Spurensuche im Klimaarchiv der Wüste

Expedition zu den letzten Seen der Sahara

Stille Größe: Der 5,5 Quadratkilometer umspannende, salzhaltige Lac Teli von Ounianga Serir. Einst befanden sich die Inseln mindestens 50 Meter unter Wasser. © Stefan Kröpelin

Die Sahara scheint der Inbegriff der Wüste: endlose trockene, staubige Landschaften, kein Grün, kein Wasser. Oder doch nicht? Im Nordosten des Tschad gibt es etwas, was es eigentlich nicht geben dürfte: große Seen mitten in der Sahara. Gespeist vom Grundwasser trotzen sie seit Jahrtausenden der Verdunstung.

Und genau das macht diese weiten Wasserflächen inmitten der Wüste nicht nur zu einem Naturspektakel, sondern auch zu einem höchst spannenden Forschungsobjekt. Denn die Seen sind ein hochpräzises Umweltarchiv. Die aus ihnen gewonnenen Sedimente dokumentieren die Klimaentwicklung und geben Aufschluss über Staubstürme, Savannenbrände und Vulkanausbrüche.

Der Geoarchäologe Stefan Kröpelin hat die Seen der Sahara gleich in mehreren Expeditionen besucht und dabei Erstaunliches und Spannendes entdeckt. Denn in ihren Ablagerungen verbarg sich das genaueste und umfassendste Klimaarchiv der Sahara für die letzten 10.000 Jahre. Es enthüllte unter anderem auch, wann die einstmals grüne Sahara zur lebensfeindlichen Wüste wurde.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Eine Reise in den Nordosten des Tschad

Auf schwankendem Floß mitten in der Wüste

Ein Ortstermin der besonderen Art: Der Geoarchäologe Stefan Kröpelin und seine Kollegen sind unterwegs im Nordosten des Tschad – bei den letzten Seen der Sahara.

Auf dem Yoa-Salzsee von Ounianga Kebir wird eine Bohrplattform verankert. © Stefan Kröpelin

Mit dem Kanu geht es hinaus auf den Salzsee. Dort ist eine aus zwei Schlauchbooten und Holzbrettern bestehende Bohrplattform verankert, die über mehrere tausend Kilometer durch die libysche und ägyptische, dann sudanesische und tschadische Wüste bis zu ihrem Einsatzort transportiert worden ist. Jetzt, am Nachmittag, ist der beständig wehende Passatwind etwas zur Ruhe gekommen, und die Sonne brennt weniger gleißend vom Himmel. Um sicher zu sein, in einer der windreichsten Gegenden der Sahara bei aufkommendem Sturm auch wieder an Land zu gelangen, ist die Plattform an einem 400 Meter langen Seil mit einer Palme am Ufer verbunden.

Meter für Meter in die Tiefe

Das Wasser an der Bohrstelle ist 26 Meter tief. Die Wellen schaukeln die Boote und sind schnell vom überschwappenden Salzwasser mit einer weißen Schicht überzogen. Es erfordert viel Geschick und Handarbeit, den Stechzylinder in dem 35 Meter langen Bohrrohr Stück für Stück tiefer in die Ablagerungen am Seeboden hineinzudrücken und dann am schweren Gestänge Meter für Meter so vorsichtig heraufzuziehen, dass der kostbare Bohrkern nicht herausfällt. Auf diese Weise gewinnen der Geoarchäologe Stefan Kröpelin und sein Team bis zu neun Meter lange Sedimentkerne, die alle eine millimeterdünne Feinschichtung auszeichnet.

Während frühere Untersuchungen an den Seeablagerungen in den ägyptischen und nordsudanesischen Wüsten die Klimageschichte der letzten Feuchtzeit in der Sahara zwischen etwa 10.000 und 1.500 v. Chr. rekonstruieren konnten, existieren für die Folgezeit praktisch keine Daten. Doch solche Hinweise zum Umwelt- und Klimawandel in der größten Wüste der Erde sind von großem Wert – für Aussagen zur jüngeren Dynamikvon Trockengebieten oder für Klimamodellierungen im Rahmen der „Global Change“-Programme.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Bohrungen im Yoa-See von Ounianga Kebir

Die erste Expedition

Der Nordosten des Tschad, verkehrstechnisch entlegen und von einer lebensfeindlichen Umwelt geprägt, ist bis heute die unbekannteste Region der Sahara, wenn nicht ganz Afrikas; hinzu kommt die notorisch instabile Sicherheitslage im Land. Auch die Seen von Ounianga sind seit ihrer Entdeckung durch den französischen Militärgeografen Jean Tilho im frühen20. Jahrhundert kein Feld geowissenschaftlicher Forschung gewesen.

In der Hoffnung, das Geheimnis um die größten Seen der Sahara zu lüften, wurde erst Anfang 1999 in Zusammenarbeit mit Uwe George vom GEO Magazin eine fünfwöchige Expedition gestartet, die das Gesicht und „paläoklimatische Profil“ der Seen von Ounianga und der angrenzenden Gebiete erkunden sollte.

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Grundwasser gegen Verdunstung

Der vier Quadratkilometer große Yoa-See von Ounianga Kebir liegt inmitten der tschadischen Sahara. Regen fällt hier fast nie, während die jährliche Verdunstung einen Weltrekord von über 6.000 Millimetern erreicht – etwa das 2.000-fache der örtlichen Niederschläge. Die Verdunstungsverluste, die etwa dem Wasserverbrauch der Millionenstadt Köln entsprechen, werden ausschließlich durch den unterirdischen Zufluss fossilen Grundwassers ausgeglichen. Lotungen in dem äußerst salzigen Seewasser ergaben maximale Tiefen von 26 Metern.

Feine Schichten verraten Klimaänderungen

Um die Beschaffenheit der Ablagerungen am Seegrund zu bestimmen, nahmen die Wissenschaftler mithilfe eines an einem Drahtseil hängenden Stechzylinders eine erste Probe. Der 50 Zentimeter lange Sedimentkern zeigte millimeterdünne Schichten mit einem charakteristischen Gefüge, das offenbar auf Winter- und Sommerphasen zurückging.

Das Entstehen einer solchen Feinschichtung erfordert außergewöhnlich konstante Ablagerungsbedingungen, auch in einer Oase der Extremwüste. Die Beobachtung unterstützte die Annahme, dass der Boden des Yoa- Sees ein bis in die Gegenwart reichendes Umwelt- und Klimaarchiv vermutlich des gesamten Holozäns, also der bisher 12.000 Jahre dauernden Nacheiszeit, birgt.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Die Bohrkampagnen 2003/2004

Das vollständigste Klimaarchiv der Sahara

Der Autor mit einheimischen Honoratioren © Stefan Kröpelin

Die Entdeckung dieses vollständig erhaltenen Klimaarchivs führte zu einem neuen Tschad-Projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 389 „Kultur- und Landschaftswandel im ariden Afrika“ (ACACIA). Nach umfangreichen Vorbereitungen mit der Partnerbehörde in der tschadischen Hauptstadt N’Djaména und einer drei Monate beanspruchenden Überführung der Fahrzeuge und des Bohrgeräts von Deutschland in die Sahara begannen Kröpelin und seine Kollegen im Dezember 2003 die ersten Studien vor Ort. Mit einer speziellen Metallzylinder- Bohrvorrichtung konnten sie dabei bis zu 4,5 Meter lange Bohrkerne aus dem Seeboden bergen, die die letzten 2.600 Jahre detailliert dokumentieren.

6.000 Jahre in die Vergangenheit

Die sich anschließende Geländekampagne im Herbst 2004 ermöglichte mit einer 35 Meter langen Bohrvorrichtung ein noch tieferes Eindringen in die zunehmend verfestigten Sedimente. Bei einer Wassertiefe von 26 Metern war die Grenze der Leichtbohrtechnik erreicht. Die Forscher zogen bis zu neun Meter lange Bohrkerne, bis eine stärker verfestigte Schicht ein weiteres Vordringen verhinderte. Auch dieser lange Sedimentkern wies eine durchgehende Feinschichtung auf, die nach Radiokarbondatierungen und Auszählungen die letzten 6.000 Jahre in jahreszeitlicher Auflösung erfasst.

Lagerplatz in der Sahara: Mit Expeditionsfahrzeugen und schwerem Gerät sind die Forscher in den Tschad gekommen. © Stefan Kröpelin

Diese Datenbasis stellt das bisher vollständigste und genaueste Klimaarchiv der Sahara für das mittlere und späte Holozän dar. Die noch laufende Auswertung der Daten, an spezialisierten Laboratorien im In- und Ausland durchgeführt, umfassen sedimentologische und geochemische Untersuchungen. Dazu gehören auch hochauflösende Bildanalysen, Alters- und Isotopenbestimmungen sowie detaillierte Auswertungen des Gehalts an pflanzlichen und tierischen Mikrofossilien.

Staubstürme, Vulkanausbrüche und Siedlungsspuren

Die rund 12.000 hauchdünnen „Lagen“ erlauben nicht nur lückenlose Aussagen über den Klimaverlauf und die Entwicklung der Ökosysteme des Wassers und der Erde in der Sahara. Sie liefern auch jahresgenaue Informationen über Naturereignisse wie schwere Staubstürme, Savannenbrände und Vulkanausbrüche oder über das erste Auftreten bestimmter Nutzpflanzen, zum Beispiel der Dattelpalme. Die Angaben umfassen damit das Mittel- und Spätholozän bis zu den modernen Nukleartests und kriegerischen Konflikten der Zeitgeschichte in bisher unerreichter Genauigkeit.

Die Ergebnisse beleuchten auch die klimatischen und ökologischen Grundlagen für die prähistorische Siedlungsgeschichte in der Region. Vor allem aber bieten sie eine Antwort auf die Frage, ob und wie aus Bohrkernen des Meeres und des Eises abgeleitete Klimaereignisse und Klimaschwankungen Gültigkeit für den kontinentalen afrikanischen Wüstengürtel besitzen. Darüber hinaus können sie helfen, computergestützte Klimamodelle zu überprüfen und damit globale Klimaprognosen zu verbessern.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Zu Besuch in der Ounianga Serir-Senke

Fragiles Paradies

Auch die 40 Kilometer östlich von Ounianga Kebir (arabisch kebir = groß) gelegene Senke von Ounianga Serir (arabisch serir = klein) zählt mit ihren Seen zu den landschaftlich schönsten als auch wissenschaftlich interessantesten Orten der Sahara. In einer nahezu regenlosen Region ist schon die bloße Existenz dieser Seen bemerkenswert. Wie beim Yoa-See ist deren Vorhandensein nur dem permanenten Zustrom fossilen Grundwassers zu verdanken, das während der letzten Feuchtzeit aufgefüllt wurde.

Gemeinsam mit Ounianga Kebir stellen die Seen Überreste des frühholozänen „Mega-Tschad-Systems“ dar, des einst ausgedehntesten Binnensees der Erde. Auch wenn alle Wasserflächen der Sahara aufgrund anhaltender Austrocknung, fallender Grundwasserspiegel und vorrückender Dünen ihrer baldigen Verlandung entgegensehen, werden sie bei weiter anhaltendem Grundwasserzustrom noch zumindest einige Jahrhunderte überdauern.

„Verdunstungspumpe“ zieht Süßwasser

Während der letzten Jahrtausende haben die stetig wehenden Nordostpassate lange Sandzungen in das Becken getrieben. Diese haben den einst zusammenhängenden Süßwassersee in 15 kleinere Seen geteilt, die eine Gesamtfläche von etwa 20 Quadratkilometern aufweisen. Bis auf den zentralen Salzsee (Teli) sind sie weitgehend, zum Teil sogar vollständig von schwimmenden Schilfmatten bedeckt, wodurch die Verdunstung deutlich reduziert wird.

Der offene Zentralsee verdunstet dagegen weitaus stärker und wirkt dadurch wie eine gigantische Verdunstungspumpe, die hier den niedrigsten Seespiegel verursacht. Als Folge dieses Niveaugefälles wird stetig frisches Süßwasser aus den höher gelegenen Seen durch die durchlässigen Dünenkörper angezogen. Dieser Mechanismus erklärt auch die Existenz von Süßwasserseen – ein Paradox unter den klimatischen Bedingungen der Sahara, wo in der Regel aufgrund der hohen Verdunstung eine rasche Versalzung eintritt.

Das macht das ökologische System von Ounianga Serir einzigartig. Vergleichbare Süßwasser-Ökosysteme sind weder aus der Sahara noch aus anderen Extremwüsten bekannt.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Das Klimaarchiv des Ounianga Serir

Algenkalk und virtuelle Flutungen

Auch am Ounianga Serir suchten die Wissenschaftler um Kröpelin nach den Spuren der Vergangenheit. Infolge der starken Windabtragungen sind an der Oberfläche des Sees jedoch nur sehr wenige Überreste der Ablagerungen älterer Seestadien erhalten. Diese liegen bis zu 80 Meter über dem heutigen Seeboden.

Ehemalige Seesedimente im Tschad © Stefan Kröpelin

Die fein geschichteten Kieselalgenschlämme und von Schneckengehäusen durchsetzten Kalke sind aufgrund von Radiokarbondatierungen im frühen Holozän entstanden, also vor 7.000 bis 10.000 Jahren. Die einzelnen Sedimentabfolgen, im Rahmen der Expedition beprobt und dokumentiert, wollen die Forscher später mit dem Klimaarchiv des Yoa-Sees von Ounianga Kebir vergleichen.

Rekonstruktion mit Hilfe „virtueller Flutungen“

Durch Präzisionsmessungen der höher gelegenen Seeablagerungen mithilfe des sogenannten Differentiellen Global Positioning System (DGPS) konnten die Forscher verschiedene Seestände der Vergangenheit ermitteln. „Virtuelle Flutungen“ von digitalen Höhenmodellen auf der Basis dieser Messdaten gestatten eine präzise Rekonstruktion des während der letzten Feuchtzeit vielfach größeren Sees von Ounianga Serir.

In geoarchäologischer Gemeinschaftsarbeit hilft dieses Vorgehen auch bei der Suche nach prähistorischen Siedlungsplätzen, da diese meist an den Ufern angelegt wurden – und heute in dem weitläufigen, meist sandbedeckten Gelände kaum auffindbar wären.

Fortsetzung folgt…

Doch die bisher gewonnenen paläoklimatischen Daten müssen schrittweise erweitert werden. Deshalb planen die Forscher, die aufwendigen Bohrungen in Ounianga Kebir mit schwererem Gerät fortzusetzen, um damit die Umwelt- und Klimaentwicklung der Sahara während des gesamten Holozäns und womöglich sogar des Spätpleistozäns, also während der vergangenen 130.000 Jahre, zu erschließen und besser zu verstehen.

Dr. Stefan Kröpelin, Universität Köln / DFG Forschung
Stand: 18.09.2009

Erste Ergebnisse der Klimaauswertungen revidieren Saharabild

Allmähliches Austrocknen statt abruptem Wechsel

Sanddünen in der Sahara © Holger Reineccius / GFDL

Wie wurde die Sahara zur Wüste? Und noch wichtiger: wann? Bisher dominierte in Wissenschaftlerkreisen die Ansicht, dass sich der Wechsel von der grünen Sahara zur Sandwüste relativ abrupt, durch einen plötzlichen Klimaumschwung vor 5.500 Jahren vollzogen hat. Schuld daran seien die komplexen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Oberfläche und Vegetation. Die Basis dieser Hypothese war allerdings recht dünn, sie stammte vornehmlich aus Modellrechnungen, Bohrkernen aus Ozeansedimenten des Atlantiks und lange schon ausgetrockneten Seen in der Sahara selbst.

Schrittweise statt plötzlich

Doch das neu entdeckte Klimaarchiv aus den Sedimenten des Yoa-Sees zeichnet nun ein ganz anderes Bild: Statt auf einen plötzlichen Umschwung weisen die in den Sedimenten enthaltenen Pollen, Sporen und Sandpartikel auf einen allmählichen Übergang hin – quasi ein langsames Sterben statt eines plötzlichen Endes.

Demnach begann das Ganze vor rund 6.000 Jahren durch eine erste Klimaveränderung hin zu weniger Regen – zu wenig für die damals hier bestehende Waldsavanne mit ihrer reichen Tierwelt. Die Bäume wurden weniger, anspruchslosere Büsche breiteten sich aus. Vor 4.300 Jahren gab es noch einmal eine Verschärfung, es wurde noch trockener. Die Büsche mussten nun Grasland weichen. Doch auch diese Steppe hielt sich nicht lange: 1.300 Jahre später hielt endgültig die Wüste Einzug.

Zwar gewannen Kröpelin und seine Kollegen dieses im Mai 2008 in „Science“ veröffentlichte Szenario aus den lokalen Schichtungen des Yoa-Sees im Tschad, doch ihrer Ansicht nach könnte sich diese schrittweise Wüstenbildung durchaus in der gesamten Sahara so abgespielt haben. Um das zu bestätigen, müssten jedoch weitere Proben auch von anderen Orten genommen werden.

Nadja Podbregar
Stand: 18.09.2009