Mit Mars Express und Phobos Grunt bei den „Söhnen“ des Kriegsgotts

Mehr Licht im Dunkel der Mars-Trabanten

Marsmond Phobos aufgenommen vom Mars Reconnaisance Orbiter im Jahr 2008 © NASA / JPL-Caltech / University of Arizona

Mitte des 19. Jahrhunderts verfügten die Astronomen an den Sternwarten der europäischen Höfe bereits über ein erstaunlich präzises Bild von der Mechanik unseres Sonnensystems: Die Bahnen aller acht Planeten, einiger großer Asteroiden und weniger Kometen waren bekannt. Vom Jupiter und Saturn wusste man, dass die Gasriesen des äußeren Sonnensystems von mehreren Monden umkreist werden. Im inneren Sonnensystem, so schien es, besitzt nur die Erde mit dem Mond einen Trabanten.

Doch was für viele ein Indiz für die Einmaligkeit unseres Heimatplaneten war, ließ ernsthafte Astronomen nicht ruhen: Am 18. August 1877 entdeckte der amerikanische Astronom Asaph Hall mit einem 26-Zoll-Refraktor, dem damals weltweit größten Instrument dieser Art, zwei vergleichsweise winzige Körper, die den Mars umkreisten: Er benannte sie nach den Söhnen des griechischen Kriegsgotts Ares: Phobos und Deimos, Furcht und Schrecken.

Heute beschäftigen sich Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) insbesondere mit Phobos, dem größeren der beiden Marsmonde. Die wichtigste Quelle für neues Wissen sind dabei die Bilddaten, die von der Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express zur Erde übertragen werden.

Am 8. November 2011 ist nun die russische Mission Phobos Grunt vom Weltraumbahnhof Baikonur aus zum Mars gestartet. Auch sie soll dabei helfen, die vielen verbliebenen Rätsel um die beiden Mars-Trabanten zu lösen.

Jürgen Oberst und Marita Wählisch / DLR-Magazin
Stand: 04.11.2011

Wie entstanden Phobos und Deimos?

Geheimnisvolle Marsmonde

Phobos und Deimos © JPL / NASA

Die Monde Phobos und Deimos befinden sich in einer äquatornahen Umlaufbahn um den Planeten Mars: Phobos hat einen Abstand von circa 9.400 Kilometern vom Marsmittelpunkt, Deimos von 23.500 Kilometern. Für eine Umkreisung um den Mars benötigt Phobos 7,6 Stunden, Deimos 30,3 Stunden.

Beide Monde zeichnen sich durch eine sehr unregelmäßige Form aus, die sich annähernd durch einen dreiachsigen Ellipsoiden mit den Radien 13 mal 11,4 mal 9,1 Kilometer für Phobos und 7,8 mal 6,0 mal 5,1 Kilometer für Deimos beschreiben lässt.

Eingefangene Asteroiden…

Der Ursprung der beiden Monde des Mars ist bis heute unklar. Es gibt drei Hypothesen: Die erste besagt, dass sie eingefangene Asteroiden sind. Die spektralen Eigenschaften des Oberflächenmaterials ähneln denen von sogenannten kohligen Chondriten, einer besonderen Form von Steinmeteoriten, die bei Asteroiden häufig anzutreffen ist.

Phobos reflektiert nur etwa sieben Prozent des Sonnenlichts und ist damit eines der dunkelsten Objekte des Sonnensystems. Dieser besondere Meteoritentyp gilt als sehr altes, kaum verändertes Material aus der Entstehungszeit unserer Sonne. Auch die unregelmäßige Form der Monde spricht für diese erste Theorie.

Rätselhafter Marstrabant Phobos, gesehen mit den „Augen“ der vom DLR betriebenen hochauflösenden Stereo-Kamera auf der Sonde Mars Express im Januar 2011. © ESA / DLR / FU Berlin (G. Neukum)

…Relikte von Einschlägen…

Nach der zweiten Hypothese sind die Marsmonde infolge von gewaltigen Einschlägen auf dem Mars entstanden. Auswurfmaterial von der Oberfläche des Planeten hat sich in der Umlaufbahn des Planeten gesammelt und die Monde gebildet.

… oder doch zeitgleiche Entstehung mit Mars?

Nach der dritten Theorie wurden Phobos und Deimos zeitgleich mit der Entstehung des Planeten Mars gebildet. Die Parameter der heutigen Umlaufbahnen der Satelliten um den Mars stärken diese Hypothese: Die fast kreisförmigen Umlaufbahnen in der Äquatorebene des Mars sind aus bahndynamischen Gründen schwer mit eingefangenen Asteroiden in Einklang zu bringen. Eine Antwort auf die Herkunft der Monde hätte also grundlegende Bedeutung für die Planetenwissenschaft.

Nach dieser dritten Hypothese müssten der Mars und seine Satelliten eine ähnliche Zusammensetzung aufweisen. Aber warum hat Phobos eine Dichte von nur 1,87 Gramm pro Kubikzentimeter? Beim Mars liegt dieser Wert bei 3,93 Gramm. Ist das ein Anzeichen für seine hohe Porosität?

Der mehrere Kilometer große Krater Stickney auf Phobos. © Mars Global Surveyor, JPL / NASA

Löchrig wie ein Schweizer Käse?

Auffallend ist in dem Zusammenhang der größte Einschlagskrater Stickney. Sein Durchmesser von etwa acht Kilometern ist nur wenig kleiner als die längste Achse von Phobos (13 Kilometer). Ein Einschlag, der einen so riesigen Krater auf der Oberfläche bildet, hätte einen festen Körper wahrscheinlich zerrissen. Ist Phobos also nur ein loser Trümmerhaufen, löchrig wie ein Schweizer Käse?

Jürgen Oberst und Marita Wählisch / DLR-Magazin
Stand: 03.11.2011

Das Dasein von Phobos und Deimos ist endlich

„Lebensmüde“ Monde

Ende vorprogrammiert: Marsmond Phobos © NASA / JPL-Caltech / University of Arizona

Phobos und Deimos bewegen sich in der sogenannten gebundenen Rotation um den Mars: Sie zeigen stets mit der gleichen Hemisphäre zur Marsoberfläche. Besonders Phobos bewegt sich tief im Gravitationsfeld des Planeten und ist starken Gezeitenkräften ausgesetzt.

Monde mit geringer Lebensdauer

Modellrechnungen der Bahnentwicklung von Phobos zeigen, dass der Satellit in wenigen Millionen Jahren zerbrechen, dann einen Ring aus Bruchstücken um den Mars bilden und schließlich in seinen Einzelteilen auf den Mars stürzen wird. Ganz anders Deimos, der sich derzeit vom Mars entfernt und möglicherweise in ferner Zukunft die Umlaufbahn sogar verlassen wird.

Die geringe verbleibende Lebensdauer der beiden Monde wirft ein weiteres Licht auf deren Ursprung. Möglicherweise sind Phobos und Deimos die Reste einer ehemals viel größeren Population von Marsmonden.

Deimos, der kleinere der beiden Marsmonde (aufgenommen am 21. Februar 2009 von der High Resolution Imaging Science Experiment (HiRISE) Kamera auf NASA's Mars Reconnaissance Orbiter. © NASA / JPL-caltech / University of Arizona

Erste Aufnahmen schon vor 40 Jahren

Die ersten Aufnahmen der beiden Monde wurden in den Jahren 1971/72 von der amerikanischen Sonde Mariner 9 gemacht. Es folgten nahe Vorbeiflüge während der Viking-Missionen (USA, 1976-1980), mit deren Ergebnissen zum ersten Mal die Größe und die Form berechnet werden konnten.

Es gab Beobachtungen durch Phobos 2 (UdSSR, 1988-1989), Mars Global Surveyor (USA, 1996-2006) und Mars Reconnaissance Orbiter (USA, seit 2005), aber auch von der Marsoberfläche aus durch die Kameras der Landemodule Mars Pathfinder (USA, 1996-1997) und der beiden Mars Exploration Rover (USA, seit 2003).

Jürgen Oberst und Marita Wählisch / DLR-Magazin
Stand: 03.11.2011

Europäische Raumsonde enträtselt Phobos

Rendezvous mit Mars Express

ESA-Sonde Mars Express © ESA

Die europäische Raumsonde Mars Express ist zurzeit die einzige, die nah an Phobos vorbeifliegen kann. Bisher tat sie das 156-mal und war dabei 100 bis 5.000 Kilometer von Phobos entfernt. 80 Prozent der Fläche konnten so erfasst werden. Die Bilder erreichten Auflösungen von bis zu vier Metern.

Einzigartige Daten

Allerdings scheint sich ein Teil der vom Mars abgewandten Seite von Phobos den Aufnahmen regelmäßig zu entziehen: Unter den Bedingungen der bisherigen Vorbeiflüge war sie entweder nicht im Blickfeld oder zu dunkel. Dennoch: Die Daten von Mars Express sind einzigartig. Sie liefern sowohl Stereoaufnahmen als auch Farbaufnahmen und hochauflösende Bilder und das während eines Vorbeifluges.

Regelmäßig begutachten die Planetengeodäten des DLR-Instituts für Planetenforschung die Phobos- und Deimos-Daten. Die Bilder machten es möglich, die anfangs nur grob bekannten Umlaufbahnen von Phobos und Deimos neu zu bestimmen. Die Bahnmodelle werden nun international verwendet.

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Schwankungen in der Rotation bestimmt

Dabei konnten auch Schwankungen in der Rotation von Phobos akkurat bestimmt werden. Mit Hilfe der neuen Bahndaten können Mars-Express-Vorbeiflüge an Phobos exakter geplant werden: so geschehen am 9. Januar 2011, als Phobos in Bruchteilen von Sekunden genau in der Bildmitte der Kamerasensoren erfasst wurde.

Die Planetengeodäten des DLR werten zudem die Stereobilder aus und erstellen einen Katalog von Oberflächenmerkmalen, ein sogenanntes Kontrollpunktnetz. Das bestehende Netz von Phobos konnte mit Mars-Express-Daten von 300 auf 600 Kontrollpunkte erweitert werden. Die Auflösung wurde um ein Vierfaches verbessert.

Die Programmierung der Aufnahmesequenzen für die Mars-Express-Kamera erfolgt am DLR-Institut für Planetenforschung. Die Phobos-Vorbeiflüge muss das Experiment-Team besonders gründlich planen, da die Bahndaten des Mondes ständig aktualisiert und verbessert werden. © M. Köhler / DLR

Neue hochaufgelöste Phobos-Karten

Die aus vielen Einzelbildern neu erstellten Phobos-Karten mit einer 12-Meter-Auflösung zeigen in bisher nicht vorhandener Klarheit die stark zerkraterte Oberfläche. Sehr auffällig sind die Scharen von langen Rillen auf der Oberfläche von Phobos. Stammen diese von Meteoritentreffern beziehungsweise von „Streifschüssen“? Die Gravitation dort ist fast 2.000-mal geringer als auf der Erde. Könnten Gesteinsbrocken, die beim Einschlag eines Meteoriten ausgeworfen wurden, über die Oberfläche „gehüpft“ sein und diese Furchen verursacht haben?

Phobos Grunt wartet

Einer anderen Theorie zufolge sollen die Rillen durch Auswurfmaterial eines gewaltigen Meteoriteneinschlags auf dem Mars verursacht worden sein. Es wird aber auch diskutiert, dass die Rillen von Spannungen in dem Körper herrühren und tektonischen Ursprungs sind. Die neuen Daten erlauben eine genaue Kartierung und Vermessung dieser geologischen Besonderheit.

Auch die Farbdaten der Mars-Express-Sonde werden von den DLR-Wissenschaftlern ausgewertet: In den Farbbilddaten zeigt sich das Oberflächenmaterial meist rötlich, nur am Rand von großen Kratern tritt das Untergrundmaterial leicht bläulich hervor. Die genaue Kartierung des Körpers ist nicht nur Grundlage für die geologische Interpretation der Bilder, sondern sie dient auch zur Vorbereitung einer neuen Planetenmission: Phobos Grunt.

Jürgen Oberst und Marita Wählisch / DLR-Magazin
Stand: 03.11.2011

Die Mission Phobos Grunt

„Huckepack“ zum Mars

Modell der Raumsonde Phobos Grunt © MKonair / CC BY-SA 2.0

Im November 2011 soll eine Zenit-2-Rakete vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan abheben und die russische Raumsonde Phobos Grunt auf den Weg zum Mars bringen. Gleichzeitig wird der kleine chinesische Satellit Yinghuo-1 – chinesisch für Glühwürmchen – „Huckepack“ zum Mars befördert. Er soll ein Jahr lang das Mars-Schwerefeld vermessen.

Bodenproben werden „verschickt“

Für Phobos Grunt – aus dem Russischen, soviel wie Phobos Boden – ist der Name der Mission Programm: Es geht um das Absetzen eines Landeapparats auf Phobos, um das Einsammeln von Oberflächenmaterial und um das „Verschicken“ der Bodenproben in einer Rückkehrkapsel, die im August 2014 auf der Erde erwartet wird.

Phobos Grunt soll den Marsmond aber zunächst aus einiger Entfernung erkunden. 15 Instrumente sind dazu an Bord, darunter mehrere Kameras, Spektrometer und ein Radar. Bevor Phobos Grunt landen kann, wird die voraussichtliche Landestelle auf der vom Mars abgewandten Seite von Phobos nochmals genauestens vermessen.

Dazu folgt das Raumschiff zunächst dem Mond auf seiner Bahn um den Mars. Für die Landung selbst sind nur 40 Minuten vorgesehen. Bei diesem komplizierten Manöver werden Laser, Radar und Kameras den Landeapparat leiten.

Marsmonde im Visier von Phobos Grunt (oben: die geplante Landestelle für Phobos Grunt (rot markiert); unten: Phobos und Deimos direkt hintereinander – ein selten dokumentiertes Ereignis, das die Mars-Express-Kamera am 5. November 2009 festhielt.) © ESA / DLR / FU Berlin (G. Neukum)

Roboterarm arbeitet in Windeseile

Gerade einmal 17 Minuten Zeit verbleiben zum Einsammeln der Proben mit dem Roboterarm. Nur in dieser kurzen Zeit sind die Beleuchtung der Landestelle und gleichzeitig der Kontakt zur Erde gewährleistet.

Danach hebt der Rückkehrapparat mit rund 200 Gramm Probenmaterial von der Oberfläche ab und macht sich auf den Rückweg zur Erde. Das Landemodul, bestückt mit einer Reihe wissenschaftlicher Geräte, wird noch ein Jahr auf der Oberfläche von Phobos weiterarbeiten.

Internationale Zusammenarbeit

Die Vorbereitungen für die Phobos-Grunt-Mission und die anschließende Auswertung der Daten sollen gemeinsam mit den russischen Kollegen des Labors zur Erforschung extraterrestrischer Territorien der Moskauer Staatlichen Universität für Geodäsie und Kartographie und dem Labor für Vergleichende Planetologie des Vernadsky Instituts für Geochemie und Analytische Chemie der Russischen Akademie der Wissenschaften erfolgen.

Die Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern aus Russland und denen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der Technischen Universität Berlin wird durch die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren gefördert. Die neu gebildete Helmholtz Russia Joint Research Group „Geodesy, Cartography, and Exploration of Phobos and Deimos“ wird unterstützt durch eine internationale Expertengruppe, die sich jährlich am International Space Science Institute in Bern trifft.

Wenn 2014 die Rückkehrkapsel von Phobos Grunt Material von Phobos zur Erde bringt, wird die Untersuchung der Proben nicht nur unsere Kenntnisse über Phobos, sondern vielleicht auch unser Wissen über die Entstehung unseres Sonnensystems erweitern.

Jürgen Oberst und Marita Wählisch / DLR-Magazin
Stand: 03.11.2011