Innovativer Zwischenspeicher für Sonnen- und Windstrom

Unterwasser-Batterie im Tagebausee

Meer-Ei
Diese Hohlkugel ist ein Unterwasser-Pumpspeicher. © Fraunhofer IEE

Strom aus Sonne und Wind fließt unregelmäßig, deshalb werden Speicher für diese erneuerbaren Energien gebraucht. Eine mögliche Lösung dafür haben zwei deutsche Physiker entwickelt: Pumpspeicher für den Unterwassereinsatz. Sie könnten im Meer oder in ehemaligen Braunkohlentagebauen zum Einsatz kommen.

Anregung für die neuartigen Unterwasser-„Akkus“ sind klassische Pumpspeicher-Kraftwerke beispielsweise an Stauseen. Aber das „Meer-Ei“ von Horst Schmidt-Böcking und Gerhard Luther arbeitet unter Wasser – als kugelförmige Anlagen am Grund von Seen. Nach einem erfolgreichen ersten Testeinsatz im Bodensee planen die Physiker nun Unterwasserspeicher im Hambacher Loch – in der riesigen Grube, die nach dem Braunkohletagebau übrigbleibt.

Warum die Energiewende Kurzzeitspeicher braucht

Wohin mit dem überschüssigen Strom?

Ohne Kurzzeitspeicher für erneuerbare Energien kann die Energiewende nicht funktionieren. Davon ist der Physiker Horst Schmidt-Böcking überzeugt. Seine Idee, für Ökostrom Unterwasser-Pumpspeicherkraftwerke zu bauen, möchte er im Braunkohletagebau Hambacher Loch realisieren.

Sonnen- und Windenergie
Strom aus Sonne und Wind hilft dem Klimaschutz, fließt aber unregelmäßig. © hunagyifei/ iStock.com

Unstete Ressource

Horst Schmidt-Böcking deutet auf eine Grafik, die zeigt, wie viele Stromspitzen aus der Solar- und Windenergie wir nicht nutzen können: „Im Jahr 2018 mussten wir in Deutschland 50 Milliarden Kilowattstunden überschüssigen Ökostrom kostenlos an das Ausland abgegeben oder wegwerfen und außerdem noch Windräder abschalten“, bedauert er. Das ist weit mehr Energie, als die Kraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier in einem Jahr produzieren, nämlich 31 Milliarden Kilowattstunden (kWh).

Diese nicht genutzte Energie fehlt wiederum an den Tagen, die windstill oder bewölkt sind. Das macht den Strom teuer und erhöht den CO2-Ausstoß. Der pensionierte Physikprofessor schätzt, dass wir für Kurzzeitspeicher zehnmal so viel Speicherkapazität für erneuerbare Energien benötigen, wie aktuell in Deutschland durch Wasserpumpspeicherwerke vorhanden ist.

Zwischenspeicher gesucht

„Ein Lichtblick für die Speicherung sind die riesigen Fortschritte bei den Lithium-Ionen-Batterien, die in letzter Zeit gemacht wurden“, erklärt er. Allerdings sei unter anderem durch die verwendeten Chemikalien die Batterieherstellung nicht umweltfreundlich. Zusätzlich ist die Lebensdauer auf etwa 3.000 Ladezyklen begrenzt. „Kurz- und mittelfristig wird man mit solchen Batterien nicht den Bedarf an Kurzzeitspeichern decken können“, schätzt Schmidt-Böcking.

Bereits seit 2009 denkt der Frankfurter Atomphysiker mit seinem pensionierten Kollegen Gerhard Luther von der Universität Saarbrücken über eine umweltfreundliche Alternative zur Batterie nach. Dabei orientierten sie sich am Prinzip des Pumpspeicherkraftwerks. Herkömmlicherweise staut man dafür einen See oder einen Fluss und verbindet ihn mit einem tiefer oder höher liegenden Reservoir. Um Strom zu erzeugen, lässt man das Wasser aus dem oberen Reservoir über ein Gefälle Turbinen antreiben. Umgekehrt kann man überschüssige Energie speichern, indem man das Wasser gegen die Schwerkraft wieder nach oben pumpt.

Edertalsperre
Klassische Pumpspeicherkraftwerke benötigen für ihre Becken viel Platz, hier die Oberbecken des Kraftwerks Edertalsperre. © Wolkenkratzer/ CC-by-sa 4.0

Zu wenig Platz für gängige Pumpspeicher

Leider sind die geografischen Bedingungen für diese Art von Pumpspeicherkraftwerken in Deutschland nicht günstig. Das zuletzt realisierte Goldisthal-Kraftwerk in Thüringen wurde von Umweltschützern wegen der starken Eingriffe in die Landschaft und Ökosysteme heftig kritisiert und zeitweise durch eine Klage des BUND Thüringen gestoppt. Für den Stausee musste die Kuppe des Großen Farmdenkopfs abgetragen werden.

Das 2003 in Betrieb genommene Kraftwerk ist mit seiner Speicherkapazität von 8,5 Gigawattstunden eines der größten in Europa. Das ist rund ein Drittel weniger, als die Stadt Frankfurt pro Tag an Strom verbraucht. Entsprechend beträgt der geschätzte Kurzzeitspeicherbedarf mit 400 Gigawattstunden ein Vielfaches.

Weitere Pumpspeicherkraftwerke müssten gebaut werden. Aber das ist unrealistisch, wie das zuletzt in Atdorf im Schwarzwald geplante Projekt gezeigt hat. Der Energieversorger gab das Projekt 2017 endgültig auf, weil die gesetzlich geforderten Überprüfungen der ökologischen Kartierungen und des Flächenausgleichskonzepts zu zeit- und kostenintensiv erschienen.

Wie der Unterwasser-Speicher funktioniert

Das Meer-Ei im Bodensee

Klar scheint: Die Energiewende braucht Zwischenspeicher und Pumpspeicher wären eine prinzipiell geeignete Lösung – wenn es in Deutschland kein Platzproblem gäbe. Die Physiker Schmidt-Böcking und Luther überlegten deshalb, unterirdische Pumpspeicherkraftwerke anzulegen. Im Ruhrgebiet läuft bereits eine Machbarkeitsstudie zu einem solchen Pumpspeicher in einer ehemaligen Zeche – mit durchaus vielversprechenden Ergebnissen.

Unterwasser-Pumpspeicher
Mit dem überschüssigen Strom wird Wasser aus der Hohlkugel gepumpt. Wird Strom gebraucht, lässt man Wasser einströmen und treibt damit Turbinen an. © Fraunhofer IEE

Auf ähnliche Weise wollten Physiker Schmidt-Böcking und Luther in ihrer ersten Idee leere Salzkavernen mit einem oberirdischen Reservoir verbinden. Aber das Anlegen eines großen Sees an der Oberfläche wäre mit Eingriffen in die Landschaft verbunden gewesen.

Eine versenkte Hohlkugel als Speicher

Schließlich hatten sie die Idee, einen Hohlraum – im einfachsten Fall eine Kugel – auf den Grund eines Sees zu versenken. An der tiefsten Stelle der Kugel sollte eine Turbine Strom erzeugen, wenn Wasser in die Kugel einströmt. Je tiefer die Kugel im See liegt, desto stärker ist der Druck auf die Turbinen. Um Energie zu speichern, pumpt man das Wasser gegen den Druck der Wassersäule wieder heraus.

Diese Idee ließen sich die beiden Physiker 2011 patentieren. Kurz nachdem im selben Jahr die Frankfurter Allgemeine Zeitung darüber berichtet hatte, erinnert sich Schmidt-Böcking, erkannte die Firma Hochtief das Potenzial dieser Idee für die Energiespeicherung. Sie gewann das Fraunhofer Institut für Windenergie und Windsystemtechnik (IWES) in Kassel für ein gemeinsames Forschungsprojekt. Dank der Förderung durch das Bundeswirtschaftsministerium konnte eine Betonkugel von drei Metern Durchmesser mit einer eingebauten Turbine fertiggestellt werden.

Meer-Ei
Letzte Vorbereitungen am „Meer-Ei“ vor seiner Versenkung im Bodensee. © Fraunhofer IEE

Erster Testlauf im Bodensee

Das „Meer-Ei“ wurde im November 2016 in den Bodensee auf 100 Meter Tiefe abgesenkt. Die Ergebnisse des Stensea-Projekts (Storage of Energy in Sea) entsprachen ganz den Erwartungen. Der zum Leerpumpen der Kugel aufgewendete Strom ließ sich zu 90 Prozent wiedergewinnen. Das ist deutlich besser als bei der ebenfalls in Entwicklung befindlichen „Power-to-Gas„-Technik.

Dabei nutzt man überschüssigen Strom, um Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen (Elektrolyse). Der Wasserstoff kann anschließend noch in Methan umgewandelt werden, das als Erdgas direkt ins Netz eingespeist oder in Erdkavernen gespeichert werden soll. Bei diesem Verfahren gehen allerdings 70 Prozent der eingesetzten Energie in Form von Wärme verloren.

2017 wurde das Stensea-Projekt mit dem „German Renewables Award“ ausgezeichnet, der jährlich vom Cluster Erneuerbare Energien Hamburg vergeben wird.

Ein Pumpspeicher im ehemaligen Braunkohletagebau

Wasserbatterie im Hambacher Loch

Nach der gelungenen Machbarkeitsstudie im Bodensee haben Schmidt-Böcking und Luther ihre Idee im größeren Maßstab weiterentwickelt: „Wir schlagen eine riesige Wasserbatterie im bisherigen Braunkohletagebau Hambacher Loch vor“, erklärt der Physiker. Wenn dort 2038 keine Braunkohle mehr gefördert wird, gibt es Pläne, das Areal zu fluten.

Braunkohletagebau Hambach
Noch arbeiten die Bagger im Braunkohletagebau Hambach. © Jan Anskeit (anskeit.com)/ CC-by-sa 4.0

Zurzeit wird der Grundwasserspiegel allerdings so stark gesenkt, dass die Trockenheit der oberen Bodenschichten sich bis ins 100 Kilometer entfernte Luxemburg bemerkbar macht. Große Mengen Grundwasser werden dafür in die nahe liegende Erft abgepumpt. Das ist ökologisch nicht ideal, da die chemische Zusammensetzung des Wassers anders ist als im Fluss.

Seenlandschaft mit Pumpspeicher

Wenn das Hambacher Loch nach Ende des Braunkohleabbaus geflutet wird, könnte in Nordrhein-Westfalen Deutschlands zweitgrößte Seenlandschaft nach dem Bodensee entstehen. Das würde nicht nur den Freizeitwert des ehemaligen rheinischen Reviers erhöhen. „Man könnte an der tiefsten Stelle der Grube auch ein Pumpspeicherkraftwerk errichten, das mehr elektrischen Strom speichert, als die Braunkohlekraftwerke dort bisher produzieren“, sagt Schmidt-Böcking. Das hat er Anfang des Jahres auch bei der Tagung des Handelsblattes in Berlin vorgerechnet, bei der es um die technische Realisierung der Energiewende ging.

In der Sohle des durchschnittlich rund 450 Meter tiefen Lochs könnte man aus Beton auf einer Fläche von vier Quadratkilometern einen etwa 100 Meter hohen Hohlraum errichten. Damit dieser stabil und preiswert ist, würde der Innenraum in viele Segmente unterteilt. Diese hätten ein weitaus größeres Volumen als das „Meer-Ei“ und könnten mit handelsüblichen Turbinen ausgerüstet werden.

Genug Kapazität für den gesamten Kurzzeitspeicherbedarf Deutschlands

Ein solches unsichtbares Unterwasser-Pumpspeicherkraftwerk könnte in einem Zyklus mehr als 300 Gigawattstunden speichern. Zum Vergleich: Das ist mehr als sieben Mal so viel, wie alle vorhandenen Wasserpumpspeicherwerke in Deutschland zusammen speichern können. Bei 100 Füllzyklen pro Jahr würde die Anlage etwa 30 Terawattstunden speichern, das entspricht 30 Milliarden Kilowattstunden und damit der gesamten Energiemenge, die zurzeit im Rheinischen Braunkohlerevier erzeugt wird.

Meer-Ei-Konzept
Anders als bei dem hier gezeigten Konzept für einen Meeres-Pumpspeicher sollen im Hambacher Loch statt der Kugeln Betonkavernen als Speicher dienen. © Fraunhofer IEE/ E. Gostrer

Denkt man in noch größeren Dimensionen und verdoppelt die Höhe des Hohlraums auf 200 Meter, erhöht sich die Speicherkapazität der „Wasserbatterie“ auf rund 400 Gigawattstunden. Bei 200 Zyklen pro Jahr könnte sie Deutschlands gesamten Kurzzeitspeicherbedarf für erneuerbare Energien decken.

CO2-Einsparungen inklusive

Das hätte auch positive Auswirkungen auf die Klimabilanz: Würde die gesamte überschüssige Wind- und Solarenergie Deutschlands im Hambacher Pumpwasserkraftwerk gespeichert, ließe sich der Kohlendioxid-Ausstoß um mehr als 30 bis 50 Millionen Tonnen reduzieren. Das entspricht etwa fünf Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland.

Davon müsste man allerdings den CO2-Abdruck der Betonkonstruktion abziehen. „Man könnte außerdem Beton einsparen, wenn man den Hohlraum gegen den Auftrieb mit Abraum beschwert, der ohnehin bei den Erdarbeiten anfällt“, meint Schmidt-Böcking. Er schätzt, dass die Kohlendioxid-Bilanz dann nach etwa zwei Jahren ausgeglichen wäre.

Rückenwind durch die Energiewende im Rheinischen Revier

Wie geht es weiter?

Der Physiker Horst Schmidt-Böcking hat für die Realisierung des Projekts bereits das Gespräch mit Politikern gesucht. Der Zeitpunkt ist günstig, denn für den Strukturwandel des Rheinischen Reviers nach dem Ausstieg aus der Braunkohle sollen bis 2038 insgesamt 14,8 Milliarden Euro fließen. Mit Unterstützung des Landes hat die Region bereits 100 Projekte ausgewählt, mit denen sie zum Vorreiter der Energiewende werden möchte.

Grundwasserpumpe
Noch halten Grundwasserpumpen wie diese den Tagebau trocken. Doch nach Abbauende wird die Senke vollaufen. © Hanno Böck (https://hboeck.de/), CC0

Stadt Kerpen will schon mitmachen

Im Frühjahr 2020 hat die Stadt Kerpen, in deren Zuständigkeit der angrenzende Tagebau Hambach fällt, mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft einen Förderantrag zur „Speicher Stadt Kerpen“ beim Land Nordrhein-Westfalen eingereicht. Unter den 83 Zukunftsprojekten ist auch eine „Energie-Arena“ aus Windkrafträdern und Photovoltaik-Anlagen am Hambacher Loch vorgesehen. Es würde sich anbieten, diese mit einer Wasserbatterie zu verbinden.

Schmidt-Böcking hat den technischen Beigeordneten der Stadt Kerpen von der Idee begeistern können. Der Physiker schlägt vor, mit dem Aufbau erster Segmente des Pumpwasserkraftwerks parallel zum auslaufenden Braunkohleabbau zu beginnen. So könnte es einen kontinuierlichen
Übergang von fossiler zu erneuerbarer Energie geben. Zusätzlich blieben viele vorhandene Arbeitsplätze erhalten, denn Erdbauarbeiten wären weiterhin notwendig.

Im seichten Bereich des Hambacher Loches könnte zunächst ein kleiner Hilfs-See angelegt werden, der über ein Rohrsystem mit den ersten Hohlkörpersegmenten verbunden ist. Wenn 2038 der Braunkohleabbau beendet ist und alle Hohlkörpersegmente fertiggestellt sind, würden die Rohrverbindungen zum Hilfs-See entfernt und das gesamte Hambacher Loch geflutet. Dieser Vorschlag ist in den Ende 2019 erschienenen „Endbericht zur energetischen Nachnutzung von Tagebaurestlöchern in Nordrhein-Westfalen“ eingegangen, der im Auftrag des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums entstanden ist.

Ein See mit Gezeiten

Für die Nutzung der Seenlandschaft als Naherholungsgebiet wäre noch zu bedenken, dass es am See Gezeiten geben wird. Dabei hängt der Tidenhub vom Volumen der Wasserbatterie ab. „Will man den Tidenhub auf maximal ein Meter begrenzen, dann wäre die maximale Speicherkapazität auf 40 Gigawattstunden pro Zyklus begrenzt“, rechnet Schmidt-Böcking vor. Will man dagegen die „große Lösung“ mit einer Speicherkapazität von 250 Gigawattstunden realisieren, würde der Tidenhub etwa sieben Meter betragen.

Tagebausee
Durch das Pumpen des Speicherkraftwerks würde der Wasserspiegel im Tagebausee stark schwanken. Eine ringförmige Absperrung soll diese „Gezeiten“ vom Ufer fernhalten. © Forschung Frankfurt

Da der später geflutete See eine Wasserfläche von etwa 42 Quadratkilometern haben wird, schlägt Schmidt-Böcking vor, die Uferzone durch einen ringförmigen Damm abzuteilen, in dem die Ebbe-Flut-Bewegung auf weniger als ein Meter begrenzt ist. Das stabilisiert die Lebensbedingungen für die Tier- und Pflanzenwelt.

Inzwischen haben Schmidt-Böcking und Luther mit dem Ingenieurbüro schlaich bergermann und partner Kontakt aufgenommen. Das Stuttgarter Unternehmen hat sich auf die Planung und Konstruktion visionärer Anlagen im Bereich regenerativer Energie spezialisiert. Es soll die Machbarkeit analysieren und belastbare Kalkulationen anstellen, die als Basis für politische Entscheidungen dienen können.

Die beiden Physiker hoffen, dass die Politik dann den nötigen Pioniergeist beweisen wird. Denn auch darauf wird es ankommen, wenn die Energiewende gelingen soll. „Ich bin jetzt 81“, sagt Schmidt-Böcking, „und ich würde das gern noch erleben.“