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Neurobiologie

Genvariante macht einige Menschen sensibler für den Placebo-Effekt

Forscher finden einen genetischen Marker für die individuelle Reaktion auf Scheinbehandlungen

Eine Genvariante macht einige Menschen für den Placebo-Effekt empfänglicher als andere. Sie sorgt dafür, dass auch eine Scheinbehandlung bereits ausreichen kann, um körperliche Beschwerden spürbar zu lindern. Darauf deutet eine Studie US-amerikanischer Forscher hin. Sie hatten das Erbgut von Patienten mit Reizdarm-Syndrom untersucht, die ohne es zu wissen nur eine Schein-Akupunktur bekamen. Studienteilnehmer mit einer bestimmten Variante des sogenannten COMT-Gens hätten sechs Mal besser auf die Placebo-Behandlung angesprochen als diejenigen, die an dieser Stelle eine andere DNA-Sequenz trugen, berichten die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“. Zum ersten Mal habe man damit genetische Unterschiede zwischen auf Placebos reagierenden und nicht-reagierenden Menschen festgestellt, konstatieren Kathryn Hall vom Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) der Harvard University in Boston und ihre Kollegen.

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Ein Placebo-Effekt tritt dann auf, wenn ein Patient ein wirkungsloses Scheinmedikament oder eine Scheinbehandlung erhält, aber darauf so reagiert, als wenn er ein wirksames Mittel erhalten hätte. In klinischen Studien zeigen bis zu 30 Prozent der Teilnehmer diese Reaktion. Häufig macht es dies schwer, die echte Wirkung eines Medikaments vom Placebo-Effekt zu trennen. Warum aber einige Menschen auf Placebos reagieren und andere nicht, sei bisher unklar gewesen, sagen die Forscher.

Hirnbotenstoff Dopamin beeinflusst Placebo-Reaktion

„In jüngsten Studien gab es zunehmend Hinweise darauf, dass der Hirnbotenstoff Dopamin aktiv wird, wenn Menschen auf ein Placebo reagieren“, erklärt Hall. Dieser Botenstoff spiele eine wichtige Rolle für die Belohnungs- und Schmerzschaltkreise in unserem Gehirn und beeinflusse auch, wie wir mit Erwartungen umgehen. Deshalb habe man gezielt in Genen für das Dopaminsystem nach genetischen Ursachen für die unterschiedliche Placebo-Anfälligkeit gesucht.

Als vielversprechendster Kandidat habe sich dabei das Catechol-O-Methyltransferase (COMT)-Gen erwiesen, sagen die Forscher. Dieses Gen reguliere unter anderem, wie viel Dopamin im präfrontalen Kortex freigesetzt werde – einem Areal im Stirnhirn, das unter anderem für bewusste Entscheidungen, Persönlichkeit und soziales Verhalten zuständig ist. Einige Menschen tragen in diesem Gen zwei Kopien der Bauanleitung für die Aminosäure Methionin, andere nur eine oder gar keine.

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Schein-Akupunktur bei Reizdarm-Patienten

Für ihre Studie hatten Hall und ihre Kollegen untersucht, welche Variante des COMT-Gens die 262 Teilnehmer einer 2008 durchgeführten Placebo-Studie in ihrem Erbgut trugen. Alle Patienten litten unter dem Reizdarm-Syndrom und erhielten entweder eine Schein-Akupunktur mit enger Betreuung durch einen Arzt, eine Schein-Akupunktur in sachlich-neutraler Atmosphäre oder aber keine Behandlung.

„Je mehr Methionin-Kopien die Teilnehmer im COMT-Gen trugen, desto stärker reagierten sie auf die Placebo-Behandlung“, berichten die Forscher. Bei Patienten mit zwei Methionin-Kopien hätte die Scheinakupunktur mit enger Betreuung sechs Mal besser angeschlagen als bei denjenigen ohne diese Gensequenz. Bei der Placebo-Behandlung in neutraler Atmosphäre seien die Unterschiede etwas geringer gewesen, bei der Kontrollgruppe ohne Behandlung fehlten sie ganz. Nach Ansicht der Forscher könnte die Methionin-reiche Variante des COMT-Gens demnach Menschen besonders anfällig gegenüber einem Placebo-Effekt machen.

Noch müsse ihr Ergebnis zwar in größeren Studien überprüft werden, betonen die Forscher. Sollte sich die Existenz dieses genetischen Markers jedoch bestätigen, eröffne dies auch einen Weg, um klinische Studien und Arzneimitteltests zukünftig zu verbessern. Denn je nach Fragestellung könne man dadurch gezielt solche Teilnehmer auswählen, die entweder besonders anfällig oder aber immun gegen den Placebo-Effekt sind.

(PloS ONE, 24.10.2012 – NPO)

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