PX-15: Eine Untersee-Expedition im Schatten der Mondlandung

Die vergessene Mission

PX-15: Die erste Golfstrom-Drift per U-Boot © NASA/GSFC/seawifs

Im Juli 1969 starteten gleich zwei NASA-Missionen in unbekannte Welten: die Astronauten von Apollo 11 zum Mond und die Aquanauten der PX-15 in die Tiefen des Meeres. Doch während die Mondlandung heute in aller Munde ist, geriet die erste Langstrecken-Drift eines U-Bootes mit dem Golfstrom in Vergessenheit.

Die Mission der PX-15 war schon damals von vielen unbemerkt und ist heute von der Geschichte weitgehend vergessen. Und dies, obwohl die Daten, die sie lieferte, die Ozeanographie einen gewaltigen Schritt voran brachten. Zum ersten Mal sammelten Wissenschaftler Daten über die Strömungen, Temperaturverhältnisse und den Meeresboden direkt an Ort und Stelle: indem sie sich in ihrem Unterseeboot mit dem Golfstrom mittreiben ließen.

Doch auch zum Weltraum gab es eine Verbindung: Denn die Mission war von der NASA auch als „Generalprobe“ für zukünftige Langzeitflüge im Weltraum konzipiert. Denn auch die Männer an Bord der PX-15 verbrachten lange Tage eingeschlossen in einem engen Gefährt, nur durch eine dünne Hülle gegen die tödlichen Gefahren der Außenwelt geschützt. In kompletter Isolation von der Außenwelt mussten die Aquanauten in einem völlig autarken System überleben.

Auch sie überwanden gewaltige Entfernungen – nicht durch das All, sondern durch die Weiten des Ozeans. Und auch sie reisten in fast völliger Dunkelheit, der Dunkelheit der Tiefsee. Und dies nicht nur für rund acht Tage wie die Astronauten der Apollo 11, sondern einen ganzen Monat lang. Ihre Mission setzt neue Maßstäbe und stellt einen Rekord auf: Noch waren Menschen so weit und lange unter Wasser gedriftet und hatten so viele wertvolle Daten gesammelt.

Heute ist die PX-15 und ihre Golfstrom-Drift längst vergessen, die bemannte Erkundung des Meeres – und auch des Weltraums – auf ein Minimum reduziert. Doch noch immer gilt das Meer als eines der „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Erde. Noch sind viele Geheimnisse der Tiefsee und der Unterwasserwelt unerforscht und unentdeckt.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Kennedy und die Visionen für die Ozeanerkundung

„Mehr als nur eine Frage der Neugierde“

25. Mai 1961, Washington D.C.: In seiner Rede zum Status der Nation erklärt der amerikanische Präsident John F. Kennedy die bemannte Raumfahrt zum nationalen Ziel. Noch vor dem Ende des Jahrzehnts will er amerikanische Astronauten auf den Mond schicken. Denn, so Kennedy: „Kein Projekt in dieser Zeit wird eindrucksvoller für die Menschheit sein oder wichtiger für die langfristige Erkundung des Weltraums und keines wird so schwierig und teuer zu erreichen sein.“

John F. Kennedy 1961 bei seiner Rede vor dem Kongress © gemeinfrei

Unterseestädte und bevölkerte Riffe

Diese und auch die zweite Rede zum Thema Raumfahrt im Jahr 1962 gehören seither zu den bekanntesten Kennedys. Weniger bekannt ist, dass er sich nicht nur für die Erkundung des Alls einsetzt, sondern auch für die der Meerestiefe. Er schlägt eine nationale Anstrengung in der ozeanographischen Grundlagenforschung und der angewandten Erkundung vor.

„Das Wissen über die Ozeane ist mehr als nur eine Frage der bloßen Neugierde. Unser Überleben könnte davon abhängen.“ Tatsächlich erleben die 1960er Jahre einen wahren Aufbruch: Dutzende von Tauchbooten verschiedenster Nationen versuchen sich in Tiefenrekorden zu überbieten, der Ozean gilt als der neue „Wilde Westen“, den es zu erkunden und zu besiedeln gilt. 1963 erklärt der große Meeresforscher Jaques Cousteau: „Wir glauben, dass unterseeische Städte und bevölkerte Riffe auf dem Kontinentalschelf zukünftig so normal sein werden, wie es in den vergangenen Jahrzehnten dort die Ölplattformen waren.“

Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sind die amerikanischen Bestrebungen zur Erkundung des Meeres natürlich nicht ganz uneigennützig: Kennedy sieht in den Meeren der Erde ebenso wie im Weltraum einen Bereich, den es für die USA zu beanspruchen gilt – vor dem Erzfeind Sowjetunion. Der amerikanische Präsident wird 1963 ermordet, doch die von ihm gesäte Saat geht auf.

Der Golfstrom © NASA/GSFC

30 Tage mit dem Golfstrom

Frühjahr 1969: In Florida bereitet die NASA mit Hochdruck gleich zwei Missionen vor, die die Grenzen der bisherigen Erfahrungswelten sprengen werden. Die erste Mission ist Apollo, ihr Ziel ist der Erdtrabant – und dies möglichst vor den Sowjets. Die zweite Mission trägt den kryptischen Namen PX-15 und ihr Ziel ist irdisch: der Golfstrom. Diese warme Strömung ist ein entscheidender Teil des globalen Förderbands der Meere. Sie transportiert warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko zunächst nach Norden entlang der Ostküste der USA, dann über den Atlantik nach Osten, Richtung Europa.

30 Tage lang soll ein eigens konstruiertes Forschungs-Unterseeboot mit der warmen Strömung mitdriften, ein Teil von ihr werden und – quasi aus der Innensicht – Messungen anstellen. Strömungsgeschwindigkeit, Wassertemperatur, Salzgehalt, aber auch Lebenswelt im Strom und die Topographie des Untergrunds werden kontinuierlich aufgezeichnet und gemessen. Das Ergebnis dieser ersten Mission dieser Art überhaupt ist, wenn alles gut geht, das erste detaillierte Profil dieser für Amerika und Europa so wichtigen Meeresströmung.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Was hat Meeresforschung mit dem Weltraum zu tun?

Der U-Boot-Pionier und der Raketenmann

Die Crew für das wichtige und prestigeträchtige Projekt ist sorgfältig ausgewählt. Der Leiter der Mission ist kein Unbekannter, wenn es um die Unterwasserwelt geht: Es ist der Schweizer Jacques Piccard, Sohn des berühmten Ballonfahrers und U-Bootbauers Auguste Piccard. Dieser hatte schon die Trieste entwickelt, das erste Unterseeboot, das speziell für die Tiefseeforschung gebaut wurde. Mit ihr tauchte Jacques Piccard im Januar 1960 bis zum Grund des Marianengrabens, einer der tiefsten Stellen der Weltmeere. Das „Bathyscaphe“ erreichte knapp 11.00 Kilometer Tiefe und widerstand damit einem Druck von mehr als einer Tonne pro Quadratzentimeter.

Jacques Piccard bei der Unterzeichnugn des Vertrags für die PX-15 © NASA

U-Boot-Experte Piccard als Missionsleiter

Für Piccard ist die bevorstehende PX-15-Mission nicht nur ein Auftrag, sie geht zum großen Teil auch auf seine Ideen und Beiträge zurück. Pilot des Unterseeboots und Projektingenieur wird auf Wunsch Piccards ebenfalls ein Schweizer, Erwin Aebersold. Er betreut vor allem die Entwicklung und den Bau des Schiffs. Kapitän des Schiffs wird ein Unterseebootpilot der US Navy, Don Kazimir. Zuständig für die Kartierung des Meeresbodens während der Drift ist Frank Busby von der ozeanographischen Abteilung der Navy, sein Kollege von der britischen Navy, Ken Haigh ist Akustikexperten und soll Sonarexperimente durchführen.

Wernher von Braun © NASA

PX-15 als Probelauf für Langzeit-Weltraum-Missionen

Der sechste Mann an Bord scheint auf den ersten Blick fehl am Platz. Denn er kommt von der Weltraumbehörde NASA und ist Spezialist für die Arbeit von Astronauten im Weltraum. Kein geringerer als der „Raketenmann“ Wernher von Braun hat ihn als Beobachter ins U-Boot entsandt. Seine Aufgabe: Die Auswirkungen der langen Isolation von der Außenwelt unter schwierigen Bedingungen zu untersuchen.

Für von Braun ist PX-15 ein optimaler Probelauf für eine zukünftige Langzeit-Mission im Weltall. Immerhin wird auch hier die Mannschaft für einen Monat in ihrem Unterseeboot eingeschlossen sein, ein Zurück oder hinaus gibt es ebensowenig, wie eine Pause oder ein Auffüllen von Vorräten oder Energie unterwegs.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Das Schiff und die ersten Tauchgänge

Mit dem „Mesoscaphe“ in die Meerestiefe

Juli 1969, Florida: Zwei Mannschaften, eine aus drei Männern, die andere aus sechs bestehend, trainieren seit Monaten hart für ihre Aufgaben, jetzt sind sie kurz vor dem Ziel: dem Start ihrer Missionen. Zwei völlig neuartige Schiffe werden von Technikern ein letztes Mal kontrolliert, letzte Tests laufen. Beide wurden von der gleichen Firma im Auftrag der NASA und der Regierung gebaut, der Grumman Corporation. Das eine Schiff ist die Apollo-Raumkapsel auf ihrer Trägerrakete Saturn 5, die andere aber ist ein neuartiges Unterseeboot, die Ben Franklin. Wie die Mondfähre ist auch die Ben Franklin dafür ausgelegt, extremen Bedingungen zu widerstehen.

Zeichnung des Tauchboots auf der Titelseite von Piccards Projektantrag © NASA/GSFC/seawifs

Unterseezigarre für mittlere Tiefen

Die Pläne für das „Mesoscaphe“ stammen von keinem Unbekannten: Jacques Piccard selbst, Pilot der berühmten Trieste und erfahren im Umgang mit Unterseebooten, hat das Forschungstauchboot konzipiert. Für die PX-15-Missionentwirft er jedoch nicht ein spezielles Tiefseetauchboot, sondern ein „Mesoscaphe“:

Die „Ben Franklin“ soll vor allem dem Druck in mittleren Meerestiefen, rund 600 Meter unter der Oberfläche widerstehen. Bis maximal 1.200 Meter Tiefe, so die Berechnungen der Ingenieure, soll die Hülle dem Wasserdruck standhalten. Gerade einmal dreieinhalb Zentimeter dick ist die Stahlhaut (1 3/8″), die das Schiff umgibt. Das gesamte zigarrenförmige Gefährt ist gut 15 Meter lang und drei Meter dick. Angetrieben wird es nur von vier 25 PS schwachen elektrischen Motoren, weniger als Antrieb denn als Manövrierhilfe gedacht, da das Schiff ja vorwiegend passiv mit der Strömung mitschwimmen soll.

Die Ben Franklin bei Probetauchgängen, Taucher suchen nach Problemquellen © NASA/GSFC/seawifs

Lecks in der Elektronik…

Während Apollo 11 im Zeitplan bleibt, gibt es bei PX-15 einige Probleme. Ursprünglich war der Start schon für Ende Mai geplant, so dass die Drift im Juni, vor dem Beginn der Mondmission, beendet sein kann. Doch während erster Test-Tauchgänge gibt es Probleme mit der Elektronik, der Strom scheint irgendwo zu versickern, statt die Geräte zu erreichen. Zwischen den riesigen Akkuzellen, die unter dem Rumpf befestigt sind, und dem Inneren des Schiffs muss es undichte Stellen in der Neopren-Isolation der Kupferkabel geben. Immer und immer wieder muss die Crew testtauchen, um mühsam die winzigen Löcher in der Isolation dingfest zu machen. Doch gefunden werden müssen sie, denn alle Systeme der Franklin, darunter auch der Antrieb, hängen von diesem Strom ab.

…und Tücken des Ballasts

Weitere Testläufe sind nötig, um die Mannschaft mit den Feinheiten des Schiffs und vor allem der Handhabung der Ballasttanks und der Trimmung vertraut zu machen. Denn während ihrer Drift müssen die U-Bootfahrer ihren Auftrieb kontinuierlich an die sich verändernden Bedingungen des Stromes anpassen. Thermische Ausdehnung oder Schrumpfung der Hülle, Druck und Verdrängung verändern sich mit Salzgehalt und Temperatur des Meerwassers und müssen ständig überprüft werden.

Navigations- und Tauchinstrumente der Franklin © NASA/GSFC/seawifs

Auf einem der ersten Testläufe peilt Piccard die 1.000 Fuß-Marke (rund 305 Meter) an. Die zuvor berechnete Menge Meerwasser wird in die Ballasttanks eingelassen und die Franklin beginnt brav zu sinken: 100 Meter, 200 Meter, 300 Meter – und weiter in die Tiefe. Anstatt auf der Zieltiefe anzuhalten und mit neutralem Auftrieb zu schweben, sinkt das Schiff bis auf 550 Meter, bevor Piccard den Versuch abricht und auftauchen lässt. Was war schief gelaufen?

Schnell stellt sich der Grund heraus: Es ist die Hülle der Franklin. Das Wasser an der Meeresoberfläche hat eine Temperatur von rund 30°C, in 305 Metern Tiefe sind es nur noch gut 12°C. Das Abtauchen erfolgte so schnell, dass sich die Hülle erst mit Verzögerung an die Außentemperatur anpasste und sich zusammenzog. Dieses Schrumpfen hält auch über die 100-Fuß-Marke hinweg an und lässt das U-Boot einfach weiter sinken, weil der Auftrieb weiter abnimmt. Als Konsequenz wird ein weiterer Faktor, die Abkühlzeit der Hülle, in die Berechnungen für die Auftriebssteuerung aufgenommen. Der Preis für diese Erkenntnisse ist jedoch ein um mehr als einen Monat verzögerter Start. Mittlerweile ist es Anfang Juli…

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

14. bis 16. Juli 1969

Zwei Starts, zwei Welten

Die Saturn 5-Rakete der Apollo 11-Mission beim Start © NASA

16. Juli 1969, eine Sondersendung des amerikanischen Senders CBS. Auf dem Bildschirm eine Rakete kurz vor dem Start. Die Stimme des Nachrichtensprechers Walter Cronkite ertönt: „…es sind nur noch fünf Minuten bis zum Start der Apollo 11, alles läuft gut. Die Astronauten Armstrong, Collins und Aldrin sitzen an der Spitze der großen Saturn 5 Rakete in ihrem Kommandomodul und bereiten sich auf den Start vor…“. Weltweit blicken die Menschen gebannt auf den Bildschirm, verfolgen den Beginn des waghalsigen Unternehmens Mondlandung.

Abtauchen im Palm Beach

Zur gleichen Zeit sind sechs andere Männer in einem fast ebenso waghalsigen Unternehmen unterwegs. Ihr großer Start fand nur zwei Tage früher und wenige Kilometer entfernt von Cape Canaveral statt. Am 14. Juli wird die Ben Franklin in Palm Beach zu Wasser gelassen und von ihrem Begleitschiff aus dem kleinen Hafen geschleppt. Um 22:30 schließt die Mannschaft die Luken und flutet die Ballasttanks.

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Doch wieder gibt es Probleme: Statt der Zieltiefe von 182 Metern sinkt die Franklin geradewegs zum Grund, auf 509 Meter Tiefe. Mehrere Lecks treten auf, Sicherungen brennen durch, Alarme schrillen und die Kommunikationsverbindung mit dem Begleitschiff an der Oberfläche fällt aus. Die Männer an Bord des U-Boots sind auf sich gestellt. Es gelingt ihnen, das Boot zu sichern und die Probleme weitestgehend zu beheben. Am nächsten Tag, dem 15. Juli, schaffen sie es, die Franklin auf 300 Meter aufsteigen zu lassen und bewegen sich langsam, mit zwei Knoten, ihrem Ziel entgegen, dem Kern des Golfstroms.

Zeichnung des Apollo-Starts im Logbuch von Kapitän Kazimir © NASA/GSFC/seawifs

Letzter Gruß von Aquanauten zu Astronauten

Cape Kennedy, Startrampe der Apollo 11, kurz vor dem Start: Die Besatzung der Apollo 11 empfängt eine Nachricht der PX-15 Crew, die gerade unter Wasser die Küste vor dem Raumbahnhof passiert: „Von der Crew der Ben Franklin an die Crew von Apollo 11: Wir wünschen euch guten Wind und glatte See. Viel Glück!“ Wenig später, um 09:32 Ostküstenzeit hebt die Saturn 5 mit Armstrong, Aldrin und Collins an Bord ab Richtung Mond – und fast die gesamte Welt schaut zu.

Die Franklin ist währenddessen nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit unterwegs. Doch Jaques Piccard lässt sich davon nicht irritieren. Er ist sich sicher: „Diese Reise wird fast genauso groß in die Geschichte der Ozeanographie eingehen, wie die Mondlandung in die Annalen der Raumfahrt.“ Leider sollte sich diese Einschätzung nicht bewahrheiten.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Wracks, Kartierung und ein Beinahe-Zusammenstoß

Fast am Boden

Während die Astronauten in die Erdumlaufbahn einschwenken und Schwung holen für die Passage zum Mond, etabliert sich an Bord der Franklin allmählich Routine. Die Besatzung protokolliert Messungen und Beobachtungen und dümpelt mit knapp fünf Kilometer pro Stunde in der leider nicht allzu warmen Strömung.

Busby hat sich gegen die Kälte in eine Decke gehüllt © NASA/GSFC/seawifs

In gut 300 Metern Tiefe herrschen gerade mal 13°C, die dünne Hülle ist nicht wärmeisoliert und um Strom zu sparen, bleibt die Heizung aus. In den klammen und feuchten Räumen holen sich Piccard, Busby und Kazimir prompt eine Erkältung, die sie die ganzen nächsten Tage nicht mehr loswerden. Zu allem Überfluss gibt es Probleme mit den Kohlenmonoxid-Konzentrationen in der Kabinenluft. Die Werte des hochgiftigen Gases liegen zu hoch, die Männer versuchen, durch Lithiumhydroxidfilter Abhilfe zu schaffen, doch der CO-Wert wird während der gesamten Tauchzeit immer wieder zum Problem.

Eine drei Jahre anhaltende Dürre verwandelte dieses Weideland in Australien in Wüste. Künftig könnte ein solches Schicksal noch mehr Menschen ihrer Lebensgrundlage berauben. © SXC

20 Juli, 20:17 Weltzeit: Neil Armstrong verkündet der Bodenstation und der gespannt wartenden Weltöffentlichkeit: „The Eagle has landed!“. Sechs Stunden später steigt er die Leiter der Landefähre hinunter und setzt den ersten Fuß auf dem Mond. Sen Ausspruch: „That’s one small step for a man, one giant leap for mankind”, wird in die Geschichte eingehen. Für die Crew der PX-15, 170 Meter unter der Meeresoberfläche driftend, ist es ein Tag voller Routineaufgaben. Aber auch sie erhält die Nachricht von der Mondlandung – per Funk von ihrem Begleitschiff. Der Kapitän Kazimir notiert in seinem Logbuch: „Das Highlight des Tages war die Mondlandung, die uns die Privateer mitteilte.“

Kartierung mit Hindernissen

Auch die nächsten Tage an Bord der Franklin vergehen mit intensiver wissenschaftlicher Arbeit und erneuten Problemen: Vor der Küste von Georgia soll das U-Boot 24 Stunden lang den Untergrund in einem Abstand von nur neun Metern über dem Meeresboden schwebend fotografisch kartieren – ein riskantes Manöver, da in dieser Gegend zahlreiche Schiffswracks liegen. Tatsächlich warnt das Sonar in 550 Metern Tiefe plötzlich vor einem großen Hindernis direkt voraus, zu sehen ist in der Dunkelheit allerdings nichts.

Eines der Fotos der Unterwasserwelt © NASA/GSFC/seawifs

Kapitän Kazimir geht auf Nummer sich und ordnet ein Aufsteigen um 30 Meter an. Das Schiff passiert das Hindernis unbeschadet und fotografiert weiter. Immerhin entfaltet sich vor den Augen der Wissenschaftler eine faszinierende Unterwasserwelt. Später stellt Kazimir fest, dass es sich um einen falschen Alarm gehandelt hat: Das Sonar hatte eine Fehlfunktion, ein Hindernis gab es an dieser Stelle nicht.

Die Gefahr von Kollisionen und die Unsicherheit über die Zuverlässigkeit der Ausrüstung zerren an den Nerven. Immer wieder muss das Schiff zwischendurch aufsteigen. Kazimir notiert im Logbuch: „Es wäre besser gewesen, dieses Gebiet in drei getrennten Exkursionen während einer 24-Stunden Periode zu erkunden, um physische Belastung, Kälte und Stromverbrauch zu reduzieren.“ Die Männer sind erschöpft. Die Kartierung ist geschafft, aber noch immer ist es ungemütlich kalt und feucht im U-Boot. Zu allem Überfluss macht sich jetzt auch die Strömung bemerkbar: Immer wieder bringen Turbulenzen die Franklin vom Kurs ab, der Pilot schafft es kaum, sie in der vorgesehen Tauchtiefe zu halten.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Kampf mit der Strömung

Weitab vom Kurs

24. Juli 1969. Nach ihrem acht Tage langen Flug landet die Kapsel mit den drei Astronauten der Apollo 11 sicher im Wasser des Pazifiks. Tausende von Kilometern entfernt kämpft die Franklin weiter mit widrigen Strömungen. Nach dem wimmelnden Leben vor der Küste Georgias und Carolinas ist das Meer um das Schiff nahezu leer, nicht einmal der dichte Planktongürtel, der bisher die Sonarmessungen störte, ist noch vorhanden. Die vorgesehen Beobachtungen müssen unterbrochen werden. Wichtigstes Ziel ist es jetzt, die Franklin in den Kern des Golfstroms zu manövrieren.

Kazimirs Zeichnung im Logbuch für den 25./26.Juli 1969 © NASA/GSFC/seawifs

Keine Chance gegen den Riesenwirbel

Zwei Tage später dann eine fatale Begegnung: Ein gewaltiger Strömungswirbel packt das U-Boot unerwartet und schiebt es vom Kurs ab in die Gegenrichtung. Kazimir wirft die vier Motoren der Franklin an und versucht, gegenzusteuern, doch die Motoren sind zu schwach und die Energie geht zur Neige. Was nun? Der Leiter der Mission fällt die Entscheidung, das Tauchboot von der Privateer, dem Begleitschiff, in den Golfstrom schleppen zu lassen. Die Franklin taucht auf. Alle Luken des U-Boots bleiben jedoch fest versiegelt, denn die Isolation und Autonomie der „geschlossenen Umwelt“, die vor allem der NASA als Test so wichtig ist, soll bewahrt bleiben.

Zwei Tage später, am 28. Juli, ist die Franklin wieder auf Kurs: mitten im Zentrum des Golfstroms. Gleichzeitig geht es nun in tiefe Gewässer, die Strömung verlässt den Kontinentalschelf der Küste und zieht das Tauchboot hinaus ins offene Meer. Mehr als 3.500 Meter tief ist hier das Wasser. Wenn jetzt etwas mit dem Auftrieb schief geht oder es ein Leck gibt, ist das Boot rettungslos verloren. Der Wasserdruck würde die Hülle schon weit vor dem Erreichen des Meeresbodens zerquetschen. Die Crew beginnt akustische Messungen und beobachtet die Lichtstärke in verschiedenen Wassertiefen. In 180 Metern gibt es noch genügend Licht um Zeitung zu lesen, so Kazimir. In 600 Metern Tiefe aber ist alles schwarz.

Moderne Aufnahme eines Deep Scattering Layer © NOAA

Suche nach dem Deep Scattering Layer

Eine der Aufgaben der PX-15 hier ist es, das Deep Scattering Layer, ausfindig zu machen und zu untersuchen. Diese horizontale Schicht reflektiert Sonarwellen so stark, dass sie in Messungen leicht für den Meeresboden gehalten wird. Doch sie ist kein massives Sediment, sondern besteht aus großen Ansammlungen von Fischen und Kleinlebewesen, die in dieser Höhe optimale Bedingungen finden.

Wo genau sich diese Schicht befindet und welche Bedingungen hier herrschen, ist für die Meeresforscher von großem Interesse – entsprechend intensiv suchen die Männer der Franklin nach ihr. Aber ohne großen Erfolg. Trotz wiederholter Sonartests können sie das Deep Scattering Layer nicht finden – bis zum Ende ihrer Mission nicht. Zwar begegnen ihnen immer wieder einmal Fischschwärme und auch Planktonwolken durchfahren sie viele, aber das Layer selbst bleibt aus.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Sturm oben, ungemütlich unten

Endspurt

Kazimirs Zeichnung des Sturms im Logbuch © NASA/GSFC/seawifs

Am 1. August melden sich Wissenschaftler der Grumman Corporation per Funk. Es gibt Schwierigkeiten. Sie haben den Verlauf des Golfstroms aus der Luft verfolgt und einen weiteren gigantischen Wirbel direkt im Kurs der Franklin entdeckt. Weicht sie nicht aus, könnte sie erneut aus der Strömung geschleudert werden. Glücklicherweise kommt die Warnung diesmal rechtzeitig. Die Besatzung kann die Franklin aus der Turbulenz heraushalten und bleibt im Strom.

Als an der Oberfläche der tropische Sturm Anna tobt und das Begleitschiff Privateer abdreht um an der Küste Schutz zu suchen, wundert sich Busby darüber, warum nicht mehr Erkundung und Erforschung der Ozeane unter Wasser stattfinden – weit weg von den Gefahren der Meeresoberfläche und des Wetters.

Zu essen gibt es Trockenfutter - mit lauwarmem Wasser zubereitet © NASA/GSFC/seawifs

Kälte, Hunger und giftige Gase

So ganz ohne ist inzwischen aber auch das Leben an Bord des Unterseeboots nicht. Länger schon wird das Wasser nicht mehr ausreichend heiß um sich die gefriergetrockneten Fertigmahlzeiten adäquat zubereiten zu können. Noch immer ist es kalt und feucht – inzwischen liegt die Luftfeuchtigkeit um 90 Prozent. Und immer wieder steigt der Anteil des Kohlenmonoxids in der Raumluft gefährlich an. Am 5. August erreicht der CO-Wert 30 ppm. Jeden Tag vier Stunden lang lässt die Besatzung das Kontaminationssystem jetzt laufen, aber die Werte wollen nicht sinken. Am 10. August erreicht das giftige Gas sogar die 40 ppm-Marke. Die Männer werden allmählich unruhig.

12. August 1969. An Land findet das große Staatsbankett zu Ehren der drei Apollo 11 Astronauten statt. An Bord der Franklin sehnen sich die Aquanauten nach ihrer ersten richtigen Mahlzeit und Dusche nach knapp vier Wochen Tauchfahrt. Nur noch zwei Tage, dann haben sie es geschafft: Sie dürfen auftauchen – zurück in die Zivilisation.

Zu diesem Zeitpunkt ist auch das letzte Feuchtigkeit absorbierende Silicagel aufgebraucht, die Luftfeuchtigkeit liegt bei knapp 100 Prozent. Nahezu alle Leitungen, Oberflächen und Objekte sind mit schädlichen Keimen verseucht. „Die bösen Jungs haben die guten überwältigt“, kommentiert NASA-Forscher Chet May. Abwasser- und Abfallsysteme streiken bereits seit Wochen, daher gammeln der Müll von 30 Tagen und die getragenen Klamotten an Bord vor sich hin. Aber jetzt, im Endspurt, ist das alles zu ertragen. Das „Splash Up“, das letzte Auftauchen nach mittlerweile mehr als tausend Meilen Drift und knapp einem Monat Tauchzeit, steht unmittelbar bevor.

„Splash up“

Am 14. Juli 1969 endlich, ist die Besatzung der Franklin erlöst: Sie tauchen vor der Küste des US-Bundesstaates Maine auf und werden vom Kreuzer der Küstenwache an Land gebracht. Mehr als 2.250 Kilometer haben die sechs Männer in ihrem Tauchboot zurückgelegt, den größten Teil davon mit der Strömung des Golfstroms driftend – ein absoluter Rekord. Sie haben Meerestiere beobachtet und fotografiert, unbekannte Tiefen kartiert, und wertvolle Daten über Temperaturen, Salzgehalt und Druckwerte im Herzen der Strömung mitgebracht.

Modell für Raumfahrtmissionen: Kazimir auf seiner Koje © NASA/GSFC/seawifs

Gleichzeitig waren sie Testkaninchen für eine ganze Batterie von physiologischen und psychologischen Tests: Als Modell für Langzeitastronauten führten sie Buch über ihre Schlafqualität und –muster, ihre Stimmung und Verhaltensänderungen. Chet May, der NASA-Wissenschaftler, hatte beobachtet und notiert, wie sich im Laufe der Zeit eine Routine des Zusammenlebens zwischen den Männern entwickelte und wie diese den Belastungen der Langzeitisolation standhielt – wertvolle Hinweise, die die NASA für zukünftige Weltraummissionen wie das Weltraumlabor Skylab auswertete.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009

Ein Epilog

Was ist geblieben?

Der Weg der Franklin © NASA/GSFC/seawifs

Apollo 11 wird ein voller Erfolg – vor allem in seiner Öffentlichkeitswirkung. Den Erfolg der PX-15-Mission dagegen bekommt außer den Wissenschaftlern kaum jemand mit. Schon wenige Jahre nach der ersten Mondlandung und der ersten Langzeit-Drift verfliegt allerdings die Euphorie für die bemannte Erkundung von Weltraum und Ozean.

Abschied von der bemannten Erkundung

Es herrscht Rezession und der Rotstift trifft gerade das teure Apollo-Programm schwer. Von den ursprünglich bis 1972 geplanten neun weiteren Apollo-Flügen werden nur noch sechs durchgeführt, fünf davon landen auf dem Mond, Apollo 13 muss wegen Problemen mit der Sauerstoffversorgung ohne Landung zurückfliegen.

Auch wenn die Kosten für die PX-15 mit einer Million US-Dollar gemessen an den 14 Milliarden für Apollo geradezu Peanuts sind, werden auch hier die Forschungsgelder zusammengestrichen. Fortan heißt es nur noch: Bemannte Erkundung ist Luxus, Roboter und unbemannte Schiffe können das alles billiger, schneller und genauso gut.

Die Ben Franklin rostend auf dem Trockenen © Vancouver Maritime Museum

30 Jahre rostend im Trockendock

Mit dem Niedergang der bemannten Erkundung stagniert auch die Karriere der Ben Franklin. Obwohl sie ihren Wert und ihre Eignung für Unterwasser-Forschungsfahrten eindeutig bewiesen hat, kommen keine Anschlussprojekte. Nach ein paar kleineren Tauchgängen kauft eine kanadische Firma das Unterseeboot um damit Rohstoff-Lagerstätten vor der Küste zu erkunden. Doch die Franklin kommt nie zum Einsatz. 30 Jahre lang steht sie rostend auf einem Industriegrundstück, bis sie 2001 dann vom Vancouver Maritime Museum wiederentdeckt wird.

Das Museum restauriert das alte Tauchboot und integriert es in eine interaktive Ausstellung zur Erkundung der Unterwasserwelt. Jim Delgado, der Museumsdirektor, hofft die Vorstellungskraft und Begeisterung einer neuen Generation von potenziellen Ozeanforschern und Entdeckern anzuregen. Vielleicht, so sein Wunsch, führen diese einmal fort, was die Ben Franklin vor 40 Jahren begonnen hat. Denn noch immer gilt das Meer als eines der „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Erde. Noch sind viele Geheimnisse der Tiefsee und der Unterwasserwelt unerforscht und unentdeckt.

Nadja Podbregar
Stand: 24.07.2009