Wie Forscher im Buch der Klimageschichte blättern

Klimaarchiv Tropfstein

Tropfsteine als Zeugen des Klimageschehens © Tim Ross / gemeinfrei

Erfolgt die Erderwärmung schneller als vorhergesagt? Oder wird es nicht wärmer, sondern immer kälter? Ohne einen Blick zurück lassen sich auch die Klimafragen der Zukunft nicht beantworten.

Zeugen des Klimageschehens der letzten Jahrtausende sind Stalagmiten. Von ihnen lässt sich beispielsweise erfahren, wie das Klima war, als Hannibal die Alpen überquerte. Und sie weisen darauf hin, ob wir künftig die Badehose oder doch besser die Schneestiefel einpacken sollten.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Klimazeugen der Vergangenheit

Zurück in die Zukunft

Im Buch der Klimageschichte zu blättern, ist ein spannendes Unterfangen. Denn um das Klima der Gegenwart und seine künftige Entwicklung zu verstehen, muss man das aktuelle Geschehen in die Geschichte des Klimas einordnen. Das gelingt umso besser, je mehr Informationen und Details über das Klima der Vergangenheit bekannt sind. Dies zu erforschen, ist Aufgabe der Paläoklimatologie.

Baumringe © IMSI MasterClips

„Klimaarchive“ ermöglichen Paläoklimatologen den Blick zurück und erlauben es beispielsweise, die Temperatur oder die Niederschlagsmengen längst vergangener Zeiten zu rekonstruieren. Das Spektrum der verfügbaren Archive reicht von Eisbohrkernen über Baumringe, See- und Meeressedimente, Korallen und andere Kalkschalen bildende Organismen bis hin zu Pflanzenpollen.

Greenhouse- und Icehouse-Ären

Jeder dieser Klimazeugen der Vergangenheit belegt eine hohe Variabilität des Systems: Auf allen Zeitachsen wird beispielsweise deutlich, dass die Temperatur im Laufe der Erdgeschichte starken Schwankungen unterworfen war. Über große Zeiträume hinweg war es um einige Grad wärmer als heute. Diese warmen Abschnitte (Greenhouse-Ären) wurden von ausgeprägten Kaltzeiten (Icehouse-Ären) unterbrochen. Ein Beispiel ist die „Permokarbon-Vereisung“ vor etwa 350 bis 250 Millionen Jahren.

Hinter dieser Tierfigur aus der Höhle von Chauvet sieht man fontänenähnliche Muster - sie könnten einen Vulkanausbruch darstellen. © Nomade et al. / PLOS ONE

In der Neuzeit der Erde ist das quartäre Eiszeitalter ein guter Beweis für die Variabilität des Klimas. Vor etwa einer Million Jahren setzten Zyklen ein, die etwa 100.000 Jahre dauerten und in denen sich Kaltzeiten und wärmere Zeiten mit Temperaturunterschieden von bis zu zehn Grad Celsius abwechselten. Ursächlich für diese natürlichen Klimaschwankungen sind Variationen in den Erdbahnparametern, die Lage der Kontinente, die Sonnenaktivität und zahlreiche weitere Faktoren.

Solche natürlichen Klimaveränderungen sind jedoch nicht nur auf langen geologischen Zeitskalen, sondern auch in den letzten 10.000 Jahren, im „Holozän“, nachweisbar. Auch seit dem Ende der letzten Eiszeit ist das Klima keine konstante Größe: Klimaarchive und historische Quellen berichten von wärmeren und kälteren Phasen mit mehr oder weniger Niederschlag.

Drei Warmphasen und eine kleine Eiszeit

Zu den wichtigen Klima-Epochen, die in den meisten Archiven belegt werden konnten, zählt das so genannte „holozäne Klimaoptimum“ vor etwa 8.000 bis 6.500 Jahren: Damals wurden die Menschen sesshaft und begannen, Ackerbau zu treiben. Während des „römerzeitlichen Klimaoptimums“ vor etwa 2.000 Jahren überquerte Hannibal mit seinen Elefanten die im Winter nur wenig vereisten Alpen. Auf das römerzeitliche folgte das „mittelalterliche Klimaoptimum“. Zwischen diesen drei Warmphasen gab es immer wieder deutliche Abkühlungen, zum Beispiel vor 6.000 bis 5.000 Jahren oder während der „kleinen Eiszeit“, die vor rund 150 Jahren endete.

Manche Stalagmiten wachsen seit Urzeiten in Höhlen. Sie entstehen, wenn sich eindringendes Niederschlagswasser auf seinem Weg durch den Boden mit Kohlendioxid anreichert und Kalkgestein löst. Paläoklimatologen dienen die Tropfsteine als Klima-Archive. © Nicole Vollweiler / Professor Augusto Mangini

Die paläoklimatologische Forschung versucht, diese Schwankungen exakt zu beschreiben, zeitlich abzugrenzen und zu klären, ob es sich um regionale oder globale Phänomene handelt. Ein Klimaarchiv, das sich in den letzten Jahren für diese Zwecke als zunehmend geeignet erwiesen hat, sind Tropfsteine aus Höhlen, vor allem Stalagmiten: Die Sauerstoff- und Kohlenstoffisotope im Kalk dieser Tropfsteine speichern klimarelevante Daten; darüber hinaus lassen sie sich exakt datieren. In der Forschungsstelle Radiometrie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften untersucht ein Forscherteam um Nicole Vollweiler und Professor Augusto Mangini seit vielen Jahren Stalagmiten aus den unterschiedlichsten Regionen der Erde.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Klima der letzten 9.000 Jahre rekonstruiert

Stalagmiten helfen Klimaforschern

Stalagmiten entstehen in Höhlen, wenn sich eindringendes Niederschlagswasser auf seinem Weg durch die Bodenhorizonte mit Kohlendioxid anreichert und Kalkgestein löst. Aus dieser Lösung gast Kohlendioxid im Innern der Höhle wieder aus, und der Kalk scheidet sich in Form von „Sintern“ – Ablagerungen – ab. Viele Stalagmiten wachsen recht gleichmäßig über längere Zeiträume und lassen in größere Abschnitte der Klimageschichte einblicken.

Alter der Stalagmiten wird bestimmt

Mit der Thorium-Uran-Methode lässt sich das Alter der Stalagmiten bestimmen: Im Tropfwasser befinden sich Spuren von gelöstem radioaktiven Uran, es wird in das Kalkgitter des Stalagmiten eingebaut und zerfällt dort im Laufe der Zeit zu Thorium. Mit einem Massenspektrometer lassen sich die Isotope messen und das Alter einer Probe sehr genau bestimmen.

Im Kalk sind wichtige Klimadaten der Vergangenheit gespeichert. © Nicole Vollweiler / Professor Augusto Mangini

Eine Probenentnahme erfolgt jedoch nicht nur zur Altersbestimmung, sondern auch, um die stabilen Isotope 18O/16O und 13C/12C zu analysieren. Vor allem die Sauerstoffisotope können Auskunft darüber geben, welche Temperatur und welche Niederschlagsverhältnisse während der Bildungszeit des Stalagmiten vorherrschten: Abhängig von den Klimabedingungen werden sie in unterschiedlichen Verhältnissen in den Kalk eingebaut.

Stalagmiten vieler Höhlen untersucht

Die Heidelberger Forscher entnehmen ihre Proben den Stalagmiten vieler Höhlen, eine besondere Stellung aber nimmt die Spannagel-Höhle bei Hintertux in Tirol ein. Sie liegt 2.500 Meter über dem Meeresspiegel und ist für die Klimaforschung ideal: Die Temperatur im Innern der Höhle beträgt rund zwei Grad Celsius, weshalb kaum störende chemische Prozesse ablaufen und die Bildung des Stalagmitenkalkes im Gleichgewicht mit dem Tropfwasser stattfindet. Dies hat den großen Vorteil, dass aus der Sauerstoff-Isotopie direkt Klimainformationen abgeleitet werden können.

Rekonstruktion des Klimas: Die Auswertung der Proben aus drei hochalpinen Stalagmiten und der Vergleich mit Holz- und Torffunden aus Schweizer Gletschern erlauben es, eine Klimakurve für die letzten 9.000 Jahre zu erstellen. © Nicole Vollweiler / Professor Augusto Mangini

Gemeinsam mit Innsbrucker Geologen ist es den Wissenschaftlern um Nicole Vollweiler und Professor Augusto Mangini gelungen, das Klima der letzten 9.000 Jahre zu rekonstruieren, indem sie die Proben aus drei Stalagmiten analysierten, die alle aus demselben Gang der Spannagel-Höhle stammen. Die Kurve zeigt eine deutliche Variabilität des Klimas mit Warmphasen vor 7.500 bis 6.500 Jahren (holozänes Klimaoptimum), vor 3.800 bis 3.600 Jahren, vor 2.200 Jahren (römerzeitliches Klima-optimum) und vor 1.200 bis 700 Jahren (mittelalterliches Klimaoptimum).

Den Warmphasen gegenüber stehen kühlere Perioden vor 7.900 bis 7.500 Jahren, vor 5.900 bis 5.100 Jahren, vor 3.500 bis 3.000 Jahren und vor 600 bis 150 Jahren (kleine Eiszeit).

Stalagmiten als Archiv für Niederschlag und Temperatur

Der Vergleich mit weiteren alpinen Klimazeugen, etwa Gletschern und Seespiegelständen, stützt die Interpretation der Klimakurve und bestätigt die Stalagmiten als Archiv für Niederschlag und Temperatur.

Einer der drei untersuchten Stalagmiten wuchs bis etwa 1950 und ermöglicht es den Forschern, die aus den Sauerstoff-Isotopen gewonnenen Informationen über das Klima an aktuelle, direkt gemessene Daten anzubinden. Aus mehreren Messdaten und rekonstruierten Werten wurde eine Transferfunktion aufgestellt, die es erlaubt, die Isotopie-Daten in absolute Temperaturwerte umzurechnen. Daraus ergibt sich für die letzten 2.000 Jahre eine Temperaturamplitude von etwa drei Grad Celsius mit Werten, die heute niedriger sind als während des mittelalterlichen Klimaoptimums.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Überregionale Vergleiche

Dem Wetter in Europa auf der Spur

Stalaktiten und Stalagmiten in der Gasselhöhle, Ebensee © Johannes Mattes / gemeinfrei

Um festzustellen, ob die Ergebnisse möglicherweise nur auf das alpine Klimageschehen zutreffen, haben die Heidelberger Forscher überregionale Vergleiche vorgenommen. Da bekannt ist, dass das Wettergeschehen in Europa maßgeblich von Prozessen über dem Nordatlantik beeinflusst wird, lag es nahe, sich eines Archivs – Sedimentkernen – aus diesem Raum zu bedienen. In Sedimentkernen, die aus dem Nordatlantik stammen, findet man außer Partikeln mariner Herkunft auch Anteile, die eindeutig kontinentalen Ursprungs sind. Sie werden mit Eisbergen, die sich von Landmassen wie Grönland lösen über das Meer verdriftet und gelangen, wenn das Eis taut, auf den Boden des Ozeans.

Stalagmitenkurve als Temperatursignal

Finden sich solche Partikel in Sedimentkernen, muss man davon ausgehen, dass das Eis zum Ablagerungszeitpunkt mindestens bis in diese Breite vorgedrungen war. Je südlicher sich Beimengungen kontinentaler Herkunft finden, desto kälter war es in der betreffenden Zeit.

Der Vergleich der alpinen Stalagmitenkurve mit den nordatlantischen Sedimenten ergab eine frappierende Übereinstimmung: Beide Zeitreihen weisen eine außergewöhnlich hohe Korrelation auf. Es wird deutlich, dass die Stalagmitenkurve als Temperatursignal zu interpretieren ist und dass es sich um einen Rekord von überregionaler Bedeutung handelt.

Die Azoren aus dem All © Jeff Schmaltz / MODIS / NASA / GSFC

„Nordatlantische Oszillation“

Der Zusammenhang des Klimas über dem Nordatlantik mit dem in Europa lässt sich mithilfe der „nordatlantischen Oszillation“, kurz NAO, beschreiben. Sie ist ein Maß für den Druckunterschied zwischen dem Islandtief im Norden und dem Azorenhoch im Süden und steuert die Witterung im europäischen Winter entscheidend. Ist der Druckunterschied groß, führt dies zu einer Westwindlage mit feuchten, milden Wintern in Nord- und Mitteleuropa (NAO+). Bei einer abgeschwächten Druckdifferenz hingegen herrschen kalte und trockene Bedingungen vor (NAO-).

Da die Stalagmiten in der Spannagel-Höhle in Tirol auch die Änderung des Winterniederschlags aufzeichnen, besteht eine Verbindung des Isotopensignals zur nordatlantischen Oszillation. Die alpine Stalagmitenkurve liefert also eine Zeitreihe der nordatlantischen Oszillation. Dabei entsprechen Phasen mit niedriger Sauerstoff-Isotopie den NAO+-Situationen.

Temperatur schwankte in kleinen Zeiträumen beachtlich © Nicole Vollweiler / Professor Augusto Mangini

Klima-Archive sind sich einig

Auch andere Archive zeigen gute Übereinstimmungen mit der Stalagmiten-Kurve. So belegt der Vergleich mit einem Stalagmiten-Rekord aus dem schwäbischen Blautopf den Zusammenhang zum Klimageschehen in Mitteleuropa. Der Überlappungsbereich der beiden Kurven beginnt vor 9.000 und endet vor 3.500 Jahren. In der Abbildung ist ein kleinerer Zeitabschnitt herausgegriffen, um die hohe Auflösung und die gute Übereinstimmung zu zeigen: Es wird deutlich, in welch kleinem Zeitraum die Temperatur beachtlich schwankte.

Abrupte Klimaschwankungen nachgewiesen

Überträgt man die Temperaturabschätzungen aus der Untersuchung desjenigen Spannagel-Stalagmiten, der bis nahezu in die Gegenwart gewachsen ist, auf diese Werte, ergibt sich für den dargestellten Zeitraum von 800 Jahren eine Temperaturamplitude von etwa ein Grad Celsius. Bemerkenswert ist, dass demnach beispielsweise in zwei Jahrhunderten (8.200 bis 8.000 vor heute) eine Erwärmung von etwa einem Grad Celsius stattgefunden hat. Die hohe Auflösung der Stalagmitenkurven ermöglicht es somit, abrupte natürliche Klimaschwankungen nachzuweisen.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Beispiel Troja

Klimawandel beeinflusst frühe Kulturen

Dass das Klima bereits in historischer Zeit den Menschen stark beeinflusste, wird deutlich, wenn man Klimakurven und geschichtliche Daten zum Aufblühen und Niedergehen von Kulturen gegenüberstellt.

Stadtmauern von Troja © Adam Carr / GFDL

Die historische Siedlung Troja bietet dafür optimale Voraussetzungen, da die Archäologie hier schon seit über 130 Jahren intensive Forschung betreibt und genaue Erkenntnisse zu den verschiedenen Siedlungsschichten mit entsprechend exakten Datierungen vorliegen. Vor allem Tübinger Archäologen haben detaillierte Rekonstruktionen für die verschiedenen Epochen entwickelt.

4.000 Jahre Troja

Erste Siedlungsspuren weisen ein Alter von fast 5.000 Jahren auf, nahezu 4.000 Jahre dauerte die Geschichte Trojas. Die Siedlungstätigkeit hatte nicht durchgängig dieselbe Intensität, es zeigen sich neben Blütephasen immer wieder Unterbrechungen. Jenes Troja, das Homer in seiner „Ilias“ beschreibt, ist mit ziemlicher Sicherheit der Zeit vor 3.750 bis 3.300 Jahren zuzuordnen: eine große Ansiedlung mit Burgen, Mauern und einer weitläufigen Unterstadt. Warum die erfolgreiche Epoche Trojas so abrupt endete, ist nach wie vor nicht geklärt. Neben Erdbeben und Kriegen kommt hier wohl auch das Klima ins Spiel.

Bekannt ist, dass die Trojaner über ein ausgeklügeltes Wassersystem mit einer künstlich angelegten Quellhöhle verfügten. Sinter, die sich an den Wänden dieser Höhle abgelagert haben, konnten mit der Thorium-Uran-Methode auf ein Alter von 4.500 Jahren datiert werden, was bedeutet, dass die Höhle mindestens seit diesem Zeitpunkt existiert. Damals haben die Trojaner die Wasserversorgung für ihre Stadt geplant.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Blütezeit und Niedergang einer Stadt

Wassermangel statt Odysseus?

Wie für den Mittelmeerraum typisch, fallen auch in der Gegend um Troja die Niederschläge vorwiegend im Winter und füllen die Grundwasserspeicher auf. Aktuell liegen die Jahresniederschläge um 600 bis 700 Milliliter – eine ausreichende, aber nicht üppige Wasserversorgung, weshalb es schnell zu einem Wassermangel kommt, gehen die Niederschlagsmengen zurück.

Problem Wassermangel?

Für eine antike Stadt, die von der Versorgung durch die umliegende Landwirtschaft abhängt, bringt ein Wassermangel weit reichende Probleme mit sich. Es ist also durchaus plausibel, das Aufblühen von Troja auch mit dem Klima in Zusammenhang zu bringen.

Der Vergleich der Haupt-Siedlungsphasen von Troja mit der alpinen Stalagmitenkurve stützt diese Vermutung. Die Blütezeiten der Stadt fallen zusammen mit den Abschnitten, für welche die Stalagmitenkurve viel Niederschlag angibt. Eine Abnahme der Siedlungstätigkeit beziehungsweise Unterbrechungen gehen mit niederschlagsarmen Zeiten einher.

Gerade am Ende des berühmten „Troja VI“ geht der Niederschlag maßgeblich zurück und könnte somit verantwortlich gewesen sein für den abrupten Niedergang. Nicht nur in Troja, sondern auch in Mykene und bei den Hethitern gingen zu dieser Zeit Epochen zu Ende. Auch das spricht für einen überregionalen Auslöser der Veränderungen.

Barbarossabart in der Teufelshöhle © Rainer Lippert / gemeinfrei

Ein Netz von Stalagmiten-Archiven

Die Vergleiche der alpinen Stalagmitenkurve mit anderen Archiven könnten nach Angaben der Heidelberger Forscher fortgesetzt werden. Mittlerweile existiert ein Netz von Stalagmiten-Archiven, das über die ganze Erde verteilt ist und es ermöglicht, das globale Klimageschehen der Vergangenheit zu beschreiben.

Die Ende des Jahres 2005 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichtete Forschergruppe „Daphne“ betreibt Grundlagenforschung zum Verständnis der Prozesse, die bei der Stalagmitenbildung ablaufen. In Heidelberg, Bochum, Trient und Innsbruck arbeiten Forscher daran, den Einsatz von Stalagmiten als Klimaarchive zu optimieren. Daneben laufen zahlreiche Einzelstudien in diversen Regionen von Europa, in der Karibik und Patagonien.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009

Stalagmitenforschung belegt hohe Variabilität des Klimas

Klimawippe in den letzten 10.000 Jahren

Die Ergebnisse der Stalagmitenforschung sowie deren Vergleich mit überregionalen Phänomenen belegen, so die Heidelberger Wissenschaftler, alles in allem eine hohe Variabilität des Klimas in den letzten 10.000 Jahren mit abrupten Wechseln und bedeutenden Konsequenzen für die Menschen.

Ursachen ungeklärt

Welche Ursachen diese natürlichen Klimaschwankungen haben, ist noch weitgehend ungeklärt. Die Tatsache, dass viele Untersuchungen eine deutliche Korrelation des Klimas mit dem Kohlenstoffisotop 14C (es wird von der Sonnenaktivität beeinflusst) zeigen, deutet auf einen solaren Antrieb des Klimas hin. Der Mechanismus ist gegenwärtig jedoch noch zu wenig verstanden, um in Modellrechnungen einfließen zu können. Sicher ist nur, dass seit 1860 die Erdtemperatur um 0,7 Grad Celsius gestiegen ist.

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Und Fakt ist, dass das Verbrennen fossiler Brennstoffe eine weitere Erhöhung des atmosphärischen Kohlendioxids zur Folge haben wird. In hundert Jahren dürfte dieser Wert 650 parts per million (ppm) überschreiten, was nahezu einer Verdopplung des heutigen Pegels (370 ppm) entspricht. Kohlendioxid ist ein Treibhausgas, und wenn es in der Atmosphäre zunimmt wird sich die Erdtemperatur erhöhen. Wie der seit dem Jahr 1860 angestiegene Kohlendioxid-Spiegel aber zur aktuellen Erwärmung beigetragen hat, ist ebenso unsicher abzuschätzen wie die Erwärmung in der Zukunft.

Natürliche Klimavariabilität unterschätzt?

Die Klimarekonstruktionen des Weltklimarats (IPCC) beruhen maßgeblich auf den Untersuchungen von Baumringen. Zahlreiche Veröffentlichungen lassen jedoch vermuten, dass die Variabilität des Klimas im Winter deutlich höher ist als im Sommer. Da die Bäume im Winter ruhen, zeichnen sie diese Veränderungen nicht auf. Das führt dazu, dass die Prognosen des IPCC die natürliche Klimavariabilität unterschätzen.

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Andererseits darf ein höheres Bewerten der natürlichen Schwankungen nicht dazu führen, sorglos in die Zukunft zu schauen. Eine Möglichkeit ist, dass die Erwärmung noch schneller abläuft als vorhergesagt, sodass sich der Mensch früher als erhofft auf veränderte Lebensbedingungen einstellen muss. Aber auch eine in absehbarer Zeit erfolgende Abkühlung des Klimas kann nicht ausgeschlossen werden. Deren Folgen dürften als ebenso dramatisch empfunden werden wie die der Erderwärmung.

Nicole Vollweiler und Augusto Mangini / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 15.05.2009