Streit um die Neurobiologie von Sonnenblume, Salat und Co.

Pflanzen mit Gefühl

Haben Pflanzen eine "Neurobiologie"? © SXC

Pflanzen gelten gemeinhin nicht gerade als Ausbund von Intelligenz und Empfindsamkeit: Sie stehen festgewurzelt an ihrem Platz und warten scheinbar passiv und unbewegt darauf, dass es regnet oder die Sonne scheint. Auch wenn manche Menschen mit ihrer Yuccapalme oder der Balkonblume sprechen, glaubt doch niemand im Ernst daran, dass Pflanzen hören, sehen oder gar fühlen können wie es Mensch und Tier können.

Doch es gibt eine Gruppe von Wissenschaftlern, die das ganz anders sieht: „Für uns gibt es zwischen dem Tier- und Pflanzenreich kaum Unterschiede“, sagt Dieter Volkmann, emeritierter Professor von der Uni Bonn. Mit ‚uns‘ meint er eine Gruppe von Forschern, die seit einigen Jahren versucht dem „Grünzeug“ neue Achtung zu verschaffen. Die Wissenschaftler wollen Wegbereiter eines neuen Forschungszweiges sein, dessen Name allein schon bei traditionellen Botanikern Schaudern auslöst: die Neurobiologie der Pflanzen.

Auch wenn sich die Forscher vor vier Jahren in einer neuen Gesellschaft organisiert, ein Fachmagazin gegründet und sich im Juni 2008 zum vierten Mal auf einem Symposium im japanischen Fukuoka getroffen haben, sei es eher eine Renaissance einer Forschungsrichtung, denn ein völliger Neubeginn, so Volkmann: „Es geht um die elektrophysiologische Signalverarbeitung bei Pflanzen, die auf Untersuchungen von vor 50 bis 60 Jahren zurückgehen.“

Marcus Anhäuser
Stand: 18.07.2008

Wie Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen

Wurzelspitzen als Nervenzellen?

Dass auch Pflanzen wie tierische Nervenzellen Signale über elektrochemische Aktionspotenziale weitergeben, ist schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wies man sie bei den schnellen Bewegungen der Venusfliegenfalle und der Mimose nach. Aber nach Meinung der modernen Pflanzenneurobiologen gehen die Gemeinsamkeiten noch viel weiter.

Synapsen, Reize und Sinneszellen

In ihren Fachartikeln vergleicht die Neurobiologen-Clique um den Bonner Frantisek Baluska und den Florentiner Stefano Mancuso immer wieder pflanzliche Strukturen und Abläufe mit denen des Nervensystems von Mensch und Tier. Baluska und Volkmann beschreiben etwa die „pflanzliche Synapse“. An diesen Zellübergängen würden genau wie bei den Synapsen tierischer Nervenzellen, Signale mittels chemischer Botenstoffe von einer Zelle zur nächsten weitergegeben.

„Wir haben in den letzten fünf bis zehn Jahren außerdem festgestellt, dass es ganz bestimmte Regionen in der Pflanze gibt, die besser ausgestattet sind, um Umweltreize wahrzunehmen“, sagt Volkmann. Die Wurzelspitze etwa habe einen Schwerkraftsinn. Und sie reagiere auf akustische Reize in bestimmten Frequenzbereichen, fand Stefano Mancuso in Versuchen heraus. Da bestimmte Zellen in der Wurzelspitze ähnlich wie Hirn-Neuronen in synchronen Phasen oszillieren, scheut Baluska sich nicht, von einem Gehirn-ähnlichen Zustand zu sprechen. „Wir behaupten natürlich nicht, dass Pflanzen so etwas wie Nerven oder gar ein Gehirn haben“, sagt Dieter Volkmann. Aber es gebe Analogien zwischen dem Tier- und Pflanzenreich, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Spurensuche im pflanzlichen Informationsnetzwerk

Die alten Begriffe reichten einfach nicht mehr aus, um all die neuen Entdeckungen zu beschreiben. „Wenn man herausfinden wolle, wie eine Sonnenblume es schafft, ein Aktionspotenzial über eine Distanz von 30 Zentimetern zu senden – was einer Länge von mehr als tausend Zellen entspricht – mit welchem vergleichbarem Phänomen sollten wir unseren Vergleich denn sonst beginnen, wenn nicht mit Tieren“, sagt Eric Brenner vom Botanischen Garten New York.

Vor allem reagiere die Pflanze als Gesamtorganismus auf die Reize aus ihrer Umwelt, und nicht wie man bisher dachte, nur in einzelnen Bereichen, von den der eine nicht weiß, was der andere tut. „Dieses Informationsnetzwerk innerhalb der Pflanze wollen wir entschlüsseln“, sagt Brenner.

Marcus Anhäuser
Stand: 18.07.2008

Überraschende Fähigkeiten im Pflanzenreich

Unkraut in neuem Licht

Botaniker haben in den letzten Jahren immer wieder Aufsehen erregende Entdeckungen gemacht, die selbst das Unkraut am Rande des Weges in neuem Licht erstrahlen lassen. Pflanzen nehmen die Umwelt in einer Art und Weise wahr, die einen immer wieder an Begriffe wie „fühlen, schmecken, riechen, tasten“ denken lässt.

„Pflanzen reagieren koordiniert auf etwa 20 verschiedene Signale aus ihrer Umwelt, wie Feuchtigkeit, Licht, Schwerkraft, Bodenstruktur oder Wind“, sagt Anthony Trevawas von der University of Edinburgh.

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Wurzeln suchen sich gezielt ihren Weg in Richtung notwendiger Mineralien. Pflanzen kommunizieren untereinander über Duftstoffe und warnen sich vor Fraßfeinden. Wilder Tabak lockt sogar Raubinsekten an, um die Plagegeister zu bekämpfen. Wurzeln unterscheiden auf geheimnisvolle Weise zwischen „selbst“ und „nicht selbst“ und passen ihr Wachstum im Boden entsprechend an. Pflanzen richten ihre Blätter immer genau so aus, dass sie die optimale Menge Licht erhalten.

Forscher wie Trewavas halten es aufgrund der Fülle und Komplexität der pflanzlichen Fähigkeiten sogar für notwendig auch bei Pflanzen von Intelligenz im Sinne von Problemlösung zu sprechen: „Selbst Bakterien wird eine basale Form von Intelligenz zugesprochen, und mehrzellige Pflanzen können all das, was Einzeller können, in deutlich komplexeren Formen“, sagt er.


Stand: 18.07.2008

Die etablierte Forschung schlägt zurück

Der botanische Fehdehandschuh

Doch während die Medien in den letzten Jahren begierig über fühlende und intelligente Pflanzen berichten, wuchs in Teilen der etablierten Forschergemeinde der Unmut. Ein Teil von ihnen hat inzwischen die Nase voll von dem neuen Forschungszweig.

Wie weit geht die Analogie zwischen Pfanzen und Tieren? © USDA

„Viele von uns dachten, das erledigt sich von selbst, aber nein, es gerät völlig außer Kontrolle“, ärgert sich David Robinson vom Heidelberger Institut für Pflanzenwissenschaften. Das sei doch einfach „Unsinn“ ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage, hört man manchen hinter vorgehaltener Hand lamentieren.

In einem Brief im Fachblatt „Trends in Plant Science“ drückten 2007 mehr als 30 Wissenschaftler ihren Ärger und ihre Bedenken in wohlformulierter Kritik aus. „Wir haben den Vertretern der neuen Richtung jetzt den Fehdehandschuh hingeworfen“, sagt Robinson, der den Brief initiiert hat. Der Brief drücke die Meinung von noch weit mehr Forschern aus, sagt Gerhard Thiel von der TU Darmstadt: „Viele Kollegen meinten auf unsere Ankündigung: „Gott sei Dank äußert sich endlich mal jemand dagegen.“

Effekthascherei mit falschen Begriffen?

Die Gegner sind nicht zimperlich. Zusammengefasst lautet der Aufruf an ihre Kollegen: Liefert handfeste Beweise oder macht den Laden dicht. Die Kritiker werfen den ‚Neurobiologen‘ vor, Ergebnisse mit Begriffen aus der Nomenklatur des Tierreichs aufzuhübschen, um Aufmerksamkeit zu erheischen und letztlich Geldgeber an Land zu ziehen. Dies sei etwa in Italien gelungen, wo Franco Mancuso eine Sparkasse für die Finanzierung eines Forschungsprojektes gewinnen konnte.


Stand: 18.07.2008

Wie legitim sind Begriffe aus dem Tierreich?

Der Metaphern-Streit

Den Kritikern der Pflanzenneurobiologen geht es auch um die Außenwirkung. Sie fürchten ins Fahrwasser von unwissenschaftlicher Esoterik und New Age zu geraten. Der GAU wäre für Thiel: „Stellen sie sich vor, auf dem Titel der BILD-Zeitung stände eines morgens: „Pflanzen haben ein Gehirn.“ Das bringe ein ganzes Fach in Misskredit, weil einige wenige leichtfertig mit Begriffen spielen.

Parallelen nur auf molekularer Ebene?

Es gebe zwischen Tier- und Pflanzenreich zwar Gemeinsamkeiten auf molekularem Level und es gebe auch Hinweise auf Substanzen, die wie Neurotransmitter wirkten. Auch werde in beiden Welten Signale über größere Distanzen gesendet und empfangen: „Aber es gibt bei Pflanzen doch keine vergleichbaren Strukturen auf der Ebene der Zellen, der Gewebe oder Organe“, schreiben die Kritiker in ihrem Brief.

Schon das Konzept der „pflanzlichen Synapse“ müsse erst einmal noch bestätigt werden, mahnt Tiehl an. „Unser Nichtwissen über die Mechanismen pflanzlicher Reaktionen werden nicht klarer, sondern durch Begrifflichkeiten aus der Neurobiologie nur kaschiert. Es wird alles nur schwammiger“, sagt Gerhard Thiel.

Sonnenblumen senden elektrochemische Signale, vergleichbar Aktionspotenzialen, über Strecken von 30 Zentimetern © SXC

Umstrittene Metaphern

Die Kritiker sollten weniger dogmatisch sein, antworten die Angegriffenen. „Der Begriff Plant Neurobiology ist eine Metapher“, sagt etwa Anthony Trevawas. Metaphern könnten sehr nützlich sein, weil sie neue Denkansätze ermöglichen, findet auch Dieter Volkmann. „Das mag zu Anfang schwammig sein, auch Kontroversen schaffen, aber der entscheidende Punkt ist doch, dass man auf eine neuer Art und Weise darüber nachdenkt.“ Wenn das nicht mehr möglich sei, hätten Ignoranz und Dogmatismus wie schon so oft in der Botanik gesiegt.

Doch für David Robinson gehen die Neurobiologen zu weit: „Mit Metaphern zu neuem Denken anzuregen ist eine Sache, aber das ist ja wohl kaum eine überzeugender Grund, eine internationale Gesellschaf danach zu benennen.“ Dann könnte man ja auch gleich eine „Gesellschaft der Pflanzenlunge“ gründen, ärgert er sich.

Die Fronten zwischen den beiden Lagern haben sich verhärtet, gegenseitigen Einladungen für Diskussionen folgten jeweils Absagen. Im Reich der pflanzlichen Signalforscher herrscht derzeit Funkstille.


Stand: 18.07.2008