Geheimhaltung und Manipulation von Geo-Daten

Kleine Tricks und große Lügen

Retuschiert: Weißes Haus © World Wind, NASA

Einmal den Mount Everest von oben sehen oder dem US-Präsidenten aufs Dach geschaut – mit kostenlosen Programmen wie Google Earth und Co. ist das seit einigen Monaten möglich. Satellitenbilder für jedermann heißt der neue Trend im Internet, der selbst eingefleischte Geographie-Muffel begeistert.

Doch die Neugier der virtuellen Entdecker treibt Regierungen und Sicherheitsexperten den Angstschweiß auf die Stirn. Sie befürchten den Missbrauch der ehemals exklusiven Nahaufnahmen von geheimen Militärbasen oder Kernkraftwerken, rechnen sogar mit Terroristenangriffen. Und fordern die Geheimhaltung der sensiblen Objekte.

Technisch ist die Verfälschung digitaler Geo-Daten kein Problem. Die Anbieter der Satelliten-Shows, mit dem Anspruch der unbegrenzten Informationsfreiheit angetreten, müssen bereits einräumen, dass die hochauflösenden Luftbilder nicht ganz so jungfräulich sind, wie es scheinen mag.

Und auch das neue Satellitennavigationssystem Galileo, mit dem sich Europa vom Global Positioning System der NASA unabhängig machen will, offenbart bei näherem Hinsehen, dass die Kooperation mit dem amerikanischen Militär Kompromisse beim zivilen Datentransfer fordert.

Dabei ist die Geheimhaltung oder Verfälschung von geographischen Informationen keine Erfindung des digitalen Zeitalters. Seitdem die ersten kunstvollen See- und Weltkarten zu Papier gebracht wurden, waren sie stets den Mächtigen vorbehalten. Mit Karten ließen sich Kontinente erobern und Kriege gewinnen. Sie wurden ausspioniert, kopiert, gestohlen, gehütet wie Schätze. Und manchmal auch ein bisschen retuschiert…

Edda Schlager
Stand: 13.01.2006

oder Wer hat Angst vor Google Earth?

Luftbilder für alle!

Google Earth hat die Welt in den heimischen PC geholt, so viel ist sicher. Seitdem der US-amerikanische Suchmaschinenbetreiber Google am 28. Juni 2005 seine Software Google Earth für den virtuellen Flug rund um die Erde veröffentlichte und jedem Internetnutzer kostenlos zur Verfügung stellte, hat die Kartographie eine neue Dimension der Öffentlichkeit erhalten.

Satellitenbilder und hochauflösende Luftbilder der Erde, die bisher als kartographisches Expertenwissen galten und meist nur Wissenschaftlern oder Militärs zur Verfügung standen, haben plötzlich ein großes Publikum – und eine regelrechte Fangemeinde.

Volkssport Planespotting

Planespotting: Wo ist das Flugzeug? © Google Earth

Das Internet und leistungsfähige Breitbandverbindungen für den Download großer Datenmengen machen es möglich, dass sich jeder Internetnutzer mit den entsprechenden technischen Voraussetzungen faszinierende Nahaufnahmen der Erdoberfläche in 3D-Optik ansehen kann, seien es der Great Canyon oder der Eiffelturm, der Mount Everest oder die Nazca-Bilder in Peru.

Flugzeuge im Landeanflug, Wale im Ozean oder einfach nur das eigene Wohnhaus aufzuspüren, hat sich zu einem wahren Volkssport entwickelt. In Foren werden die neuesten Entdeckungen verkündet und – gleich mit Link versehen – ausgestellt.

Google macht Angst

Die Freizügigkeit von Google Earth und der hemmungslose Austausch geographischer Informationen haben allerdings auch Kritiker auf den Plan gerufen. Staaten wie Indien, Russland oder Nordkorea äußerten ernsthafte Bedenken, die in der Google-Software zur Verfügung gestellten Luftaufnahmen seien geeignet, Terroranschläge vorzubereiten. Thailand bat darum, Regierungsgebäude unkenntlich zu machen, Australien wollte ein auf den Luftbildern erkennbares Kernkraftwerk verstecken. Viele US-Amerikaner haben Angst, Detailaufnahmen aus dem Irak könnten die dort im Einsatz befindlichen GIs gefährden.

Google dagegen lehnt es ab, sein Informationsangebot einzuschränken. „So lange keine rechtliche Zwänge bestehen, werden wir keine Manipulationen an den Daten aus Google Earth vornehmen,“ versichert Stefan Keuchel, Sprecher von Google Deutschland. Das Unternehmen stehe für Informationsfreiheit und wolle allen Internetnutzern möglichst umfangreiche Informationen zur Verfügung stellen. Es sei nicht geplant, den Zugang zu Google Earth in bestimmten Ländern einzustellen oder die Bilder zu verfälschen.

Zahlreiche Quellen für Luftbilder

Den Vorwurf, Google Earth stelle ein potentielles Instrument für Terroristen dar, weist Keuchel vehement zurück. „Alle Satelliten- und Luftbilder aus Google Earth sind auch anderweitig zu haben. Terroristen sind nicht auf Google Earth angewiesen,“ so Keuchel.

In der Tat hat bereits im Sommer 2004 die NASA das Programm World Wind kostenlos zum Download bereitgestellt. Die Software basiert auf Aufnahmen der Landsat-Satelliten und auf Luftbildern des US Geological Survey (USGS). Auch World Wind bietet die Möglichkeit virtueller Flüge um die Erde oder die Suche nach bestimmten Orten. Daneben stellt die NASA auf ihrer Homepage umfangreiche Sammlungen von Satelliten- und Luftbildern zur Verfügung, die gezielt von jedermann durchsucht werden können.

Reichstag in Berlin © Google Earth

Auch Microsoft hat mit Windows Live Local (früher Virtual Earth) einen lokalen Suchdienst ins Rennen geschickt. Eine Art „Gelbe Seiten“ wird hierbei mit der Anzeige der gesuchten Orte auf Satellitenbildern verknüpft. Sowohl Windows Live Local als auch Google Maps, der „kleine Bruder“ von Google Earth, sind ausschließlich internetbasiert und benötigen keine Installation zusätzlicher Software.

Einzigartig ist Google Earth allerdings bei der Ausstattung mit hochauflösenden Bildern, obwohl die höchste Bildqualität bisher auf Metropolen in den USA oder Europa beschränkt ist. Anstelle die bisherigen Informationen einzugrenzen, wie von Kritikern gefordert, plant Google langfristig, die gesamte Erdoberfläche durch hochauflösende Satellitenaufnahmen abzubilden.


Stand: 13.01.2006

Manipulation von Satellitenbildern

Kostenlos, aber zensiert?

Verpixelt. US Naval Observatory, Washington, USA © Google Earth

Mit dem wachsenden Angebot von kostenlosen Satellitenbildern im Internet ist eine Diskussion um die Grenzen der freien Verfügbarkeit detaillierter geographischer Informationen entstanden. Vor allem Regierungs-Einrichtungen, militärische Stützpunkte oder strategisch wichtige Objekte gelten als gefährdete Ziele für mögliche Übergriffe.

Sollen die Dachaufbauten des Weißen Hauses auf Luftbildern wirklich deutlich erkennbar sein? Ist es legitim, Luftwaffenstützpunkte und Landebahnen detailgetreu zu zeigen? Kann man es verantworten, Kernkraftwerke oder Sprengstofffabriken für jeden Interessierten auffindbar zu machen?

Kaum strategischer Nutzen

Alle diese strategischen Objekte können in traditionellen topographischen Karten entschärft dargestellt oder kurzerhand weggelassen werden, nur im Interesse des Staates versteht sich. Doch infolge der fotografischen Landesaufnahme und der weltweiten Verbreitung der Daten lassen sie sich nun lokalisieren und werden teilweise detailliert abgebildet.

Unter Sicherheitsexperten gilt der strategische Nutzen der von Google und Microsoft verwendeten Luftbilder als nicht besonders groß. Die Aufnahmen in allen Programmen sind bereits mehrere Jahre alt. Bauliche Veränderungen aus den letzten Jahren sind in den Satellitendaten nicht berücksichtigt. Beweise dafür, dass die neuen Programme zu kriminellen Zwecken herangezogen wurden, gibt es bisher nicht.

Satellitendaten manipuliert?

Doch während den einen die Details der durch Google oder Microsoft angebotenen Luftbilder bereits zu weit gehen, weil sie Missbrauch fürchten, sehen andere Nutzer die Gefahr bei den Anbietern der Dienste selbst und mutmaßen bereits über eine Zensur der kostenlosen Geo-Daten.

Tatsächlich finden sich Beispiele, die eine bewusste Verfälschung der Satellitenbilder oder zumindest die Verschleierung von Informationen vermuten lassen. Google versichert, seine Bilddaten nicht zu manipulieren. Möglicherweise wurden die Satelliten- und Luftbilder also schon durch die Urheber bearbeitet. Sowohl Google als auch Microsoft kaufen die Daten bei verschiedenen Anbietern wie dem USGS, der NASA oder privaten Unternehmen.

Pixel und Bildrauschen – aber warum?

Weichzeichner: Perry-Kernkraftwerk, Cleveland, USA © Google Earth

So ist beispielsweise das US Naval Observatory in Washington, eine Einrichtung der US-Navy, die eng mit dem Verteidigungsministerium zusammenarbeitet, in allen Programmen bzw. Webanwendungen von Google und Microsoft verfremdet. Dass das zugrunde liegende Satellitenbild zufällig verpixelt wurde, ist unwahrscheinlich. Kurios: Auf der Homepage der US-Behörde selbst findet sich ebenfalls ein Luftbild des Areals – hochaufgelöst und unverpixelt.

Ähnlich merkwürdig ist die Abbildung des Perry-Kernkraftwerks in Cleveland am Südufer des Eriesees in den USA. Das entsprechende Luftbild in Google Earth ist an der Stelle des Kraftwerks mit einem Weichzeichner unscharf gemacht worden. In Google Maps und World Wind dagegen ist das Kraftwerk mit seinen zwei Kühltürmen deutlich zu erkennen, Windows Live Local bietet sogar ein

Detailliert: Perry-Kernkraftwerk, Cleveland, USA © World Wind, NASA
Luftbild in Schrägansicht, auf dem einzelne Menschen zu erkennen sind.

Neben solchen Fällen finden sich auf den Satelliten- und Luftbildern immer wieder unscharfe Regionen oder schwarze Balken, die im Internet als mögliche Areale für dubiose Machenschaften verschiedener Regierungen gehandelt werden. Oft sind dies Artefakte, die beim Komprimieren der Bilddateien entstehen, oder „Löcher“ im Datensatz, das heißt, für die entsprechende Stelle liegt kein Satellitenbild vor. Die bewusste Manipulation der Satellitenbilder ist vermutlich wirklich eher die Ausnahme.


Stand: 13.01.2006

GPS, Galileo und die nationale Sicherheit

Funkstörung

GPS-Satellit © NASA

Seit mehr als zehn Jahren ist GPS, das Global Positioning System, das am weitesten verbreitete Verfahren zum Bestimmen von Positionsdaten mit Hilfe von Satelliten. Die Position eines Empfängers auf der Erde wird dabei dadurch ermittelt, dass mehrere Satelliten pausenlos Radiosignale an den Empfänger senden. Ist die Position der Satelliten im All genau bekannt, lässt sich daraus und durch die Zeit, die die Signale bis zum Empfänger brauchen, der präzise Standort des Empfängers auf der Erde errechnen.

GPS-Signal verfälscht

Doch erst seit dem 2. Mai 2000 funkt GPS weltweit mit der größtmöglichen Genauigkeit und einer maximalen Abweichung von zehn Metern. Im Mai 2000 wurde die so genannte Selective Availability (Selektive Erreichbarkeit) abgeschaltet. Dieses Störsignal verschlechterte die Genauigkeit der GPS-Messungen, indem es die Abweichung auf mehr als 100 Meter erhöhte.

Die Satellitensignale zum Errechnen der Position auf der Erde wurden absichtlich verfälscht. Denn ursprünglich war das Navigationssystem GPS der militärischen Nutzung vorbehalten, Gegnern sollten die genaue Positionsdaten und eine präzise Navigation vorenthalten werden. Nur das US-Militär hatte Zugriff auf die verschlüsselten korrekten Signale. Erst seitdem die Selective Availability abgeschaltet ist, hat sich GPS auch im zivilen Bereich, zum Beispiel bei Navigationssystemen in Autos oder Mobiltelefonen etabliert.

Konkurrent Galileo

Dass das Störsignal von GPS im Jahr 2000 und nicht, wie ursprünglich geplant, erst 2006 abgeschaltet wurde, ist dem europäischen Satellitennavigationssystem Galileo zu verdanken. Die Ankündigung der EU, bis 2008 ein eigenes Navigationssystem für ausschließlich zivile Zwecke zu entwickeln, beschleunigte die Öffnung von GPS für die nichtmilitärische Nutzung.

Modell des Satellitennetzes von Galileo © ESA

Galileo funktioniert nach dem gleichen Prinzip der Satellitenortung wie GPS. Kritiker des 3,5 Milliarden teuren EU-Programms sprechen allerdings bereits jetzt von unnützer Geldverschwendung. Technisch sei Galileo nicht notwendig, es biete keine umfangreicheren Anwendungsbereiche als GPS bisher.

Sicherheitsbedenken

Dass die Europäer auch nach jahrelangen Verhandlungen mit den USA auf ihrem eigenen System bestanden, hat jedoch weniger wirtschaftliche als vielmehr politische Gründe. Die Selective Availability des GPS kann theoretisch jederzeit wieder eingeschaltet werden, so geschehen beispielsweise im letzten Golfkrieg im Jahr 2003. Die EU will mit Galileo der Abhängigkeit von den Amerikanern und deren Sicherheitsbedenken entgehen.

Im Jahr 2004 einigten sich die USA und die EU auf eine Kompatibilität von GPS und Galileo. Die EU verzichtete auf ein präziseres Datenübertragungssystem, so dass Galileo die technischen Standards von GPS übernimmt. Die Konsequenz: Eine Störung des Galileo-Signals führt nicht automatisch zu einer Störung des Signals von GPS. Andererseits ist das US-Militär nun in der Lage, das Galileo-Signal zu stören, ohne das eigene GPS-Signal zu beeinträchtigen.


Stand: 13.01.2006

Die Entdecker und ihre Geheimnisse

Die Lade des Padron Real

Amerika-Karte, Abraham Ortelius, 1587 © Kathleen Cohen

Das Zeitalter der großen geographischen Entdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert war auch das goldene Zeitalter der Kartographie. Die rasante Erforschung der alt bekannten und neuen Kontinente forderte ständige Neuauflagen kartographischer Schriften und brachte einen Aufschwung aufwändig gestalteter Kunstwerke mit sich.

Wer neue Ländereien entdeckte, beanspruchte diese für sich, als Besitznachweis galt allein eine Karte. Weil geographisches Wissen den Weg zu neuen Reichtümern, zu Rohstoffen und Handelswaren wies, hüteten die Könige der Renaissance ihre Karten wie Staatsgeheimnisse.

Die Spanier bewahrten ihre Kartensammlung in einer Lade mit zwei Schlössern auf. Die Schlüssel dazu besaßen der Generalsteuermann und der oberste Kosmograph. Aus Angst, die amtlichen Karten könnten absichtlich verfälscht werden, schuf die spanische Regierung im Jahr 1508 eine Mutterkarte, den Padron Real. Alle Aktualisierungen wurden darin vorgenommen und erst dann vervielfältigt. Der Padron Real selbst wurde von einer Kommission der besten Steuerleute überwacht

Folgenschwerer Kartenraub

Lange Zeit war Portugal die führende Nation in der Seefahrt. Nautische Schriften zu kopieren oder ins Ausland zu schicken, war bei Todesstrafe verboten. Drohte in Seeschlachten eine Niederlage, wurde eher das eigene Schiff versenkt, als dass kartographische Aufzeichnungen dem Feind in die Hände fielen. Ausländer, vor allem aus Italien und Spanien, waren in Portugal nicht gern gesehen, weil sie die königlichen Geheimnisse stehlen konnten.

Einer dieser Diebe war kein geringerer als Christoph Kolumbus. Der Italiener und sein Bruder Bartolomäo nutzten einen Aufenthalt in Portugal, um königliche Karten aus dem geheimen Staatsarchiv zu kopieren. Mit Hilfe dieser Notizen entwarfen die beiden eine Landkarte für die Westroute nach Indien. Mit ihr segelte Kolumbus über den Atlantik, um schließlich Amerika zu entdecken.

Datentransfer mit Umwegen

Auch Ferdinand Magellan plante seine Reise nach Südamerika, bei der er die bis dahin unbekannte Meerenge zwischen dem südamerikanischen Festland und der Insel Feuerland entdecken sollte, aufgrund von geheimen Informationen. Er hatte eine Karte des Nürnberger Mathematikers Martin Behaim im Gepäck, die eine schiffbare Meerenge an der Südspitze Südamerikas vermuten ließ.

Der Deutsche Behaim hatte in Portugal lange als Kartograph gearbeitet und verfügte so über geheime Informationen aus den königlichen Kartensammlungen. Als Behaim seinen Arbeitgeber wechselte und wieder nach Deutschland ging, nahm er das exklusive Wissen mit, um den heute ältesten noch existierenden europäischen Globus anzufertigen.

Magellan, gebürtiger Portugiese, machte seine Entdeckungsfahrt im Auftrag der Spanier. Seinen Weg durch die nach ihm benannte Magellanstraße fand er jedoch aufgrund der über Umwege zu ihm gelangten Geheimnisse aus der Schatzkammer des portugiesischen Königs

Der Spion auf dem Segelschiff

Niederländische Karte von Ostasien, C. Allard, 1690 © Kathleen Cohen

Je restriktiver die Geheimhaltungspolitik der Seemächte wurde, desto kreativere Ideen entwickelten diejenigen, die die Informationen dringend benötigten. Als Portugal im Jahr 1580 von den Spaniern besetzt wurde, war damit auch Holland von den Importen aus dem Orient abgeschnitten, denn die Niederländer waren stets von Portugal beliefert worden, aber nie selbst nach Asien gefahren. Sie kannten nicht einmal den Weg dahin.

So wurde Jan Huygen van Linschoten, ein holländischer Kaufmann, beauftragt, auf einem portugiesischen Schiff, das gen Osten fuhr, anzuheuern, um heimlich die Fahrtroute zu erkunden. Die Ergebnisse seiner erfolgreichen Spionage-Mission schrieb er nieder und öffnete der holländischen Seefahrt so den Weg in den Orient.


Stand: 13.01.2006

Kriegsführung mit unlauteren Mitteln

Die Karte geht zum Militär

Während zu Zeiten Kolumbus’ und Magellans die Kartographie vor allem im Dienst der Entdeckung von Ländereien und deren „Eroberung per Landkarte“ stand, hatten sich im 17. und 18. Jahrhundert die meisten der europäischen Staaten konstituiert. Karten und geographische Informationen hatten, obwohl sie mittlerweile sehr viel einfacher zu reproduzieren waren, noch immer einen erheblichen Wert.

Ordnung muss sein

Der Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., erkannte als einer der ersten, dass ihm die kartographische Landesaufnahme Vorteile bei der Kriegsführung einbringen würde. Im Jahr 1673 bekam der Generalquartiersmeisterleutnant von Preußen erstmals den Auftrag „von allen Orten einen richtigen und perfekten Abriss in Verwahrung und Bereitschaft“ zu haben und eine Kartenkammer einzurichten. Das Vermessungs- und Kartenwesen erhielt damit einen festen Platz in der preußischen Militär- und Zivilverwaltung.

Doch die Karten stehen auch in Preußen nur einem kleinen Kreis Auserwählter zur Verfügung. Friedrich der Große, Sohn des Soldatenkönigs, fürchtet den Verlust seiner Karten so sehr, dass er die wichtigsten Exemplare auf Reisen stets in einer Kiste mit sich führte. Die Plankammer im Stadtschloss Potsdam ließ er in das Stockwerk über seiner Wohnung verlegen. Der Zugang bestand aus einer knarrenden Stiege. So konnte der König die Kartensammlung persönlich überwachen.

Karte von Preußen, Gerhard Mercator, 1609 © www.mapsandducks.de

Ursache der Vorsicht war die Angst, militärischen Gegnern den Einmarsch ins Land zu erleichtern, wenn diesen die Karten in die Hände fielen. Aus demselben Grund durften genauere Karten mit großem Maßstab, die Ende des 18. Jahrhunderts angefertigt wurden, gar nicht oder nur mit verkleinertem Maßstab gedruckt werden.

Schlechte Erfahrung

Auch die Gegenspielerin Friedrichs des Großen, Maria Theresia, Herrscherin von Österreich, erkannte, dass gute Karten über den Ausgang von Kriegen entscheiden können. Nach schlechten Erfahrungen mit unzureichendem Kartenmaterial im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1762) veranlasste auch sie eine systematische Landesaufnahme nach dem Vorbild Preußens.

Beide Mächte standen sich einander in nichts nach, wenn es um die Bespitzelung des Gegners ging. So erließ Maria Theresia die Anordnung, ihre in preußische Kriegsgefangenschaft geratenen Offiziere nicht sofort gegen preußische Gefangene der österreichischen Armee einzutauschen. Von den gefangenen Österreichern erhoffte sie sich nach deren längerem Aufenthalt im Gebiet des Feindes verlässliche Informationen über die Festungen und die Topographie Preußens. Friedrich allerdings bemerkte ihre Taktik und schickte die Offiziere früher heim.

Spitzeleien und Täuschungsmanöver

Preußen hingegen sammelte gezielt Informationen über den Ausbau der Festungsanlagen von Wien. Im Kartenkontor des preußischen Generalstabs fand sich eine bemerkenswerte Sammlung von Karten, die den Umbau der Wiener Festung dokumentieren, der um 1740 begann, als sich Österreich bereits für einen Krieg rüstete.

Als Anfang der 1770er Jahre ein Stadtplan Wiens gedruckt werden sollte, behielt sich Maria Theresia die Kontrolle des Kartenmanuskripts vor und veranlasste diverse Änderungen, um die Festung auf dem Papier größer und uneinnehmbarer erscheinen zu lassen.


Stand: 13.01.2006

Kalter Krieg – High Noon für Kartenfälscher

Wandernde Dörfer und flexible Meridiane

Bereits in den dreißiger Jahren hatte Stalin angeordnet, amtliche topographische Karten der Sowjetunion zu verfälschen. Bemerkt wurde dies, als sich Karten, die während des Zweiten Weltkriegs deutschen Offizieren zugespielt worden waren, vor Ort als falsch erwiesen und die Deutschen anstelle von Straßen und Dörfern beispielsweise Sümpfe oder Schluchten vorfanden.

Befehl zur Fälschung

Der Höhepunkt der Fälschung von Karten wurde jedoch im Kalten Krieg erreicht. Die Staaten des Warschauer Pakts beschlossen bei der „VII. Konferenz der Geodätischen Dienste der sozialistischen Länder“ im Jahr 1965, dass Karten im einheitlichen osteuropäischen „Koordinatensystem 42“ lediglich den Streitkräften vorbehalten sein dürften. Auf allen Karten mit Maßstäben größer als eins zu eine Million, also detailgenaueren Karten, sei das Kartengitter zu verzerren, und Karteninhalte seien teilweise ungenau anzugeben.

Planerfüllung für Kartographen

Die Ortschaft Salmi am Ladogasee und der 32. Längengrad © Google Earth, verändert

Die Folge waren merkwürdige Wanderungen von Ortschaften, die bei verschiedenen Auflagen von Atlanten an unterschiedlichen Stellen auftauchen. So „wanderte“ das Dörfchen Logaschkino am Ufer der Ostsibirischen See entlang, bewegte sich mal weiter ins Landesinnere, mal weiter in Richtung Meer und verschwand in manchen Atlanten völlig von der Bildfläche. Ähnlich erging es der Stadt Salmi am Ladogasee, die mal westlich, mal östlich des 32. Längengrades lag.

„Die russischen Kartographen erfüllten ihren Plan der angeordneten Verfälschungen, indem sie relativ unscheinbare Veränderungen vornahmen,“ schlussfolgert heute Kurt Brunner, Professor für Kartographie an der Universität der Bundeswehr in München.

Sonderausgabe für die Volkswirtschaft

Vorher: Tarnungsvorlage © LVA Sachsen-Anhalt, Kurt Brunner

Auch in der DDR gehörten verfälschte topographische Karten zum Repertoire. Hier gab es von allen Kartenblättern eine unverfälschte „Ausgabe Staat (AS)“ und eine „Ausgabe Volkswirtschaft (AV)“. Bei letzterer fehlten neben Trigonometrischen Punkten oder markanten Geländemerkmalen auch Militär-Flugplätze oder Radaranlagen, außerdem wiesen die Messblätter Verzerrungen auf. So genannte „Tarnungsvorlagen“ legten fest, welche Informationen für die öffentlich zugänglichen Karten-Ausgaben getilgt oder verändert werden sollten.

Nachher: Retuschierte Topographische Karte (AV) © LVA Sachsen-Anhalt, Kurt Brunner

Der Ostblock stand mit der gezielten Desinformation des Gegners oder der Geheimhaltung amtlicher Karten nicht allein da. Auch in der Bundesrepublik gab es Vorschriften, Flug- oder Manöverplätze in zivilen Karten und Plänen beispielsweise als Wald- oder Wiesenflächen zu tarnen. In Großbritannien müssen bis heute Radiostationen, Brennstoffaufbereitungsanlagen oder Erdöldepots aus Karten getilgt werden. Und auch die USA tarnen ihre militärischen Einrichtungen als Industriegebiet .

Der Kalte Krieg hat skurrile Formen einer ideologisch geprägten Kartographie hervorgebracht. Dass Staaten auch heute noch Vorschriften zur Verfälschung von Karten haben, wonach militärische oder andere strategisch bedeutsame Objekte verschleiert werden müssen, davon sind Experten überzeugt. „Und diese Praxis gibt es weltweit,“ ist sich Militärkartograph Brunner sicher.


Stand: 13.01.2006

Frisierte Grenzen

Meine ist länger

Seit dem 16. Jahrhundert dienen topographische und politische Karten dazu, Staatsterritorien zu verwalten. Wurden Grenzen damals auf Karten eingetragen, bekamen sie offiziellen Charakter. Staaten machten so mit einem „Pinselstrich“ ihre Ansprüche geltend.

Die Kolonialmächte beispielsweise teilten 1885 Afrika mit der Landkarte unter sich auf. Und aus so mancher Grenzstreitigkeit sind handfeste Kriege entstanden, weil lediglich eine Partei von der Richtigkeit der Grenze überzeugt war.

Provokante Karten

Argentinische Gebietsansprüche, Briefmarke 1964 © www.midco.net

So beanspruchen England und Argentinien seit dem 19. Jahrhundert die Falkland-Inseln für sich. Im Laufe der Kolonialisierung gehörten diese zu Frankreich und zu Spanien, zeitweise auch zu den beide heute noch streitenden Parteien, blieben aber lange unbewohnt. Nachdem Argentinien die Inseln 1820 erobert und wieder verlassen hatte, wurden sie schließlich von den Engländern besiedelt.

Der Konflikt eskalierte 1982 im Falkland-Krieg. Argentinien besetzte die Inseln, Großbritannien schlug zurück und behielt sie bis heute unter Kontrolle. Trotzdem weist Argentinien die Falkland-Inseln auf seinen Karten bis heute als eigenes Territorium aus.

Obwohl zum Teil drastische Folgen drohen, ist die Versuchung scheinbar groß, den Grenzstrich auf einer Karte zu verändern und – wenn auch nur ein bisschen – zu schummeln. Manchmal merkt es nicht einmal jemand …

Der Tempel von Preah Vihear

1958 landete der Fall des Tempels von Preah Vihear vor dem Internationalen Gerichtshof. Thailand hatte bei Vermessungen festgestellt, dass eine ursprünglich vereinbarte Grenzlinie zu seinen ungunsten verschoben worden war und Kambodscha den fraglichen Tempel nun für sich beanspruchte. Der Grenzvertrag war 1907 zwischen dem damaligen Siam und Frankreich, dem Kolonialherren Kambodschas, geschlossen worden. Als Grenze sollte eine natürliche Wasserscheide dienen.

Entgegen der vertraglichen Vereinbarung hatten französische Kartographen auf einer Karte die Grenzlinie etwas verschoben, so dass der Tempel auf dem Papier Kambodscha zufiel. Die Karte war zusammen mit dem anders lautenden Vertrag übergeben worden. Die siamesisch-thailändischen Behörden übersahen wohl die kleine „Korrektur“, denn die Karte wurde von ihnen zunächst ohne Protest akzeptiert, nachgedruckt und in Umlauf gebracht.

Als Thailand die Schummelei bemerkte, druckte es seinerseits von da an eine korrigierte Fassung mit dem vertraglich festgelegten Grenzverlauf auf der Wasserscheide – äußerte sich jedoch nicht zu dem Vorfall. Erst 1958 wurde das Grenzgebiet strittig und beide Parteien verlangten schließlich Klärung.

Der Internationale Gerichtshof entschied letztlich zugunsten Kambodschas. Thailand habe die Karte zur Kenntnis genommen, trotz mehrfacher Gelegenheit nicht widersprochen und die Grenze auf der Karte so stillschweigend akzeptiert, lautete das Urteil. Kambodscha erhielt in der Folge seine territoriale Souveränität im strittigen Gebiet. Thailand musste sich dem gerichtlichen Urteil fügen und das Land endgültig abtreten.

Wer zuerst kommt…

Offizielle Chilenische Karte mit Antarktis © www.inach.cl

Damit es erst gar nicht erst zu derlei Streitigkeiten kommt, haben schon heute sieben Nationen ihre Claims in der Antarktis abgesteckt – allerdings nur auf Karten, denn bisher ist die Antarktis staatenlos. Großbritannien, Norwegen, Australien, Frankreich, Neuseeland, Argentinien und Chile gründen ihren Anspruch unter anderem auf traditionellen Walfanggebieten oder Schenkungen durch die englische Krone. Die Regierungen wollen ihr Tortenstück prophylaktisch sichern, sollte der südlichste Kontinent tatsächlich einmal aufgeteilt werden. Mit dem Antarktisvertrag von 1959 erklärten sich die sieben Staaten bereit, ihre Territorialansprüche ruhen zu lassen. Dennoch weisen Chile und Argentinien auf offiziellen Karten die Antarktis bereits als Staatsterritorium aus.


Stand: 13.01.2006

Die Wahrheit ist relativ

Zerrbild Landkarte

Es gibt auch subtile Mittel, um die Nutzer von Karten in die Irre zu führen. Kleine Tricks, wie die Kombination bestimmter Farben und Schraffuren, Schrifttypen und -größen, die Wahl des Maßstabs und der Blattgröße, selbst Papier und Drucktechnik können die Wirkung von Karten enorm verändern.

Als der holländische Kartograph Gerhard Mercator im 16. Jahrhundert eine spezielle Projektion entwarf, um die gekrümmte Oberfläche der dreidimensionalen Erde auf einem flachen Bogen Papier zweidimensional abzubilden, ahnte er nicht, dass seine Technik dreihundert Jahre später in die Kritik geraten würde.

{1r}

Der Niederländer entwickelte die nach ihm benannte Mercatorprojektion speziell für Seekarten und die Navigation. Das Abbild der Erde wird dabei winkeltreu wiedergegeben, die Proportionen der Kontinente sind jedoch verzerrt. Weil die frühen Seefahrer die Regionen jenseits der Polarkreise mieden, betrachteten sie es kaum als Nachteil, dass diese Gebiete bei der Projektion unverhältnismäßig groß erschienen, denn die Verzerrung nimmt bei der Mercatorprojektion vom Äquator in Richtung Polkappen zu. Die Pole selbst können nicht mehr dargestellt werden.

Eben diese Tatsache wurde später von antikommunistischen Gruppen aufgegriffen, um die Bedrohung den Westens durch den Ostblock zu beschwören. Russland und China erscheinen in der Mercatorprojektion überdimensioniert. Bei antisowjetischen Demonstrationen wurde deshalb stets die Mercatorkarte eingesetzt. Riesige rote Flächen illustrierten so die Gefahr aus dem Osten.

Peters-Projektion statt Mercatorkarte?

In ihrer Entstehungszeit wurde die Mercatorkarte kaum als Weltkarte verwendet. Sie war als Grundlage für Seekarten gedacht, und wird in der Schifffahrt noch heute genutzt.

Die ideologische Überlegung, seine Projektion verzerre die Geographie zuungunsten der dritten Welt, wäre dem niederländischen Kartographen wohl reichlich merkwürdig vorgekommen. Dennoch galt dieses Argument als ein Anstoß zu einem Gegenentwurf zu Mercators Karte.

Peters-Projektion © RWTH Aachen

1974 entwarf der Deutsche Arno Peters eine flächentreue Projektion der Erde. Im Vergleich zur winkeltreuen Mercatorprojektion werden die äquatornahen Gebiete gestreckt, die polnahen Regionen gestaucht. Die Proportionen der Kontinente bleiben so erhalten.

Obwohl die Argumente für eine derartige Korrektur der Weltkarte nachvollziehbar waren, hat sich die Peters-Projektion bis heute nicht durchgesetzt.


Stand: 13.01.2006

Generalisierung von Karten

Ein bisschen Schummeln gehört dazu

Bei aller Kritik an den Manipulationen und Geheimnissen der Kartographen, ein paar „Notlügen“ müssen sein. Schließlich ist es nicht ganz leicht, die Realität vollständig, übersichtlich und maßstabsgetreu auf ein Blatt Papier zu bannen und zudem noch mit erläuternden Symbolen und lesbaren Beschriftungen zu versehen.

Auf jeder Karte wird deshalb vereinfacht, also generalisiert. Straßen beispielsweise unterliegen dabei nicht der genauen Maßstabsvorgabe. Denn bei genauer Umrechnung könnte dieselbe Straße, je nach Maßstab, entweder zu viele Informationen überdecken oder selbst zu schmal erscheinen.

Dasselbe gilt für Flächensignaturen, die je nach Maßstab zusammengefasst, ausgedünnt oder eventuell ganz ausgelassen werden, denn Generalisierung erfordert immer auch die Entscheidung darüber, welche Informationen die Karte überhaupt enthalten soll.

Ausschnitt aus dem Netzplan der Londoner Tube © London Underground

Gerade das macht es allerdings so schwierig, die Geheimhaltung bestimmter Sachverhalte auf topographischen Karten nachzuweisen. Die Grenzen zwischen Generalisierung und Verfälschung sind fließend.

Amtliche topographische Karten erlauben beispielsweise nur einen minimalen Lagefehler der Symbole, sie müssen ein bestimmtes Maß an geometrischer Genauigkeit aufweisen. Bei anderen Karten wiederum ist die Genauigkeit weniger wichtig. So ist für Transportpläne die relative Lage von Stationen und Trassen entscheidend. Eine der bekanntesten Formen stark generalisierter Karten sind Netzpläne des öffentlichen Nahverkehrs wie sie in U- oder S-Bahnen zu finden sind. Kein Mensch würde hier von einer Fälschung sprechen.


Stand: 13.01.2006