Anzeige
Archäologie

Verkohlte biblische Schriftrolle entziffert

Hightech-Verfahren enthüllt gut 1.500 Jahre alten Text aus dem 3. Buch Mose

Die Schriftrolle aus der Synagoge von En Gedi: nur noch ein verkohltes Artefakt. Ein Entrollen ist hier unmöglich. © Shay Halevi

Virtuell entrollt: Forscher haben den biblischen Text einer gut 1.500 Jahre alten Schriftrolle entziffert – ohne sie zu öffnen. CT-Scans und eine Spezial-Software enthüllten, dass das stark verkohlte Pergament einen hebräischen Bibeltest aus dem 3. Buch Mose enthält. Damit ist die Schriftrolle aus dem israelischen En Gedi das älteste biblische Dokument nach den berühmten Rollen vom Toten Meer, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.

1970 machten Archäologen in den Ruinen einer Synagoge im israelischen En Gedi einen spannenden Fund: Im Schrein des um 600 nach Christus niedergebrannten Gotteshauses entdeckten sie mehrere alte Schriftrollen aus Pergament. Durch das Feuer waren diese jedoch stark verkohlt und zerdrückt – sie zu entziffern war unmöglich. Schon bei Berührung drohten die gut 1500 Jahre alten Relikte zu zerfallen.

Seither jedoch haben Forscher Scanmethoden und Computerprogramme entwickelt, die solche Schriftrollen virtuell entrollen und entziffern können. Erst Anfang 2015 gelang es mit einer solchen Methode, einen verbrannten Papyrus aus dem antiken Herculaneum wieder lesbar zu machen.

Schriftrolle „virtuell entrollt“

Bereits im letzten Jahr haben William Brent Seales von der University of Kentucky in Lexington und seine Kollegen begonnen, eine der Schriftrollen aus En Gedi einem solchen Scanverfahren zu unterziehen. Wie eine Radiokarbondatierung enthüllte, stammt diese aus dem 3. Jahrhundert nach Christus – sie liegt damit zeitlich kurz nach den Schriftrollen vom Toten Meer und einige Jahrhunderte vor Bibelfragmenten aus Kairo.

„Unser Ansatz entschlüsselt die En Gedi Schriftrolle und erlaubt zum ersten Mal eine visuelle Erkundung ihrer inneren Schichten – und die Entzifferung ihres Textes“, so Seales. Im ersten Schritt wurde die verkohlte Schriftrolle vorsichtig mittels Micro-Computertomografie (CT) durchleuchtet. Dieser Scan bildet die dreidimensionale Struktur der Rolle ab und ist gleichzeitig hochauflösend genug, um selbst die höhere Dichte der Tinte in beschriebenen Passagen aufzuzeichnen.

Anzeige
Entscheidend für alles weitere ist die korrekte Identifizierung der einzelnen Schichten © Seth Parker/ University of Kentucky

Analyse in mehreren Schritten

„Die Scandaten bilden die Basis für alle weiteren Schritte – die echte Schriftrolle kann sicher wieder in ihrem Archiv verstaut werden“, erklären die Forscher. Die Rohdaten der Scans wurden nun von einer eigens dafür entwickelten Spezial-Software analysiert. Als erstes versucht diese, die einzelnen Schichten des Pergaments zu identifizieren. „Das ist enorm schwierig, weil die En Gedi-Rolle stark verformt und zerdrückt ist“, so Seales und seine Kollegen.

Sind die Schichten der Schriftrolle einmal identifiziert und als 3D-Textur rekonstruiert, folgt der nächste Schritt: die Fahndung nach dem darauf geschriebenen Text. Dafür nutzt das Programm aus, dass die meisten alten Tinten Metallpartikel enthalten, die ihnen im Röntgenlicht eine höhere Dichte verleihen als das unbeschriebene Pergament. Dies verursacht im CT-Bild subtile Helligkeitsunterschiede, die die Software gezielt verstärkt.

Text stammt aus dem 3. Buch Mose

Damit der Text nun lesbar wird, „entrollt“ das Programm nun die Schriftrolle und fügt ihre geschriebenen Innenseiten virtuell zu einem flachen Pergament zusammen. Bereits im letzten Jahr war es Seales und seinen Kollegen auf diese Weise gelungen, den Text auf einer der inneren Schichten der En Gedi-Rolle zu entziffern. Inzwischen jedoch haben sie alle fünf Schichten aus gut hundert virtuellen Fragmenten zusammengefügt und lesbar gemacht.

Auf dem verkohlten Pergament sichtbar gemachte Schriftzeichen. Der Test stammt aus dem 3. Buch Mose. © Seth Parker/ University of Kentucky

Die Entzifferung erster Textteile bestätigt: Auf dieser Schriftrolle ist ein Teil des 3. Buchs Mose niederschrieben – einem der Texte, mit denen das Alte Testament der Bibel beginnt. „Damit ist dies die älteste Kopie eines Bibeltextes aus den fünf Büchern Mose, die je in einer Synagoge gefunden wurde“, konstatieren die Forscher. Nur die Schriftrollen vom Toten Meer sind noch 100 bis 400 Jahre älter.

Biblische Lücke geschlossen

„Die En Gedi Schriftrolle liefert uns damit eine wichtige Ergänzung zu den Schriftrollen vom Toten Meer“, so Seales und seine Kollegen. Denn sie schließe eine fast 800 Jahre lange „Lücke des Schweigens“ zwischen diesen ältesten Zeugnissen biblischer Texte und den nächstjüngeren, die aus der Zeit um 900 nach Christus stammenden Textfragmenten aus Kairo.

Bisher haben die Wissenschaftler schon festgestellt, dass die hebräischen Schriftzeichen denen auf den Schriftrollen vom Toten Meer sehr ähnlich sind. Inhaltlich entspricht der Text – ein Teil einer Opfervorschrift – ziemlich genau dem der bereits bekannten hebräischen Bibel, wie die Forscher berichten. Weitere Analysen des Textes auf der En Gedi-Rolle werden nun folgen.

Wie die Forscher betonen, eröffnet ihr Verfahren nun die Chance, auch weitere verbrannte oder anderweitig stark beschädigte Schriftrollen und Manuskripte zu entziffern. „Wir können damit Texte wiederentdecken, die bisher in diesem beschädigten Material begraben waren“, so Seales und seine Kollegen. (Science Advances, 2016; doi: 10.1126/sciadv.1601247)

(AAAS, 22.09.2016 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

NAchglühen von GRB 221009A

Rekord-Ausbruch überrascht Astronomen

Neue fossile Riesenschlange entdeckt

Warum Chinas Großstädte absinken

Landschaft unter dem Thwaites-Gletscher kartiert

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Archäologie im Mittelmeer - Auf der Suche nach versunkenen Schiffswracks und vergessenen Häfen Von Michaela Reinfeld

Tod im Neandertal. Akte Ötzi. Tatort Troja - Die ungelösten Fälle der Archäologie von Dirk Husemann

Archäologie erleben - 50 Ausflüge in die Vergangenheit von André Wais, Karoline Müller und Tina Steinhilber

Die siebzig großen Erfindungen des Altertums - von Brian Fagan und Walter Spiegl

Top-Clicks der Woche