Was ist dran am Biowetter?

Wetterfühligkeit

Macht Wetter krank? © IMSI MasterClips

Der Kopf dröhnt, der Kreislauf kommt nicht in Schwung und überhaupt wäre man am liebsten gleich im Bett geblieben – wer kennt sie nicht diese Tage, an denen so gar nichts klappen will. Und das, obwohl wir am Abend zuvor keineswegs lange gefeiert haben und auch nicht unter Grippe leiden. Woran kann es dann liegen? Für Viele ist der Sündenbock schnell gefunden: Das Wetter ist schuld.

Macht uns das Wetter krank? Mehr als die Hälfte aller Deutschen beantwortet diese Frage eindeutig mit Ja: Für sie sind Regen, Sturm oder Schwüle der Auslöser von Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen. Für die Wissenschaft ist die Antwort allerdings weitaus weniger klar – im Gegenteil.

Die Frage nach der Wetterfühligkeit können heute weder Meteorologen noch Mediziner eindeutig beantworten. Zwar gibt es statistische Übereinstimmungen zwischen der Häufung bestimmter gesundheitlicher Beschwerden und einzelnen Wetterfaktoren wie Schwüle oder Hitze. Aber zeigen diese wirklich einen ursächlichen Zusammenhang?

Und auch mit der Wettervorfühligkeit ist es nicht weit her. Es scheint Menschen zu geben, die das kommende Wetter anhand ihrer Befindlichkeit prognostizieren können – ganz nach dem Motto: „Mein Knie schmerzt, das sagt mir es kommt Regen“. Beweisbar ist das Ganze jedoch nicht. Zwar hat es verschiedene Versuche dazu gegeben, unter anderem an der Universität München, doch bisher ohne überzeugendes Ergebnis. Die Versuchspersonen fielen entweder durch oder gaben auf, weil sie ihren „wetterprophetischen“ Fähigkeiten selbst nicht mehr glauben konnten.

Aber immerhin in einem anderen Punkt herrscht weitestgehend Einigkeit: Das Wetter kann vielleicht nicht krank, wohl aber „kranker“ machen – nämlich diejenigen, die ohnehin schon an chronischen Beschwerden leiden. So verschlimmert sich Rheuma oft bei nasskaltem Wetter, Asthmakranke dagegen leiden häufiger unter akuter Atemnot, wenn die Sonne scheint und die Pollen fliegen. Kurorte nutzen diese in Bioklimakarten manifestierten Erfahrungswerte längst für gezielte Werbung und Kliniken vielfach für ihre Standortentscheidung.

Was aber ist dran am Biowetter? Wie sinnvoll sind die Ansagen der „gefühlten Temperatur“ und die Medizinwetter-Prognosen? Wie genau wirkt das Wetter überhaupt?

Nadja Podbregar
Stand: 16.04.2004

Auftreten von Wetterfühligkeit in Deutschland

Wetterleidende Deutsche?

Die Deutschen gehören zu den wetterfühligsten Völkern der Erde. In kaum einem anderen Land dröhnt so vielen Menschen wetterbedingt der Kopf oder schlägt sich die Schwüle in Schlappheit nieder. Woanders ist das Phänomen dagegen kaum bekannt oder spielt zumindest kaum eine Rolle – und das selbst dort, wo erheblich belastendere Wetterbedingungen oder häufigere Wetterwechsel auftreten als hierzulande, wie beispielsweise in Norwegen oder Großbritannien.

Wolken © IMSI MasterClips

Wie groß das Ausmaß der Wetterfühligkeit in Deutschland ist, zeigte im Jahr 2002 erstmals eine von der Universitätsklinik München und dem Institut für Demoskopie Allensbach bundesweit durchgeführte repräsentative Studie. 1.064 Bürger im Alter von 16 Jahren aufwärts wurden dabei in Hausinterviews detailliert nach ihren subjektiven Eindrücken befragt.

Mehr als die Hälfte fühlt sich betroffen

Die Ergebnisse zeigen, dass 54,5 Prozent aller Deutschen das Wetter als mehr oder weniger starken Einfluss auf ihre Gesundheit erfahren. Häufigste Symptome dabei sind Kopfschmerzen und Migräne, Erschöpfung, Schlafstörungen und Müdigkeit und Gelenkschmerzen. Rund ein Viertel der Betroffenen leidet auch unter Schwindel, Konzentrationsstörungen oder Niedergeschlagenheit. Knapp einem Drittel der Wetterfühligen ging es dabei mindestens einmal schon so schlecht, dass sie nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen konnten. Im Durchschnitt kamen so 10,2 Tage wetterassoziierter Arbeitsunfähigkeit pro Betroffenem zusammen.

Mehr Frauen als Männer…

Dabei gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Während 28 Prozent der Frauen angaben, unter wetterbedingten Beschwerden zu leiden, waren es nur 9,6 Prozent der Männer. Außerdem klagten auch ältere Menschen (>60 Jahre) häufiger über Wetterfühligkeit als jüngere. Besonders anfällig sind zudem auch Menschen, die bereits unter einer chronischen Krankheit, wie Kreislaufstörungen, Allergien oder Rheuma leiden.

Landwirte und Führungskräfte…

Das eine Arbeit, die vornehmlich im Freien stattfindet, möglicherweise die Sensibilität gegenüber den Wettereinflüssen erhöht, bestätigt die Auswertung der berufsspezifischen Häufigkeiten: Immerhin 76,9 Prozent der Landwirte gaben an, wetterfühlig zu sein. Interessanterweise scheint aber auch die berufliche Position eine Auswirkung auf die subjektive Wetterempfindlichkeit zu haben: Leitende Angestellte fühlten sich mit 62,9 Prozent erheblich häufiger betroffen als Facharbeiter (488 Prozent) oder Selbstständige (40,8 Prozent). Fördert der Karrierestress den Wetterstress oder neigen Führungskräfte eher dazu, für Unpässlichkeiten im Wetter den Sündenbock zu sehen?

Ursachen gesucht…

Nach Ansicht der Autoren der Studie „deutet vieles darauf hin, dass beim Auftreten von unspezifischen Symptomen gerne zunächst das Wetter als Auslöser gesehen wird.“ Ob das tatsächlich der Fall ist, könnte erst geklärt werden, wenn die Wissenschaft eindeutig belegen kann, wie und vor allem welcher Faktor bei den Wetterfühligen die Symptome auslöst. Doch genau hier tappt die Biometeorologie noch ziemlich im Dunkeln.


Stand: 16.04.2004

Die Wetterreaktion unseres Körpers

Wie wirkt das Wetter?

Fünf Grad, Sonne und kein Wind: Im Januar warm eingemummelt auf der Terrasse einer Skihütte sitzend, empfinden die meisten Menschen dieses Wetter als angenehm, sogar als warm. Die gleiche Temperatur bei Wind und bedecktem Himmel lässt uns dagegen frösteln und kommt uns mindestens wie minus zehn Grad vor. Warum?

Das Wetterempfinden ist individuell verschieden © IMSI MasterClips

Wie wir das Wetter empfinden, hängt nicht nur von der objektiv auf dem Thermometer ablesbaren Außentemperatur ab. Neben Umweltfaktoren wie Windgeschwindigkeit, Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit, Wolkenbedeckung und Wärmeausstrahlung des Erdbodens bestimmt in erster Linie unsere körpereigene Klimaanlage, ob wir uns behaglich fühlen. Sie misst den Wärmeverlust an die Umwelt und sorgt dafür, dass unsere Körpertemperatur nicht zu weit von den Sollwerten abweicht.

Mithilfe eines komplexen Rückkopplungssystems versucht der Körper, sich gegen Abkühlung zu schützen oder ein Zuviel an Wärme loszuwerden. Normalerweise funktioniert diese Klimaanpassung so gut, dass wir sie nicht einmal bemerken. Wir fühlen uns einfach wohl und behaglich und uns ist weder sonderlich kalt noch warm.

Anders aber, wenn die Klimaanlage den Ausgleich nicht oder nur mit größerer Anstrengung schafft. Wir beginnen zu frieren, zu schwitzen oder entwickeln sogar Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Je nachdem, wie stark diese Reaktion ausfällt, unterscheiden Medizin-Meteorologen zwischen drei Kategorien:

Wetterreaktion:

Die normale physiologische Anpassungsreaktion des Körpers an Klimaschwankungen, die für den Betroffenen normalerweise nicht oder kaum spürbar geschieht.

Wetterfühligkeit:

Die Reaktion des Körpers auf Wetterumschwünge wird subjektiv verstärkt wahrgenommen, die Reizschwelle für Symptome wie Müdigkeit, Kopfdruck oder Konzentrationsstörungen ist erniedrigt.

Wetterempfindlichkeit:

Wetterempfindlich sind meist Menschen, deren Körper durch Alter oder chronische Krankheiten wie Rheuma, Asthma sowie Herzleiden bereits geschwächt ist. Er kann die nötigen physiologischen Anpassungen an Wetterumschwünge nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr bewältigen und als Folge machen sich mehr oder weniger deutliche Schmerzen oder andere Symptome bemerkbar.

Rheumakranke spüren beispielsweise den Durchzug eines Sturmtiefs oft „in den Knochen“, Asthmapatienten bekommen besonders häufig Anfälle bei einem Wetterumschwung mit schnellem Temperaturwechsel und bei Herzschwachen steigt das Risiko für einen Infarkt bei Kälte in Verbindung mit Stress und Anstrengung.


Stand: 16.04.2004

Sind Schwerewellen schuld an der Wetterfühligkeit?

Die Suche nach Faktor X

Seit Jahrzehnten suchen Meteorologen und Mediziner fieberhaft nach den Ursachen für die Wetterfühligkeit. Welcher Mechanismus greift so tief in unseren Stoffwechsel ein und wie? Handelt es sich um einen einzelnen Faktor oder müssen erst viele Komponenten des komplexen Wettersystems zusammenwirken, um die Beschwerden auszulösen? Warum verkraften wir die Überhitzung in der Sauna, Luftdruckunterschiede im Gebirge oder beim Fahrstuhlfahren ohne Probleme, schleppen uns aber schon bei ein wenig schwülem, drückenden Wetter nur noch mühsam durch den Tag? Gesicherte Erkenntnisse zum „Faktor X“ gibt es bis heute keine, Hypothesen allerdings einige.

Wenn der Druck ins Schwingen gerät…

Einer der möglichen „Sündenböcke“ sind die „Schwerewellen“: kleinste, aber wiederholte Luftdruckschwankungen, die dem normalen Luftdruck übergelagert sind. Sie entstehen, wenn zwei Luftmassen aufeinandertreffen und in ihrem Grenzbereich Reibungen die Luft in Schwingungen versetzen.

Föhnwolke © NOAA

Hans Richner, Meteorologe von Institut für Klima und Umwelt der ETH Zürich ist diesen atmosphärischen Wellen schon länger auf der Spur. Anhand statistischer Erhebungen im Alpenraum hat er herausgefunden, dass Betroffene vor allem dann über Beschwerden klagen, wenn solche minimalen Druckänderungen in einer Frequenz von vier bis 20 Minuten auftreten. Richner: „Diese Wellen in der Atmosphäre sind ganz besonders stark ausgeprägt bei Föhnlagen und beim Durchzug von Fronten.“

„Vorfühligkeit“ durch Schallgeschwindigkeit

Da sich die Schwerewellen mit Schallgeschwindigkeit ausbreiten, eilen sie einem kommenden Wetterumschwung unter Umständen schon um einige Tage voraus. Dieses Phänomen könnte daher auch die Wettervorfühligkeit erklären, die Tatsache, dass einige Menschen anhand ihrer körperlichen Reaktion Wetterumschwünge sozusagen „vorausspüren“ und schon Stunden oder Tage vorher unter Kreislaufproblemen oder Konzentrationsstörungen leiden.

Antenne gesucht

Aber wie nimmt der Körper diese minimalen Luftdruckschwankungen wahr? Immerhin lastet unter normalen Bedingungen auf jedem Menschen der durchschnittliche Druck von rund 20 Tonnen Luft, auf jedem Quadratzentimeter unserer Haut immerhin noch ein Kilogramm. Fällt der Luftdruck beispielsweise durch ein Sturmtief innerhalb weniger Stunden um zehn Hektopascal, verringert sich das auf dem Körper lastende Gewicht um immerhin 400 Kilogramm. Unser Organismus gleicht solche Be- oder Entlastungen durch einen mit der Außenwelt im Gleichgewicht stehenden Innendruck aus.

Angesichts dieser Größenordnungen fallen die minimalen Schwankungen der „Schwerewellen“ im wahrsten Sinne des Wortes kaum ins Gewicht. Wie also registriert sie der Körper – wenn er es denn tut? Eine mögliche Antenne für diese Mikroschwankungen glaubt der russische Physiker Anatolij Delkujow gefunden zu haben. Wie er unlängst in der Zeitschrift GEO berichtete, könnten spezielle Rezeptoren in der Halsschlagader des Menschen Druckschwankungen registrieren und direkt entsprechende Reaktionen des Blutdrucks und Kreislaufs anregen.

Trotz der ungeklärten „Antennenfrage“ halten inzwischen auch viele andere Biometeorologen Schwerewellen für eine der möglichen Ursachen der Wetterfühligkeit. Doch einen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis gibt es dafür nach wie vor nicht. Stattdessen mehren sich die Hinweise auf einen weiteren Kandidaten für den „Faktor X“.


Stand: 16.04.2004

Spherics als „Faktor X“?

Lichtschnell und alles durchdringend…

Entdeckt wurden sie schon in den Anfängen des Radiozeitalters: Immer wenn ein Unwetter nahte oder es in einem Umkreis von 100 Kilometern blitzte, machte sich störendes Knacken und Knistern in den Empfängern bemerkbar. Diese so genannten Spherics sind im Prinzip nichts anderes als eine bestimmte Art von Radiowellen, die durch Turbulenzen in der Luft erzeugt werden.

Sie entstehen, wenn geladene Luftteilchen sich aneinander reiben, wie es beispielsweise bei Gewitter oder Unwettern verstärkt der Fall ist. Die kurzen Pulse niederfrequenter elektromagnetischer Strahlung breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und dringen ungehindert durch jede Hauswand und auch in den menschlichen Körper.

Aber beeinflussen sie deswegen auch unsere Gesundheit? Ähnlich wie bei der niederfrequenten Strahlung von Handys und ihrer Sendeanlagen scheint auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber es gibt immerhin erste Indizien: Wissenschaftler der Universität Gießen haben die Spherics in einem Laborversuch eingehender untersucht.

200 Freiwillige, einige davon nach eigener Einschätzung wetterfühlig, andere unempfindlich, wurden dabei in einer Klimakammer zehn Minuten lang künstlich erzeugten Spherics ausgesetzt. Währenddessen wurden die Gehirnströme der Probanden aufgezeichnet. Obwohl hinterher keine der Versuchspersonen über irgendwelche spürbaren Beeinträchtigungen oder Auswirkungen berichtete, zeigte sich im EEG Erstaunliches: Bei den nach eigener Einschätzung „Wetterfühligen“ veränderten sich während der Strahlenpulse die Hirnströme deutlich. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Spherics möglicherweise direkt in die elektrische Reizübertragung im zentralen Nervensystem eingreifen können – auch das allerdings bislang ohne experimentelle Beweise.

Einige Biometeorologen favorisieren inzwischen ohnehin eher eine „Mehrfaktoren-Lösung“, bei der die Druckschwankungen der Schwerewellen Einfluss auf Kreislauf und Herzfrequenz haben und die Spherics für Auswirkungen auf das Nervensystem verantwortlich sein könnten. Doch für all das gilt nach wie vor: „Das sind erste Ansätze, aber noch keine endgültigen Beweise.“ Peter Höppe, Präsident der internationalen Gesellschaft für Biometeorologie, räumte dies in einem Interview gegenüber dem Schweizer Fernsehen ein. „Ich glaube, wir müssen da in den nächsten Jahren noch sehr viel mehr Forschung investieren, um letztendlich die Aussage machen zu können, dass dies die Faktoren sind, die Wetterfühligkeit auslösen.“


Stand: 16.04.2004

Die gefühlte Temperatur und der „Klima-Michel“

Einer schwitzt und friert für alle

„…Tiefsttemperaturen heute nacht fünf Grad, gefühlte Temperatur minus zehn….“ – Immer häufiger spiegeln sich im Wetterbericht nicht nur die „harten Klimafakten“ sondern auch das subjektive Klimaempfinden wieder: Die so genannte gefühlte Temperatur, die seit einigen Jahren manchmal mit angegeben wird, ist per Definition ein Maß für die „thermische Beanspruchung des Menschen in seiner atmosphärischen Umgebung“.

Wie ist die gefühlte Temperatur hier? © IMSI MasterClips

Im Gegensatz zur normalen, am Thermometer ablesbaren Temperatur berücksichtigt sie, dass eine ganze Reihe von Faktoren wie Temperatur, Wind, Feuchte, Sonneneinstrahlung, aber auch Bekleidung und Aktivität des Menschen unser subjektives Temperaturempfinden beeinflussen.

Auch sie beruht nicht auf einfachen Messungen oder Schätzungen, sondern auf einem berechneten Modell. Dieses tut im Prinzip nichts anderes, als die tatsächlich vorgefundenen Bedingungen mit der Temperatur zu vergleichen, die bei Standardbedingungen herrschen müsste, um bei einem Menschen das gleiche Wärme- oder Kältegefühl hervorzurufen.

Klima-Michel als Durchschnitts-Deutscher

Weil aber zusätzlich zu den äußeren Faktoren auch individuelle Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Körperform die Wärmeabgabe eines Menschen beeinflussen, musste auch dafür ein Standard gefunden werden, der „Klima-Michel“. In dem vom Medizin-Meteorologen Gerd Jendritzky weiterentwickelten Modell ist dieser „Durchschnitts-Deutsche“ 1.75 Meter groß, männlich und 75 Kilo schwer. Für ihn passen die vom Modell berechneten „gefühlten“ Temperaturen recht gut, wer allerdings weiblich, kleiner oder erheblich leichter ist, hat Pech gehabt…

Sinnvoll oder nicht?

Unter anderem deswegen ist die Angabe der gefühlten Temperatur in der täglichen Wettervorhersage nicht unumstritten. DWD-Experte Uwe Wesp dazu: „Die Sache mit der gefühlten Temperatur ist schlichter Unfug. Jeder weiß doch, dass der Wind in der Regel nicht gleichmäßig weht. Die gefühlte Temperatur schwankt also ständig beträchtlich.“ Doch Widerspruch dagegen kommt sogar aus dem eigenen Haus: Sein DWD-Kollege Gerd Jendritzky sieht in der Angabe dieser subjektiven Größe trotz zwangsläufiger Unschärfe einen sinnvollen Service: „Das ist für den Bürger einfach eine Information, wie er sich anziehen soll, wenn er plant rauszugehen. Er hat ja in der Regel nur die Lufttemperatur und die gefühlte Temperatur kann sehr deutlich davon abweichen.“


Stand: 16.04.2004

Der Windchill-Faktor

Wenn der Wind weht…

Aus den USA und Kanada importiert, hat sich der so genannte Windchill-Faktor in den letzten Jahren auch bei uns immer mehr zum festen Bestandteil des winterlichen Wetterberichts entwickelt. Er gibt an, wie stark der Wärmeverlust unseres Körpers durch den Wind erhöht ist und gleichzeitig, wie stark wir die Kälte subjektiv empfinden.

Wind verstärkt das Kältegefühl © IMSI MasterClips

Normalerweise umgibt eine Grenzschicht aus angewärmter Luft den Körper als isolierende Hülle und schützt ihn so zusätzlich vor Auskühlung. Wird sie durch Wind weggeblasen, muss der Körper mehr Energie aufwenden, um die Solltemperatur zu halten. Gleichzeitig verstärkt der Wind auch die kühlende Wirkung der Verdunstung. Als Folge erscheint uns die gleiche Lufttemperatur bei Wind kälter als bei Windstille oder an einem windgeschützten Ort.

Dass dieser Effekt auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht und damit sogar berechenbar ist, fanden die beiden Polarforscher Paul Siple und Charles Passel auf einer Antarktisexpedition im Jahr 1939 heraus. Sie entwickelten eine erste „Windchill-Formel“, indem sie einen kleinen, mit Wasser gefüllten Plastikzylinder bei verschiedenen Temperaturen und Windgeschwindigkeiten vor ihr Zelt stellten und maßen, wie lange das Wasser zum Gefrieren brauchte.

Dummerweise hat ein dick in Wintersachen eingepackter Mensch nur sehr bedingt Ähnlichkeit mit einem kleinen Plastikzylinder. Da die alte Formel im Laufe der Jahre nur sehr wenig modifiziert wurde, war der mit ihr errechnete Windchill immer tendenziell zu stark.

Im Jahr 2001 haben deshalb kanadische und amerikanische Experten einen neuen Index entwickelt, bei dem nicht ein Plastikzylinder, sondern Winterkleidung tragende Freiwillige in einem Windkanal das Maß der Dinge waren. Mithilfe von Sensoren wurde ihr Wärmeverlust bei unterschiedlichen Temperaturen, Feuchtigkeiten und Windgeschwindigkeiten gemessen und als Basis für eine neue Formel genutzt. Im Prinzip ist diesesModell damit nichts anderes als einer Art „amerikanischer Vetter“ des deutschen „Klima-Michel“.


Stand: 16.04.2004

Wie entsteht die Medizin-Wettervorhersage?

„…und nun zum Biowetter“

„Für Personen mit hohem Blutdruck besteht heute eine erhöhte Neigung zu Herz-Kreislauf-Beschwerden. Außerdem ist mit einer wetterbedingt verstärkten Anfälligkeit für Krämpfe und Koliken sowie im rheumatischen Bereich zu rechnen. Bluthochdruckkranke sollten sich schonen und besonders die vom Arzt empfohlenen Maßnahmen beachten.“

Bioklimakarte (Ausschnitt) © MMCD

Der tägliche Biowetter- oder Medizin-Wetterbericht gehört bei uns schon fast zum Standard: Im Fernsehen als „Rausschmeißer“ am Ende des Magazins „Brisant“ oder aber im Internet als Service des DWD und anderer Anbieter – die Biowetterkarte zeigt, in welchen Regionen Deutschlands mit Wärme- oder Kältereizen zu rechnen ist und wo Schwüle droht. Außerdem gibt die Biowetterprognose meist Tipps, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen vermeiden lassen.

Wie aber kommt die Bioklimakarte zustande?

Auch hier ist wieder einmal der „Klima-Michel“ mit im Spiel: Um eine Bioklima- oder Biowetterkarte zu erstellen, greifen die Meteorologen auf Erfahrungswerte zurück, genauer gesagt: Auf die Mess- und Beobachtungsdaten deutscher Wetterstationen der letzten dreißig Jahre. Die langfristig ermittelten Temperaturen, Luftdrucke, Windgeschwindigkeiten, Luftfeuchte und andere Faktoren an den verschiedenen Orten werden mit dem Klima-Michel-Modell verrechnet und in gefühlte Temperaturen „übersetzt“. Diese können jetzt in verschiedene Belastungsstufen beispielsweise durch Wärme, Kältereize oder Schwüle eingeteilt werden.

Um festzustellen, an welchen Orten sich die verschiedenen Belastungstypen häufen, müssen im letzten Schritt noch räumliche Gegebenheiten wie Geländeform, Landnutzung und geographische Lage mit einbezogen werden. So sind Kältereize beispielsweise in windgeschützten Tallagen weniger häufig als in den Hochlagen der Mittelgebirge, Wärmestress ist dagegen eher in Siedlungen mit dichter Bebauung zu erwarten als auf dem offenen Land.

Aus allen diesen Faktoren entsteht schließlich eine Bioklimakarte. An ihr ist für jedes Gebiet abzulesen, wie oft im Sommer oder Winter bestimmte gesundheitlich relevante Wetterverhältnisse auftreten. Auf der Basis dieser Karte in Verbindung mit der aktuellen Wetterlage haben Medizin-Meteorologen eine Reihe von Standard-Szenarien entwickelt, mit deren Hilfe sie jeweils die aktuelle „Medizinwetterlage“ beschreiben.


Stand: 16.04.2004

Die Anfänge der Biometeorologie

„Die Jahreszeiten in ihrer Wirkung…“

Die Frage nach möglichen medizinischen Auswirkungen des Wetters ist nicht neu: Schon vor Tausenden von Jahren haben sich die Menschen Gedanken über einen möglichen Zusammenhang von atmosphärischen Prozessen auf die Gesundheit gemacht. In Mesopotamien entdeckten Wissenschaftler eine rund 5.000 Jahre alte ärztliche Anweisung, die Bezug auf das Wetter nimmt, und auch im Gilgamesch-Epos wird den Winden eine Krankheits- und Fieber erregende Rolle zugesprochen.

In der griechischen Antike ist es der Urvater aller Ärzte, Hippokrates, der empfiehlt: „Wer die Heilkunst in der rechten Weise ausüben will, der muss zunächst die Jahreszeiten in ihrer Wirkung betrachten, dann die warmen und die kalten Winde, vor allem die, welche für alle Menschen gemeinsam sind, aber auch die, welche in jedem einzelnen Lande zu Hause sind.“

Im 18. Jahrhundert erlebt das Thema nach längerer Pause wieder eine wahre Renaissance. Goethe berichtet über seine Beobachtung, dass er bei hohem Barometerstand besser arbeiten könne als bei niedrigem und der Gelehrte und Forschungsreisende Alexander von Humboldt beschreibt die Bedeutung der Atmosphäre für die Gefühle der Menschen. Etwas systematischer möchte der Universalgelehrte Gottfried Willhelm Leibniz vorgehen, der an seine Kollegen appelliert, wetterbedingte Krankheiten doch systematisch zu erfassen.

Zu diesem Zeitpunkt kursieren auch erste wissenschaftliche Hypothesen über die Ursachen der Wetterfühligkeit. Als vielversprechende und vielfach untersuchte Kandidaten gelten die beispielsweise bei Gewittern beobachtete Luftelektrizität und der Erdmagnetismus.

1877 beschreibt S. Weir Mitchell, Arzt aus Philadelphia, in einem Artikel in der renommierten Fachzeitschrift „American Journal of Medical Sciences“ noch einen anderen Zusammenhang: Den zwischen Schmerzen und Luftdruckänderungen. In einer Studie an einem Kriegsversehrten beobachtet er, dass dessen Beschwerden sich immer dann verschlimmern, wenn der Luftdruck fällt und die Temperaturen und Feuchtigkeit ansteigen, aber wieder abklingen, wenn das Tiefdruckgebiet abzieht.

Ähnliches stellen auch rund siebzig Jahre später der deutsche Meteorologe Otto Hollich und Claus Thurow, ein ebenfalls Kriegsverwundeter fest. Fünf Jahre lang führt Thurow ein detailliertes Tagebuch über sein Befinden, das der Meteorologe mit den damals modernsten statistischen Methoden mit dem Wetter in Beziehung setzt. Diese Studie gilt heute als der Startschuss für die Biometeorologie, die Lehre vom Einfluss des Wetters auf das Leben („Bios“).


Stand: 16.04.2004