Einsturzdolinen und Erdfälle

Fenster in die Erde

„Pockennarben“ der Erde © GFDL/ Hendrik Dacquin/ CC 2.0 /USGS

Sie sind meist kreisrund oder oval, bis zu 500 Meter tief und verzieren wie riesige Pockennarben in großer Zahl das Antlitz der Erde: So genannte Einsturzdolinen und Erdfälle gehören zu den ungewöhnlichsten und interessantesten Naturphänomenen unseres Planeten.

Besonders häufig sind sie in Karstgebieten, dort, wo kohlensäurehaltiges Wasser Kalkstein, Marmor oder Dolomit auflöst und dadurch im Laufe der Jahrmillionen große Höhlen im Untergrund entstehen. Bricht dann das Höhlendach plötzlich und unerwartet ein, bildet sich ein mächtiger Krater, der oft von Steilwänden begrenzt wird.

Für Biologen, Geologen und andere Wissenschaftler sind diese markanten „Löcher“ ein Glücksfall. Denn viele dieser geologischen Strukturen entpuppen sich beispielsweise als Rückzugsgebiete für eine ganz spezielle Tier- und Pflanzenwelt. Andere wiederum sind so was wie ein Fenster in die Erde, von wo aus sich verzeigte Höhlensysteme bestens erforschen lassen…

Dieter Lohmann
Stand: 08.02.2008

Wie das December Giant im US-Bundesstaat Alabama entstand

Katastrophe im XXL-Format

Shelby County im Herzen des US-Bundesstaats Alabama. Mehr als 140.000 Einwohner leben hier auf 2.097 Quadratkilometer Fläche. Das Klima im Gebiet des ehemaligen Creek-Indianer-Territoriums ist nicht zu warm und nicht zu kalt. Waldgebiete wechseln sich hier ab mit kleinen Städten und Gemeinden wie Indian Springs, Saginaw, Maylene, oder Vestavia Hills. Nicht uninteressant, aber eben tiefste amerikanische Provinz.

Aber das war nicht immer so. Im Jahr 1972 wird das Shelby County zumindest kurzzeitig aus der alltäglichen Routine aufgeschreckt und rückt für einige Wochen lang in den Mittelpunkt des Interesses der amerikanischen Medien, aber auch der Wissenschaftler.

Dantes Inferno?

2. Dezember 1972. Alles beginnt mit einem gewaltigen, Ohren betäubenden, Krach. Dann tut sich in einem Waldstück plötzlich und ohne Vorwarnung die Erde auf und tausende von Tonnen Gestein, Felsbrocken und Schotter stürzen mit lautem Getöse in die Tiefe. Bäume werden bei diesem Inferno wie Streichhölzer herumgeschleudert und verschwinden dann ebenfalls für immer im Untergrund.

December Giant im Shelby County/Alabama © USGS

Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird aber erst einige Stunden später sichtbar, nachdem sich die Staubwolken endgültig verzogen haben: Da, wo noch vor kurzem dichter Wald stand und viele Tiere lebten, gähnt jetzt ein gewaltiges „Loch“. Eilig herbeigerufene Wissenschaftler des US-Geological Survey (USGS) in Denver vermessen sofort das ungewöhnliche Gebilde, das verdächtig an einen Mondkrater erinnert.

Sie kommen dabei auf erstaunliche Werte: Das „December Giant“, wie die Medien das Naturphänomen getauft haben, ist 140 mal 105 Meter groß und rund 45 Meter tief – das vielleicht größte Phänomen dieser Art auf amerikanischen Gebiet.

Nur eine von Vielen

Doch was ist der Grund für diesen ungewöhnlichen Einsturz? Ein leichtes, unbemerkt gebliebenes Erdbeben? Oder sogar doch ein Meteoriteneinschlag, wie manche Zeitungen im Übereifer spekulieren?

Weder noch: dies ist für die Geowissenschaftler des USGS sofort klar. Ihrer Meinung nach handelt es sich beim December Giant um ein so genanntes „sinkhole“, einen natürlichen Einsturzkrater. In Zentral- und Nordalabama gibt es viele solcher Male in der Erde. Die meisten davon erreichen allerdings nicht einmal annähernd die Dimensionen des December Giant.


Stand: 08.02.2008

Chemische Verwitterungsprozesse im Gestein

Wasser ist der Schlüssel

Eine Doline im Oman © Hendrik Dacquin/ CC 2.0

Das Dorf Didyma auf dem Peloponnes, der Jaua-Sarisarinama National Park in Venezuela, die Gemeinde Vilemovice in Tschechien und die Sierra Gorda im mexikanischen Bundesstaat Queretaro haben eines gemeinsam: Wissenschaftler haben dort, aber auch in vielen anderen Ländern weltweit zahlreiche Einsturztrichter in der Erde entdeckt. Manche davon sind nur wenige Meter groß, andere müssen selbst einen Vergleich mit dem „December Giant“ im Shelby County nicht scheuen.

Löchrig wie ein Käse

Ganz im Gegenteil. Es gibt sogar einige Krater, die den in den USA bei weitem an Größe übertreffen. So besitzt beispielsweise der Sotano del Barro in Mexiko einen Durchmesser von rund 420 Metern und ist darüber hinaus sogar mehr als 450 Meter tief.

Sótano del Barro im nördlichen Teil des Staates Querétaro, Mexiko. © public domain

Noch gewaltiger ist eines der „Löcher“ des rund 2.300 Meter hohen Tafelberges Sarisarinama-Tepui im venezuelanischen Bundesstaat Bolivar. Es nimmt insgesamt etwa 18 Millionen Kubikmeter Raum ein und übertrifft damit den Sotano del Barro noch um rund drei Millionen Kubikmeter.

Entdeckt wurden die Krater am Sarisarinama-Tepui erstmals im Jahr 1964. Erst zwölf Jahre später gelang es dann jedoch dem venezuelanischen Wissenschaftler Charles Brewer Carias, die größte dieser Strukturen, den „Mayor“ näher zu vermessen und zu untersuchen.

Aus einem anderen Grund einzigartig sind dagegen die beiden nahezu kreisrunden Senken im griechischen Didyma. Sie haben einen Durchmesser von nur circa 150 beziehungsweise 100 Metern. Doch über einen natürlichen Zugang in die „Unterwelt“ kann man unterirdisch zum Rand des kleineren Kraters vordringen und erlebt dann eine Überraschung: Auf einem schmalen Absatz in den steilabfallenden Felswänden haben Mönche eine Kirche und eine Einsiedelei errichtet, die auf Besucher warten.

Entstehung von Dolinen auf der Spur

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Doch diese „Pockennarben“ der Erdkruste sind nicht nur spektakuläre Naturwunder und für Touristen interessant, auch Geologen, Biologen und Höhlenforscher beschäftigen sich seit langem eingehend mit ihnen. Wie entstehen solche überdimensionalen Löcher in der Erde? Weshalb tun sie sich häufig so urplötzlich und unerwartet auf? Welche außergewöhnlichen Phänomene gibt es dort zu beobachten? Zumindest auf einige dieser Fragen haben die Wissenschaftler mittlerweile eine Antwort gefunden.

So sind Wasser und wasserlösliche Gesteine im Untergrund wie Kalkstein, Marmor oder Dolomit eine der Grundvoraussetzungen für die Entstehung der Einsturzkrater. Denn geraten diese beiden Protagonisten miteinander in Kontakt sorgt die Kohlensäure im Wasser dafür, dass das Gestein zernagt wird – es korrodiert. Die chemische Reaktion ähnelt der, die bei der Reinigung einer verkalkten Kaffeemaschine mithilfe von Essig(säure) zu beobachten ist. Der Kalk (CaCO3) nimmt dabei Wasserstoffionen aus der Säure auf und es bildet sich leicht lösliches Calciumhydrogencarbonat Ca(HCO3)2. Dies aber ist nur der erste Schritt.

Kollaps in der Unterwelt

Je weiter der chemische Verwitterungsprozess im Gestein fortschreitet, desto größere Klüfte, Schlote und Höhlensysteme tun sich im Erdboden auf. Folge: die Decken und Seitenwände dieser geologischen Strukturen werden instabil. Erdbeben und andere tektonische Bewegungen oder einfach das Gewicht des auflagernden Gesteins sorgen dann für heftige unterirdische Einstürze. Fällt schließlich auch die oberste Schicht des Höhlendoms in sich zusammen, kommt es zu Phänomenen wie December Giant in den USA oder Sotano del Barro in Mexiko.

Längst nicht immer ist ausschließlich Regen- oder Schmelzwasser, das in winzige Risse oder Spalten einsickert, für den fatalen Auflöseprozess im Gestein und die Bildung der so genannten Einsturzdolinen und Erdfälle verantwortlich. Oft setzt auch Grundwasser die chemische Verwitterung und die Entstehung solcher Karstlandschaften in Gang. Markenzeichen sind neben den Einsturzkratern auch zerklüftete Felsen und Tropfsteinhöhlen mit ihren bizarren Formen. Die bekannteste Karstlandschaft liegt in Dalmatien und erstreckt sich über 500 Kilometer entlang der Adriaküste.

Rätsel über Rätsel

Soweit die Erkenntnisse der Geowissenschaftler. Während also das grundlegende Entstehungsprinzip dieser Phänomene weitgehend bekannt ist, geben viele der bisher entdeckten Krater weltweit noch immer viele Rätsel auf. Denn oft mangelt es einfach am nötigen Geld, um die notwendigen Expeditionen und Forschungsreisen zu finanzieren. So ist bis heute die genaue geologische Ursache für Ausbildung der Sarisarinama-Tepui ungeklärt.

Und auch im Karst- und Dolinen-El Dorado Kroatien sind Geologen und Höhlenforscher erst vor rund zehn Jahren den Geheimnissen eines der spektakulärsten und schönsten Karstphänomene auf die Spur gekommen – dem Roten See oder Crveno Jezero.


Stand: 08.02.2008

Der Rote See in Kroatien

Ein vergessenes Weltwunder

Er gilt als größtes Wasser-gefülltes „Loch“ der Erde, als ebenso ungewöhnliches wie spektakuläres Naturphänomen, als Herausforderung für die Wissenschaft – und trotzdem liegt der Crveno Jezero in Dalmatien, der „Rote See“, noch immer im Dornröschenschlaf. Von einem Besucher-Ansturm wie an den Pyramiden von Gizeh, in Machu Picchu, der Inka-Stadt in den Wolken, oder gar dem Grand Canyon ist an der riesigen Einsturzdoline nahe der kroatischen Kleinstadt Imotski nichts zu spüren.

Aber nicht nur viele Touristen, auch viele Forscher lassen den Crveno Jezero „links liegen“. Zu groß sind der logistische und damit auch der finanzielle Aufwand, um eine Expedition in den Krater auf die Beine zu stellen. Kein Wunder, dass der Rote See längst nicht so gut untersucht ist, wie man es aufgrund seines atemberaubenden Aussehens und seiner ungewöhnlichen Geologie vermuten könnte.

Wahre Weltwunder

„Die schönsten und größten Einsturzdolinen der Welt liegen bei Imotzki, … Eine von ihnen, ein wahres Weltwunder, ist 500 Meter tief. Am Fuss ihrer 200 Meter hohen roten Wände liegt der 300 Meter tiefe rote See – kreisrund und leuchtend blau, wie ein versunkenes Stück Himmel“, wusste schon der Geologe Alfred Bögli in seinem 1976 erschienenen Buch der „Zauber der Höhlen“ zu berichten.

Heute, rund 30 Jahre später, hat der Rote See zwar nichts von seiner Faszination verloren, über die nüchternen Fakten zur Größe und Tiefe des Kraters hinaus ist jedoch nur wenig Genaues bekannt. Geowissenschaftler gehen davon aus, dass die Einsturzdoline vor rund zwei Millionen Jahren beim Kollaps eines verzweigten Höhlensystems – womöglich infolge eines Erdbebens – entstanden ist.

Gespeist von Grundwasser?

Sie haben zudem ermittelt, dass der Pegel des Sees im Laufe des Jahres um 30 bis 50 Meter schwankt: Ein klares Indiz, dass der Crveno Jezero mit einem gewaltigen unterirdischen Grundwasserspeicher verbunden ist, der ihn regelmäßig mit großen Mengen an Frischwasser versorgt.

Doch gibt es tatsächlich einen derartigen unterirdischen Kanal oder gleich ein ganzes Kanalsystem? Wenn ja, wo befinden sie sich? Ließe sich das Grundwasserreservoir, das den See speist, womöglich sogar anzapfen, um die Küstenstädte am Mittelmeer mit sauberem Trinkwasser zu versorgen? Welche Tiere und Pflanzen existieren in dem glasklaren und sehr tiefen Roten See? Antworten auf diese und viele andere Fragen gab es keine – zumindest bis zum Jahr 1998…


Stand: 08.02.2008

Forscher untersuchen Crveno Jezero

Expedition mit Nervenkitzel

Wer einmal am Kraterrand des Crveno Jezero gestanden hat, wird den Anblick, der sich dort bietet, vermutlich nie vergessen: Nahezu senkrecht fallen die Steilwände 200 Meter tief hinab zur Oberfläche des Roten Sees. An schönen Tagen glitzert das Wasser strahlend blau in der Sonne. Doch kein Weg, nicht einmal ein Trampelpfad, führt dort hinunter.

Ein farbenprächtiges Panaroma für jeden Besucher, ein Albtraum jedoch, wenn man vorhat, ein Forscherteam in den Krater hinunter zu schicken, um eine Inventur im und am Dolinensee vorzunehmen. Und genau das haben sich der kroatische Geologe und Höhlenforscher Professor Mladen Garasic von der Universität Zagreb und seine Partner Thomas Behrend und Jens Hilbert im Jahr 1998 zum Ziel gesetzt. Schon seit Monaten wird das Forschungsprojekt akribisch vorbereitet. Mit dabei sind Kletterexperten, Spezialisten für Tauchtechnik und Dekompression, Mediziner und natürlich Geologen, Zoologen und Botaniker.

Logistik ist alles

Eine manövrierbare sechs mal acht Meter große Ponton-Plattform als Ausgangspunkt für die Tauchgänge muss auf dem See installiert werden. Eine eigens dafür konstruierte Seilbahn soll den Transport von Bauteilen, Ausrüstung und Verpflegung in den Krater sicherstellen. Geplant ist zudem, einen Klettersteig in den Fels zu bauen, über den die mehr als 30 Expeditionsmitglieder einigermaßen sicher vom Kraterrand zum See gelangen. Dies stellt enorme Anforderungen an die Technik und die Logistik. Schließlich muss jedes Schräubchen und jede Pressluftflache von weit her an den Crveno Jezero geschafft werden – und pünktlich und heil dort unten am See ankommen.

Doch schließlich sind alle Probleme gelöst, alle Trainingslager für Taucher und Techniker absolviert und alle notwendigen Vorbereitungen getroffen. Im letzten Moment droht die Expedition dann aber noch an einer fehlenden Erlaubnis der kroatischen Naturschutzbehörde zu scheitern. Nachdem endlich auch diese vorliegt, kann am 26. September 1998 mit der eigentlichen Forschungs- und Untersuchungsarbeit vor Ort begonnen werden.

Bei ersten Probetauchgängen im Crveno Jezero hatten die Forscher bereits im Februar 1998 mithilfe von Tiefenlotungen eine Seetiefe von 270 Metern ermittelt. Im Wasser wimmelte es damals zudem von Fischen und anderen Tieren. Diese Ergebnisse sollten nun überprüft und wenn möglich erheblich erweitert werden. Vor allem aber ging es darum, einen klaren Beweis für einen unterirdischen Zufluss des Sees zu finden.

Fische, Schnecken und noch viel mehr

Biologen sammeln und kartieren deshalb in der Folge penibel die Pflanzen rund um den Roten See, sie stöbern aber auch an Land viele verschiedene Spinnen und Insekten auf und bestimmen und ordnen anschließend sorgsam die entdeckten Arten. Finden Sie die gleichen Arten im See und in der näheren und weiteren Umgebung, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass es einen Zufluss gibt. Schon bei den ersten Tauchgängen stoßen die Wissenschaftler auf riesige Fischschwärme. Sowohl Steinbeißer als auch Dalmatische Elritzen (Phoxinellus adspersus), die nur dort leben, gehen den Forschern ins Netz. Verschiedene farbenfrohe Schwammarten, Wassermoose oder Wasserschnecken runden die biologische Vielfalt des Roten Sees ab.

Doch die Arbeit vor Ort ist nicht ganz ungefährlich. Denn immer wieder lösen sich kleinere oder größere Steinlawinen an den Kraterwänden, die zu tödlichen Geschossen für die Wissenschaftler werden können. Helme, äußerste Vorsicht, sowie dann und wann ein kontrollierender Blick nach oben sind deshalb Pflicht.


Stand: 08.02.2008

Höhlen und Kanäle im Roten See

Neues aus der Unterwelt

So erfolgreich die biologische Volkszählung vor Ort auch ist, noch mehr interessiert die Wissenschaftler ein anderes Phänomen am Roten See: Höhlen. Systematisch suchen sie deshalb unter Wasser die Kraterwand ab und stoßen dabei schon bald in 15 Meter Tiefe auf einen Eingang, der sich bei näherer Untersuchung als Beginn eines verzeigten Höhensystems entpuppt – teils wassergefüllt, teils trockenliegend und mit einem winzigen See an seinem Ende. Biologen stoßen in diesem Labyrinth, das auch einen Ausgang über Wasser hat, auf zahlreiche Kreaturen der Unterwelt wie Pilze, Asseln, Fische oder Fledermäuse.

Richtig spannend wird es jedoch, als die Forscher mit den Tieftauchgängen beginnen. Denn noch immer haben sie trotz aller Anstrengungen keinen Hinweis auf einen unterirdischen Zufluss zum See entdeckt. In 169 Metern Tiefe werden die Taucher um Thomas Behrend, Jens Hilbert und Bernd Aspacher schließlich doch fündig: „Plötzlich ist die Wand vor mir verschwunden, ich schaue auf meinen Tiefenmesser: 169 Meter. Im Bruchteil von Sekunden realisiere ich: das muss ein Quellstollen sein! Doch wie gewaltig ist dieser! Ich schätze die Sicht auf circa 30 Meter, aber weder links noch rechts noch unter mir ist ein Ende der Röhre zu erkennen.“, berichtet Thomas Behrend in seinem Expeditionstagebuch über den Moment der Entdeckung.

Unterwasserroboter im Einsatz

Doch handelt es dabei tatsächlich um den erhofften Grundwassereinstrom? Endgültige Klarheit bringt schließlich ein ferngesteuerter Unterwasser-Roboter. Das ROV tastet sich vorsichtig in immer größere Tiefen vor und schließlich auch weit in den Querstollen hinein. Die Bilder, die Kamera an Bord des ROV liefert, lassen kaum Zweifel zu: Das Wasser des Schachtes strömt tatsächlich in den See hinein. Damit ist das Hauptziel des Projektes erreicht.

Mehr als ein Jahr nach Abschluss der Arbeiten vor Ort, im Mai 2000, stellen die Expeditionsmitglieder Bernd Aspacher, Ralf Haslinger, Ulrich Meyer und Anke Oertel ihre Ergebnisse über den Crveno Jezero in den NSS News, dem monatlichen Magazin der National Speleological Society (NSS) der USA vor. Professor Mladen Garažič von der Universität Zagreb, einer der Leiter des Forschungsprojektes, berichtet zudem in einem Vortrag auf dem International Congress of Speleology 2001 in Brasilien über die zahlreichen Entdeckungen des internationalen Forscherteams.

Kleiner Bruder wartet auf Erforschung

Doch auch nach der erfolgreichen Expedition Ende der 1990er Jahre sind längst noch nicht alle Rätsel um den Roten See gelöst. Unklar ist bis heute beispielsweise, wo der Ursprung des entdeckten Kanals ist und ob das zugehörige Grundwasserreservoir tatsächlich für die Trinkwassergewinnung genutzt werden kann. Dies müssten zusätzliche Untersuchungen in den nächsten Jahren klären – wenn sie denn stattfinden.

Zudem wartet noch ein anderes ähnliches Phänomen in der Region auf eine ausführliche Erforschung. Denn der Rote See ist kein Einzelfall. Noch näher an der Stadt Imotkski liegt dessen „kleinerer Bruder“, der Blaue See, kroatisch Plavo Jezero. Sein Krater ist mit einem Durchmesser von 600 Meter sogar größer als der des Crveno Jezero (circa 450 Meter).

Auch er ist vermutlich beim Einsturz von Höhlendecken entstanden, besitzt aber keinen Zufluss – weder unter- noch überirdisch – und wird allein durch Niederschläge gespeist. In trockenen Jahren kann es deshalb vorkommen, dass er vollständig austrocknet und dann auf dem eigentlichen Seeboden Fußballspiele durchgeführt werden.


Stand: 08.02.2008

„Pockennarben“ auch in Deutschland

Von Teufelslöchern und kollabierenden Salzstöcken

Altes Eisinger Loch nahe Neulingen © Hans-Peter Scholz/ GFDL

Das Teufelsloch in Nordschwaben, das neue und das alte Eisinger Loch im baden-württembergischen Enzkreis, die berühmten Erdfälle von Vlotho aus dem Jahr 1970: Alle diese Beispiele zeigen, dass die Erdoberfläche nicht nur in Kroatien, Venezuela oder den USA „Macken“ hat, sondern auch bei uns.

Gerade in Norddeutschland haben die existierenden Einsturzkrater aber oft eine andere Ursache. Denn dort ist es nicht Kalkstein, der im Untergrund durch Wasser aufgelöst wird, sondern Salz. Zu dramatischen Absenkungen des Bodens kommt es immer dann, wenn die oft mehrere hundert Millionen Jahre alten mächtigen Salzstöcke durch die Arbeit des Wassers so löchrig und instabil werden, dass sie zusammenbrechen.

So geschehen beispielsweise vor rund 12.000 Jahren im heutigen Niedersachsen. In einem ehemaligen Loch hat sich seit der letzten Eiszeit ein 5,5 Quadratkilometer großer See gebildet, das Zwischenahner Meer. Dieses ist für Urlauber attraktiv und bietet zudem reichlich Platz für eine einzigartige, artenreiche Fauna und Flora. Rund um das Gewässer gibt es unter anderem Schilfrohr, Rohrkolben, Seerosen, aber auch viele Vögel und Fische.

Klimakapriolen inklusive

Dass Dolinen und Erdfälle nicht nur wertvolle Biotope sind, sondern auch für Klimakapriolen sorgen können, zeigt dagegen das Beispiel Funtensee. Gebildet hat sich die Senke im Nationalpark Berchtesgaden bereits vor langer Zeit. Aber nicht durch einen Einsturz, sondern durch die Auflösung des Kalkgesteins an der Oberfläche mithilfe von Wasser.

Ein Gletschervorstoß während der letzten Eiszeit sorgte dann dafür, dass die entstandene Mulde im Gelände immer tiefer wurde. Das von den weißen Riesen zurückgelassene Gesteins- und Schuttmaterial verstopfte zudem die Abflüsse der Senke, so dass sich mit der Zeit ein See bilden konnte.

Kältester Fleck in Deutschland

Heute gilt der 1.601 Meter hoch gelegene Funtensee als kältester Ort Deutschlands. Meteorologen haben dort Ende des Jahres 2001 -45,9 Grad Celsius gemessen – ein Kälterekord. Doch warum gerade hier? Forscher erklären dies mit der ungewöhnlichen Lage des Sees und mit der besonderen Gestalt der Senke.

So liegt die Funtenseedoline fast vollständig eingezwängt zwischen hohen Felswänden. Wenig Sonne, kaum Winde, Wolken oder Nebelfelder, die die nächtliche Luftabkühlung verhindern, sind die Folge. Im Winter fließt darüber hinaus eiskalte Luft über die glatte Schneedecke in die Funtenseemulde hinab und sammelt sich dort in großen Mengen an – ein so genannter Kaltluftsee entsteht.

„Man kann mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Funtensee – was das absolute Minimum betrifft – der kälteste Fleck in Deutschland ist. Vielleicht auch der kälteste Ort in Mitteleuropa oder sogar in Europa“, sagt der Wetterexperte Jörg Kachelmann im Interview mit dem Berchtesgadener Anzeiger. Die von ihm gegründete Firma Meteomedia war für die Rekord-Messungen verantwortlich.

Sogar minus 55 Grad möglich?

Der Meteorologe erklärt aber auch, warum solche sibirischen Verhältnisse auch am Funtensee nur ganz selten gemessen werden. „Das Timing muss aber genau stimmen, weil dieses Kältefenster nur einen ganz kurzen Moment dauert, vielleicht zwei oder drei Stunden. Es funktioniert ja erst, wenn der Wind aufgehört hat und es muss genau in die Nachtzeit hineinpassen. Es müssen ganz viele Dinge zusammenpassen, damit dieser Temperaturrekord überhaupt stattfinden kann. Von der Luftmasse her sind minus 55 Grad möglich.“


Stand: 08.02.2008