Ein Unterseeboot zwischen Fakten und Fiktion

Jules Vernes „Nautilus“

Die Nautilus in der Originalillustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou © historisch

Sie ist wohl das bekannteste U-Boot der Welt: die Nautilus, das Tauchschiff aus Jules Vernes Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“. Ihre für damalige Zeiten fast schon „undenkbare“ Technologie hat das U-Boot-Bild von Generationen von Lesern geprägt und nicht wenige Technikpioniere zu ihren späteren Erfindungen inspiriert. Aber wie realistisch und zukunftsweisend war die Nautilus wirklich?

Ob Luftschleuse, Tiefenruder oder Akkumulatorenantrieb – einige Merkmale der Nautilus waren realen Entwicklungen bereits erstaunlich nahe, andere dagegen zumindest für damalige Zeiten reine Zukunftsmusik. Heute ist vieles von dem, was Verne in seinem 1869 veröffentlichten Buch schilderte, längst Realität: elektrische Geräte im Alltag, aber auch Unterseeboote, die monatelang auf See bleiben können. Anderes dagegen erwies sich eher als Sackgasse der Technologieentwicklung.

Doch woher nahm Jules Verne seine Ideen? Und wie weit voraus war er den technischen Errungenschaften seiner Zeit tatsächlich?

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Die Nautilus und ihre Geschichte

20.000 Meilen unter dem Meer

Wir schreiben das Jahr 1866. In den Zeitungen der Zeit beherrscht vor allem ein Thema die Schlagzeilen: das „Seeungeheuer“. Das offenbar riesenhafte Wesen rammt Schiffe und bringt sie so zum Untergang, einige Besatzungen können knapp entkommen und schildern ihre Abenteuer in immer neuen Superlativen. Ein Ungeheuer oder aber ein Unterwasserfahrzeug mit außerordentlicher mechanischer Kraft, so glaubt man, treibt dort draußen auf dem Ozean sein Unwesen.

Auf der Außenhülle der Nautilus © Originalillustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

Mit diesem Szenario beginnt einer der bekanntesten Abenteuerromane und technischen Fiktionen überhaupt: Jules Vernes Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“. Im zweiteiligen, 1869 und 1870 veröffentlichten Roman, beschreibt Verne aus der Perspektive des französischen Meereskundlers Professor Pierre Arronax dessen Erlebnisse während der Suche nach dem Ursprung dieser geheimnisvollen Schiffsunglücke und nachdem er diesen gefunden hat.

„Phänomen von Menschenhand“

Nachdem auch sein Schiff versenkt wird, landen Arronax und seine Gefährten als Schiffsbrüchige ausgerechnet auf dem Rumpf des gefürchteten „Seeungeheuers“ – und stellen fest, dass es sich um ein Wasserfahrzeug handelt: „Das Tier, das Ungeheuer, das Naturphänomen, das die ganze gelehrte Welt, die Einbildungskraft der Seeleute verrückt und irre geleitet hatte, man musste es wohl anerkennen, war ein noch erstaunlicheres Wunder, ein Phänomen von Menschenhand.“

Kapitän Nemo zeigt Arronax seine Messinstrumente, darunter auch Manometer und spezielle Temperaturfühler für die Wasserschichten © Illustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

An Bord der Nautilus – so der Name des seltsamen Gefährts – erfahren Arronax und Co., dass sie sich in einem Unterseeboot befinden. Dessen Kapitän Nemo eröffnet ihnen, dass sie nunmehr Gefangene sind: „Sie sind durch Überraschung in den Besitz eines Geheimnisses gelangt, in das kein Mensch auf der Welt dringen darf, das Geheimnis meines Daseins!“ Nemo, der verbittert durch ein schweres Schicksal mit der Menschheit gebrochen hat, meidet das Land und lebt nur noch von den Ressourcen des Meeres und Meeresbodens.

Unterwegs mit der Nautilus

Die Nautilus hat der geniale Ingenieur Nemo so umgerüstet, dass es nahezu autark ist und er das Festland niemals mehr betreten muss. In einer ersten ausführlichen Führung lernt Arronax die einzigartigen an Bord des U-Boots eingesetzten Technologien kennen und in zahlreichen Gesprächen erklärt Nemo ihm – und den Lesern – deren Funktionsprinzipien. Das elektrisch angetriebene Schiff ist schnell und wendig wie ein Delfin, kann tausende Meter tief tauchen ohne Schaden zu nehmen und glänzt in seinem Inneren mit allen nur erdenklichen, ebenfalls elektrifizierten Annehmlichkeiten. Von der Realität der damaligen Seefahrt ist all dies meilenweit entfernt – wie auch Kapitän Nemo weiß:

„Ein Schiff wie es sein soll!“

„Wenn auf einem eurer Schiffe, die den Wechselfällen des Ozeans ausgesetzt sind, alles voll Gefahr ist; so hat da unten an Bord der Nautilus das Gemüt des Menschen keinen Grund zur Besorgnis mehr; da ist kein Leckwerden zu fürchten, keine Beschädigung des Takelwerks oder der Segel, kein Zerspringen der Dampfkessel, keine Feuersbrunst, kein Kohlenmangel, kein Zusammenstoß und kein Sturm. Einige Meter unter der Oberfläche ist unbedingte Ruhe der Gewässer. Das, mein Herr, das ist ein Schiff, wie es sein soll!“

Auch Unterwasserspaziergänge per Taucheranzug sind von der Nautilus aus möglich © Illustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

Im Laufe der nächsten Monate erleben Arronax und seine Gefährten zahlreiche Abenteuer, erkunden exotische Gefilde, kämpfen gegen Kraken und Haie, finden Atlantis und tauchen sogar unter dem Eis der Antarktis. Schließlich, während die Nautilus in den Maelstrom, einen Meeresstrudel vor Norwegen gerät, fliehen Arronax und seine Gefährten im Beiboot des Schiffs.

Das gesamte Geschehen wird geschildert in der für Jules Verne typischen Verbindung von spannender Abenteuergeschichte, garniert mit detaillierten Beschreibungen echter und erfundener technischer Errungenschaften und Phänomene. Er gilt bis heute als genialer Visionär, als Technikoptimist mit fast schon prophetischen Fähigkeiten. Aber wie fundiert war Vernes Technikwissen wirklich?

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Zwischen „Imagination“ und Wirklichkeit

Wie visionär war Jules Verne?

In einer Ära, in der die meisten Menschen noch bei Kerzenschein oder im Licht von Gaslampen lasen, Pferdekutschen den Straßenverkehr dominierten und die Dampfmaschine Hauptantrieb für Eisenbahnen und Schiffe war, entwarf Jules Verne das Bild einer Welt, die in vielen Aspekten verblüffend unserer heutigen Realität gleicht. In seinen Büchern hat die Elektrizität längst über die Dampfkraft triumphiert. Raffinierte Fluggeräte transportieren Menschen und Waren schnell und problemlos über große Entfernungen und sogar zum Mond, allerlei technische Spielereien vom Bildschirm bis zur Klimaanlage erleichtern den Alltag der Menschen.

Jules Verne um 1858 © historisch

Inspiration und Zukunftsvision für Generationen

Insbesondere sein Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ prägte Generationen von Lesern rund um die Welt und hinterließ auch Spuren in der Technik- und Entdeckungsgeschichte. Denn ob U-Boot-Pioniere wie Simon Lake oder William Beebe, der Erfinder der Bathysphäre, oder Entdecker und Polarforscher wie Richard Byrd – sie alle nannten Jules Vernes Geschichte rund um die Nautilus als eine ihrer Hauptinspirationsquellen.

Vernes Schilderungen der technischen Konstruktionen an Bord des Schiffes sind in Teilen so detailliert und überzeugend, dass viele Leser sie schon zu seinen Lebzeiten für realistisch hielten. Max Popp, der erste und bis heute einer der wichtigsten Biographen Jules Vernes schreibt 1908 über ihn: „Denn gerade das ist die Eigenart Vernes: Er gibt sich bei seinen Schlussfolgerungen nicht müßigen Spekulationen hin, sondern bleibt immer auf dem Boden der Wahrheit.“ Verne selbst soll dazu gesagt haben: „Ich stehe immer mit einem Fuß in der Wirklichkeit.“

Von Details und Grundlagenwissen durchsetzt

Physikalische Grundprinzipien wie beispielsweise der Auftrieb oder die Verdrängung werden von ihm bis in kleinste vorgerechnet und erklärt: „Nun aber, wenn auch das Wasser nicht absolut unfähig ist, zusammengedrückt zu werden, so ist es doch wenigstens sehr wenig dessen fähig. In der Tat beträgt nach den neuesten Berechnungen diese Beschränkung nur 436 Zehnmillionenteile auf eine Atmosphäre oder auf je 30 Fuß Tiefe. Handelt sich’s darum, 1.000 Meter hinabzugehen, so bringe ich dann die Beschränkung des Umfangs unter einem Druck in Anschlag, der dem einer Wassersäule von 1.000 Metern entspricht, d.h. unter einem Druck von 100 Atmosphären.“

Glaubwürdigkeit gewinnt das Ganze auch durch immer wieder eingestreute Bezüge zu existierenden Geräten oder Gegebenheiten. Nach der Herkunft der Maschinenteile für den Bau der Nautilus gefragt, lässt Verne Kapitän Nemo beispielsweise einige der damals etabliertesten Unternehmen aufzählen: „Sein Kiel wurde zu Creuzot geschmiedet, die Welle seiner Schraube von Pen & Cie. in London, die Platten für den Rumpf bei Leard zu Liverpool, die Schraube bei Scott in Glasgow. Seine Behälter wurden von Cail & Cie. zu Paris gefertigt, seine Maschine von Krupp in Preußen, sein Schnabel zu Motala in Schweden, seine Instrumente bei Gebrüder Hart in New York usw.“

Immer wieder flicht Verne auch Erklärungen zu grundlegenden naturwissenschaftlichen Phänomen ein, ob über das Wesen der Meeresströmungen oder die Klassifizierung der Fische: „Es ist jedermann bekannt, dass die Fische die vierte und letzte Klasse der Wirbeltiere ausmachen. Man hat sie richtig definiert: Wirbeltiere mit kaltem Blut und doppeltem Umlauf, die durch Kiemen atmen und im Wasser zu leben bestimmt sind. Sie bestehen aus zwei Abteilungen: Fische mit Knochen, d.h., deren Rückgrat aus knochenartigen Wirbeln gebildet ist; und Knorpelfische mit knorpeligen Rückgratswirbeln.“

„…zur Hälfte schon gefunden“

Und das, obwohl Verne als gelernter Jurist keinerlei formelle naturwissenschaftliche oder technische Ausbildung vorweisen konnte. Dafür aber saß er stundenlang in den Bibliotheken von Paris und las sich quer durch den Kanon von Lehrbüchern und Berichten aus den Gebieten der Ingenieurskunst, der Geologie oder der Astronomie. Vermutlich war er daher bestens informiert darüber, was insbesondere auf dem Gebiet der Technik gerade en Vogue war.

Jules Verne selbst sah sich zwar als Visionär, aber nicht als Utopist oder Prophet: „Vielleicht werden Sie überrascht sein zu erfahren, dass ich nicht besonders hochmütig gewesen bin, über Auto, U-Boot und lenkbares Luftschiff geschrieben zu haben, bevor sie in das Reich der wissenschaftlichen Wirklichkeit eingetreten sind“, erklärte Verne 1902 zu diesem Thema in einem Interview. „Als ich in meinen Schriften von ihnen wie von tatsächlichen Dingen gesprochen habe, da waren sie zur Hälfte schon gefunden. Ich habe lediglich eine Fiktion aus dem entwickelt, was in der Folge zur Tatsache werden musste.“

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Form und Grundprinzip der ersten U-Boote

Schwimmende Zigarren

Jules Vernes Nautilus ist zwar bis heute die bekannteste, aber bei weitem nicht die erste ihrer Art: 1869, als der erste Band von „20.00 Meilen unter dem Meer“ erschien, waren die Unterseeboote längst erfunden. Mindestens 25 einsatzfähige U-Boote hatten zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreiche Tauchfahrten absolviert, die meisten von ihnen unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Für Jules Verne gab es daher reichlich Möglichkeiten, sich Inspirationen für seine Nautilus zu holen – was er auch tat.

Moderner Nachbau von Fultons Nautilus © gemeinfrei

Der Namensgeber – die echte Nautilus

Juli 1800, im Hafen von Le Havre in Frankreich. Am Kai hat sich eine große Menschenmenge versammelt, alle starren gebannt auf das Hafenbecken hinaus. Dort ist allerdings auf den ersten Blick nichts zu sehen, nur ein paar Luftblasen treiben im trüben Wasser. Doch dann plötzlich beginnt es zu brodeln, ein gewaltiges kupfernes Ungetüm taucht aus den Tiefen des Beckens auf: die Nautilus.

Das vom amerikanischen Ingenieur Robert Fulton konstruierte, sechs Meter lange zylindrische Unterseeboot hat soeben seinen ersten Tauchgang in mehr als sieben Meter Tiefe erfolgreich absolviert. Fulton löst mit seinem Fahrzeug drei der wichtigsten Grundvoraussetzungen für ein Tauchboot: die Widerstandsfähigkeit der Hülle gegenüber dem hohen Wasserdruck, eine Möglichkeit, den Auf- und Abtrieb des Schiffes gezielt zu regulieren und schließlich der Vortrieb, die Vorwärtsbewegung unter Wasser.

Im Falle von Fultons Nautilus sorgt eine Hülle aus Kupferplatten für die Stabilität. Ein hohler eiserner Kiel dient dem Schiff als Ballasttank beim Tauchen und ein per Handkurbel betriebener Propeller als Antrieb. Luft erhält die dreiköpfige Besatzung über einen wasserdichten Lederschnorchel, bei längeren Tauchfahrten auch mit Hilfe einer kupfernen Pressluftflasche. Insgesamt viereinhalb Stunden kann die Nautilus damit immerhin unter Wasser bleiben. Das neuartige Schiff macht Eindruck – auch auf Jules Verne, der sein fiktives U-Boot zu Ehren von Fultons Entwicklung ebenfalls Nautilus tauft.

Zeitgenössische Radierung von Ross Winans erstem "Cigar Ship". Deutlich ist die spindelförmige Rumpfform zu erkennen. © historisch

„Cigar Ships“ als Vorbild für den Rumpf

Für die Form seiner Nautilus macht Verne allerdings keine Anleihen bei den Unterseebooten seiner Zeit, die meist eher plump zylindrisch waren, sondern beim neuesten Schrei in Sachen Dampfschiffkonstruktion: den „Cigar Ships“ von Ross Winans und seinen Söhnen. Der wohlhabende Eisenbahningenieur aus Baltimore entwickelt ab 1858 mehrere Schiffe, deren Rumpf einer an beiden Enden spitz zulaufenden Spindel ähnelt und damit extrem stromlinienförmig ist.

Sehr ähnlich lässt Verne auch seinen Kapitän Nemo die Form der Nautilus beschreiben: „Das Boot, worauf wir uns befinden, Herr Arronax, ist ein langer Zylinder mit zugespitzten Enden. Seine Länge beträgt genau 70, seine größte Breite 8 Meter; also letztere nicht völlig im Verhältnis von 1 zu 10, wie die schnellsegelnden Dampfer gewöhnlich gebaut sind, und die Länge ist hinreichend zugespitzt, damit das verdrängte Wasser leicht sich scheidet und dem Lauf nicht hinderlich ist.“ Auch die Verdrängung und das Volumen seines Schiffs beziffert Nemo ausdrücklich.

Mit ihrer extrem schmalen, schlanken Form nimmt Vernes Nautilus die Rumpfformen vorweg, die erst Jahrzehnte später in den Atom-U-Booten der Neuzeit realisiert werden. Die 1954 in der Disney-Verfilmung des Romans eingesetzte Nachbildung der Nautilus hat dagegen nichts mit Vernes Vorstellungen und Plänen gemeinsam. Sie entspringt vollends der Fantasie der auf einen möglichst historisierenden Effekt bedachten Setdesigner des Filmstudios.

Der französische U-Boot-Pionier Gustave Zédé war mit Jules Verne befreundet © historisch

Ein Minimodell mit „Insider-Hilfe“

Und noch eine entscheidende Entwicklung, die Tiefenruder, verleiht er seiner Nautilus, bevor sie der breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Sie dienen dazu, die Lage des Boots im Wasser zu stabilisieren und beim Tauchvorgang für zusätzlichen Abtrieb zu sorgen. Dass auch dieses Merkmal der Nautilus auf „Insiderwissen“ beruht, ist erst seit 1993 bekannt.

In dem Jahr entdeckten Forscher ein Modell, das Jules Verne 1868, kurz vor der Veröffentlichung seines Romans, gemeinsam mit dem U-Boot-Pionier Gustave Zédé gebaut haben soll. Letzterer tüftelte zu dieser Zeit gerade an den Plänen für die „Gymnote“, einem knapp 18 Meter langen Unterseeboot, das ebenfalls bereits Tiefenruder aufwies. Das nur 15 Zentimeter große Minimodell der Nautilus entspricht in allen Details den Beschreibungen des Schiffs in Vernes Buch – und ist gleichzeitig ein technisch vollgültiges Modell eines funktionsfähigen U-Boots.

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Der Weg zum Elektro-Antrieb

Vom Bunsenelement zur Brennstoffzelle

Die vielleicht innovativste und bahnbrechendste Eigenschaft der Nautilus ist etwas für uns heute so Normales, dass es uns gar nicht mehr auffällt: die komplette Elektrifizierung. Ob Beleuchtung, Kommunikation oder die Zubereitung der Nahrung – ohne Strom geht heute kaum mehr etwas. Zu Vernes Zeit jedoch war die Elektrizität eine vollkommen neue Kraft. Thomas Alva Edison hatte seine Glühlampe noch nicht erfunden, Wernher von Siemens seinen Prototyp eines elektrischen Generators gerade erst vorgestellt.

Zeichnung des Bunsenelements, einer Zink-Kohle-Batterie © historisch

Das „Bunsensche Element“

Doch eine elektrische Energiequelle gab es bereits und sie war auch Jules Verne bestens bekannt: das so genannte Bunsenelement, die erste Zink-Kohle-Batterie der Welt. Die 1843 von dem deutschen Chemiker Robert Wilhelm Bunsen erfundene Batterie schöpfte ihre Energie aus dem Elektronenfluss zwischen einer Kohleelektrode in Form eines äußeren Zylinders aus Presskohle und einer Zinkelektrode, die in den mit Schwefelsäure gefüllten Innenraum getaucht wurde. Ein poröser Tonzylinder trennte Kohle von Zinkbereich und verhinderte so die Durchmischung beider Komponenten.

Erste Experimente mit Elektrobooten

Als Stromlieferant für Alltagsanwendungen wie die Beleuchtung war diese Batterie viele zu groß und zu leistungsschwach, doch im Bereich des Schiffsbaus begannen Ingenieure sehr schnell, mit dieser neuen Energiequelle zu experimentieren. So fuhr auf der Newa in Sankt Petersburg bereits seit 1838 ein sieben Meter langes Passagierboot, das durch eine Vorform des Bunsenelements, die Grove-Zelle, angetrieben wurde. Der von dem in Russland lebenden deutschen Physiker Moritz Hermann Jacobi entwickelte Motor bestand aus Elektromagneten, die ein Schaufelrad bewegten.

Und quasi vor der Haustür von Jules Verne, im Pariser Bois de Boulogne, ließ um 1868 der Comte de Molin ein elektrisches Ruderboot zu Wasser, dessen Paddel von mehreren Bunsenelementen angetrieben wurden. Das Schiff kam allerdings nicht weit und blieb schon wenige hundert Meter weiter stehen.

Im Maschinenraum der Nautilus © Originalillustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

Elektrizität an Bord der Nautilus

Auch Jules Verne setzt auf die Elektrizität und geht in seinem Szenario noch weit über das zur damaligen Zeit denkbare hinaus: „Es gibt eine mächtige, leicht zu beherrschende und jederzeit verfügbare Energie, die sich für alle Zwecke einsetzen lässt und das Leben hier an Bord bestimmt. Sie erfüllt alle Bedürfnisse, sorgt dafür, dass ich Licht habe, dass mir warm ist und dass meine mechanischen Geräte funktionieren. Diese Energie ist die Elektrizität“, erklärt Nemo. Und tatsächlich liefert Strom die Energie für nahezu alles an Bord der Nautilus: von den Lampen im Salon über Küchengeräte und Wasserversorgung bis hin zu den Bordinstrumenten und natürlich dem Antrieb.

Das Antriebsprinzip

Dass Verne hier nicht nur fabulierte, sondern die aktuellen Experimente und Technologien kannte, zeigt sein expliziter Bezug darauf. Er lässt Kapitän Nemo zum Prinzip der Stromerzeugung erklären: „Ich verwende Bunsensche Elemente, nicht Ruhmkorffsche. Sie würden zu schwach gewesen sein. Von den Bunsenelementen braucht man nicht viele, sie sind stark und groß, was der Erfahrung gemäß besser ist. Die erzeugte Elektrizität zieht sich nach hinten, wo sie über mächtige Elektromagnete auf ein besonderes System von Hebeln und Rädergetrieben wirkt, das dann die Bewegung auf die Schraubenwelle überträgt.“

Es folgt eine detaillierte Erklärung, wie Nemo die Bunsenelemente der Nautilus verbessert und so umgerüstet hat, dass sie mit aus dem Meerwasser extrahierten Natrium anstelle des Zinks laufen. Zwar wäre diese Methode technisch nicht wirklich umsetzbar, doch die grundsätzliche Idee, Strom als Antrieb für ein U-Boot zu nutzen, kam – wieder einmal – nicht von ungefähr.

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Gymnote - das erste moderne U-Boot der Welt

Eine „Blaupause“ für die Nautilus

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24. September 1888, am Kai des Hafens von Toulon. Heute ist der große Tag für den französischen U-Boot-Pionier Gustave Zédé. Nach jahrelangem Kampf um Aufträge und Geldgeber hat der mit Jules Verne befreundete Ingenieur endlich seinen großen Traum umgesetzt: die „Gymnote“, das erste funktionstüchtige, elektrisch betriebene Unterseeboot der Welt. Das knapp 18 Meter lange Tauchboot mit seiner schnittigen Spindelform wird von insgesamt 564 Bleiakkumulatoren angetrieben – im Prinzip genau den Stromlieferanten, die bis heute als Starterbatterie in unseren Autos stecken.

„Autobatterien“ als U-Boot-Antrieb

Die um 1850 durch den deutschen Physiker Wilhelm Josef Sinsteden entwickelten Bleiakkus beruhen auf dem Elektronenaustausch zwischen Blei und Bleioxid in einer verdünnten Schwefelsäurelösung. Sie liefern zwar im Vergleich zu modernen Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren keine sonderlich hohe Energiedichte, können aber kurzzeitig hohe Stromstärken produzieren und gelten als sehr zuverlässig.

In der Gymnote entwickeln die Bleiakkumulatoren eine Leistung von 55 PS und verleihen dem Schiff damit aufgetaucht immerhin eine Geschwindigkeit von über sieben Knoten, das entspricht 13 Kilometer pro Stunde. Unter Wasser verringert sich das Fahrtempo wegen des höheren Widerstands bis auf vier Knoten. Zédés Unterseeboot besitzt nur diesen elektrischen Antrieb und nicht, wie spätere Unterseeboote, einen zusätzlichen Verbrennungsmotor, der bei der Überwasserfahrt und zum Wiederaufladen der Akkus eingesetzt werden kann. Deshalb liegt die Reichweite nur bei insgesamt 120 Kilometern, getaucht bei 46.

Ein modernes U-Boot der 212A-Klasse, angetrieben unter Wasser mit Elektromotor © Bundeswehr/ Schönbrodt/ CC-by-sa 2.0

Vorbild für moderne U-Boote

Doch trotz dieser Einschränkungen führt die Gymnote ab 1888 mehr als 2.000 Tauchfahrten durch und ist Vorbild für zahlreiche Nachfolgemodelle – nicht zuletzt auch für die U-Boote unserer Zeit. Sie gilt daher bis heute als das erste moderne Unterseeboot der Welt. In Kopplung mit einem Verbrennungsmotor ist ein Elektromotor bis heute der Antrieb für fast alle nichtatomar betriebenen U-Boote. Die zurzeit modernsten Exemplare der deutschen Marine, die 212 A-Klasse, nutzt ebenfalls Akkumulatoren als Antrieb, allerdings in Kombination mit einer Brennstoffzelle, die zum Aufladen der Batterie dient.

Für Jules Verne, der 1869 den Erfolg der Gymnote mit seiner Nautilus quasi vorwegnahm, war bereits damals ganz klar, dass die Elektrizität, und nicht Dampf oder Druckluft, wie zu dieser Zeit noch durchaus diskutiert, der Antrieb der Zukunft sein würde:

„Der nächste große Krieg könnte zum großen Teil ein Wettstreit zwischen Unterseebooten sein. Ich glaube, dass eher die Elektrizität als Druckluft die Antriebkraft dieser Schiffe sein wird, denn das Meer ist voll von diesem Element. Es wartet nur darauf gebändigt zu werden, wie es der Dampf getan hat“, schrieb Verne 1898 in einem Telegramm an den U-Boot-Pionier Simon Lake, der gerade mit seinem Tauchboot „Argonaut I“ als erster eine 800 Kilometer Strecke zurückgelegt hatte.

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010

Kopierte Verne das Schleusenprinzip von der Explorer?

Entdeckung vor San Telmo

„…Ich fühlte, dass man mich in eine kleine, neben dem Kleidergemach befindliche Kammer schob. Meine Begleiter folgten, in gleicher Weise bugsiert, mir nach. Ich hörte, wie eine Tür mit festgefugtem Verschluss über uns zugemacht wurde, und tiefes Dunkel umgab uns. Nach einigen Minuten hörte ich ein lebhaftes Zischen und fühlte eine gewisse Kälte von den Füßen zur Brust aufsteigen. Offenbar hatte man vom Innern des Schiffs aus mit einem Hahn das äußere Wasser eingelassen, so dass es uns umgab und die ganze Kammer füllte. Darauf öffnete sich eine zweite Tür in der Seitenwand der Nautilus, ein Dämmerlicht umgab uns. Gleich darauf fühlten wir den Meeresgrund unter den Füßen.“

Arronax in der Luftschleuse der Nautilus, gekleidet in einen Taucheranzug mit Luftbehälter auf dem RÜcken. © Illustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

Was Jules Verne hier seinen Protagonisten Pierre Arronax beschreiben lässt, ist – für uns heute leicht erkennbar – das Prinzip einer Luftschleuse: einer Kammer, die das Aussteigen von Tauchern aus dem Unterseeboot erlaubt, ohne dass Wasser in das eigentliche Schiffsinnere eindringt. Für damalige Zeiten ist das Konzept zwar revolutionär, wie so vieles an Bord der Nautilus, unbekannt ist es aber nicht. Denn wenige Jahre vor Erscheinen von „20.000 Meilen unter dem Meer“ hat der deutsche Ingenieur Julius Kröhl bereits das weltweit erste U-Boot mit Ausstiegssystem entwickelt und vorgestellt.

Sensation im East River

1866, zur ersten Vorführung seiner „Explorer“ im Hafen von Brooklyn in New York City hat der ursprünglich aus Ostpreußen stammende Kröhl für möglichst viel Publikum gesorgt und Pressevertreter, Unternehmer und Marineoffziziere eingeladen. Sein zwölf Meter langes, gusseisernes Tauchboot ist durch eine Doppelhülle geschützt, deren Zwischenraum als Luftreserve dient und in dem sich auch die Ballasttanks befinden.

Für ihre spektakuläre Vorführung tauchen Kröhl und drei Mann Besatzung mit der Explorer bis auf den Grund des East River. Als sie nach 90 Minuten wieder auftauchen, öffnet Kröhl den Deckel der Einstiegsluke und präsentiert der staunenden Menge einen Eimer mit Schlick – heraufgeholt während des Tauchgangs über die druckluftbetriebene Ausstiegsschleuse am Schiffsboden. Das Publikum ist gebührend beeindruckt. Am nächsten Tag bejubelt die Zeitung „New York Times“ das „erste funktionierende Tauchschiff der Welt“ und erklärt Julius Kröhl zum „Vater der U-Boote“.

Kapitän Nemo erklärt Arronax den Aufbau der Nautilus © Illustration von Alphonse de Neuville und Edouard Riou

Doppelrumpf und Luftschleuse auch bei der Nautilus

Auch Jules Verne erfährt vermutlich über diesen und andere Presseberichte von der „technischen Sensation“. Sehr wahrscheinlich hat er sowohl den Doppelrumpf als auch die Luftschleuse seiner Nautilus dem Vorbild der Explorer nachempfunden. „Die Nautilus besteht aus zwei Rümpfen, einem inneren und einem äußeren, die durch eiserne Klammern in Form eines T miteinander verbunden ihr eine außerordentlich große Dauerhaftigkeit geben“, erklärt Kapitän Nemo seinem Gast Arronax.

Der geniale Erfinder Köhl jedoch erlebt den literarischen Ruhm „seiner“ Schleuse nicht mehr: Er stirbt 1867 zusammen mit der gesamten Besatzung der Explorer unter rätselhaften Umständen beim Perlentauchen in Panama. Möglicherweise sind sie mit die ersten Opfer der Taucherkrankheit, ausgelöst durch ständig zu schnelles Aufsteigen nach Tauchgängen in 30 und mehr Metern Tiefe. Kröhls U-Boot gerät nach seinem Tod in Vergessenheit, obwohl es bei Ebbe gut sichtbar auf dem Strand der unbewohnten Insel San Telmo vor der Küste Panamas liegt – gut 130 Jahre lang.

Das Wrack der Explorer am Strand von San Telmo © James P. Delgado at en.wikipedia / CC-by-sa 3.0

Entdeckung in Panama

Erst 2001 fährt der britische Wrack-Experte John Blashford-Snell zusammen mit einem Forscherteam nach Panama, um sich das Wrack der Explorer noch einmal genauer anzusehen. Das jahrelang für ein japanisches Mini-U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg gehaltene Relikt entpuppt sich dabei schnell als sehr viel älter – und erinnert verblüffend stark an die Beschreibungen der Nautilus: „Es hatte einen Kommandoturm und ich hatte das Gefühl, als wenn Kapitän Nemo dort eigentlich an den Kontrollen sitzen sollte“, erklärt Blashford-Snell gegenüber der Zeitung „Times“.

„Wenn Jules Verne die relativ neue Welt der Unterseeboote recherchiert hat, muss er auch vom Schleusensystem der Explorer gehört haben“, erklärt der britische Marinehistoriker Wyn Davies. „U-Boot-Erfinder waren damals scharf darauf, ihre Produkte zu verkaufen, daher hätte es nichts von der heutigen Geheimniskrämerei gegeben und die Technologien wären beiderseits des Atlantik genau begutachtet worden. So weit ich weiß, hatte die Explorer das erste Schleusensystem und ihre Einzigartigkeit könnte sehr wohl Vernes Vorstellungskraft angeregt haben.“

Eine „Imagination“ wird wahr

Ob Luftschleuse, Tiefenruder oder Akkumulatorenantrieb – zahlreiche Merkmale der Nautilus waren den realen Entwicklungen der damaligen Zeit, aber auch späterer Unterseeboote bereits erstaunlich nahe. Vieles von dem, was Verne in seinem Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ schildert, ist heute längst Realität. Der bekannte Verne-Biograph Max Popp schrieb bereits 1908: „Gerade weil Jules Verne mit Tatsachen rechnete, weil er seine Schlüsse nur aus den wirklichen Fortschritten der Wissenschaft zog, mussten seine Prophezeiungen zum Teil schon jetzt eintreffen.“

Und auch Verne war der festen Überzeugung, dass er nichts grundlegend Unrealistisches beschrieb: „Während mein Buch, 20.000 Meilen unter dem Meer, ein Werk der Imagination ist, ist es meine Überzeugung, dass alles was ich in ihm beschreibe, wahr werden wird“, erklärt er 1902 in einem Interview – und in vieler Hinsicht behielt er damit Recht.

Nadja Podbregar
Stand: 08.10.2010