Von Urzeit-Echsen, Elefanten und Spuren im Sand

Die Kunst des Dino-Wiegens

Wie schwer waren die gigantischen, pflanzenfressenden Sauropoden wirklich? Hier zieht eine Herde Alamosaurier an einem Ufer entlang. © DiBgd / Wikipedia eng /CC-by-sa 3.0

Brachiosaurus, Diplodocus und Titanosaurier waren die Giganten ihrer Zeit. Bis zu 25 Meter wurden diese langhalsigen Pflanzenfresser lang. Aber obwohl inzwischen viele Fossilien dieser Riesen-Dinosaurier gefunden wurden, bleibt eine Frage offen: Wie viel wogen die gewaltigen Urzeit-Echsen wirklich?

Dort, wo heute der Dinopark Münchehagen bei Hannover liegt, erstreckte sich vor 140 Millionen Jahren ein feuchter Sandstrand. Auch dort zogen gigantische pflanzenfressende Dinosaurier am Meeresufer ihrer Wege. Davon zeugen ihre Fußspuren. Aus den Jahrmillionen Jahre alten Spuren der urzeitlichen Riesen wollen Bodenmechaniker der Ruhr-Universität Bochum (RUB) nun das Gewicht dieser Dinosaurier herauslesen.

Denn wie schwer die Langhals-Dinosaurier waren, ist heute nur in Ansätzen bekannt. Um diese Frage zu klären, benötigen die Forscher allerdings mehr als nur Messinstrumente und die Fußabdrücke der Urechsen. Auch Elefanten aus dem Zoo helfen ihnen dabei, die Krafteinwirkungen der Urzeitriesen zu ermitteln.

Julia Weiler/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum
Stand: 11.01.2013

Wie schwer waren die Langhalssaurier wirklich?

Das Rätsel der Riesen

Ob Tyrannosaurus rex, Diplodocus oder Titanosaurier – Dinosaurier sind schon lange populär. „Doch unser Bild von ihnen ist heute ein ganz anderes als vor 150 Jahren, als der Hype um diese Tiere begann“, erklärt Tom Schanz, Professor für Grundbau, Boden- und Felsmechanik an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Trotz langer Forschungsgeschichte gibt es aber nach wie vor viel Unbekanntes im Reich der Giganten.

Nachbildung eines Titanosauriers © Andre Borges Lopes / CC-by-sa 3.0

Zwar sind gewaltige pflanzenfressende Langhalssaurier wie Apatosaurus oder Diplodocus aus keinem Dinosaurierfilm mehr wegzudenken. Wie viel diese Urzeitriesen aber tatsächlich wogen, ist noch immer eher Schätzung als Wissen. Das Gewicht von Langhalssauriern der Familie Sauropoda wird zum Beispiel mit 20 bis 100 Tonnen angegeben – eine ziemlich große Spannweite. Anhand von Fußabdrücken möchten Schanz und seine Kolleginnen Hanna Viefhaus und Yvonne Lins diese Schätzung nun wesentlich genauer machen.

Urzeit-Detektive am Werk

Eigentlich wäre dies ein Thema für Paläontologen. Doch die Technik der Bochumer Bodenmechaniker ist genau das, was den Paläontologen fehlt. „Das ist, wie wenn ein Kriminalkommissar an den Tatort kommt“, erzählt Schanz. „Wenn er einen Fußabdruck auf dem Pflaster findet, kann er zwar die Schuhgröße sagen, aber nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, eine leichtere oder eine schwerere Person.“ Mit ihren modernen Analysemethoden hoffen die Bochumer aber, aus der Schuhgröße der Urzeit-Echsen das Gewicht ablesen zu können.

Sie wollen auch austüfteln, wie die Dinosaurier ihre Masse auf Vorder- und Hinterbeine verteilten und wie ihre Bewegungen beim Laufen aussahen. Fördermittel bekommen sie dafür bisher nicht. „Wir machen das aus Neugier und Begeisterung, das ist so eine Art Hobby für uns“, so Schanz. Für ihre Untersuchungen konzentrieren sich die Forscher zurzeit auf Dinosaurierfährten, die im Sandstein des Dinoparks Münchehagen erhalten sind.

Julia Weiler/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum
Stand: 11.01.2013

Die Dino-Fährten von Münchehagen

Entdeckung im Steinbruch

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Im Dinosaurierpark Münchehagen sind seit fast 20 Jahren Fußspuren verschiedener Dinosaurier, darunter auch von Langhalsdinosauriern zu sehen. Entdeckt wurden die fossilen Fährten 1980 rein zufällig. In dem ehemaligen Steinbruch nahe dem Steinhuder Meer hatten Feuerwehrleute eine Übung durchgeführt und dabei eine Schlammschicht vom Sandstein weggespült. Dabei traten zahlreiche Vertiefungen zutage, die schnell als 140 Millionen Jahre alte Saurierfährten identifiziert wurden. Verschiedene Dinosaurier hatten sie damals im weichen, feuchten Boden einer Flussmündung hinterlassen.

Bis heute werden in diesem Gebiet immer neue Trittsiegel der Urzeit-Echsen entdeckt. Als ein Student beispielsweise einige Spuren Ende 2011 neu kartieren wollte, fand er 13 weitere Fußabdrücke von Langhalssauriern. Rund 250 Abdrücke verteilt auf 15.000 Quadratmeter Fläche umfasst das Naturdenkmal inzwischen. Aus den Spuren ist auch ersichtlich, wie groß allein die Füße der Sauropoden warten: Die Abdrücke ihrer Vorderfüße hatten einen Durchmesser von 75 Zentimetern, die Hinterfüße waren sogar 1,50 Meter breit.

Abdrücke im feuchten Sand werden von einer Schicht losen, trockenen Sandes überdeckt © RUB

Durch Druck und Hitze konserviert

Wie aber kann es sein, dass die Spuren im Sand über Jahrmillionen erhalten blieben? Die sogenannte Diagenese, ein Zementierungsprozess, macht es möglich. Dort, wo der Sand feucht war, aber nicht wieder vom Meer überspült wurde, erhielten sich die Fußabdrücke. Neue Schichten lagerten sich auf den Fährten ab, bis diese von 800 Meter Material bedeckt waren. „Das gibt einen irren Druck und eine hohe Temperatur, die den Sand quasi verbacken“, erklärt RUB-Forscher Tom Schanz. „Denn Sandstein ist nichts anderes als Sandkörner, die miteinander verklebt sind, zum Beispiel durch Kalk.“ Erosionsprozesse trugen die 800-Meter-Schicht schließlich wieder ab, so dass die Abdrücke an die Oberfläche traten.

Zwei wesentliche Parameter beeinflussen die Tiefe und Form der Fußabdrücke, nämlich das Gewicht des Tieres und die Zusammensetzung des Untergrundes. Würde man alle drei Größen – also Gewicht, Bodenbeschaffenheit und Abdruckform – kennen, könnte man sie in einem mathematischen Modell in Beziehung setzen. Per Computer könnte man so für jeden neuen Fußabdruck das Gewicht des Verursachers bestimmen.

Digital vermessener Fußabdruck des Sauropoden Rotundichnus muenchehagensis im Dinopark Münchehagen © Schanz et al. / RUB

Metallplatten als erster Drucktest

Wie aber gelangt man an die notwendigen Daten? Im kontrollierten Laborexperiment drückten die Wissenschaftler zunächst kleine Metallplatten mit definierter Kraft in große Tanks mit feuchtem Sand und schauten, welche Spuren das hinterließ. Die Messwerte fütterten sie in ein mathematisches Modell, das jedoch nicht komplex genug war, um die Effekte eines laufenden Tieres widerzuspiegeln.

Denn die Kraft, mit der ein Fußabdruck entsteht, hat zwei Komponenten, eine statische und eine dynamische. Die Forscher müssen wissen, auf wie viele Beine ein Tier sein Gewicht verteilt, während der Abdruck entsteht – die statische Komponente. Sie müssen aber auch beachten, mit welcher Geschwindigkeit der Fuß auf den Boden trifft – die dynamische Komponente. „Die Kraft ergibt sich also aus mehr als nur dem Körpergewicht durch vier Beine geteilt“, erklärt Hanna Viefhaus.

Julia Weiler/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum
Stand: 11.01.2013

Videoaufnahmen sollen den Gang der Riesen entschlüsseln

Elefanten als Dino-Ersatz

Der Elefant als Vertreter für die Riesen-Dinosaurier © Schanz et al. /RUB

Im nächsten Schritt wagten sich die Forscher ans lebende Objekt: Elefanten haben einen vergleichbaren Knochenaufbau wie Dinosaurier und bewegen sich ähnlich fort. Im Wuppertaler Zoo ließen die Bochumer Forscher sie über einen sandigen Untergrund laufen, den sie vorher gezielt präpariert hatten. Die dabei entstandenen Fußabdrücke vermaßen sie mit einem selbst gebauten Laser-Scanner. Mit einer Videokamera zeichneten sie außerdem den Lauf der Dickhäuter auf.

Dann ging es für die Tiere auf die Waage, mal auf zwei, mal auf drei und dann auch auf vier Beinen. Anhand der Videoaufnahme konnte Schanz’ Team für jeden Fußabdruck bestimmen, auf wie viele Beine der Elefant zum Zeitpunkt des Abdrucks sein Gewicht verteilte. Die statische Komponente war also bekannt.

Die Forscher filmen den Gang eines Elefanten mittels Spezialkamera © Schanz et al. / RUB

Superschnelle Kamera filmt Trittgeschwindigkeit

Um die dynamische Komponente zu ermitteln, mussten die Forscher allerdings ein zweites Mal in den Zoo. Denn die Qualität der ersten Videoaufnahme reichte für die Analyse nicht aus. Also liehen sie sich eine besonders schnelle Fotokamera von den Sportwissenschaftlern der RUB, die den Elefantenlauf mit einer Frequenz von 60 Bildern pro Sekunde dokumentierte. Mit einer Digital Image Correlation-Software werten sie nun die Aufnahmen aus. Das Programm verfolgt automatisch die Position bestimmter Pixelcluster auf den verschiedenen Bildern und ermittelt so, wie sich der Elefantenfuß bewegt.

Aus diesen Daten berechnen die Ingenieure, welche Strecke der Fuß in einer bestimmten Zeit zurücklegt, also die Geschwindigkeit, mit der er auf dem Boden aufkommt. Da das Programm aber nicht gerade für die Auswertung von Tierbewegungen geschrieben wurde, werkeln sie noch daran, die Analyse zu perfektionieren.

Julia Weiler/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum
Stand: 11.01.2013

Auch die Bodenbeschaffenheit spielt eine Rolle

Sand ist nicht gleich Sand

Zusätzlich zur Vermessung der Abdrücke, wie hier zu sehen, analysierten die Forscher auch Sandproben © Schanz et al. / RUB

Mit den neu gewonnen Messwerten verfeinern die Spurenleser ihr Modell kontinuierlich. Um die Mathematik jedoch auf die Fährten von Münchehagen zu übertragen, muss das RUB-Team auch potenzielle Unterschiede in der Bodenzusammensetzung im Zoo und im ehemaligen Münchehagener Sand berücksichtigen. Deshalb nahmen sie den Sandstein dort ganz genau unter die Lupe.

„Wir analysieren Proben in Fingerkuppengröße mit High Tech“, sagt Tom Schanz. Mit Unterstützung des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik in Hannover stellen die Forscher die Poren im Gestein mittels Mikro-Computertomografie dar. Bei dieser Methode durchleuchten Röntgenstrahlen aus verschiedenen Winkeln die kleinen Proben. Eine spezielle Software erstellt daraus dreidimensionale Schnittbilder ihrer Struktur.

Ein Computerprogramm wertet die Sandkorn-Tomografie aus und ermittelt die Korngrößen. © Schanz et al. / RUB

So konnten die Forscher auf die Größen der Sandkörner im Münchehagener Flussdelta vor 140 Millionen Jahren zurückschließen. Das Ergebnis: Der Sand zur Dinozeit war beinahe genauso zusammengesetzt wie heute der Nordseesand, der auch im Zooversuch verwendet wurde. Die mit Hilfe der Elefanten gewonnenen Werte müssten also auch für die Dinos Gültigkeit haben.

Aber wie schwer waren denn nun die Sauropoden? Bis diese Frage mit einer konkreten Zahl beantwortet werden kann, muss Schanz’ Team noch weiter analysieren und modellieren. „Inzwischen sind über 140 Millionen Jahre vergangen“, sagt Viefhaus. „In der Zeit passiert mit so einem Fußabdruck natürlich einiges.“ Dennoch sind die Forscher zuversichtlich, das Gewicht letztendlich mit einem Fehler von höchstens fünf bis zehn Prozent angeben zu können. Bis dahin aber wird noch einiges an Arbeit vor ihnen liegen.

Julia Weiler/ RUBIN – Wissenschaftsmagazin der Ruhr-Universität Bochum
Stand: 11.01.2013