Qualitätstourismus auf Mallorca und die Folgen

Ballermann war besser

Massentourismus auf Mallorca © RUB

Ballermann, Betonburgen, Billigtourismus: Von diesem Negativimage will Mallorca weg, hin zum umweltverträglicheren, hochwertigen und teuren Tourismus auf einer grünen, behüteten Insel. Aber ist der Qualitätstourismus tatsächlich verträglicher als der Massentourismus? Langjährige Studien zur Landschaftsveränderung auf Mallorca zeigen jetzt das Gegenteil.

Die Urlauberschwemme, die Mallorca seit Beginn der 1960er Jahre alljährlich überflutet, hat, besonders in der Anfangszeit, einen unkontrollierten Bauboom ausgelöst. Die Folgen waren gravierend: Von der Urlauberflut betroffene Küstenregionen büßten einen großen Teil ihrer Natur- und traditionellen Kulturlandschaft unwiederbringlich ein. Betonburgen säumen in diesen Gebieten bis heute die Küsten.

Dieser Prozess der Landschaftszerstörung hat inzwischen in der spanischen Fachliteratur als „Balearisierung“ traurige Berühmtheit erlangt. Die rein auf Billigangebote ausgerichtete Erschließung und Bebauung der Insel lockte eine entsprechende Urlauberklientel an und sorgte dafür, dass Mallorca international zunehmend auf ein „Sonne, Sex und Suff“-Image reduziert wurde.

Lange sah die Balearenregierung dem Imageverlust Mallorcas untätig zu. Für sie hatte der Tourismus absoluten Vorrang, stammten doch rund 80 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Insel aus dieser Quelle. Ein Umdenken begann erst, als Ende 1980er Jahre die Massentouristen plötzlich ausblieben. Inflation in den Herkunftsländern und ein starker und damit teurer Peso sorgten für eine deutliche Pause im Ballermann-Boom. In dieser Zeit begannen auch die auf Mallorca die ersten Überlegungen, wie man die Einkünfte aus dem Tourismus erhalten, aber gleichzeitig auch die komplette Ballermannisierung der Insel verhindern könnte. Einen Ausweg sollte das Prinzip „Klasse statt Masse“ bieten – der Qualitätstourismus.

Thomas Schmitt, Ruhr-Universität Bochum/Rubin
Stand: 13.07.2007

Unsere Insel soll „grüner“ werden

Klasse statt Masse

Der in den 1990er Jahren begonnene mallorquinische Qualitätstourismus baut vor allem auf eine größere Vielfalt: Abwechslungsreiche und dezentrale Angebote abseits des klassischen Badetourismus. Die Zielgruppe sind nicht mehr die „All-Inclusive“-Pauschaltouristen, sondern eine gut betuchte und anspruchsvolle Klientel. Die neuen Angebote sind daher qualitativ hochwertig – und entsprechend teuer: Golfplätze, Yachthäfen und Zweitwohnsitze gehören ebenso dazu wie hochrangige Hotels und Gaststätten.

Ziel des Ganzen war es, so zumindest die ursprüngliche Absicht der Verantwortlichen, den Tourismus umweltschonender, aber trotzdem profitabel zu machen. Aber ist diese Art des touristischen Angebots wirklich besser für die Umwelt? Die intensiven Studien von Wissenschaftlern der Ruhr-Uni Bochum zum Landschaftswandel auf Mallorca zeichnen ein anderes Bild: Ihren Ergebnissen nach handelt es sich ganz im Gegenteil um eine hochgradig landschaftsverändernde und ökologisch nachteilige Form des Tourismus mit höchsten Flächenansprüchen. Und da sich die bestehenden massentouristischen Zentren für einen Qualitätstourismus nur begrenzt eignen, greift die Erschließung zwangsläufig auf noch nicht erschlossene, bisher von dieser Entwicklung verschont gebliebene Gebiete über.

Entlang der Küsten ist es vor allem der so genannte Nautische Tourismus, der sein zerstörerisches Potenzial in den Meeres- und Küstenökosystemen entfaltet. Hafenanlagen mit weit ins Meer hineinragenden Molen verändern natürliche Strömungen und führen zur Erosion von Sandstränden. Im Landesinneren sorgen Golftourismus aber vor allem auch der Bau von Ferienwohnungen dafür, dass der Landschaftsverbrauch drastisch ansteigt: Während sich der Bau von Zweitwohnsitzen in den 1980er Jahren noch fast ausschließlich auf die Küsten konzentrierte, ist heute die intensive Erschließung des landwirtschaftlich geprägten Inselinnern und des Gebirges Serra Tramuntana unverkennbar.


Stand: 13.07.2007

Auch Qualitätstourismus zerstört Lebensräume

Ferienhäuser fressen Landschaft

Ferienvilla mit eigenem Pool © RUB

Die wohl aggressivste Tourismusform auf Mallorca und zugleich die einzige, die noch immer völlig ohne Planung verläuft, ist der so genannte Residenzialtourismus, gekennzeichnet durch den Bau von Ferienwohnsitzen. Allein marktwirtschaftliche Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmen seine Entwicklung und bedingen eine dramatische Zunahme an Zweitresidenzen mit einem entsprechenden Verbrauch von Landschaft, Boden und Wasser. Sowohl Ökologie als auch Landschafts- und Naturschutz haben hier das Nachsehen.

Eine im Jahr 2001 durchgeführte Volkszählung ergab, dass die Anzahl der Zweitwohnsitze in einigen Gemeinden Mallorcas bereits die Zahl der Hauptwohnsitze übersteigt. Verständlicherweise wächst in der einheimischen Bevölkerung sicht- und hörbar die Ablehnung gegen den „Ausverkauf Mallorcas“ und gegen eine weitere kulturelle Überfremdung ihrer Gemeinden.

20.000 Ferienhäuser in 14 Jahren

Ein repräsentatives Beispiel für die Folgen des Residenzialtourismus ist die Gemeinde Calvia im Südwesten der Insel. Hier treffen gleich alle drei Formen des Qualitätstourismus aufeinander, denn auch Golfplätze und Häfen wurden hier erreichtet. Der gravierende Landschaftswandel nahm etwa 1990 mit der Anlage des ersten Golfplatzes und dem Ausbau von Zweitwohnsitzen seinen Anfang. Bis 2004 entstanden in der Gemeinde Calvia fünf der insgesamt 18 Golfplätze Mallorcas und über 20.000 Zweitwohnsitze.

Vergleich der Biotoptypen am Puig de sa Sirvi zwischen 1968 und 1998 © RUB

Artenschwund und Verarmung der Landschaft

Bemerkbar macht sich der Landschaftsverbrauch unter anderem im Verlust von typischen Elementen und Biotopen des klassischen mallorquinischen Landschaftsbildes. Kiefernwälder, Garrigue (Strauchheiden), Macchie (Gebüschformationen) und traditionelle Oliven- und Mandelhaine die natürlichen Steilküsten mussten bebauten Flächen oder urbanen, „gezähmten“ Freiflächen weichen. Die Erholungsfunktion der Landschaft sowie der Lebensraum, den sie für Flora und Fauna bietet, sind in allen vom Residenzialtourismus geprägten Arealen der Insel nachweislich drastisch zurückgegangen. Dadurch sinkt auch die Artenvielfalt der Insel und die Roten Listen der gefährdeten und vom Verlust bedrohten Biotope, Tier- und Pflanzenarten wachsen sprunghaft an.


Stand: 13.07.2007

Grundwasserspiegel sinkt, Salzgehalt steigt

Wasser wird Mangelware

Aber damit nicht genug: Auch auf die Wasserressourcen wirkt sich der Qualitätstourismus negativ aus. Trotz der ohnehin angespannten Trinkwassersituation auf der Insel stiegen Förderung und Verbrauch von Wasser in letzten beiden Jahrzehnten deutlich. Und das ist kein Zufall: Denn die Höhe des Wasserverbrauchs, das zeigen die Untersuchungen der Bochumer Forscher, korreliert eng mit dem touristischen Erschließungsgrad der Gemeinden und der vorherrschenden Tourismusform.

Während der Wasserverbrauch in einigen ländlichen Gebieten des Inselinneren bei weniger als 100 Liter pro Kopf und Tag liegt, beträgt er in Gemeinden mit vielen Zweitwohnsitzen und Golfplätzen z.T. mehr als das Dreifache. © RUB

Viele der ländlichen Gemeinden haben nur einen Pro-Kopf- Verbrauch von weit weniger als 100 Liter Wasser pro Tag, während der Konsum in zahlreichen touristischen Gemeinden, so auch in Calvia mit seinen vielen Zweitwohnsitzen, auf mehr als 250 Liter pro Kopf und Tag ansteigt und gelegentlich sogar bei mehr als 400 Litern liegt. Das ist vor allem in vielen Küstengemeinden auf Mallorca der Fall, wo Massen- und Qualitätstourismus nebeneinander existieren, wie zum Beispiel in Alcudia und Son Servera.

Pools, Golfplätze und Gärten schuld

Zwar liegen keine exakten Daten über den Anteil des Qualitätstourismus am Wasserverbrauch vor, aber Inselverwaltung und Forscher sehen ihn als erheblich an. Vor allem die bei Zweitwohnsitzen üblichen Poolanlagen und die ganzjährige Gartenbewässerung, aber auch die Bewässerung von Golfplätzen machen Residenzial- und Golftouristen, der weit über dem Wasseranspruch „herkömmlicher Touristen“ liegt. So entspricht der tägliche Wasserbedarf eines einzigen Golfplatzes – bis zu 2.000 Kubikmeter Wasser – dem Tagesverbrauch eines ganzen Ortes mit rund 8.000 Einwohnern.

Vergleich von Luftbildern vom Puig de sa Sirvi (Gemeinde Calvia) © RUB

Ein Vergleich von Luftbildern verdeutlicht die Entwicklung. Sie zeigen nicht nur die enorme Zunahme an zu bewässernder Gartenfläche, sondern auch die Zunahme der Zahl der Pools von 173 im Jahr 1990 auf 634 im Jahr 2004. Die Ferienhäuser und Golftouristen sind auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Wasserverbrauch in der Gemeinde Calvia in den Monaten Juli/August mit fast 3.000 Kubikmetern etwa doppelt so hoch ist wie in den Wintermonaten.

Grundwasser versalzen

Das ökologische Gleichgewicht von Grundwasserneubildung und Grundwasserentnahme ist auf Mallorca auf lange Sicht verloren. Schon in den 1990er Jahren führte der Tourismus zur Absenkung des Grundwasserspiegels und Einsickerungen von Meerwasser ins Grundwasser. Dadurch liegt der Salzgehalt des Wassers aus den Brunnen im gesamten Becken von Palma und auch andernorts bei bis zu 5.000 Milligramm pro Liter. Zum Vergleich: Der WHO-Grenzwert für gesundheitlich unbedenkliches Wasser liegt bei 250-500 Milligramm pro Liter, bis 1.000 mg/L gilt Wasser noch als trinkbar. Danach bestehen Gefährdungen für den Wasser- und Stoffhaushalt der Zellen.

Die seit 2000 in der Bucht von Palma betriebene Meerwasserentsalzungsanlage entschärft zwar die Situation, man darf aber nicht vergessen, dass damit die Versorgung mit dem elementarsten „Lebensmittel“ von einer Hightech-Anlage abhängig geworden ist. Fällt sie aus, wird gutes Trinkwasser knapp.


Stand: 13.07.2007

Die Planungen und ihre Folgen

Wie viele Menschen kann die Insel noch tragen?

Nach Ansicht der Bochumer Forscher wäre es ökologisch und raumplanerisch sinnvoll, wenn die Verantwortlichen die Wassersituation als natürlichen begrenzenden Faktor der Bevölkerungs- und Beherbergungskapazität Mallorcas ansehen würden. Unter diesem Aspekt hätte die Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung auf Mallorca allerdings ihre Grenzen längst erreicht.

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Doch Politiker und Tourismusbehörden fahren einen anderen Kurs: Angetrieben von den vermeintlich lockenden hohen Gewinnen aus dem Qualitätstourismus sehen die im März 1999 erlassenen Richtlinien zur Raumordnung eine Bebauungsdichte vor, die eine potentielle Einwohnerzahl von 4,2 Millionen Menschen ermöglicht.

Derzeit beträgt die Einwohnerkapazität Mallorcas, das heißt die Zahl der permanenten und temporären Bewohner 1,45 Millionen. Die angestrebte Bebauungsdichte kalkuliert also mit einer maximal möglichen Bevölkerungskapazität, die das Sechsfache der aktuellen permanenten Bevölkerung und das Dreifache der gegenwärtigen Einwohnerkapazität beträgt.

Bei vollständiger Umsetzung der Bebauungsrichtlinie hätte Mallorca somit eine potentielle Bevölkerungsdichte von 800 Einwohnern pro Quadratkilometer. Die Insel würde damit mitteleuropäische Länder wie Deutschland (230 EW/qkm) oder die Niederlande (380 EW/qkm) bei weitem übertreffen. Diese „Planung“, die sich weder an der sozialen, noch an der ökologischen Tragfähigkeit der Insel orientiert, birgt für Mallorca die realistische Gefahr des tiefen ökonomischen Einbruchs, wenn nicht sogar des Zusammenbruchs.


Stand: 13.07.2007

Qualitätstourismus verheerender als „Ballermänner“

Fazit: Alte Fehler in neuem Gewand

Für die Bochumer Forscher ist das Fazit ihrer Untersuchung klar: Unterzieht man den mallorquinischen Qualitätstourismus einer kritischen Bewertung, zeigt sich deutlich, dass es sich dabei absolut nicht – wie stets propagiert – um eine umweltverträgliche Alternative zum Massentourismus handelt. Einzige Ausnahme stellen Angebote zu „Ferien auf dem Bauernhof“ dar, die jedoch im Vergleich zu dem anderen Tourismusformen kaum ins Gewicht fallen.

Der Begriff „Qualität“ bezieht sich für die Tourismusverantwortlichen Mallorcas offensichtlich

nicht auf die Berücksichtigung von Belangen des Natur- und Umweltschutzes, sondern charakterisiert allein das Prestige und die Finanzkraft dieser Urlaubsform. Die Fehler der massentouristischen Erschließung werden heute auf hohem Preis- und Prestigeniveau wiederholt.

Natur- und Erholungspotenzial werden verspielt

Vorhaben wie der geplante Ausbau des Flughafens Palma, der 133 Millionen Euro teure, von nur 6,9 Prozent der Bevölkerung gebilligte Bau der Autobahntrasse Inca-Manacor, die Anlage eines zweiten Autobahnrings um Palma und die Aufhebung des Bauverbots in besonders geschützten Inselteilen versetzen die Insel zurück in die 1960er Jahre, so die Forscher. Die mallorquinische Tourismuswirtschaft ist dabei, ihr grundlegendes Wirtschaftsgut und -kapital, die Insellandschaft mit ihrem Natur- und Erholungspotenzial, ersatzlos zu verspielen.

Es drängt sich die Frage auf, zahlt sich diese unverantwortliche Vorgehensweise wirtschaftlich aus? Keineswegs. Denn die Mehreinnahmen aus dem Qualitätstourismus stehen in keinem Verhältnis zu den monetären und ökologischen Kosten ihrer Etablierung. Die Wirtschaftbilanz der Balearen belegt für 2001 einen Anteil des Golftourismus von 1,9 Prozent und des Nautischen Tourismus von 4,4 Prozent am Gesamteinkommen aus dem Tourismus. Für den Residenzialtourismus liegen keine Daten vor, es ist aber von ähnlichen Größenordnungen auszugehen.

Massentourimus war umweltverträglicher

Der große Unterschied zwischen traditionellem Massen- und neuem Prestigetourismus besteht darin, dass der Massentourismus sehr viel höhere Einnahmen bei gleichzeitig sehr viel geringerem Landschaftsverbrauch erzielt. Unter ökologischen Aspekten war der pure Massentourismus aufgrund seiner räumlichen Beschränkung eindeutig umweltverträglicher als das mallorquinische Modell des Qualitätstourismus, das landschaftlich und ökologisch zerstörerisch wirkt und daher auch ein enormes ökonomisches Schadpotenzial in sich birgt.

Bettenburgen an der mallorquinischen Küste © RUB

Eine bessere Lösung als die Erschließung immer neuer Gebiete für den Tourismus wäre nach Ansicht der Wissenschaftler die Qualitätsverbesserung in bestehenden Gebieten mit dem Ziel gleich bleibender Gästezahlen. Optische Verbesserungen im Ortsbild und die Aufwertung der Hotelqualität könnten die bisherigen Massenziele wieder attraktiver machen. Gelingt es nicht, auch den „Qualitätstourismus“ rasch und räumlich möglichst eng zu begrenzen, dann könnte es sein, dass Mallorca keine Zukunft hat, sondern nur eine Gegenwart, die sich sehr schnell in eine dunkle Vergangenheit verwandeln könnte.


Stand: 13.07.2007