Neue Impfstoff-Strategie gegen den RSV-Infekt

Mit DNA gegen den Kinderschnupfen

Kultur menschlicher Zellen in Nährlösung und in Mikroskop-Ansicht © RUB

Bei den meisten Menschen löst es nur einen einfachen Schnupfen aus. Für Säuglinge und immungeschwächte Menschen aber kann das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) schlimme Folgen haben. Bisher aber gibt es gegen diese Infektion keinen Impfstoff. Das könnte sich jedoch bald ändern, denn ein vielversprechender Ansatz ist bereits in der Entwicklung.

Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum untersuchen dafür eine neue Impfstrategie: Statt inaktivierter Viren oder Virusbestandteilen nutzen sie Teile der DNA des Erregers. Eingeschleust in die Zellen des Patienten, produziert sie ein Viren-Protein, das die Immunabwehr aktiviert und so auf eine Infektion vorbereitet. Dringt dann das Schnupfenvirus in den Körper ein, ist das Immunsystem gegen die Erkrankung gewappnet.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald
Stand: 05.10.2012

Gegen das Schnupfenvirus RSV gibt es keine Impfung

Grippaler Infekt mit Schattenseiten

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht in der Regel leichte Beschwerden wie Schnupfen, Husten und Bronchitis. Meist verläuft die Infektion bei Menschen mit Symptomen, die landläufig als „grippaler Infekt“ beschrieben werden. Gefährlich ist die RSV-Infektion jedoch vor allem für Säuglinge und Kleinkinder. Bei ihnen führt die durch das Virus verursachte Atemwegsinfektion häufig zu schweren Verläufen, die eine stationäre Behandlung erforderlich machen.

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines RS-Virus © CDC

Auch bei älteren Menschen und Erwachsenen mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislaufsystems kann es nach RSV-Infektion zu schweren Atemwegserkrankungen bis hin zur Lungenentzündung kommen. So unterscheidet sich die RSV-Infektion, was die Häufigkeit und Schwere der Erkrankung betrifft, in dieser Altersgruppe kaum von der normalen Influenza-Grippe. Im Gegensatz zur Influenza gibt es jedoch bisher keinen zugelassenen Impfstoff gegen die Infektion mit RSV.

Nur mildern, nicht blocken

Vorbeugen kann man bisher nur durch Präparate, die einen Antikörper gegen das RS-Virus enthalten (Palivizumab oder Synagis®). Dieser mildert den Krankheitsverlauf. Eine solche Gabe von Erreger-spezifischen Antikörpern wird als „passive Immunisierung“ bezeichnet. Sie ist jedoch nur bei Hochrisikopatienten im Säuglingsalter und bei Frühchen empfohlen, da die Kosten-Nutzen-Analyse eine breitere Anwendung nicht rechtfertigt. Alle weiteren Bemühungen führten bisher zu keinem schützenden Impfstoff.

Ein schwerer Rückschlag für die RSV-Impfstoffentwicklung war ein früher Impfversuch bei Kindern in den 1960er-Jahren. Hierbei wurde ein chemisch-inaktiviertes Virus eingesetzt. Dieses hatte jedoch keinen ausreichend schützenden Effekt gegen die Infektion hatte. Im Gegensatz zum erhofften Effekt verstärkte sich bei den geimpften Kindern die Erkrankung nach RSV-Infektion sogar noch. Im Vergleich zu den mit Placebo geimpften Kindern verlief die Erkrankung nach der Impfung mit dem inaktivierten Virus deutlich schlimmer. Zwei Kinder starben sogar nach der Infektion. Dieses Phänomen ist als „enhanced disease“ in die Geschichte der Impfstoffentwicklung eingegangen, wobei bis heute noch nicht alle immunologischen Details dieses Effektes aufgeklärt sind.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald, Ruhr-Universität Bochum
Stand: 05.10.2012

Neuer Ansatz bei der Suche nach Impfstoffen

Nukleinsäure statt komplettem Virus

Ein neuer und viel versprechender Ansatz in der Impfstoffentwicklung ist die Verwendung von genetischen Impfstoffen wie zum Beispiel Nukleinsäuren. Die meisten Impfstoffe bestehen bisher aus abgeschwächten oder abgetöteten Infektionserregern oder aber – wie der Influenza-Impfstoff – aus isolierten Bestandteilen der Viren.

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Die Nukleinsäure – die DNA oder auch RNA des Virus – enthält den Bauplan für die meisten Proteine, die ein Virus zur Vermehrung benötigt. Einige Proteine, die Oberflächen- oder Envelope-Proteine, die sich auf der Oberfläche von viralen Infektionserregern befinden, sind für Impfstoffentwickler besonders interessant, denn sie sind durch das Immunsystem angreifbar. Eine virale Infektion kann meist verhindert werden, wenn diese Oberflächenproteine gestört oder durch neutralisierende Antikörper gebunden werden.

Zur Impfstoffentwicklung gegen RSV haben sich Virologen um Thomas Grunwald und Klaus Überla von der Ruhr-Universität Bochum auf eines der RSV-Oberflächenproteine fokussiert: RSV-F. Dieses Protein vermittelt bei einer Infektion durch das Virus die Fusion zwischen Membranen. Dabei verschmilzt zuerst die Virusmembran mit der Zellmembran. Im späteren Verlauf fördert das RSV-F-Protein auch die Bildung von Riesenzellen, sogenannten Synzytien, für die mehrere Zellen miteinander fusionieren.

Schema der Fusion von Virus- und Zellmembran durch RSV-F. RSV-F liegt auf der viralen Membran. Nach Annäherung an eine Zelle verbindet sich das RSV-F-Protein mit der Zellmembran. Nach einer Konformationsänderung nähern sich Virus- und Zellmembran so weit an, dass beide miteinander fusionieren. © RUB/ modifiziert nach Zhao X, Singh M, Malashkevich VN, Kim PS (2000)

Antikörper treffen Oberflächenprotein

Normalerweise reagiert das Immunsystem auf eine Infektion mit dem RS-Virus mit Abwehrmaßnahmen: Es bildet neutralisierende Antikörper gegen das RSV-F-Protein des Virus. Diese Antiköper erkennen das RSV-F-Protein und binden daran, so dass dieses nicht mehr korrekt funktionieren kann. Die Viren können dadurch nicht mehr mit Wirtszellen verschmelzen, so dass die Infektion oder die Verbreitung des Virus im Körper gestoppt ist. Bei immungeschwächten Patienten oder Kindern funktioniert diese Abwehr jedoch nicht immer richtig. RSV-F ist auch das Ziel des vorbeugend verabreichten Antikörpers Palivizumab, dem einzig verfügbaren und wirksamen Medikament gegen RSV.

Die Bochumer Forscher setzten sich zum Ziel, eine aktive Immunisierung gegen das RSV-F-Protein zu erzielen. Dafür mussten sie einen Impfstoff entwickeln, der das Gen für dieses Virenprotein enthält und dieses Protein im menschlichen Körper ständig nachproduziert. Dadurch würde das Immunsystem ständig mit diesem Eiweiß in Kontakt kommen und so bereits vor einer Infektion mit dem Virus Antikörper gegen dessen Oberflächenprotein bilden.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald, Ruhr-Universität Bochum
Stand: 05.10.2012

Besseres Virengen hilft besser gegen den Virus

Am Anfang steht die Optimierung

Der erste Schritt hin zu einem DNA-Impfstoff gegen das RS-Virus war es, das für das Oberflächenprotein RSV-F zuständige Gen ausfindig zu machen und zu isolieren. Als die Bochumer Forscher die Bildung des Proteins näher untersuchten, stellten sie Überraschendes fest: Die DNA-Sequenz, die das Virenprotein kodierte, schien nur wenig effektiv abgelesen zu werden. Isolierten die Forscher die DNA-Sequenz für das RSV-F-Protein und brachten sie dieses in eine Zellkultur ein, wurde nur wenig Virenprotein gebildet. Das lag vor allem an Sequenzen, die zu einem verfrühten Abbruch der Transkription – des Ablesens der genetischen Information – und damit der Umsetzung der Erbinformation in ein Protein führen.

Codon aus drei DNA-Basen © gemeinfrei

Maßgeschneiderte Sequenz…

In einem Impfstoff wäre so ein Abbruch unerwünscht. Daher optimierten die Forscher nun die gesamte DNA-Sequenz für das Protein. Mit der sogenannten Codon-Optimierung – als Codon bezeichnet man eine Sequenz von drei Nukleotiden, die im genetischen Code eine Aminosäure kodiert – und Herstellung dieser Sequenz wurde die Firma GeneArt beauftragt. Bei dieser Optimierung werden die in einem Organismus statistisch am häufigsten verwendeten Codons, die für eine Aminosäure kodieren, als Nukleinsäuresequenz zuerst im Computer und schließlich synthetisch aneinandergefügt. Dadurch entsteht quasi eine maßgeschneiderte und auf maximale Ablesbarkeit optimierte Bauanleitung. Im Fall des RSV-F wurde die Codon-Optimierung so angepasst, dass sie im Organismus Mensch optimal funktioniert.

Die dunklen Flecken in diesem Western-Blot-Test zeigen, dass die optimierte Sequenz das gewünschte Protein erzeugt. © Grunwald et al. RUB

…erzeugt mehr Proteine

Die optimierte Sequenz testeten die Bochumer Forscher nun erneut in einer Zellkultur mit menschlichen Zellen. Im Vergleich mit der ursprünglichen viralen Sequenz erfolgte dabei eine ungewöhnlich hohe Expression des RSV-F-Proteins. In vergleichenden Analysen konnten sie beobachten, dass die optimierte Sequenz mehr als 5.000-fach mehr Protein produzierte als die ursprüngliche, aus dem Virus isolierte Sequenz.

Dieser ungewöhnlich starke Unterschied ermutigte das Forscherteam, diese Sequenzen als DNA-Impfstoff im Tiermodell weiter zu testen. Auch hier zeigte sich eine klare Überlegenheit der synthetischen DNA-Sequenz. Am eindrucksvollsten war der Effekt zu sehen, nachdem die Tiere mit RSV infiziert wurden. Zum Zeitpunkt der höchsten Viruslast konnten die Tiere, die vorher die synthetische DNA zweimal geimpft bekommen haben, das Virus mehr als zehnfach besser kontrollieren. Ihre Reaktion auf die Infektion verlief deutlich milder und die Viren breiteten sich weniger stark aus.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald, Ruhr-Universität Bochum
Stand: 05.10.2012

Wie kommt das RSV-F-Gen in die Zellen?

Genfähre gesucht

Wie aber schleust man den dann-Impfstoff am besten in den Organismus und dem Zellen des Menschen ein? Eine Möglichkeit ist ein Trägervirus, quasi eine Genfähre. Dafür nimmt man einen ungefährlichen, keine Krankheit auslösenden Virus und setzt das gewünschte DNA-Stück in sein Erbgut ein. Einmal in der Zelle angelangt, wird dieses Gen dann zusammen mit den anderen Virengenen ausgelesen und in das gewünschte Protein umgewandelt.

Schema eines Adenovirus © NCI

Adeno-Virus bringt RSV-F-Gen in die Zellen

Auch die Bochumer Forscher gingen diesen Weg und statteten ein sich nicht vermehrendes, aber infektiöses Adeno-Virus mit der Erbinformation des RSV-F-Proteins aus. Im Wirtsorganismus befällt das Virus Zellen und sorgt dafür, dass diese mit ihrer Zellmaschinerie das von ihm eingeschleuste Gen auslesen und das RSV-F-Protein herstellen. Das Immunsystem reagiert darauf mit der Bildung von Antikörpern gegen das RSV-F-Protein. Kommt es anschließend zu einer „echten“ Infektion mit RSV, kann der Körper sich dagegen schnell wehren.

Der adenovirale Vektor transportiert nicht nur die fremde, synthetische RSV-F-Sequenz effektiv in körpereigene Zellen. Die Infektion mit dem Impfvirus regt auch gleichzeitig das Immunsystem im Impfling an. Gleichzeitig kann der von den Wissenschaftlern gewählte Vektor auch auf Schleimhäute aufgebracht werden, was für eine Impfung gegen ein Virus, das die Atemwege infiziert, von Vorteil ist. Im Tierversuch zeigte sich, dass Mäuse, die den adenoviralen Vektor geimpft bekamen, komplett vor einer Infektion mit RSV geschützt waren. In allen geimpften Tieren war das RS-Virus schon nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar.

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Patent erteilt

Um die Impfstoff-Entwicklung voran zu bringen, kontaktierten die Forscher mit diesen Ergebnissen eine Firma, die einen Patent-Antrag vorbereitete und übernahm. Ende 2006 konnte die Ruhr-Universität das Patent in Deutschland einreichen. Während eines virologischen Kongresses kam es zum Kontakt mit der Schweizer Firma Pevion Biotech AG. Sie wollte gleichfalls diese Sequenz zur Expression von RSV-F nutzen – aber zur Herstellung eines Protein-Impfstoffes. Über einen Lizenzvertrag kaufte die Firma die synthetische Sequenz von der RUB und nutzte sie zur Herstellung von Protein-Impfstoffen. Die präklinische Entwicklung des Protein-Impfstoffs ist inzwischen abgeschlossen. Gleichzeitig beteiligte sich die Firma am RSV-F-Patent der Ruhr-Universität und brachte es zusammen mit der Universität in die europäische und später in die internationale Phase.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald, Ruhr-Universität Bochum
Stand: 05.10.2012

Elektroporation ermöglicht Impfstoff ohne virale Genfähre

Mit Stromstoß durch die Membran

Die Arbeitsgruppe von Thomas Grunwald konzentriert sich inzwischen auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten der Nukleinsäure-basierten Impfung, denn die Probleme bei der Anwendung von adenoviralen Vektoren beim Menschen sind vielfältig. Zum einen ist die Herstellung kompliziert, zum anderen kann die Immunreaktion bei Menschen den Impferfolg schmälern.

Membran einer Körperzelle. Bei der Elektroporation wird sie kurzzeitig für größere Moleküle durchlässig. © gemeinfrei

Elektrischer Impuls als Passage-Helfer

Neue Techniken der DNA-Übertragung in vivo sind derzeit in der Entwicklung. Eine, die seit kurzem Anwendung in klinischen Studien bei Menschen findet, ist die sogenannte in vivo Elektroporation. Dabei sorgen kurze elektrische Impulse im Moment der Impfung dafür, dass Membranen der Körperzellen durchlässig werden und sie die fremde DNA daher sehr effizient aufnehmen. Dadurch wird die Bildung des in der DNA kodierten RSV-F-Proteins im Impfling verstärkt. Diese Methode wird zurzeit als DNA-basiertes Impfverfahren getestet, wobei es bei HIV-, Influenza-Virus- und Hepatitis-C-Virus-Impfstoffen bereits vielversprechende Ergebnisse zur deren Immunogenität geliefert hat. Eine 2011 veröffentlichte klinische Phase I-Studie, bei der ein HIV-DNA-Impfstoff mittels Elektroporation verabreicht wurde, zeigt, dass die Anwendung als sicher und für eine prophylaktische Impfung als akzeptabel eingestuft werden kann.

Diese Technik der in vivo Elektroporation haben die Forscher in Zusammenarbeit mit dem Virologen Matthias Tenbusch von der Ruhr-Universität seit einiger Zeit bereits für das Maus-Tiermodell etabliert. Auch nach Immunisierung mit der RSV-F-DNA bei Mäusen und bei Primaten zeigen diese eine hohe RSV-spezifische Immunantwort. Eine abschließende präklinische Wirksamkeitsstudie des RSV-F-DNA-Impfstoffs ist bereits in Planung. Ist sie erfolgreich, soll der RSV-F-DNA-Impfstoff am Menschen in einer klinischen Phase I-Studie getestet werden. Aufgrund Erfahrungen mit DNA-Impfstoffen beim Menschen und gut etablierten Produktionsbedingungen – diese DNA wird üblicherweise in Bakterien hergestellt – sollte nach Einschätzung der Forscher die Überführung in die klinische Prüfung rasch erfolgen können.

Krankenhaus: oft Ort unnötiger Scmerzen © gemeinfrei

Großer Schritt nach vorne

Ein wirksamer Impfstoff gegen RSV auf Basis von DNA wäre ein riesiger Schritt nach vorne. Bis dahin sind jedoch noch viele Schritte zu gehen und viele Prüfungen zu bestehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert Impfstoffe zu den effektivsten und kostengünstigsten Strategien zur Bekämpfung und Kontrolle von Infektionskrankheiten. Hinsichtlich des Einflusses auf die Gesundheit der Menschen weltweit stehen Impfstoffe an zweiter Stelle nach der Versorgung mit sauberem Trinkwasser.

Erweist sich der in Entwicklung befindliche Impfstoff als wirksam gegen die RSV-Infektion und/oder die durch sie verursachte Symptomatik, könnten vor allem Kinder und alte Menschen künftig davor geschützt werden. Darüber hinaus ist eine mögliche Kombination mit anderen DNA-basierten Impfstoffen attraktiv, die dann zum Beispiel vor anderen wichtigen Atemwegsviren schützen kann.

Grundsätzlich hat ein DNA-Impfstoff mehrere Vorteile: Er ist sehr sicher. DNA ist nicht infektiös und kann sich nicht von Zelle zu Zelle ausbreiten. Seine Lagerung ist einfach, da die verwendete DNA relativ Temperatur-unempfindlich ist. DNA-Impfstoffe sind schnell und relativ kostengünstig herstellbar. Darüber hinaus kann die Produktion eines DNA-Impfstoffes relativ problemlos ausgeweitet werden, so dass auch weltweite Impfprogramme durchführbar wären. Noch ist allerdings unklar, wie häufig die Impfung wiederholt werden muss und ob der Impfstoff wie die Grippeimpfung jedes Jahr gegeben werden muss.

RUBIN Sonderheft Transfer, Dr. Thomas Grunwald, Ruhr-Universität Bochum
Stand: 05.10.2012