Ein Alleskönner auf der Suche nach Antworten

Alexander von Humboldt

Alexander von Humboldt (J, Steler, 1843) vor einer Illustration aus einem seiner Werke
Alexander von Humboldt hätte in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag gefeiert. © Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Porträt)

Er bereiste Südamerika, durchquerte Zentralasien und kannte Europa vom Kraterrand des Vesuvs bis zum Grund der Themse: Alexander von Humboldt gilt als bekanntester Universalgelehrter Deutschlands. Der weitgereiste Naturforscher leistete seinerzeit in zahlreichen Wissensgebieten Pionierarbeit – und sein Wirken hallt bis heute nach. Am 14. September wäre Humboldt 250 Jahre alt geworden.

Naturforscher, Weltreisender, Kulturwissenschaftler: Auf Alexander von Humboldt passen wohl all diese Beschreibungen. Zeit seines Lebens widmete sich der Universalgelehrte der Erforschung der unterschiedlichsten Phänomene. Er maß Luft- und Wassertemperatur, untersuchte Vulkane, skizzierte Tiere, beschrieb das Verhalten ganzer Völker, sammelte Pflanzen und bestieg die höchsten Berge im Anzug. 

Goethe, Schiller und die Gebrüder Grimm hielten ihn für einen Poeten, Charles Darwin bewunderte ihn als den größten Wissenschaftler aller Zeiten, König Friedrich Wilhelm IV. ernannte ihn zu seinem Gesandten und Südamerika feiert ihn als den wahren Entdecker. Doch warum wird Humboldt heute noch als der bekannteste Deutsche aller Zeiten gesehen? Und was ist 250 Jahre nach seiner Geburt noch von seiner Arbeit übrig geblieben?

Daniel Goliasch
Stand: 13.09.2019

Sehnsucht nach dem Unbekannten

Ein Studienabbrecher wird Universalgelehrter

Alexander von Humboldt wird am 14. September 1769 in Berlin geboren. Er wächst bei seinen wohlhabenden Eltern auf Schloss Tegel bei Berlin auf. Noch ist von seiner Begabung nicht viel zu spüren: Sein Hauslehrer Joachim Heinrich Campe muss Alexander erst für das Wissen begeistern. Campe fügt die spannenden Neuigkeiten von aktuellen Entdeckungsreisen geschickt in seinen Lehrplan ein, in der Hoffnung Alexander damit zum Lernen anzuregen. Während der Jahre erarbeitet der Hauslehrer für Alexander ein dreiteiliges Lesebuch über die Entdeckung Amerikas, ein geographisches Kartenspiel und mehrere Reisebeschreibungen für Jugendliche, die er alle später veröffentlicht.

Die Methode des Lehrers zeigt Erfolg: In Alexander erwacht die Sehnsucht nach fernen Welten. Das Unbekannte entfaltet seinen Reiz und zieht ihn in seinen Bann. Neugierig fragt sich der 18-Jährige, was in der Fremde auf ihn wartet. Auf der Suche nach Antworten wendet er sich den Wissenschaften zu. Auf Wunsch der Mutter, sein Vater stirbt als Alexander zehn ist, beginnt Humboldt zwar 1787 ein Studium für staatliche Verwaltung. Doch er bricht es schon nach einem Jahr ab.

Humboldt auf Reisen © Heinrich Berghaus / Eichborn Verlag

Liebe zu den Wissenschaften

Zurück in Berlin nimmt er Privatunterricht in Physik, Mathematik, Zeichnen, Botanik, Griechisch und Philosophie. Langsam beginnt sich der Wissensdurst zu entwickeln, der ihn später zum berühmtesten Universalgelehrten aller Zeiten machen wird. Karl Ludwig Willdenow führt ihn auf Spaziergängen im Botanischen Garten in die Botanik ein. Die ersten Pflanzen aus fremden Ländern wecken sein besonderes Interesse und verbinden seine Sehnsucht nach der neuen Welt mit den Fragen an die Wissenschaft. 1789 vervollständigt er seine Studien der Naturwissenschaften und schreibt sich an der Universität Göttingen für Chemie und Physik ein.

Bei einem Ausflug lernt Humboldt in Mainz Georg Forster kennen, der James Cook auf seiner zweiten Weltreise begleitet hat. Sofort lässt er sich vom Expeditionsgeist Forsters anstecken. Im März reisen sie zusammen über Köln, Brüssel und Amsterdam nach England. Sein erster Blick auf die Unendlichkeit des Meeres und die Begegnungen aus aller Welt in London beeindrucken Humboldt sehr. Die tiefsten Eindrücke sammeln jedoch beide auf dem Rückweg durch das revolutionäre Paris. Der Gleichheitsgedanke begleitet Humboldt für den Rest seines Lebens bei jeder Begegnung mit fremden Kulturen, wie der Drang nach Freiheit ihn immer tiefer ins Unbekannte treiben wird. In seinem Lebenswerk konstatiert er: „Die Natur aber ist das Reich der Freiheit“.

Humboldt als Beamter

Seiner Mutter zu Liebe lernt Humboldt Volkswirtschaft und Handelsrecht, diesmal in Hamburg. Nach einem Studium des Bergbaus in Freiberg, Sachsen, wird er 1792 erst Assessor und später Oberbergmeister im preußischen Bergdepartement. Zeitgleich veröffentlicht er immer wieder Untersuchungen zur Geologie, Botanik und Medizin.

Obwohl Humboldt den Anschein macht, seiner Staatskarriere treu zu bleiben, ist er während dieser Jahre immer wieder auf Reisen. Dem böhmischen Mittelgebirge folgt eine Reise über Salzburg nach Wien sowie Dienstreisen nach Westfalen, Rheinhessen und in die Eifel. 1795 unternimmt Humboldt eine wissenschaftliche Exkursion nach Oberitalien sowie in die Schweizer und französischen Alpen. Doch es zieht ihn noch weiter hinaus.

Er kennt die Grenzen der Wissenschaft – und geht weiter

Drang nach Freiheit

Im November 1796 stirbt Humboldts Mutter Elisabeth. Befreit von den mütterlichen Zielvorstellungen kündigt der 27-Jährige seine Stellung als Oberbergmeister und widmet sich ganz der Planung der ersehnten wissenschaftlichen Exkursion. Das Erbe seiner Mutter investiert er, um seinen Traum zu erfüllen. Seine Südamerika-Reise wird die erste privat finanzierte und daher staatlich ungebundene Wissenschafts-Expedition überhaupt.

Sextant © NOAA

Sorgfältig bereitet sich Humboldt einige Jahre vor: Er wählt die Messinstrumente aus, die er auf der Reise mitführen will und macht sich mit ihnen vertraut. Der Sextant, schon seit 1730 bekannt, ist wohl sein wichtigstes Vermessungsinstrument. Anhand eines größeren Spiegelsextanten bestimmt er mit Hilfe der Sterne seine Standorte, während sein Taschensextant es ihm ermöglicht, die Biegungen eines Flusses genau auszumessen. Doch erst in Kombination mit dem 1778 erfundenen Chronometer kann er die genauen Längengrade seiner Reisestationen festhalten.

Zusammen mit seinem Freund und Biologen Karl Ludwig Willdenow studiert Humboldt das Binäre System von Carl Linné zur Klassifikation von Pflanzen, mit dem er später die unbekannten Pflanzen und Tiere beschreiben und benennen will. Für die Arbeit führt er auch in Südamerika immer ein Mikroskop mit, damit er organisches Material direkt vor Ort untersuchen kann.

Die letzten Tests

Zunächst will Humboldt noch einige kürzere Reisen nach Italien und Ägypten unternehmen, um seine Instrumente und Messtechniken zu testen. Doch seine Reisepläne scheitern an Napoleons Feldzügen. Frustriert reist Humboldt von Wien über Salzburg nach Paris, wo er den Botaniker Aimé Bonpland kennenlernt. Mit ihm versucht er noch einmal eine Überfahrt nach Afrika in Marseille zu bekommen. Doch auch diese Anstrengung scheitert. Mit Bonpland auf dem Weg nach Spanien untersucht er im tiefsten Winter die chemische Zusammensetzung von Luft und unterirdischen Gasen. Zur Messung verwendet er einen Eudiometer, der erst 1778 erfunden wurde und noch selten verwendet wird.

Hypsometer London 1870 © FaW

Seitdem er sein altes Leben hinter sich gelassen hat, scheint Humboldt wie entfesselt. Er misst alles, was ihm in den Weg kommt. Während der Reise quer über die iberische Halbinsel bestimmt er immer wieder Höhenwerte. Sein Quecksilberbarometer zeigt ihm die Veränderung des Luftdrucks an und er schließt damit auf die Höhe. Doch er traut den Messergebnissen des Reisebarometers noch nicht. Um sicher zugehen, kontrolliert er die Daten mit einem Hypsometer, der über den Siedepunkt des Wassers den Luftdruck und damit die Höhe ermittelt. Schließlich kann Humboldt die Werte exakt ermitteln und erstellt damit das erste Höhenprofil des westlichen Europas.

Auch Humboldt braucht ein Visum

In Madrid versucht Humboldt eine kleine diplomatische Revolution. Er bittet den spanischen König Karl IV., ihm einen Freibrief auszustellen, der ihm erlaubt, in allen spanischen Kolonien zu reisen und zu forschen. Bisher dienten alle Reisen in die neue Welt der Eroberung oder der Ausbeutung. Doch Humboldt bricht mit dieser Tradition. Er plant die erste rein wissenschaftliche Expedition ausschließlich zum „Fortschritt der Naturwissenschaften“. Der König ist beeindruckt von den fließenden Spanischkenntnissen des Gelehrten und seinem Wissensdrang.

Humboldt hat Erfolg. Der König verspricht sich wohl wissenschaftliche Erkenntnisse über Bodenschätze und Anbaumöglichkeiten. Der Freibrief ermöglicht Humboldt nicht nur, sich frei in den Kolonien zu bewegen, sondern verpflichtet auch die Offiziellen der spanischen Kolonien, ihm Zugang zu ihren Sammlungen und Archiven zu gewähren. Humboldt ist begeistert über seine unbegrenzte Freiheit: „Nie, nie hat ein Naturalist mit solcher Freiheit verfahren können.“

Mit Sextant, Fernrohr und Mikroskop in den Dschungel

Die Ostküste Südamerikas

Erstmals in der Geschichte bricht ein Forscher auf, die neue Welt mit einer rein wissenschaftlichen Expedition bis tief in ihr Inneres zu erkunden. Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland stechen am 5. Juni 1799 mit der „Pizarro“ Richtung Südamerika in See. Humboldt reist dabei wie ein Privatmann. Er mietet sich für die Überfahrt mit Bonpland und seiner Ausrüstung auf dem Schiff ein. Die Messinstrumente, Nachschlagewerke und persönlichen Vorstudien sind sicher in Kisten verpackt. Er führt so wenig Ausrüstung wie möglich mit sich, weil er sie quer durch den Dschungel problemlos mitnehmen will.

Alexander von Humboldt landet am 16.07.1799 in Venezuela und reist von dort über Kuba, Kolumbien, Ecuador und Peru bis nach Mexiko. © Einecke

Von La Coruña segelt die „Pizarro“ zunächst nach Teneriffa. Dort trifft Humboldt seine letzten Vorbereitungen. 3.716 Meter: Fast auf den Meter genau bestimmt Humboldt 1799 die Höhe des Vulkans Teide. Während der 41 Tage zur Überquerung des Atlantik, gibt Humboldt sich ganz den neuen Erlebnissen hin. Je näher sie dem Äquator kommen, desto mehr ist er fasziniert von den südlichen Sternenbildern, und fühlt sich erst unter dem fremden Himmel endlich auf seiner Reise ins Unbekannte.

Die neue Welt

Am 16. Juli 1799 landet das Schiff in Venezuela. Humboldt ist völlig begeistert: „Welche Bäume! Kokospalmen, 50-60 Fuß hoch! Poinciana pulcherrima, mit Fuß hohem Strauße der prachtvollsten hochrothen Blüthen. Bonpland versichert, das er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhören“, schreibt Alexander in einem Brief an seinen Bruder. Bis Februar richten sich die beiden in Caracas ein, um sich an das Klima zu gewöhnen, mit europäischen Siedlern zu sprechen und erste einfache Untersuchungen an Pflanzen und Tieren durchzuführen.

Im Frühjahr bricht Humboldt auf seine erste Flussexkursion ins Landesinnere auf. Die Expeditionsgruppe hält er klein und mobil. Außer Bonpland begleiten ihn nur Indianer als Dolmetscher, Bergführer oder Träger, die er in jeder Region neu anwirbt. Er verlädt seine Ausrüstung in Kanus und macht sich auf den Weg, den Orinoko aufwärts. Jede Biegung des Flusses vermisst er und kartiert alles von der Mündung bis zur Quelle. An den Ufern beobachtet er verschiedene Indianerstämme, von denen er besonders die Chaimas studiert. Seine Beobachtungen über ihr Aussehen und ihre Sprache führen ihn später zu der Vermutung, dass sie verwandt mit dem Stamm der Tamanacu flussabwärts sind. Die Worte für Ich „Ure“ und Wasser „Tuna“ sind gleich, wogegen sich die Worte „Canopo“ und „Canepo“ für Regen nur unwesentlich unterscheiden.

Mithilfe der Indianer an der Mündung des Casiquare lüftet Humboldt als erster das Rätsel um das berüchtigte Pfeilgift Curare. Er klassifiziert die Pflanze, dokumentiert die Herstellung und lässt sich die Wirkung des Giftes von den Indianern erklären. Jedoch für die Behauptung der Indios, dass Gift wirke nur in direktem Kontakt mit Blut, will er einen Beweis: Er schluckt einen Trank aus Curare – und überlebt.

Der weiße Fleck zwischen Orinoko und Amazonas

Forschungen am Rand der bekannten Welt

Immer wieder geht Humboldt an sein Äußerstes, um Neues zu entdecken. Die treibende Kraft ist sein unerschöpflicher Drang nach Wissen und das innere Bedürfnis, die Natur durch ihre Einzelheiten als Ganzes zu verstehen. Mithilfe seiner Messinstrumente dokumentiert er methodisch jeden Schritt, den er tiefer ins Unbekannte vorstößt. Bei seinen Ausflügen in den Dschungel interessiert sich Humboldt vor allem für die größeren Tierarten. Besonders die Affen haben es ihm angetan. Er zeichnet die unterschiedlichen Arten naturgetreu ab und führt detaillierte Verhaltensstudien durch. „Kein Affe sieht im Gesicht einem Kinde so ähnlich wie der Titi; es ist derselbe Ausdruck von Unschuld, dasselbe schalkhafte Lächeln, derselbe rasche Übergang von Freude zu Trauer“, schreibt er in sein Tagebuch.

Satellitenbild des Orinoko
Der Orinoko-Fluss © NASA

Ein weißer Fleck weniger auf den Landkarten

Die Expedition soll beweisen, dass es eine natürliche Flussverbindung zwischen den beiden riesigen Flusssystemen des Orinoko und des Amazonas gibt. Wenn die Flüsse nicht mehr schiffbar sind, muss die Gruppe sich den Weg durch den Dschungel kämpfen. „Diese Gegend ist so menschenleer, dass wir in 130 Meilen nichts als Krokodile (24 Fuß lang), Tiger, Manatí, Danta (Tapire) und Affen, aber keine Menschen sahen“, berichtet Humboldt seinem Freund Willdenow.

Am Amazonas treibt ihn seine Neugierde wieder über die Grenzen der etablierten wissenschaftlichen Methoden hinaus. Humboldt untersucht die biologische Elektrizität von Zitteraalen. Er versucht mit der Leydener Flasche, einem 1780 erfundenen Strom-Kondensator, die Spannung der Fische zu messen. Doch er ist so unzufrieden über die beschränkten Messmöglichkeiten, dass er selbst Hand anlegt. Die Stromstöße bringen ihn fast um.

Humboldt-Karte des Orinoko
Die Kartierung des Orinoko diente als Beweis dafür, dass die riesigen Flusssysteme von Amazonas und Orinoko miteinander verbunden sind. © HiN

Anfang Juli 1800 ist es geschafft. Nach fast sechs Monaten in der Wildnis hat Humboldt nicht nur zahlreiche unbekannte Pflanzen katalogisiert, Tiere skizziert und Indianer studiert, sondern auch die Flussverbindung über den Casiqiuare und den Rio Negro zum Amazonas aufs Genauste vermessen und kartographiert.

Überwintern auf Kuba

Den Winter des Jahres 1800 verbringen Humboldt und Bonpland auf Kuba, wo sie die Gelegenheit nutzen und gesammeltes Material nach Europa schicken. Über 1400 Abschriften von Pflanzenbeschreibungen völlig unbekannter Arten und zwei Kisten mit mehr als 1.600 gesammelten Exemplaren sind das Ergebnis der Orinoko-Expedition. Doch Humboldt ist von den Zuständen auf Kuba schockiert. Das Sklaventum zum Abbau von Zuckerrohr und Tabak widerspricht seinem Ideal: „Alle Menschen sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt“. Doch seine kritischen Aufzeichnungen hält er in diplomatischer Vorsicht bis zu seiner Rückkehr geheim. Im März verlassen Humboldt und Bonpland Kuba und machen sich auf nach Kolumbien.

Während der Durchquerung Kolumbiens zur Pazifikküste Südamerikas treffen sie in Bogota José Celestino Mutis. Der 70-Jährige Botaniker hat bereits Jahrzehnte lang die Pflanzenwelt Mittelamerikas untersucht, mit Carl Linné dessen Pflanzenklassifikation entwickelt und besitzt eine umfangreiche Sammlung von Katalogen und Abbildungen. Humboldt ist hoch erfreut über den wissenschaftlichen Austausch und veröffentlicht in seinen Artikeln später viele von Motis Zeichnungen.

Auf Vulkanen und im Dschungel

Der höchste Mann der Welt

Im Januar 1802 beginnt für Humboldt eine seiner erfolgreichsten Reisen. Das Ziel: Ecuador. Er schreibt seinem Bruder Wilhelm: „Die hohen schneebedeckten Gipfel, die tätigen Vulkane und schrecklichen Erdbeben (…), ihre Vegetation und die Sitten ihrer Bewohner machen die Gegend zu der interessantesten der Welt.“ Die Vulkane sind es dann auch, die Humboldt am intensivsten studiert. Er will die vorherrschende Vorstellung des Neptunismus überprüfen, nach dem Vulkanismus durch unterirdische Kohlebrände hervorgerufen wird und Vulkane nicht durch gemeinsame Magma-Kammern verbunden sind.

Die Vulkane der Hochebene von Quito dienten Humboldt in seinen Büchern und Vorlesungen als Beweis für ein zusammenhängendes Vulkansystem. © Heinrich Berghaus/ Eichborn Verlag

In Quito findet Humboldt bereits Hinweise, die die Theorie ins Wanken bringen. 1808 veröffentlicht er in seinen „Ansichten der Natur“: „Auch ist das Hochland von Quito ein einziger vulkanischer Herd. Das unterirdische Feuer bricht bald aus der einen, bald aus der anderen Öffnung aus, die man sich als abgesonderte Vulkane zu betrachten gewöhnt hat. … Selbst die Erdbeben liefern merkwürdige Beweise von der Existenz unterirdischer Verbindungen.“

Humboldt im Höhenrausch

Nahe Quito liegt majestätisch der erloschene Vulkan Chimborazo. Er gilt damals mit 6.310 Metern als höchster Berg der Welt. Trotz drei auslaugenden Jahren der Expedition will Alexander von Humboldt den Vulkan unbedingt besteigen. Mit steigender Höhe macht er Beobachtungen zur Vegetation und misst unter schwerster körperlicher Belastung Klimadaten: „Wir trugen kurze Stiefel, einfache Kleidung, keine Handschuhe, sie sind hier kaum bekannt (…) Wir litten rasend unter Atemnot, und noch schlimmer quälte uns der Brechreiz. (…) Außerdem bluteten wir aus dem Zahnfleisch, aus den Lippen, das Weiß unserer Augäpfel war blutunterlaufen (…) Wir fühlten Kopfschwäche, einen dauernden, in unserer Situation sehr gefährlichen Schwindel.“ Obwohl der 33-Jährige die Besteigung etwa 400 Meter unter dem Gipfel abbrechen muss, ist das die höchste Stelle, die damals je ein Mensch erreicht hatte.

Auf seiner ganzen Reise schließt Humboldt bei seiner Theorie der Erde die Betrachtung des Menschen immer mit ein. Die Erde ist für ihn eine Summe von Wechselspielen zwischen Mensch und Natur: Eine Auffassung von Ökologie weit vor ihrer Zeit. Besonders in Südamerika ist er fasziniert von den Indianerstämmen und ihrer Kultur. Er studiert ihre Sprachen und Gewohnheiten, skizziert ihr Aussehen und ihre Häuser. In Ecuador erforscht er vor allem, wie die Einwohner mit der ständigen Bedrohung der Vulkane leben. Darüber hinaus vervollständigt er in Ecuador seine archäologischen Untersuchungen über die Vorfahren der Indios, die Inkas.

Humboldt besteigt den Chimborazo ohne jegliche Bergausrüstung - erst bei 5.889 Metern zwingt ihn die Höhenkrankheit zum Umkehren. © Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin

Pflanzen im Mittelpunkt

An den Vulkanen Chimborazo und Cotopaxi sowie an den Anden vervollständigt Humboldt seine Beobachtungen zum Pflanzenbewuchs an Abhängen von Gebirgen. Die Kartierungen unterschiedlicher Pflanzenarten ergänzt er jeweils mit wissenschaftlichen Daten des Fundortes. Himmelsrichtung, Luftdruck und Höhe notiert er und sogar die Luftfeuchtigkeit misst er mit einem Haarhygromter: Ein eingespanntes Menschenhaar dehnt sich bei feuchter Luft aus und zieht sich bei trockener Luft zusammen.

Seine Forschungsergebnisse führen zu der berühmten Abbildung „Naturgemälde der Anden“, das die Vegetationsstufen, nach Höhe gegliedert, im Andengebirge zeigt. Die Pflanzenkartierungen während seinen Exkursionen und die Forschungsergebnisse anderer Botaniker stellt Humboldt zu einer Karte zusammen. Die Abbildung: „Umrisse zur Pflanzengeographie“ im Berghaus-Atlas zeigt nicht nur die weltweite Verteilung von Pflanzenarten, sondern auch die Unterschiede der Vegetation in den jeweiligen Gebirgen der Kontinente.

Auf dem Humboldt-Strom der keiner war

Nur noch Richtung Norden

Im Oktober 1802 erreichen Humboldt und Bonpland mit Peru den südlichsten Punkt ihrer Reise. Sie bleiben einige Wochen in der Hauptstadt Lima, wo Alexander mit seinem Teleskop das einmalige Ereignis beobachtet, wie Merkur auf seiner Flugbahn die Sonne verdunkelt. Im Dezember 1802 besteigen die Reisenden ein Schiff, das sie entlang der Westküste Südamerikas zurück nach Mexiko bringen soll.

Merkurtransit, 2016
Merkur quert die Sonne. © NASA

Während der Fahrt misst Humboldt unentwegt Wassertemperatur und Geschwindigkeit der Meeresströmungen. Seine Messergebnisse helfen den bereits bekannten „Peruanischen Küstenstrom kalten Wassers“ zu kartieren. 1840 wird der Strom ihm zu Ehren, in „Humboldt-Strom“ umbenannt, was gegen seinen ausdrücklichen Willen geschieht.

Die letzte Station auf Humboldts langer Reise soll Mexiko sein. Fast nebenbei vermisst er während seinem Aufenthalt in der zentralen Gebirgsgruppe die Vulkane Popocatepetl (4.500 Meter), den Iztaccíhuatl (4.786 Meter) und den Chilaltépetl (5.295 Meter), und zeichnet darüber das erste Höhenprofil eines außereuropäischen Landes. Doch sein Hauptaugenmerk in Mexiko gilt den Indianern und der Geschichte der Azteken. Er zeichnet Tempelgebäude, Wandreliefs und Darstellungen ab, um bis zu den Wurzeln der fremden Kultur vorzudringen.

Humboldt widmete sich ausgiebig dem Studium der Indianischen Völker. © Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin

Humboldts Messinstrumente funktionieren immer noch fehlerfrei und die meisten Materialsammlungen hat er zwischendurch immer wieder nach Hause geschickt. Insgesamt haben er und Bonpland über 60.000 Pflanzen gesammelt, wovon über 6.300 noch unbekannt sind. Ihre „handliche“ Ausrüstung passt immer noch auf 21 Maultiere, und auch körperlich ist er auf der Höhe. Nur das Heimweh nach seinen Freunden und der Drang nach wissenschaftlichem Austausch über seine Forschungsergebnisse ziehen ihn nach Hause.

Im Januar 1804 verlässt Humboldt Mexiko in Vorfreude auf die Heimat. Nach einem kurzen diplomatischen Besuch beim amerikanischen Präsidenten Jefferson reist er im Juli von Philadelphia nach Bordeaux. Am 27. August 1804 erreicht er sein Ziel Paris.

Die Auswertung dauert über 30 Jahre

Der neue Kontinent in der alten Welt

In Europa ist Alexander von Humboldt in der Zwischenzeit alles andere als vergessen worden. Bei seiner Ankunft 1804 wird er gefeiert wie ein Held. Bereits während der Reise hat er in Europa mehr als 20 Aufsätze  über Südamerika veröffentlicht. Europas wissenschaftliche Elite in Paris ist beeindruckt von seinen Abhandlungen über die Chaimas Indianer in Venezuela, seine geologischen Untersuchungen, die Entdeckungen in der Botanik und seinen allgemeinen Reiseschilderungen Zwei Monate nach seiner Ankunft stellt Humboldt den ersten Teil seiner Sammlungen und Zeichnungen im „Jardin des Plantes“ aus. Die führenden Wissenschaftler Europas stehen Schlange. Humboldt wird mit offenen Armen im wissenschaftlichen Zentrum Europas aufgenommen und entscheidet sich, in Paris zu bleiben.

Humboldts Untersuchungen führten zur Begründung der Vegetationsgeographie. © Heinrich Berghaus/ Eichborn Verlag

Die Hauptstadt der Wissenschaften

In der französischen Hauptstadt widmet sich Humboldt voll und ganz der Auswertung seiner Forschungsergebnisse aus Südamerika. Er hält Vorträge vor seinen wissenschaftlichen Kollegen, um seine Vermutungen mit ihnen besprechen zu können. Über eine seiner ersten Vorlesungen in Paris schreibt er seinem Bruder: „Der Ruhm ist größer denn je. Es ist eine Art von Enthusiasmus … Das Nationalinstitut ist vollgepfropft sooft ich lese.“

Humboldt freundet sich mit etlichen Naturwissenschaftlern an, und führt mit ihnen zusammen Versuche durch, die seine Messungen in Südamerika belegen sollen. Der Physiker und Chemiker Louis Joseph Gay-Lussac bestätigt mit einem Heißluftballon Humboldts Vermutung, dass die Intensität des Erdmagnetfelds mit der Höhe nicht abnimmt. Gemeinsam mit Gay-Lussac stellt Humboldt fest, dass die Sauerstoffmessungen mit seinem Eudiometer in Südamerika zu ungenau waren. Sie messen den Sauerstoffgehalt der Atmosphäre erneut mit einem Knallgas-Eudiometer und ermitteln 1805 den noch heute gültigen Wert von 21 Prozent Sauerstoff. Zu Humboldts engsten Freunden gehören auch der Astronom Francois Arago und der Professor für Astronomie und Mathematik Jean-Baptiste Biot, mit dem er gemeinsam am Erdmagnetismus forscht.

Titelblatt von "Ansichten der Kordilleren" © Staatsbibliothek Berlin

Ergebnisse werden veröffentlicht

Für die Auswertung der Daten von fünf Jahren Südamerika-Reise wird Humboldt nahezu 30 Jahre benötigen. Bereits 1805 erscheint der erste Band seines umfassenden Werkes „Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent“, dem bis 1834 noch 35 Bände  folgen werden. Währenddessen veröffentlicht er seine Ergebnisse zusätzlich thematisch gegliedert. 1807 erscheinen die „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer“. Ein Jahr später gibt Humboldt die „Ansichten der Natur“ heraus, in dem er die sinnliche Erfahrung der Natur anhand großer Abbildungen ermöglicht, und mit der wissenschaftlichen Erkenntnis im Text verbindet. Das Zusammenspiel von Betrachtung und Erklärung macht es zu seinem „Lieblingsbuch“. Das ausführlichste Werk in deutscher Sprache verlegt er zwischen 1810 und 1813 in zwei Bänden über 450 Seiten: „Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas“.

Humboldt ist noch kein halbes Jahr zurück in Europa, als er bereits im März 1805 von einer Reise nach Asien spricht. Er will als Gegenstück zu Südamerika eine Expedition nach Indien und in den Himalaja durchführen. Diesmal braucht er jedoch die finanzielle und organisatorische Unterstützung des Kolonialherren: England. Seine intensiven Bemühungen bleiben umsonst. Seine öffentlichen Stellungnahmen gegen den Kolonialismus und das Sklaventum versperren Humboldt den Weg nach Südasien.

Eine Exkursion im Schnelldurchlauf

Klein aber fein – die Sibirienreise

Alexander von Humboldts Zeit in Paris neigt sich 1827 dem Ende zu. Einerseits strebt er ohnehin nach einer neuen Aufgabe und andererseits geht langsam sein privates Vermögen zur Neige. Eigentlich will er nach Südasien reisen, aber er bekommt weder die Erlaubnis des britischen Königshauses, noch findet er Geldgeber für die Expedition. Im April kehrt er auf Drängen Friedrich Wilhelms III. nach Berlin zurück, der ihn zum Kammerherrn ernennt. Als solcher muss Humboldt den König auf Reisen nach London, Verona und Paris als Berater und Repräsentant der Wissenschaften begleiten.

Mit seiner Kenntnis verhalf Humboldt zum ersten Diamantenfund außerhalb der Tropen. © Heinrich Berghaus/ Eichborn Verlag

Gerade als Humboldt sich mit dem Scheitern seiner Expedition abfinden will und bereits Vorträge an der Berliner Universität hält, ergibt sich eine Gelegenheit zumindest Zentralasien zu bereisen. Auf Empfehlung von Friedrich Wilhelm III. lädt ihn Zar Nikolaus ein, auf seine Kosten den Ural und den Altai zu erforschen. Humboldt zögert. Einerseits kann er seinen Traum von der Erkundung Asiens annähernd verwirklichen und wahrscheinlich sogar bis nach China vordringen. Andererseits stellt ihm der Zar hohe Auflagen: Humboldt darf sich zwar seine Begleiter frei aussuchen, aber seine Reise wird von Offiziellen überwacht und er hat nur begrenztes Mitspracherecht bei der Reiseroute. Schließlich geht er die Kompromisse ein, um seine wissenschaftlichen Untersuchungen vervollständigen zu können und dem Ziel eines ganzheitlichen Weltbildes näher zu kommen.

Aufbruch nach Osten

Im April 1829 bricht Alexander von Humboldt dann zu seiner zweiten großen Expedition auf. Den 60-Jährigen begleiten der Mineraloge Gustav Rose und der Mediziner und Zoologe Christian Gottfried Ehrenberg. Humboldt erhofft sich durch die Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen fächerübergreifende Ergebnisse, die sie nach der Reise zusammenführen können. Nicht nur durch die Gesellschaft unterscheidet sich die Reise von der amerikanischen. Auch wenn die Pferdekutschen oft im geschmolzenen Permafrost stecken bleiben, sind sie doch viel bequemer als vor einigen Jahren die Kanus auf dem Orinoko.

Im Juni 1829 erreichen die Forscher den Ural, wo Humboldt begeistert die Vielfalt der Mineralien untersucht. Er studiert den erfolgreichen Bergbau und die Verarbeitung von Metallen. Russland ist zu dieser Zeit führend in der Gold- und Silberproduktion. Auf Wunsch des Zaren sucht Humboldt vor allem nach Diamantenvorkommen im Ural. Seine landschaftlichen Beobachtungen und Gesteinsanalysen führen 1829 in der Goldmine Krestowosdwischenskoje im Gebiet Perm zu dem ersten Diamantenfund außerhalb der Tropen. Auf Basis der gemeinsamen Messungen mit Rose veröffentlicht Humboldt später die erste wissenschaftliche Beschreibung dieser Region „Das System der Berge des Ural“ und Roses Werk über die Mineralogie des Ural werden in Russland zu einem einschlägigen Standardwerk. Humboldts Untersuchungen zu den Vulkanen Zentralasiens und dem Erdmagnetismus erscheinen als Aufsätze bereits 1830.

Die Reiseroute von Humboldt in Zentralsien verlief von Moskau, über den Ural bis an die chinesische Grenze. © University of Texas

Der Altai

„Die eigentliche Freude einer asiatischen Reise hat uns doch erst der Altai verschafft“, gesteht Humboldt in einem Brief an seinen Bruder. Humboldt und seine Begleiter reisen durch das östliche Gebirge bis zur damaligen chinesischen Grenze. Sie besuchen eine durch Silberabbau aufblühende Region. Humboldt bewundert in der Stadt Barnaul die Promenaden und Boulevards mit Künstlern und Wissenschaftlern „so weit im Osten als Caracas im Westen von Berlin!“.

Die räumlichen Dimensionen der Expedition sind unvorstellbar. In nur neun Monaten legt Humboldt fast 19.000 Kilometer mit Hilfe von mehr als 12.000 Pferden zurück. Zwar ist er beeindruckt von der organisatorischen Leistung und der Zivilisation bis weit hinter den Ural, aber fast wehmütig stellt er in seinem Tagebuch fest: „Mein Werk wird keinen der Reize darbieten können, welche zuweilen noch die Erzählungen des Reisenden besitzt, wiewohl in unserer Zeit selbst die fernsten Regionen leichter zugänglich geworden sind“.

Am Ende kommt alles zusammen

Ein Lebenswerk über das Erdenleben

Mit der Rückkehr im August 1830 endet Alexander von Humboldts Laufbahn als Weltreisender und Entdecker. Auch wenn ihn seine diplomatischen Aufgaben noch einige Male nach Paris und London führen, lässt sich der 60-Jährige endgültig in Berlin nieder. Die folgenden Jahre widmet er der wissenschaftlichen Ausarbeitung seiner Forschungen und der Zusammenführung der Ergebnisse in seinem Lebenswerk.

Titelbild des "Kosmos"-Buches © Staatsbibliothek Berlin

Am Anfang von Humboldts Karriere als Forscher stand die Romantik mit ihrer Weltsicht von der Natur als harmonisches Ganzes. Er aber machte sich auf die wissenschaftliche Suche nach den Einzelteilen, die „in dem Besondersten des Organismus das Allgemeine widerspiegeln“. Nun will er endlich sein Lebensziel verwirklichen, mithilfe der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Phänomenen die Einheit der Natur darzustellen.

Wissenschaftliche Vorlesungen für alle

Noch vor seiner Zentralasien-Reise hält Humboldt vom November 1827 bis April 1828 seine Vorträge über „Physikalische Geographie“. Während die Lesungen in der Berliner Universität ausschließlich seinen Kollegen und Studenten vorbehalten sind, liest er für öffentliches Publikum an der Singakademie. Die 800 Plätze reichen bei weitem nicht aus, alle Zuhörer aufzunehmen. Zu seinen Gästen gehören nicht nur König Friedrich Wilhem IV., Künstler und Poeten, sondern auch Dienstboten und Maurer.

Die Themenliste von Humboldts Vorlesungen liest sich noch heute wie das Vorlesungsverzeichnis der Physischen Geographie: „Vulkanismus, Gebirgsarten, Temperaturzonen der Erde, die Pflanzenformen in den Klimazonen, Winde und Luftdruck“. Er versteht es, selbst schwierige Sachverhalte wie Untersuchungen zur Schallgeschwindigkeit verständlich und spannend zu erklären: „Das berühmte Rennpferd „Eclipse“ legte 58 Fuß in einer Sekunde zurück, was schon einem starken Sturme vergleichbar ist. Dagegen ergibt sich das Resultat der Versuche, welche ich … über die Geschwindigkeit des Schalls angestellt habe, dass derselbe 1.038 Fuß in der Sekunde durchläuft“.

Bereits während der Südamerika-Reise schickte Humboldt immer wieder Daten an Berghaus, damit dieser schon Karten zeichnen konnte. © Heirich Berghaus/ Eichborn Verlag

Der Kosmos umfasst alles

Als Humboldt sich 1834 entschließt, die Vorlesung zu einem Buch auszuarbeiten, will er nicht einfach eine Abschrift erstellen, sondern ein umfassendes Universalwerk schaffen. Er übernimmt zwar die Gliederung der Vorträge, fügt aber einige Themen hinzu und ergänzt neueste Forschungsergebnisse. Sein Lebenswerk erscheint unter dem Namen: „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“. Dem fünfbändigen Werk stellt er in dem ersten Buch ein „Naturgemälde. Allgemeine Übersicht der Erscheinungen“ voran, das vor allem die Verbindung zwischen den einzelnen Themen hervorhebt: „Hier wird nicht nach Vollständigkeit in Aufzählung von Einzelheiten, sondern nach der klaren Entwicklung von leitenden Ideen getrachtet“. In den folgenden vier Bänden vertiefen sich die Betrachtungen bis zum Detail des Polarlichtes als Erdlicht in Folge elektromagnetischer Tätigkeit des Planeten oder über das Granit Gestein am Kolywan-See im Altai.

Gemeinsam mit dem „Kosmos“ sollte der „Physikalische Atlas“ von Heinrich Berghaus erscheinen, der eine große Sammlung von Karten zu Humboldts Buch enthält. Schon aus Südamerika hatte Humboldt seine Daten an Berghaus gesandt, damit dieser daraus Abbildungen und Karten erstellt. Aufgrund von Streitereien der Verleger erscheint der Atlas unabhängig vom „Kosmos“ in zwei Bänden 1845 und 1848.

Humboldt erlebt nicht mehr, wie der letzte Band seines Lebenswerkes 1862 veröffentlicht wird. Bis zu seinem Tod hat der 90-Jährige noch die Forschungsergebnisse aktualisiert und an den Formulierungen gefeilt. Er stirbt am 6. Mai 1859 in seiner Wohnung in Berlin. Dem vom König angeordneten Staatsbegräbnis folgen tausende von Politikern, Wissenschaftlern, Studenten und Bürgern.

Damals Visionär – heute ein Vorbild?

Humboldt ist überall zu Hause

Der Meeresstrom vor Südamerika, der größte Gletscher Grönlands, Städte, Berge und Nationalparks, ein Pinguin und sogar ein Krater auf dem Mond tragen den Namen des Universalgelehrten Alexander von Humboldt bis in unsere Zeit hinein. Die Person, sein Werk und seine Errungenschaften bleiben dagegen oft im Dunklen. Ist sein Name nur noch eine leere Hülle oder haben auch seine Errungenschaften die Zeit überlebt?

Alexander von Humboldt, Porträt von J. Schrader (1859)
Alexander von Humboldt 1859 © Julius Schrader/ gemeinfrei

Einige von Humboldts Forschungsergebnissen haben 200 Jahre überdauert und sind heute noch gültig. Allein in der Botanik bestimmte er 6.300 bisher unbekannte Pflanzen und die Zoologie verdankt ihm einige neue Arten wie die Klapperschlange Crotalus cumanensis. Als Entdecker tilgte er mehr als einen weißen Fleck auf der Weltkarte. Den Casiqiuare als Verbindung des Amazonas mit dem Orinoko kartierte er mühevoll vom Kanu aus.

Humboldt lebt weiter durch sein Netzwerk

Humboldts Spuren sind auch bei den Errungenschaften seiner Freunde und Kollegen zu finden. Sein wissenschaftlicher Rat, die gemeinsamen Untersuchungen oder seine finanzielle Unterstützung haben nicht nur Forschern wie Werner von Siemens und Justus Liebig auf die Beine geholfen. Gemeinsame Überlegungen legten die Grundsteine für das Koordinatensystem von Carl Friedrich Gauß und das Gesetz über die Volumenveränderung von Gasen von Louis Gay-Lussac.

So bauen auch viele wissenschaftliche Entwicklungen der Neuzeit auf Humboldts Ideen auf. Die moderne Vulkanismus-Forschung etwa beruht auf der Theorie des Plutonismus: Humboldt bewies, dass Vulkane eine Verbindung zum Erdinneren haben müssen und damit den Aufbau der Erde entscheidend beeinflussen. Dadurch kippte er den bis dato gültigen Neptunismus mit Vulkanen als brennende Kohleflöze. Bei seinen Beobachtungen über das Wetter stellte er bereits früh Vermutungen über die globale Windzirkulation an und wies damit der späteren Klimatologie den Weg.

Auf Humboldt gehen die heute auf Karten noch viel benutzten Isothermen zurück. © Heinrich Berghaus / Eichborn Verlag

In ähnlicher Weise führten erste Untersuchungen von Humboldt in vielen Wissenschaften zur Gründung neuer Disziplinen. Mit der Vegetationsgeographie, der späteren Geophysik, der Geologie und dem Erdmagnetismus erweitert er die eben erst von Carl Ritter begründete moderne Geographie. Seine Arbeitsmethoden in diesen Disziplinen überdauern bis heute in der wissenschaftlichen Welt. So etablierte Humboldt beispielsweise die Querschnitt-Darstellungen von Höhenprofilen und führte die Darstellung von Linien gleicher Temperatur, Isothermen genannt, auf Karten ein.

Humboldts populäre Bücher „Kosmos“, „Ansichten der Natur“ und „Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent“ sind zwar alle sehr umfangreich, aber nur ein geringer Anteil seiner Veröffentlichungen. Die eigentlichen wissenschaftlichen Abhandlungen trug er an der Akademie in Paris oder Berlin als Lesungen vor und veröffentlichte sie als Aufsätze in Fachzeitschriften. Über 450 wissenschaftliche Texte erschienen von ihm zwischen 1788 und 1859.

Der Mensch Humboldt

Ebenso wie Humboldt im „Kosmos“ alle Naturwissenschaften interdisziplinär zu einem ganzheitlichen Ansatz verflicht, wollte er auch die Menschen untereinander verbinden. Mit seinen 50.000 Briefen schaffte er ein internationales Netzwerk in einer Welt, in der Briefe mit der Post mehrere Monate, nicht nur einen Mausklick lang brauchen und eine Reise nach Venezuela 41 Tage und keine neun Stunden dauert.

Doch seine Ideen überwanden nicht nur Kontinente und Meere, sondern auch Gesellschaftsschichten und Wissenschaftsgrenzen. Er vernetzte Forscher seiner Zeit über politische Barrieren hinweg und förderte die Kommunikation zwischen fremden Kulturen. Die Wissenschaft sah er immer im Zusammenspiel mit den Menschen und setzte sich für einen öffentlichen Zugang von Bildung für die Bürger aller Stände ein. Seine Ideale von Freiheit und Brüderlichkeit öffneten ihm damals die Tore zu fremden Kulturen und heute machen sie ihn nicht nur zu einem Vorbild als Wissenschaftler, sondern auch als Mensch.