveau seines Isomers genau kennen. 2019 gelang es dem Team um Schumm sowie einem weiteren Physikerteam in Japan, diesen Wert erstmals einzugrenzen. Demnach wird der Übergang zwischen Grundzustand und Isomer durch UV-Strahlung von 149,7 Nanometer Wellenlänge ausgelöst. „Das ist ein extrem wichtiger Schritt für uns: Wir wissen nicht nur, dass es den angeregten Zustand knapp über dem Grundzustand tatsächlich gibt, wir kennen nun auch seine Energie recht genau“, sagt Schumm.

Wie misst man den nuklearen Zustandswechsel?

Für eine Kernuhr ist jedoch noch ein weiterer Faktor wichtig: Man muss den Zustandswechsel des Atomkerns kontrolliert und möglichst präzise messen können. Doch woher weiß man, wann der Atomkern vom Grundzustand zum Isomer und wieder zurück wechselt? Im Idealfall zeigt sich dies daran, dass der angeregte Kern einen Teil seiner Energie auf die Hülle überträgt. Diese gibt dann bei ihre Zustandswechsel je nach Größe des Quantensprungs ein Elektron oder ein Photon ab – und das lässt sich ähnlich wie bei Atomuhren messen.

Beim Thorium-229 setzt jedoch nur ein kleiner Teil der nuklearen Zustandswechsel ein Photon frei. 2023 gelang es Physikern um Sandro Kraemer von der Ludwig-Maximilians-Universität München aber, diese Photonenfreisetzung gezielt zu fördern und zu messen. Dafür betteten sie die Thorium-Kern in Fluorid-Kristalle ein, die die sonst dominanten, schwer messbaren Kern-Quantensprünge unterdrückten. Dadurch konnten die Physiker erstmals den Zustandswechsel beim Thorium-229-Kern anhand der UV-Spektroskopie beobachten.

Bis zu einer funktionierenden Thorium-Kernuhr sind aber noch einige Schritte nötig. So müssen auch die Messlaser für eine solche Atomkernuhr erst noch entwickelt werden. „Sie werden als Treiber für den periodischen Zustandsübergang gebraucht – erst sie bringen eine solche Uhr zum Ticken“, erklärt Piet Van Duppen von der Universität Leuven. Außerdem ist Thorium-229 radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von nur rund 16 Minuten. Deshalb müssen diese Atomkerne ständig neu aus anderen Isotopen erzeugt werden – ein hoher Aufwand.

Scandium-45
Das Isotop Scandium-45 könnte ebenfalls die Basis für eine Atomkernuhr bilden. © European XFEL/ Helmholtz-Institut Jena, Tobias Wüstefeld, Ralf Röhlsberger

Oder doch lieber Scandium-45?

Unter anderem deshalb erforschen Physiker auch andere Elemente als Kernruhr-Kandidaten – einer davon ist das Seltenerdmetall-Isotop Scandium-45. „Das wissenschaftliche Potenzial der Scandium-Resonanz wurde bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt“, sagt Yuri Shvyd’ko vom Argonne National Laboratory in den USA. Denn dieses Isotop ist nicht radioaktiv und relativ reichlich verfügbar. Der Zustandswechsel des Scandium-Kerns erfolgt zudem in einem sehr schmalen Energiebereich. Die Linienbreite der Anregungsfrequenz liegt bei nur 1,4 Billiardstel Elektronenvolt.

Dadurch könnte man mit Scandium-45 eine Atomuhr konstruieren, die in 300 Milliarden Jahren maximal eine Sekunde vor oder nachgehen würde. Der Haken jedoch: Um den Quantensprung im Scandium-Kern auszulösen, benötigt man intensive und gleichzeitig sehr fein einstellbare Röntgenstrahlung. Denn der Übergang erfolgt bei einer Energie von 12,38 Kiloelektronenvolt. Realisiert werden könnte eine solche Scandium-Atomkernuhr daher nur durch Kombination leistungsstärker Röntgenlaser mit Frequenzkämmen.

Erste Prototypen schon in wenigen Jahren

Trotz dieser noch zu bewältigenden Hürden sind Physiker zuversichtlich, dass es schon in wenigen Jahren erste Atomkernuhren geben wird. „Vielleicht schaffen wir es noch bis 2030, rechtzeitig zur Neudefinition der Zeit“, hoffen Kraemer und sein Team. Denn dann soll die SI-Einheit für die Zeit neu definiert werden. Statt angeregter Cäsiumatome der gängigen Atomuhren könnten dann optische Atomuhren oder vielleicht sogar Atomkernuhren als physikalische Grundlage dienen.

Wie aus Atomuhrdaten die koordinierte Weltzeit wird

Wie kommt die Zeit zu uns?

Maßgeblich für Zeitangaben weltweit ist die koordinierte Weltzeit (UTC). Sie bildet die Basis für die Zeitzonen und alle international koordinierten Technologien und Aktivitäten. Grundlage dafür sind die Messwerte von mehr als 600 weltweit verteilten und miteinander vernetzten Atomuhren. Auch unser Funkwecker, unser Handy oder das Internet beruhen auf ihrer Messung der Atomsekunde.

ATomuhren der PTB
Zwei Cäsium-Atomuhren (CS) und zwei Cäsium-Fontänenuhren (CSF) bilden das Herz der deutschen „Zeitzentrale“ an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). © PTB

Mit Feinarbeit zur internationalen Atomzeit

Doch damit aus den Messwerten der hunderten Atomuhren und gut einem Dutzend „primären“ Taktgeber-Atomuhren weltweit eine Weltzeit wird, ist einiges an Feinarbeit nötig. Denn das „Ticken“ jeder Atomuhr wird nicht nur von Störeffekten innerhalb der Uhren beeinflusst – auch die Schwerkraft und die Erddrehung spielen eine wichtige Rolle. Die dadurch entstehenden Kräfte wirken auf die Atome der Uhren und die Frequenzen der Messstrahlung. Je nach Standort liefern daher die verschiedenen Atomuhren leicht abweichende Messwerte.

Um diese Werte zu synchronisieren und daraus eine einheitliche Zeitangabe zu ermitteln, muss daher für jede Atomuhr ermittelt werden, wie stark das Erdschwerefeld an ihrem Standort ist. Ist dieses über Satellitenmessungen erhobene Gravitationspotenzial bekannt, können die Metrologen entsprechende Korrekturfaktoren einrechnen. Zusätzlich werden die Zeitmessungen verschiedener nationaler Messlabore über einen satellitengestützten Vergleich kalibriert. Auch innerhalb der Messlabore arbeiten meist mehrere Atomuhren parallel, um winzige Schwankungen durch Störeffekte auszugleichen.

Von der Atomzeit zur koordinierten Weltzeit

Durch Mittelung aller synchronisierten Atomuhren-Messwerte entsteht am Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) in Paris die internationale Atomzeit (Temps Atomique International, TAI). Sie gibt das Ticken für die koordinierte Weltzeit (UTC) vor – also das Tempo, mit dem die Sekunden verstreichen. Dadurch ticken Atomzeit und Weltzeit im Gleichtakt. Die konkrete Angabe darüber, welche Sekunde gerade läuft, hängt jedoch nicht allein von Atomuhren ab. Stattdessen ist die koordinierte Weltzeit zusätzlich an der Erdrotation orientiert.

Diese hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten insgesamt verlangsamt. Damit die internationale Richtzeit dadurch nicht immer weiter von der Tageslänge und planetaren 24-Stundentag abweicht, wurden immer wieder Schaltsekunden eingefügt. Dadurch stimmten Atomzeit und Weltzeit zuletzt am 1. Januar 1958 überein. Inzwischen hinkt die koordinierte Weltzeit bei den absoluten Zeitangaben aber um 37 Sekunden hinter der internationalen Atomzeit hinterher.

Zeitsignal
Die Reichweite des deutschen Zeitsignal-Senders DCF77 liegt bei rund 2.000 Kilometern. © Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Die deutsche „Zeitzentrale“ liegt in Braunschweig

Doch wie kommt die Weltzeit zu uns? Bei uns in Deutschland ist dafür die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig verantwortlich. Sie bildet die „Zeitzentrale“ für unser Land und ist gleichzeitig einer der Knotenpunkte im globalen Atomuhren-Messnetz. Im Keller der PTB sind dafür vier Atomuhren im Einsatz – zwei Cäsiumatomuhren und zwei Cäsium-Fontänenuhren. Dort stehen auch die Zeitserver, die mithilfe des „Network Time Protocol“ (NTP) der Zeitsynchronisation von Rechnern, mobilen Geräten oder Netzwerkkomponenten dienen.

Die PTB liefert auch das offizielle, per Funk übertragene Zeitsignal, das beispielsweise die Uhren der Bahn, die Radio- und Fernsehsender oder die Telekommunikation in Deutschland nutzen. Auch Tarifschaltuhren bei Energieversorgungsunternehmen und Uhren in Ampelanlagen werden von diesem DCF77 genannten Zeitsignal gesteuert. Dieses wird von einer Sendeanlage in der Nähe von Frankfurt am Main über die Langwelle auf 77,5 Kilohertz gesendet.

Den nötigen Takt für das Funk-Zeitsignal erzeugen drei weitere Atomuhren, die mit den Hauptuhren in Braunschweig synchronisiert sind. „Gegenüber Zeitübertragungsverfahren mit Satelliten haben Langwellensignale einen entscheidenden Vorteil: Sie dringen in Gebäude ein und ihr Empfang wird durch Hindernisse wie Bäume oder Hochhausbebauung nicht nennenswert beeinträchtigt“, erklärt die PTB. Zudem ist das Zeitsignal auch ohne größere Antennenschüssel empfangbar – beispielsweise von batteriebetriebenen Funkuhren.

Zwar sind die per GPS-Satelliten versendeten Zeitsignale noch präziser, sie sind aber vor allem in Innenräumen oft schwer empfangbar. „Die Zeitübertragung über Satelliten und auf Langwelle werden sich daher nicht ersetzen, sondern gegenseitig ergänzen“, so die Physikalisch-Technische Bundesanstalt.