Von der Gaia-Hypothese zum System Erde

Organismus Erde?

Planet Erde © NASA

Was ist die Erde? Nur die Summe ihrer Teile oder doch mehr als das? Glaubt man James Lovelock, ist sie Gaia – eine Art lebendiger Organismus. Eine planetarische Einheit, die als Gesamtheit auf Außenreize reagiert und ihren Zustand durch komplexe Regelkreise stabil hält.

Lovelocks Gaia-Hypothese wurde erst verlacht und dann von der Esoterik vereinnahmt. Doch im Laufe der Zeit hat auch die etablierte Wissenschaft begonnen, sich mehr und mehr mit den einst so verfemten Ideen auseinander zu setzen. Inzwischen sind viele Aspekte der Gaia-Hypothese sogar zu einem selbstverständlichen Teil der Geowissenschaften geworden.

Immer häufiger ist heute vom System Erde, von einem interdisziplinären und ganzheitlichen Ansatz die Rede. Wie kam dieser Sinneswandel zustande? Was ist überhaupt Gaia? Und warum stieß die Hypothese auf so viel Widerstand? Woran scheiden sich bis heute die Geister?

Nadja Podbregar
Stand: 21.01.2003

Paradigmenwandel in den Geowissenschaften

Vom passiven Spielball zum komplexen System

Die Erde ist ein Spielball von kosmischen und anorganischen Einflüssen. Die Sonneneinstrahlung, Kollisionen mit anderen Himmelskörpern, die Drift der Kontinente oder Veränderungen der Umlaufbahn um die Sonne wirken auf den Planeten und beeinflussen sein Klima und seine Entwicklungsgeschichte bis heute.

Lange Zeit konzentrierten sich daher Geowissenschaftler vor allem auf diese Faktoren, um die Erde und die Abläufe auf ihr zu erforschen. Dem vorherrschenden mechanistischen Weltbild folgend galt es, das große Ganze in möglichst kleine Einzelteile zu zerlegen, um ihre Funktionsweise zu ergründen.

Doch heute hat sich dieses Bild dramatisch gewandelt. Inzwischen sprechen Geowissenschaftler ganz selbstverständlich vom „System Erde“ und Klimaforscher versuchen, mit immer aufwändigeren Computermodellen die komplexen Rückkopplungsmechanismen unseres Planeten zu ergründen und zu simulieren. Nicht mehr nur die Einzelkomponenten sind Gegenstand der Forschung, sondern das System Erde als Ganzes, die komplexen Wechselwirkungen, die unseren Planeten in der Balance halten.

Plato © IMSI MasterClips

Aber bis es zu dieser Sichtweise kam, war einiges an Umdenken nötig. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete der Physiker James Lovelock mit seiner provokanten Gaia-Hypothese – der Sicht der Erde als einem lebendigen Organismus.

Diese Idee ist keineswegs grundsätzlich neu: Schon der griechische Philosoph Plato hatte konstatiert: „Wir bekräftigen, dass der Kosmos, mehr als allem anderen, einem lebendem Wesen gleicht, von dem alle anderen lebenden Wesen ein Teil sind.“ Und auch James Hutton, einer der Väter der Geologie, beschrieb im 18. Jahrhundert die Erde als eine Art Superorganismus, als ein physiologisches System.

Ein Zeitgenosse von Hutton, der Mediziner Lewis Thomas, sah die Erde ebenfalls als Einheit, als ein zellähnliches System: „Vom Mond aus betrachtet ist das Atemberaubendste an der Erde, dass sie lebendig ist. Sie hat das organisierte, selbsterhaltende Aussehen einer lebendigen Kreatur, voller Information, unglaublich geschickt im Umgang mit der Sonne. Ich habe versucht, von der Erde als einem Organismus zu denken, aber das funktioniert nicht, es gleicht mehr einer lebenden Zelle.“

Doch ob Superorganismus, Organismus oder Zelle – spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung galten diese Sichtweisen bestenfalls als suspekt, meist jedoch als unwissenschaftlich und romantisierend. Entsprechend umstritten war und ist teilweise heute noch die Vorstellung von Gaia…


Stand: 21.01.2003

Gaia - eine Idee wird geboren

Die Erde als lebendiges System

Es begann mit dem Mars. Genauer gesagt, mit der Suche nach Leben auf dem roten Planeten. Anfang der 1960er Jahre bereitete die NASA ihre Mars-Mission mit der Raumsonde Viking vor und engagierte dafür eine Reihe von Wissenschaftlern, die bei der Klärung von grundlegenden Fragen helfen sollten. Darunter auch James Lovelock. Seine Aufgabe war es, Instrumente zu entwickeln, die Spuren außerirdischen Lebens entdecken konnten.

Marsoberfläche © NASA/JPL

Doch woran sollte man ein solches Leben, besonders wenn es in jeder nur erdenklichen Form vorliegen konnte, identifizieren? An der Atmosphäre des Planeten – zu diesem Schluss kam zumindestens Lovelock. Leben bedeutete für ihn in erster Linie die Umwandlung und Aufnahme von Energie und die Abgabe von Stoffwechselprodukten. Und diese Aktionen mussten, so glaubte er, „Fingerabdrücke“ in einer gasförmigen Atmosphäre hinterlassen.

Und tatsächlich enthüllten vergleichende Analysen der Atmosphären von Erde und Mars entscheidende Unterschiede: Während die fast vollständig aus CO2 bestehende Marsatmosphäre sich als enttäuschend nichtreaktiv und damit „tot“ erwies, war die Erde weit von einem chemischen Gleichgewicht entfernt. Im Gegenteil: Die „wilde Mischung“ hochreaktiver Gase konnte nur damit erklärt werden, dass sich die Gase ständig erneuerten und regulierten – und die Pumpe für diese Zirkulation musste das Leben selbst sein.

Und nicht nur das: Rückkopplungsprozesse zwischen den lebendigen und den anorganischen Komponenten der Erde hatten offensichtlich dafür gesorgt, dass diese hochreaktive Mischung über Jahrmillionen stabil geblieben war. Die Erde verfügte demnach über eine Art planetarischer Selbstregulation – ähnlich wie ein lebender Organismus.

Die Idee von Gaia – der Erde als lebendigem System war geboren: „Gaia ist eine komplexe Einheit, die die irdische Biosphäre, Atmosphäre, Ozeane und den Boden umfasst. Ihre Gesamtheit bildet ein Feedback- oder kybernetisches System, das nach einer optimalen physikalischen und chemische Umwelt auf diesem Planeten strebt“, so Lovelock in seinem 1979 veröffentlichtem Buch: „Gaia: Eine neue Sicht auf das Leben auf der Erde.“ Den Namen Gaia wählte er in Anlehnung an die griechische Erdgöttin Ge oder Gaia.


Stand: 21.01.2003

Gaia im Kreuzfeuer der Kritik

Tabubruch oder Pioniertat?

Die Gaia-Hypothese wurde mit offenen Armen aufgenommen – allerdings leider nicht von denen, die Lovelock erreichen wollte, seine Wissenschaftlerkollegen. Stattdessen vereinnahmten zunächst Theologen und diverse esoterische „Mutter-Erde“-Gruppierungen die neue Idee einer ganzheitlichen Erde. Damit verhalfen sie Lovelocks Hypothese zwar zu schneller Bekanntheit, verfrachteten sie aber gleichzeitig in die diskreditierte Eso-Ecke und hielten damit die Geowissenschaftler effektiv davon ab, sich intensiver mit ihr auseinander zu setzen.

Erst in den 1980er Jahren setzte auch in der wissenschaftlichen Welt langsam eine Reaktion ein – vorwiegend negativ. Das war wenig verwunderlich, stand doch Lovelocks Sichtweise einer sich selbst regulierenden Erde in krassem Widerspruch zu bisher geltenden Paradigmen.

Gaia © IMSI MasterClips/NASA

Nicht nur, dass Gaia in revolutionärer Weise die strenge Trennung in der Betrachtung von anorganischen Einflüssen auf die Erde und dem Leben darauf durchbrach, das Ganze klang auch verdächtig nach einer teleologischen Betrachtungsweise. Einige Forscher warfen Lovelock vor, der Erde mit der Selbstregulation auch eine Absicht, eine zielgerichtete Entwicklung zu unterstellen – eine Kritik, die fast einem Totschlagsargument gleichkam, galt doch diese Sichtweise als zutiefst unwissenschaftlich.

Doch Lovelock und seine Mitstreiterin, die Mikrobiologin Lynn Margulis, wehrten sich vehement gegen diese Anschuldigung. Für ihn war Gaia zwar ein reagierendes System, verfügte aber weder über Bewusstsein, Voraussicht noch Intention: „Weder ich noch Lynn Margulis haben jemals behauptet, das die planetarische Selbstregulation zielgerichtet ist.“


Stand: 21.01.2003

Gänseblümchen erklären die Welt - und das Gaia-Prinzip

Daisyworld

Als Reaktion auf die nicht enden wollende Kritik entwickelte Lovelock die „Daisyworld“. Ein einfaches Computermodell, mit dessen Hilfe er beweisen wollte, dass seine Gaia-Hypothese nicht nur keinen Widerspruch zu den grundliegenden Mechanismen der Evolution darstellte, sondern auch keinerlei teleologischer Absichten bedurfte.

Gänseblümchen © IMSI MasterClips

Grundlage des Modells ist ein hypothetischer, erdähnlicher Planet, der nur zwei Lebensformen beherbergt: eine weiße und eine schwarze Gänseblümchenart. Beide gedeihen in einem Temperaturbereich von 5°C und 40°C mit einem Optimum bei rund 22°C. Am Anfang der Simulation sind ihre Samen gleichmäßig auf der Oberfläche von Daisyworld verteilt. Energie- und damit Wärmelieferant für Daisyworld ist die Sonne. In dem Modell ist die Sonneneinstrahlung nicht konstant, sondern nimmt im Laufe der Zeit langsam zu – ähnlich wie dies auch für die Erde der Fall ist.

Zu Beginn von Daisyworld ist es eher kühl auf dem Planeten, die schwarzen Gänseblümchen können wegen ihrer dunklen Färbung mehr Wärme absorbieren und haben daher einen Selektionsvorteil gegenüber den weißen. Sie breiten sich stark aus und färben damit langsam den gesamten Planeten dunkel. Mit zunehmender solarer Einstrahlung steigt die planetarische Temperatur jedoch so weit an, dass die dunklen Gänseblümchen an Überhitzung leiden und sich nur noch in Polnähe halten können.

Die weißen Gänseblümchen dagegen reflektieren die Sonneneinstrahlung und sind dadurch an die höheren Temperaturen besser angepasst. Langsam bekommen sie die Oberhand. Gleichzeitig führen die sich ausbreitenden weißen Flächen jedoch zu einer erhöhten Albedo des Gesamtplaneten. Er gibt dadurch einen immer größeren Anteil der Wärmeeinstrahlung in den Weltraum ab – als Folge bleibt die globale Temperatur trotz zunehmender Sonnenwärme lange Zeit bei etwa 22°C konstant.

Und genau dies wollte Lovelock mit seiner Daisyworld beweisen: Die stabile Regulation der Temperatur in diesem System erfolgt allein über positive und negative Rückkopplungen zwischen Sonneneinstrahlung, Gänseblümchen und Albedo. Teleologie oder gar eine fürsorgende, „altruistische“ Einstellung der Gänseblümchen zugunsten des Planeten gibt es nicht.


Stand: 21.01.2003

Die heutige Situation

Von Gaia zum „System Erde“

Unter anderem als Reaktion auf Lovelocks Daisyworld-Modell, begannen sich die harten Fronten in der wissenschaftlichen Gaia-Debatte langsam aufzuweichen: 1988 sponsorte die amerikanische Geophysikalische Union eine erste große internationale Konferenz zur Gaia-Hypothese und setzte damit ein entscheidendes Zeichen: Gaia durfte nun auch in der wissenschaftlichen Welt offiziell diskutiert und zur Kenntnis genommen werden.

Kreislauf Erde © NASA/Podbregar

Obwohl die Diskussionen höchst kontrovers verliefen, und die Gaia-Hypothese keineswegs in Gänze anerkannt wurde, führten sie doch zu einem allmählichen Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften: Erstmals unterstützte nun auch die etablierte Geowissenschaft die Vorstellung, dass wohl tatsächlich auch die Lebenswelt des Planeten entscheidenden Einfluss auf bestimmte Aspekte der abiotischen Welt haben musste.

Diese Entscheidung glich einem Dammbruch: Eine wahre Flut von Projekten, die die Interaktionen zwischen belebter und unbelebter Welt untersuchten, ging an den Start und zahlreiche Veröffentlichungen in Science, Nature und weiteren renommierten wissenschaftlichen Journalen folgten.

Andere Aspekte der Gaia-Hypothese allerdings blieben und bleiben bis heute weiter umstritten, so beispielsweise die Vorstellung einer echten Ko-Evolution zwischen biologischen und nicht-biologischen Systemen. Aber auch die homöostatische Regelung der abiotischen Faktoren durch direkte negative Rückkopplungen von seiten der Lebenswelt sorgen weiterhin für Diskussionsstoff.

Dennoch: Trotz seiner bis heute umstrittenen und nicht anerkannten „organismischen“ Aspekte hat Gaia in der Forschungslandschaft deutliche Spuren hinterlassen – nicht von ungefähr ist „System Erde“ inzwischen einer der Kernbegriffe der Geowissenschaften. Auch im System Erde steht die Erforschung der Austauschprozesse von Masse und Energie zwischen den interagierenden Sphären Biosphäre, Atmosphäre, Lithosphäre und Hydrosphäre im Vordergrund. Allerdings wird dabei – in Abgrenzung zu Gaia – die Erde „nur“ als System, nicht aber als ein lebendiger Organismus betrachtet.

Doch der mittlerweile über 80-jährige Lovelock ist nach wie vor optimistisch, auch die noch umstrittenen Aspekte seiner Theorie eines Tages vollständig anerkannt zu sehen: „Es war ein schmerzhafter Kampf. Aber das ist keine Überraschung. Wenn Sie eine große Theorie beginnen, wie die Quantenmechanik, die Plattentektonik, die Evolution, dauert es im allgemeinen rund 40 Jahre für die Mainstream-Wissenschaft, um sie anzuerkennen. Gaia existiert erst seit etwa 30 Jahren…“


Stand: 21.01.2003

Beispiele für die Selbstregulation irdischer Stellgrößen

Das Leben mischt mit…

Wesentliche Beispiele für die Selbstregulationsmechanismen der Erde sind die globale Temperatur, die Zusammensetzung der Atmosphäre und die Salinität der Weltmeere. In allen diesen Prozessen spielt auch das Leben eine wichtige Rolle. Erst durch die Interaktion von belebten und unbelebten Komponenten scheinen sich die Rückkopplungsschleifen vieler Systeme zu schließen.

Rückkopplungen © NASA/Earth Observatory

Eine solche aktive Beteiligung des Lebens galt noch vor 30 Jahren als Widerspruch gegen alle gängigen Vorstellungen. Inzwischen jedoch hat die Biosphäre als zentraler Bestandteil des Systems Erde – neben Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre – längst ihren festen Platz im neuen Weltbild der Geowissenschaften gefunden – nicht zuletzt dank der Debatten um Lovelock und seiner Gaia-Hypothese. Wie prägend allerdings biologische Einflüsse tatsächlich auf die Regulation des Gesamtsystems sind, ist in vielen Bereichen noch umstritten oder ungenügend erforscht.

Thermostat Erde

Seit der Entstehung der Erde hat die Sonneneinstrahlung um rund 25 Prozent zugenommen, dennoch sind die globalen Durchschnittstemperaturen nicht in gleichem Maße gestiegen, sondern schwankten im Laufe der Erdgeschichte mehr oder weniger stark um einen Mittelwert. Diese Regulation folgt im Grunde dem gleichen Prinzip wie das einfache Modell der Daisyworld. Auch für die Erde spielt beispielsweise die Albedo eine wichtige Rolle. Diese setzt sich jedoch aus mehreren Größen wie Eisbedeckung der Pole oder Wolkendichte und -art zusammen und wird ihrerseits von einer ganzen Reihe von Faktoren beeinflusst.

Phytoplankton © NASA/MODIS

Untersuchungen zeigen jedoch auch hier – entgegen früheren Annahmen – eine wichtige Funktion von Organismen in diesem System. Vor allem das Phytoplankton der Meere wirkt nicht nur als Kohlendioxidsenke, die winzigen Algen produzieren auch Dimethylsulfid (DMS), eine Substanz, die an die Atmosphäre abgegeben wird und dort als Kondensationskeim zur Wolkenbildung beiträgt. Wird es wärmer, nimmt das Algenwachstum in bestimmten Regionen zu und mehr DMS wird frei. Dadurch können vermehrt Wolken entstehen, diese reflektieren einen größeren Anteil der Sonneneinstrahlung und die Temperatur sinkt wieder.

Diese – vereinfacht dargestellte – Rückkopplungsschleife ist jedoch nur eine von vielen, die das irdische Thermostat in seiner Gesamtheit ausmachen. Sie wird zur Zeit unter anderem von Forschern der Max-Planck Gesellschaft untersucht. Bis heute gelingt es Klimawissenschaftlern jedoch noch nicht, die volle Komplexität dieses Systems zu erfassen oder gar in Computermodellen nachzubilden.


Stand: 21.01.2003

Mikroorganismen als Regulatoren der marinen Salinität?

Das Rätsel des Meersalzes

Wieso versalzen die Meere nicht? Diese Frage erscheint trivialer, als sie ist. Der Salzgehalt der Meere liegt heute bei durchschnittlich 3,4 Prozent – einem für das marine Leben optimalen Wert: Läge er nur wenig höher als vier Prozent, würde er grundlegende Zellfunktionen der Organismen blockieren, die Folge wären Massenaussterben unter den Meeresbewohnern. Die Entwicklung des marinen Lebens deutet darauf hin, dass der Salzgehalt des Meerwassers über Millionen, wenn nicht sogar Milliarden von Jahren relativ gleich geblieben sein muss.

Nebel über dem Meer © NOAA

Aber warum? Immerhin transportieren Regen und Flüsse 2,75 Millarden Tonnen Salze pro Jahr ins Meer. Sie werden aus Gesteinen ausgewaschen oder von anderen natürlichen und heute auch zunehmend anthropogenen Prozessen freigesetzt. Dennoch bleibt der Salzgehalt des Meerwassers konstant – weit unterhalb des möglichen Sättigungspunktes. Und auch katastrophale Ereignisse wie Meteoriteneinschläge oder ausgedehnte Vereisungen scheinen zumindest keine längerfristigen „Entgleisungen“ zur Folge gehabt zu haben.

Offensichtlich existieren Regulationsmechanismen, die dafür sorgen, dass sich die Salinität innerhalb bestimmter Grenzen bewegt. Seit längerem bekannt sind abiotische Prozesse, die dem Meerwasser kontinuierlich Salze entziehen: Die Ablagerung von Salzen bei Verdunstung und Verlandung, Salzlager unter den Kontinentalschelfen oder die Bindung und Sedimentation von Salzen durch Tone und anorganische Verbindungen. Doch Versuche, die Salzregulation allein durch diese rein chemischen oder physikalischen Prozesse nachzubilden, misslangen.

Erst wenn auch die Meeresbewohner selbst – in Analogie zum Daisyworld-Modell – mit einbezogen werden, kommt man des Rätsels Lösung näher: Es hat sich gezeigt, dass Mikroorganismen wie Kieselalgen oder Coccolithophoriden als Entsalzer eine wichtige Rolle spielen. Sie lagern Silikatsalze oder Kalzium in ihre Schalen ein, diese sinken beim Absterben der Organismen zu Boden und sind dadurch als Sediment dem freien Wasser entzogen.

Liegt hier ein weiteres Beispiel für das prägende Einwirken der Biosphäre auf abiotische Faktoren des Systems Erde vor? Wenn es nach Lovelock geht, lautet die Antwort eindeutig ja. Die etablierte Ozeanographie ist zwar vorsichtiger in ihrer Einschätzung, sieht aber durchaus starke Argumente für die Existenz einer biologischen Kontrolle der Salinität. Weitere Forschungen laufen…


Stand: 21.01.2003