Den individuellen Unterschieden im Sexualverhalten von Zebrafinken auf der Spur

Sind Vögel auch nur Menschen?

Für den Test wird hier ein Männchen zu einem Weibchen in den Käfig gesetzt. Das Weibchen reagiert eher zurückhaltend auf die Annäherungsversuche des Männchens. © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

Extrovertiert oder introvertiert, selbstbewusst oder schüchtern, Macho oder Softie – wer Menschen beobachtet und beschreibt, greift zu solchen Attributen, aber bei Vögeln? Doch tatsächlich gibt es diese Verhaltensunterschiede. Woher aber kommen sie?

Zu dieser Frage gibt es bislang vor allem theoretische Konzepte: Eine seltene Strategie ist – so die Annahme – einer häufigen Strategie überlegen, wenn sie eine vergleichsweise profitable, aber unterbesetzte Nische ausnutzt. „Man kann das mit der Berufswahl beim Menschen vergleichen“, erläutert Forstmeier, „mit einem selten gewählten Beruf können Sie zu einem gefragten Spezialisten werden.“ Darüber hinaus ist ein Spezialist einem Generalisten in seiner Nische überlegen, ein Prinzip, das ebenfalls auf den Menschen anwendbar ist.

Individuelle Unterschiede im Sexualverhalten innerhalb eines Geschlechts sind weit verbreitet im Tierreich, aber die Ursachen dieser Variation sind bisher wenig erforscht – schon gar nicht an Vögeln. Dabei sind gerade Zebrafinken ein interessantes Untersuchungsobjekt, zeigen sie doch in ihrem Sexualverhalten erstaunliche Parallelen zum Menschen: Zebrafinken leben nämlich in sozialer Monogamie, das heißt ein Pärchen bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen.

Seitensprünge sind aber keine Seltenheit, er wie sie geht hin und wieder fremd – mit entsprechenden Folgen. Was aber nicht für jeden Vogel gilt, manche sind auch ganz treu. Darüber hinaus gibt es unter den Zebrafinken-Männchen gute Väter und weniger gute: manche Männchen erledigen den Großteil der elterlichen Brutfürsorge, andere überlassen das weitgehend dem Weibchen.

Christina Beck / MaxPlanckForschung
Stand: 16.03.2007

Mütterliche Effekte im Verdacht

Gene oder Umwelt?

Das Zebrafinken-Männchen schüttelt sich, nachdem es aus der Hand des Forschers in den Käfig entlassen wurde – aber es lässt sich nichts anmerken von dieser unfreiwilligen Versetzung, sondern plustert sein Kopf- und Nackengefieder und balzt sogleich das einzige Weibchen im Käfig an. Sie reagiert eher schüchtern, zurückhaltend, er ist ganz der Draufgänger.

Vermessen der Zebrafinken-Eier © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

„Zebrafinken zeigen bemerkenswerte Unterschiede in ihrem individuellen Sexualverhalten“, erklärt Wolfgang Forstmeier. „Manche Männchen beginnen gleich und mit großer Ausdauer, das Weibchen anzubalzen, andere verhalten sich erstaunlich scheu. Und auch die Weibchen reagieren höchst unterschiedlich: Einige sind sofort bereit, mit einem oder auch mehreren Männchen zu kopulieren, während andere alle Annäherungsversuche strikt abwehren.“

„Schon frühzeitig werden diese Persönlichkeitsmerkmale bei Zebrafinken sichtbar und sind auch Jahre später noch vorhanden“, so Forstmeier. Den Biologen faszinieren die persönlichen Eigenarten seiner Schützlinge allerdings aus einem ganz bestimmten Grund: Er möchte herausfinden, warum es diese individuelle Vielfalt an Verhaltensweisen gibt. Bringt es möglicherweise einen evolutionären Vorteil, anders zu sein als die anderen?

Nichtgenetische Faktoren beteiligt?

Der junge Biologe möchte herausfinden, welche Rolle die Gene, welche die Umwelt – und welche insbesondere die Mütter bei der Festlegung des Verhaltens spielen. So können Mütter ihren Nachkommen nichtgenetische Faktoren, wie etwa Sexualhormone, im Eidotter mitgeben und auf diese Weise den Verhaltenstypus beeinflussen.

Die Wissenschaftler sprechen dann von maternalen (mütterlichen) Effekten. Da die Embryonalentwicklung – anders als bei Säugern – im Ei und damit räumlich getrennt von der Mutter stattfindet, können die Forscher die Eier auch an Zieheltern weitergeben (experimentelles Fostern) und so die verhaltensbestimmenden Faktoren weiter auftrennen als dies bei Säugern möglich wäre.

Ein Labor voller Zebrafinken

Um mit quantitativen genetischen Analysen die Erblichkeit eines Verhaltensmerkmals festzustellen, benötigen sie allerdings sehr große Stichproben sowie gut standardisierte Testbedingungen. Bei Freilanduntersuchungen ist das kaum zu erreichen. Anders sieht das im Labor aus, wo sich der Zebrafink prächtig vermehrt – zwar nicht gerade so wie die Taufliege, aber im Laufe weniger Jahre lassen sich doch mehrere Generationen von Zebrafinken heranzüchten, was den Forschern wertvolle Einblicke in die Vererbung von Persönlichkeitsunterschieden erlaubt.


Stand: 16.03.2007

Verhaltensforschung per Videoüberwachung

„Big Brother“ im Vogelkäfig

An die 800 Zebrafinken hat Forstmeier am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen in seiner Obhut. Die Tierhaltungsräume befinden sich im Kellergeschoss des Institutsgebäudes, Haus 5. Links und rechts an den Wänden stapeln sich Käfige mit Zebrafinken, immer acht in einer Reihe und vier übereinander. Ein unglaubliches Gezwitscher empfängt einen beim Betreten des Raumes. Verhält man sich ruhig, so lassen sich die Vögel in ihrem munteren Treiben nicht stören. Auch die gewohnten Routinearbeiten beeindrucken sie kaum.

Vogelkäfige im Institut © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

Ein unbekannter Besucher, ein unbekanntes Geräusch jedoch bringen den gesamten Raum plötzlich zum Schweigen. Wie ein Schwarm im australischen Outback reagiert die Kolonie als geschlossene Einheit – alle Vögel sind in Habtachtstellung. Es ist jetzt so still, dass man eine Stecknadel zu Boden fallen hören könnte. Doch schon nach kurzer Zeit setzt wieder munteres Gezwitscher ein, die vermeintliche Gefahr hat sich als harmlos erwiesen.

4.000 Mal Zebrafinken im bewegten Bild

Hier unten befindet sich das eigentliche Labor des Verhaltensbiologen. Forstmeier benötigt kein aufwendiges Laborequipment, ihm genügen einige Videokameras und ein paar Computer. Mit der Videokamera zeichnet er das Verhalten seiner Schützlinge auf. 4.000 Videos mit jeweils fünf Minuten Filmsequenz haben sich inzwischen angesammelt, 300 Stunden bewegtes Bild.

Videoüberwachung des Verhaltens © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

Anhand dieses auf der Basis standardisierter Tests erstellten Materials kann er den individuellen Verhaltenstypus eines Vogels erkennen. Später werden diese Tiere – wiederum unter Videoüberwachung – in geräumige Zuchtvolieren entlassen. Dort will der Wissenschaftler unter anderem herausfinden, welche Männchentypen unter welchen sozialen Bedingungen (wie Variation im Geschlechterverhältnis, Häufigkeit von Kontakten mit Nachbarn) einen Konkurrenzvorteil besitzen.

„Bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis und seltenem Nachbarkontakt sollten monogam veranlagte Männchen, die eine geringe Aggressivität und einen geringen Sexualtrieb zeigen, einen Selektionsvorteil haben, da sie all ihre Energie auf die Brutfürsorge konzentrieren können“, erklärt der Biologe. „Bei Weibchenüberschuss haben Männchen mit starkem Sexualtrieb einen Vorteil, bei Weibchenmangel setzen sich vor allem die aggressiveren Männchen durch.“

Jedes Ei zählt

Um seine Hypothesen überprüfen zu können, muss Forstmeier die Lebensgeschichte und insbesondere die Verwandtschaftsverhältnisse seiner Zöglinge genauestens dokumentieren. Und das beginnt schon mit der Eiablage: Das abgelegte Ei wird vermessen, nummeriert und dann in das Nest der Zieheltern gelegt, die leiblichen Eltern bekommen Plastikeier untergeschoben.

Sobald das Junge schlüpft, wird es mit einem wasserfesten Stift markiert, bis es dann acht bis zehn Tage später einen Ring mit seiner individuellen Kennnummer um das Fußgelenk bekommt. Über diese Nummer kann jeder Vogel eindeutig einem bestimmten Gelege und damit seiner Mutter sowie den jeweiligen Zieheltern zugeordnet werden. Mehr als 1.700 Eier von 63 Pärchen haben der Biologe und sein Team in den vergangenen anderthalb Jahren auf diese Weise registriert.


Stand: 16.03.2007

Vom Teenager zur Partnerwahl

Peergroups – kein Zugang für Erwachsene

Wenn die Vögel etwa 35 Tage alt sind, werden sie von ihren Zieheltern getrennt und in Gruppen mit anderen Jungvögeln gesteckt. In diesen „Peergroups“ dürfen sie jetzt ihre Pubertät ausleben und erst einmal lernen, wie man richtig posiert und das andere Geschlecht anbalzt. In gemischten Gruppen können die Männchen dabei natürlich andere Erfahrungen sammeln als in reinen Männchengruppen. Aber die Effekte der Peergroup auf das Verhalten der Vögel, die die Forscher beobachten konnten, waren eher gering.

Männchen wird zum Weibchen gesetzt © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

„Ich glaube trotzdem, dass in diesen Peergroups mehr passiert, als wir momentan begreifen“, sagt Forstmeier. Er nimmt das Stativ mit der Videokamera und platziert es vor einem Käfig. Dann befestigt er ein kleines Mikrofon zwischen den Gitterstäben. In dem Käfig sitzt ein einzelnes Weibchen, sie bekommt nun Gesellschaft – durch ein Männchen. Fünf Minuten lang wird der Forscher die Interaktionen zwischen den beiden beobachten. Dabei wird sich zeigen, wer eher schüchtern und zurückhaltend und wer eher aggressiv und draufgängerisch ist. Achtung: Kamera läuft.

Monogame Bedingungen per Maschendraht

„Das Verhalten im Einzelkäfig erlaubt eine Prognose für das Verhalten in der gemeinschaftlichen Voliere“, sagt Forstmeier. Die Bedingungen in den Volieren sind denen im Freiland ähnlich. Zebrafinken leben gesellig in Schwärmen und brüten in Kolonien, in denen nur die unmittelbare Umgebung des Nestes als Revier verteidigt wird. In den Volieren können die Forscher die soziale Umgebung in der Zebrafinken-Kolonie gezielt manipulieren.

Eine Voliere wird durch Maschendraht in mehrere weitgehend getrennte Kompartimente unterteilt und mit gleich vielen Männchen wie Weibchen besetzt; jedes Pärchen besitzt seine eigene Nistbox, Futter, Wasser sowie Nistmaterial – Forstmeier bezeichnet das als „Monogamie-Bedingungen“. Es ist quasi so, als würde jedes Pärchen in der Savanne einen eigenen Busch als Nistplatz okkupieren.

Kameraauswertung © Felix Brandl / Wolfgang Forstmeier

Mit einer Videokamera zeichnen die Forscher hier das Zusammenleben der Vögel rund um die Uhr auf – Big Brother im Vogelkäfig sozusagen. So konnten sie zum Beispiel feststellen, dass schüchterne Männchen genauso häufig mit ihrem Partner kopulieren wie nicht schüchterne. Allerdings gelingt es nur den weniger schüchternen Männchen erfolgreich außerpaarlich zu kopulieren. Es gibt auch Aufzeichnungen, die zeigen, wie ein Weibchen auf die Annäherungs-versuche eines Männchens reagiert.

Bis zu 40 Prozent ererbt

In der Regel entwickelt sich ein kleines Verfolgungsspiel, bei dem beide von Stange zu Stange hüpfen: Sie hüpft davon, er folgt ihr. Zum Schluss lässt das Weibchen das Männchen neben sich Platz nehmen und signalisiert durch ein Vibrieren des Schwanzes ihre Kopulationsbereitschaft – und er lässt sich nicht lange bitten.

Die Bilder aus einer Videoaufzeichnung zeigen die Annäherung eines Männchens an ein Weibchen. Am Ende des Verfolgungsspiels kopulieren sie. © Wolfgang Forstmeier

Doch nicht immer sind solche Annäherungsversuche erfolgreich, manche Weibchen entziehen sich dem Männchen immer wieder oder attackieren es sogar. Das individuelle Verhalten des Weibchens ist zu 30 bis 40 Prozent ererbt. Weibchen, die von Beginn an ein großes sexuelles Interesse zeigen, neigen auch später zu Seitensprüngen, sie sind stärker promiskuitiv. „Wir fragen uns, ob dieses individuelle Verhalten unterschiedliche Reproduktionsstrategien widerspiegelt,“ sagt Forstmeier. Um das herauszufinden, hat der Forscher die Bedingungen in der Voliere verändert: Nahrung und Nistmaterial wurden nun zentral in der Mitte der Voliere platziert, die Trennwände entfernt und mehr Weibchen als Männchen eingesetzt.

Anhand genetischer Marker zur Vater- und Mutterschaftsbestimmung konnte Forstmeier feststellen, dass sich im Vergleich zu den Monogamie-Bedingungen in der ersten Voliere der Anteil außerpaarlicher Vaterschaften verdoppelt hatte (von 25 auf 50 Prozent). Und seitens der Weibchen gab es erhebliche Veränderungen zwischen den Generationen: Unter diesen Sozialbedingungen produzierten die Mütter zurückhaltende Töchter. Diese Effekte auf die Töchter waren unabhängig von genetischen Faktoren oder Aufzuchtbedingungen, also den Zieheltern, sie wurden tatsächlich über das Ei vermittelt.


Stand: 16.03.2007

„Strategische Programmierung“ der Töchter möglich

Treuere Weibchen bevorzugt?

Bringen zurückhaltende Eigenschaften bei einem Überschuss an Weibchen einen Vorteil, weil Männchen treuere Weibchen bevorzugen? Wenn das der Fall wäre, dann könnte es sich hierbei möglicherweise um eine Art „strategische Programmierung“ der Töchter durch ihre Mütter handeln. Um diese Hypothese zu überprüfen, will der Verhaltensbiologe in den kommenden Monaten die Nachkommen von Müttern aus verschiedenen sozialen Umwelten in der Voliere mit Weibchenüberschuss testen. Zurückhaltendere Weibchen sollten dann bei der Paarbildung erfolgreicher sein.

Bevorzugen Männchen bei Weibchenüberschuss die treueren? © Felix Brandl

„Möglicherweise ist weibliche Promiskuität auch eine genetische Folge von männlicher Promiskuität“, spekuliert Forstmeier. Wenn eine bestimmte genetische Variante zu erhöhter Promiskuität beider Geschlechter führt, dann könnte diese Variante an Häufigkeit allein dadurch zunehmen, dass sie den männlichen Trägern einen Reproduktionsvorteil verschafft, während sie sich in weiblichen Trägern selektionsneutral verhält.

Wäre weibliche Promiskuität lediglich eine solche genetische Begleiterscheinung männlicher Promiskuität, dann müsste sich dies über Vererbungsanalysen nachweisen lassen. „Schwestern und Brüder sollten sich dann ähnlich verhalten“, sagt Forstmeier. Dafür haben die Wissenschaftler aber keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Sie gehen deshalb davon aus, dass männliche und weibliche Promiskuität unterschiedliche genetische Ursachen haben.

Forstmeier gehört zur Generation jener Wissenschaftler, die sich auf das beobachtbare Verhalten konzentrieren und unter dem Eindruck der Theorien von John Maynard Smith, William Hamilton und Robert Trivers nach dem Anpassungswert von Verhalten suchen. Diese Verhaltensökologie hat die klassische, von Konrad Lorenz begründete Verhaltensforschung abgelöst, die sich in erster Linie mit der Steuerung von Verhalten befasste, sich aber nur wenig für die evolutionäre Funktion des Verhaltens interessierte. Es wird allerdings noch eine Vielzahl an Vogelgenerationen in Seewiesen brauchen, bis sich die Frage nach dem Wert individueller Einzigartigkeit unter evolutionsbiologischen Gesichtspunkten beantworten lässt.


Stand: 16.03.2007