Forscher enträtseln die Urzeit-Katastrophe am Mittelmeer

Die große Flut

Ein Dammbruch löste eine der gewaltigsten Fluten der Erdgeschichte aus und füllte das Mittelmeer in wenigen Monaten komplett auf © Roger Pibernat / CC-by-sa 3.0

Das Mittelmeer ist der Schauplatz einer der dramatischsten Katastrophen der jüngeren Erdgeschichte: Vor knapp sechs Millionen Jahren verschwand das gesamte Meer innerhalb von nur tausend Jahren – um dann in einer gewaltigen Flut auf einen Schlag wieder aufgefüllt zu werden.

100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde strömten damals durch eine Bresche in der Landbrücke, die Atlantik und Mittelmeer voneinander trennten. Das knapp 3.000 Meter tiefe Meeresbecken lief in wenigen Monaten wieder voll – zehn Meter stieg der Pegel dabei am Tag.

Wie es zu diesen dramatischen Ereignissen kam und welche Folgen sie hatten, haben Geoforscher erst in den letzten Jahren anhand von Bohrkernen, seismischen Messungen und Modellen herausgefunden und Puzzlestück für Puzzlestück rekonstruiert…

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Bohrkerne und kilometerdicke Salzschichten

Ein unerwarteter Fund

Das Bohrschiff Glomar Challenger in den 1970er Jahren © DSDP/ ODP

September 1970, südlich von Mallorca. An Bord des Bohrschiffs Glomar Challenger wartet eine bunte Mischung von Forschern, Technikern und Seeleuten gespannt auf den entscheidenden Moment: Die Bergung eines Bohrkerns aus den Tiefen des Mittelmeers. Sie alle gehören zur 13. Expedition des Deep Sea Drilling Program (DSDP), einem internationalen Projekt zur Erkundung des Meeresbodens. Langsam heben die Winden und Kabel im Turm des Schiffs das Bohrgestänge in die Höhe. Schließlich kommt der Bohrkern zum Vorschein. Vorsichtig wird er auf Deck abgelegt und dann in das Labor getragen.

Rätselhafte Salzablagerungen

Die Forscher um William Ryan vom Lamont-Doherty Geological Observatory in New York und Kenneth Hsü von der ETH Zürich öffnen die Bohrkernhülle und untersuchen das Gestein, das der Bohrer aus mehr als 359 Metern Tiefe unter dem Meeresboden emporgefördert hat. Ähnlich wie schon an drei anderen Stellen im Mittelmeer sind vor allem die unteren Teile des Kerns fast vollständig mit hartem, weißlichem Anhydrit gefüllt. Dieses kristalline Mineral aus Kalziumsulfat entsteht normalerweise dann, wenn Meerwasser bei warmen Temperaturen verdunstet, beispielsweise in flachen Salzseen mancher Wüsten. Irgendwann wird diese Salzbrühe dann so konzentriert, dass dieses Salz auskristallisiert.

Anhydrit - ein kristallines Mineral aus Kalziumsulfat © Ra'ike / CC-by-sa 3.0

Das Problem dabei: Dieser Anhydrit stammt vom Grund des Mittelmeeres – und liegt stellenweise unter hunderten Metern Wasser und weiteren hunderten Metern Sediment. Zudem, das zeigen Sonarmessungen, ist diese rätselhafte Schicht extrem mächtig, teilweise bis zu 2.000 Meter dick. Wie aber kann sie dorthin gekommen sein – meilenweit von Luft und Sonne entfernt? Verdunstung findet dort, wo dieses Gestein heute liegt, bestimmt nicht mehr statt. Die Gesteine stammen allerdings auch nicht aus der heutigen Zeit, sondern sie sind, wie Datierungen zeigen, rund sechs Millionen Jahre alt.

Typisches Verdunstungsmuster

Ryan, Hsü und ihre Kollegen bleiben dem Rätsel auf der Spur und entnehmen noch an weiteren Stellen im Mittelmeer Bohrkerne. Doch egal ob vor der Küste Spaniens, vor Sizilien, Kreta oder vor der Mündung des Nils – überall stößt der Bohrer auf das harte weiße Anhydrit. Darunter und teilweise auch als Adern dazwischen liegen immer wieder auch Schichten von Dolomit, einem magnesiumreichen Karbonatgestein, das sich ebenfalls bei Verdunstung von Meerwasser absetzt. In Bohrkernen aus den tiefsten Stellen des Mittelmeeres stoßen die Forscher sogar auf halbtransparentes Steinsalz – ein Mineral, das nur dann entsteht, wenn salziges Wasser nahezu vollständig verdunstet.

Die Verteilung der Evaporite im Mittelmeer zeigt eine Abfolge von Karbonat, Anhydrit und Steinsalz, von außen nach innen betrachtet. © Hsu et al. / Nature Vol 242 1973

„Die geografische Verteilung dieser Evaporitgesteine ist ziemlich auffallend“, konstatieren die Forscher schließlich: Am Rand des Mittelmeers, in den flacheren Meeresbereichen, finden sich vorwiegend Karbonatgesteine. Weiter innen liegen auf diesen Kalkgesteinen Schichten aus Anhydrit. Im Zentrum des Mittelmeerbeckens schließlich, dort, wo es am tiefsten ist, liegt auf diesen beiden Schichten noch eine dicke Decke aus Steinsalz. Diese Abfolge aber ist so typisch, dass sie jeder Geologe kennt. Denn genau in dieser Reihenfolge setzen sich die Mineralien ab, wenn ein Meerwasser-Tümpel oder ein anderes vom Ozean abgeschnittenes flaches Salzwasserbecken bei größerer Wärme verdunstet.

Für die Forscher war damit klar: Etwas Dramatisches muss vor rund sechs Millionen Jahren geschehen sein. Etwas so Außergewöhnliches, dass es das gesamte Mittelmeer – das immerhin 3,7 Millionen Kubikkilometer Wasser fasst – vollkommen austrocknen ließ. Aber was?

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Von der Tethys zum Mittelmeer

Tektonische Spurensuche

Auch nach ihrer Rückkehr von der Mittelmeer-Expedition lassen die rätselhaften Funde Kenneth Hsü und seine Kollegen nicht mehr los. Ihre große Frage: Was kann vor sechs Millionen Jahren dazu geführt haben, dass das Mittelmeer komplett trocken fiel? Und warum waren die dabei abgelagerten Sedimente so extrem dick? Und noch etwas ist seltsam: Oberhalb der Schicht aus Salzen findet sich in den Bohrkernen wieder ein abrupter Schnitt und dann folgen Fossilien ganz normaler Meeresbewohner, Muscheln, kleiner Krebse und Foraminiferen. Nach der großen Verdunstung muss demnach wieder der Urzustand eingekehrt sein – und dies ziemlich schnell.

Vor 200 Millionen Jahren bildete sch der Meeresarm Tethys, aus dem später das Mittelmeer entstand © Lumu / CC-by-sa 3.0

Als naheliegende Erklärung bot sich die Plattentektonik an – die stetige Drift der Kontinente über die Erde. Denn auch das Mittelmeer verdankt seine Existenz letztlich genau dieser ständigen Wanderung. Die Geburt dieses Meeres liegt weit zurück in der Erdgeschichte: Vor rund 200 Millionen Jahren begann der Superkontinent Pangäa langsam auseinander zu brechen. Im Osten der gigantischen Landmasse, die alle heutigen Kontinente umfasste, kerbte sich eine große Bucht ein, die sich immer weiter nach Westen ins Land hineinfraß.

Vom Meeresarm zum Fast-Binnenmeer

Vor rund 150 Millionen Jahren dann war die Spaltung komplett: Ein breiter Meeresarm trennte den Nordkontinent Laurasia vom Südkontinent Gondwana ab. Dieser Meeresarm, Tethys genannt, ist der Urvater des Mittelmeeres. Im Laufe der Jahrmillionen schoben sich das heutige Afrika und Arabien immer weiter nach Norden und engten die einst breite Meeresstraße immer weiter ein. Vor rund 20 Millionen Jahren war Tethys auf ein paar schmale Kanäle zusammengeschrumpft, die den Atlantik mit dem Indischen Ozean verbanden.

Rund zwei Millionen Jahre später es dann soweit: Das Ostende der Meerenge schloss sich und aus der Tethys wurde das Mittelmeer. Zum Atlantik hin war dieses junge Meer zunächst noch ziemlich weit offen. Doch die unerbittliche Kraft der Plattentektonik schob Afrika weiterhin langsam immer weiter nach Norden, auf Europa zu. Und nun wurde es spannend: Denn vor rund sechs Millionen – also etwa um die gleiche Zeit, als sich die rätselhaft dicken Gesteinsschichten aus Salzen ablagerten – waren Europa und Afrika sich so nahe gekommen, dass die Straße von Gibraltar nur noch sehr schmal war.

Gibraltar vor rund 6,5 Millionen Jahren - noch dringt genügend Wasser hindurch © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Angehoben durch die Drift?

„Theoretisch gäbe es nun verschiedene Möglichkeiten, wie dabei die Evaporite entstanden sein könnten“, erklärt Hsü 1973 im Fachmagazin „Nature“. So könnte die Drift der Afrikanischen Platte auf Europa zu das gesamte Becken des Mittelmeeres eingekeilt und angehoben haben. Dadurch wäre das Meer nur noch sehr flach und könnte im Laufe von Jahrmillionen ausgetrocknet sein, wenn über die Straße von Gibraltar kein oder kaum mehr Wasser aus dem Atlantik einströmte. „Auch heute noch verliert das Mittelmeer – wenn man Verdunstung und Einstrom durch Flüsse gegenrechnet – rund 3.300 Kubikkilometer Wasser pro Jahr“, so Hsü.

Diese Theorie vertritt zunächst auch Hsüs Kollege Wladimir Nesteroff von der Universität Paris: „Alle Belege sprechen dafür, dass die Ablagerungen in einem sehr flachen Becken entstanden sind“, konstatiert er 1973 in seinem Bericht zur Expedition. Denn an der Oberseite der Ablagerungen seien Formationen zu erkennen, die nur dann entstehen, wenn das Gestein unmittelbar an oder nahe der Wasseroberfläche liegt. „Das Becken wäre damals ähnlich dem gewesen, wie wir es heute kennen, lag aber nur 100 bis 500 Meter unter dem Meeresspiegel“, so Nesteroff.

Doch es gibt einige Daten, die zu diesem Szenario absolut nicht passen wollen…

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Wie entstanden die Schluchten vor den Mittelmeer-Flussmündungen?

Das Rätsel des Nil-Canyons

Oberägypten, nahe der Stadt Assuan. Hier wird seit Anfang der 1960er Jahre am großen Nil-Staudamm gebaut. Das 3.800 Meter lange und 111 Meter hohe Bauwerk soll den Fluss aufstauen und so ein Wasserreservoir für die Landwirtschaft und Industrie in der Wüstenregion schaffen. Beim Durchleuchten des Untergrunds für die Planung der Fundamente stoßen die Geologen und Ingenieure auf Überraschendes: Tief unter dem schlammigen Flussbett des Nils liegt ein tief ins Untergrundgestein eingekerbter Canyon.

Der Assuan-Staudamm: Bei seinem Bau stießen Geologen auf die verschüttete Nil-Schlucht © Hajor / CC-by-sa 3.0

200 Meter weit unter den Meeresspiegel reicht die von Sediment verschüttete Schlucht. Wie aber kann sie dorthin gekommen sein? Normalerweise gräbt sich ein Fluss nur dann so tief ins Gestein ein, wenn er starkes Gefälle hat und das Wasser in seinem Bett schnell dahinströmt. Doch der behäbige Nil fließt hier eher langsam und hat in der flachen Landschaft eigentlich genügend Platz um sich in seinem Bett auszubreiten. Und auch das Gefälle ist von hier bis zu 1.250 Kilometer entfernten Küste nicht gerade steil.

Ein Grand Canyon unter der Nilmündung

Den Ingenieuren des Staudamm-Projekts ist das erstmal ziemlich egal. Sie planen und bauen ihren Damm einfach über dem urzeitlichen Canyon. Einigen Geologen aber lässt das Rätsel um den unterirdischen Nil-Canyon keine Ruhe. Finden sich möglicherweise auch näher an der Küste oder sogar vor der Mündung des Flusses weitere Spuren dieser Schlucht? Die Antwort bringen Sonaruntersuchungen, die wenige Jahre später vor der ägyptischen Küste die Struktur des Meeresbodens analysieren: Tatsächlich stoßen auch sie unter dicken Sedimentschichten auf einen mehr als 2.000 Meter tief eingekerbten, bis weit vor die Nilmündung reichenden Canyon. „Er ist in seiner Größe mindestens vergleichbar mit dem Grand Canyon des Colorado“, erklärt Hsü.

Höhenbild eines submarinen Canyons im westlichen Mittelmeer © AOA Geophysics, Fugro and University of Barcelona

Und auch vor anderen Flussmündungen im Mittelmeer finden Forscher Spuren solcher Schluchten. So liegt auch vor der Rhône-Mündung ein immerhin noch tausend Meter tiefer Canyon. Das Problem dabei: Solche Canyons konnten nur entstanden sein, wenn der Fluss aus größerer Höhe ins Meer mündet – und das passt definitiv nicht zur Theorie von Nesteroff nach der das Mittelmeer vor rund sechs Millionen Jahren anhoben wurde und zu einem flachen Becken mutierte.

Ein ganzes Meer wird abgeschnitten

Hsü postuliert daher ein ganz anderes Szenario: Was wäre, wenn das Mittelmeer damals genauso tief war wie heute, ihm aber einfach nur der Wassernachschub aus dem Atlantik abgeschnitten wurde? Mögliche wäre dies, wenn statt des ganzen Beckens nur die Straße von Gibraltar – das Fluttor des Mittelmeeres, wie Hsü es nennt – angehoben wurde. Die einstige Meerenge wandelte sich dadurch zu einem Damm, der die Verbindung zwischen beiden Meeren unterband.

Dank der hohen Verdunstung hätte es dann nur wenige tausend Jahre gedauert, bis das gesamte, bis zu 2.000 Meter tiefe Becken ausgetrocknet wäre. Die in das Mittelmeer mündenden Flüsse strömten dann nicht mehr in eine seichte Mündungsregion, sondern stürzten die steilen Hänge des leeren Beckens hinab – und gruben sich dabei im Laufe der Zeit tief ein.

Für uns heute klingt das absolut plausibel. In den 1970er Jahren aber – die Plattentektonik hatte sich gerade erst als treibende Kraft der Geologie etabliert – war ein so umwälzendes Ereignis ein völlig neues Konzept. „Wir sind uns bewusst, dass unsere Schlussfolgerungen ziemlich unglaublich klingen, denn keine der heute bekannten Wüstensenken wäre in Größe oder Tiefe eine ausgetrockneten Mittelmeer vergleichbar“, betonen Hsü und seine Kollegen denn auch in ihrem „Nature“-Artikel von 1973. „Aber die unglaubliche Tatsache, dass sich unter dem Mittelmeer diese Salzablagerungen befinden, verlangt nach einer unglaublichen Erklärung.“

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Zeitreise in die Ära der messinischen Salinitätskrise

Die große Barriere

Was damals genau geschah – und wie dramatisch die Trockenzeit des Mittelmeeres endete, ist inzwischen weitaus besser erforscht. Reisen wir zurück in die Ära der „messinischen Salinitätskrise“, wie die mehrere hunderttausend Jahre anhaltende Phase heute heißt:

Die Gesteinsschwelle unter dem Kanal von Gibralatar hebt sich durch die Drift Afrikas an, ein Stück der Kruste bricht weg und Magma steigt an dessen Stelle auf. © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Nur ein paar Millimeter pro Jahr…

Gibraltar vor 5,93 Millionen Jahren. Die Drift Afrikas nach Norden hebt den Meeresboden unter der Meerenge zwischen Europa und Afrika immer weiter in die Höhe. Noch ist dieser Anstieg schleichend: Nur ein paar Millimeter pro Jahr hebt sich die Gesteinsschwelle, das Wasser darüber ist noch rund 60 Meter tief. Das aber reicht bereits aus, um den Einstrom frischen Meerwassers in das Mittelmeer empfindlich zu drosseln. Als Folge verdunstet mehr Wasser als nachfließen kann und der Wasserspiegel sinkt.

„Während dieser ersten Phase wurde das Wasser immer salziger und enthielt schließlich zehn Prozent des in allen Weltmeeren zusammen gelösten Salzes“, erklärt Daniel Garcia-Castellanos vom spanischen Institut für Geowissenschaften in Barcelona. Als Folge stieg der Gefrierpunkt des Mittelmeerwassers um 0,2 Grad Celsius. In den folgenden 300.000 Jahren steigt die Gibraltar-Schwelle allmählich weiter an, der Einstrom aus dem Atlantik wird zum Rinnsal. Jetzt sinkt der Pegel des Mittelmeeres bereits mehrere Zentimeter pro Jahr. Das Wasser zieht sich an den Küsten immer weiter zurück, kilometerbreite Uferstreifen liegen nun trocken, auf denen sich Karbonate und später auch Anhydrite ablagern.

Vor 5,9 Millionen Jahren verbindet nur noch ein schmaler Kanal Atlantik und Mittelmeer. Und sein Grund steigt immer weiter an. © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Dürre – Flut – Dürre – Flut..

Doch noch gelingt es dem Atlantik, immer wieder kurzzeitig die Barriere von Gibraltar zu durchbrechen und Teile des Damms abzutragen. Bis zu 69 Mal, so zeigen Studien, muss das wenige, inzwischen mehr als tausend Meter unter dem Meeresspiegel liegende Salzwasser am Grund des großen Beckens zumindest teilweise wieder aufgefüllt worden sein.

Dieser ständige Wechsel erklärt auch, warum die Salzablagerungen aus jener Zeit so unglaublich mächtig werden konnten: „Wenn das gesamte Mittelmeerwasser- 3,7 Millionen Kubikkilometer – nur einmal verdunstet wäre, dann wären nur Schichten von wenigen zehn Metern Dicke entstanden“, erklärt Kenneth Hsü. Erst durch die Abfolge von Verdunstung und Ablagerung, Nachfließen frischen Salzwassers und erneuter Verdunstung bildeten sich Salzschichten von stellenweise mehr als 2.000 Metern Dicke.

Der niedrige Wasserspiegel ermöglicht Säugetieren die Wanderung aus Afrika nach Norden, viele siedeln sich auf den kühlen Hochebenen der heutigen Mittelmeerinseln an. © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Dieser Wandel bleibt auch für die Tier- und Pflanzenwelt nicht ohne Folgen. Entlang der weit in das Becken hinein strömenden Flüsse ziehen nun Antilopen, Elefanten und Nilpferde aus Afrika weiter nach Norden. An den aus der Ebenen hinausragenden Hügeln Kretas, Maltas, Siziliens und anderer heutiger Inseln finden sie frisches Grün und weniger Hitze als in ihrem heimischen Afrika. Doch ihr Idyll ist nicht von langer Dauer…

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Die wortwörtlich heiße Phase der Salinitätskrise

Vom Restmeer zur Salzwüste

Vor 5,6 Millionen Jahren endet diese erste Phase. Nun ist die Barriere bei Gibraltar so hoch, dass jede Wasserzufuhr aus dem Atlantik endgültig abgeschnitten ist. Das bisschen Wasser, das aus den Flüssen in das Mittelmeer fließt, reicht bei weitem nicht aus, um den Wasserstand zu halten. Die Flüsse kerben nun tiefe Rinnen und Schluchten in die freiliegenden Kontinenthänge, in gewaltigen Wasserfällen rauscht ihr Wasser hunderte von Metern weit in die Tiefe. Doch lange hält sich das kostbare Nass nun selbst an den tiefsten Stellen nicht mehr.

{1l}

Innerhalb von nur 1.000 Jahren trocknet das gesamte, 2,5 Millionen Quadratkilometer große Becken endgültig aus. Die Menge des dabei als Wasserdampf in die Atmosphäre aufsteigenden Wassers ist so groß, dass der gesamte globale Wasserkreislauf verändert wird. Die ganze überschüssige Feuchtigkeit wird vom Wind weg getragen und regnet sich hundert und tausende von Kilometern entfernt wieder ab. Als Folge steigt der Meeresspiegel in den restlichen Ozeanen um bis zu zehn Meter, wie Wachstumsspuren an pazifischen Korallenriffen zeigen. Gleichzeitig nimmt der Salzgehalt dieser Meere durch die Regenwasserschwemme deutlich ab.

30 Grad heißer als am ehemaligen Ufer

Im großen Mittelmeerbecken wird es nun im Sommer extrem heiß, in den Senken bilden sich ausgedehnte Salzwüsten. Ursache dafür ist ein physikalischer Prozess, die adiabatische Erwärmung: Wird ein Gas komprimiert, stoßen die in ihm enthaltenen Teilchen häufiger zusammen und das Gas heizt sich auf. Genau dies geschieht nun auch im Mittelmeer: Kühle Luft aus Meereshöhe strömt die Hänge des leeren Beckens hinunter und wird dabei immer dichter. Bis es den Grund des Beckens erreicht hat – in fast 3.000 Metern unterhalb des Meeresspiegels – hat es sich um 20 bis 30 Grad aufgeheizt.

Nur noch Salzwüste: So wie hier am Toten Meer sah es damals in weiten Teilen des Mittelmeerbeckens aus © Wilson44691 / CC-by-sa 3.0

Entsprechend lebensfeindliche Bedingungen herrschen nun dort. Die zuvor in die Senke eingewanderten Tiere drängen sich nun auf den noch etwas kühleren Hochebenen der heutigen Inseln zusammen. Für die meisten von ihnen sind die Salzwüste und die zum Teil steilen Hänge des Mittelmeer-Beckens zu einer fast unüberwindbaren Barriere geworden. Sie können nicht mehr in ihre alte Heimat Afrika zurück.

Doch es kommt noch schlimmer. Vor rund 5,33 Millionen Jahren setzt eine gewaltige Katastrophe all dem schlagartig ein Ende.

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Eine katastrophale Flut bringt das Ende des Wüstenbeckens

Der große Bruch

Gibraltar vor 5,33 Millionen Jahren. Mehrere hunderttausend Jahre hat der Atlantik inzwischen vergebens an der Barriere zum Mittelmeer genagt, jetzt kommt ihm die Tektonik zu Hilfe: Im Untergrund verschieben sich die Gesteinsmassen erneut und als Folge senkt sich der Untergrund rund um Gibraltar leicht ab. In dem gewaltigen Damm bahnt sich ein schmales, aber immer breiter werdendes Rinnsal den Weg in das tiefe Becken des Mittelmeeres. Einmal angebohrt, arbeitet die Kraft des Wassers aber unerbittlich – und rasend schnell.

Vor 5,33 Millionen Jahren durchbrach der Atlantik die Barriere von Gibraltar - erst langsam, dann in einer gewaltigen Flut. © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Wenige hundert Jahre nach diesem anfänglichen Bruch kommt es zur Katastrophe: In dem zu dieser Zeit mehr als 200 Kilometer breiten Damm öffnet sich eine breite, immer größer werdende Schneise. Gigantische Wassermassen schießen durch die Lücke und reißen sie jeden Tag um 40 Zentimeter weiter auf. “ 100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde strömten auf dem Höhepunkt der Flut durch diese Öffnung – das ist tausend Mal mehr als der Amazonas transportiert“, erklärt der Geologe Daniel Garcia-Castellanos. Die Geschwindigkeit des Wassers entsprach dabei bis zu 300 Kilometern pro Stunde – so schnell wie ein ICE.

Wasser steigt um zehn Meter am Tag

Für jemanden, der sich zu dieser Zeit im tiefen Becken des Mittelmeeres aufgehalten hätte, wäre der Anblick vermutlich grauenerregend gewesen: Die brodelnden Wassermassen wälzten sich die Senke hinab und füllten zunächst das westliche Becken, dann auch das östliche enorm schnell auf. „Um mehr als zehn Meter am Tag könnte der Wasserspiegel auf dem Höhepunkt der Flut angestiegen sein“, schätzen die Forscher. Es habe wahrscheinlich nur wenige Monate bis maximal zwei Jahre gedauert, bis die Wassermassen das Mittelmeer wieder vollkommen aufgefüllt hatten.

Selbst die größten heutigen Wasserfälle sind winzig gegen die Urzeit-Flut © SXC

Hätte unser direkter Vorfahr, der frühe Homo sapiens, zu dieser Zeit schon existiert, wäre diese Katastrophe mit Sicherheit als große Sintflut in die Überlieferungen eingegangen. Doch vor 5,33 Millionen Jahren begannen gerade erst die ersten Vormenschen der Art Australopithecus afarensis, den aufrechten Gang zu erproben. Sie lebten zudem nicht am Ufer des Mittelmeeres, sondern weiter südöstlich, in der Gegend um die Afar-Senke in Ostafrika.

Bohrkerne liefern Indizien für rapide Flut

Hinweise auf die ungeheure Geschwindigkeit und Wucht der Flut hatten Garcia-Castellanos und seine Kollegen in Bohrkernen gefunden, die im Rahmen des Oceanic Drilling Program (ODP) aus dem Untergrund der Meerenge von Gibraltar entnommen wurden. Die Erosionsspuren in den Gesteinsproben ermöglichen es den Forschern, die Form und zeitliche Entwicklung des Durchbruchs relativ genau zu rekonstruieren. „Der Einschnitt ist U-förmig und an seinem Beginn 650 Meter tief und elf Kilometer breit“, berichten sie 2009 in einem „Nature“-Artikel.

Kein tief herabstürzender Wasserfall, sondern eine langgezogene, U-förmige Schneise mit folgender Rampe © Roger Pibernat / CC-by-sa 3.0

Die Form der Schneise deute darauf hin, dass es sich hier nicht um ein normales Flussbett oder eine ähnlich langsam entstandene Formation handele. Stattdessen ähnelt das Profil sehr stark den U-förmigen Kanälen, die erst vor einige Zeit in den Tiefen der Meerenge zwischen Frankreich und England entdeckt wurden. Auch entstanden nach gängiger Theorie durch eine plötzliche Flut – als ein Gletschersee am Ende der Eiszeit abrupt seine Eisbarriere durchbrach und auslief. „Eine Flut wie die am Ende der messinischen Salinitätskrise aber ist etwas Besonders – allein schon aufgrund der gewaltigen Größe des aufgefüllten Beckens und der Wassermassen“, konstatieren Garcia-Castellanos und seine Kollegen.

Wie die Forscher herausfanden, schoss das Wasser damals aber nicht in einem gigantischen Wasserfall vom Damm in das Mittelmeerbecken hinab. Stattdessen deuten geophysikalische Daten eher daraufhin, dass das ausgeschwemmte Gestein und Geröll auf der Ostseite des Damms eine mehrere Kilometer breite Rampe bildete. Über diesen nur einen bis vier Prozent geneigten Hang wälzten sich die Wassermassen hunderte von Metern in die Tiefe.

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013

Die Folgen der Wiederauffüllung für die Tierwelt

Nach der Flut kamen die Zwerge

Die große Sintflut vor 5.33 Millionen Jahren blieb auch für die damalige Tierwelt nicht ohne Folgen. Zwar war der größte Teil des längst zur Wüste gewordenen Mittelmeerbeckens vor der Flut vermutlich kaum belebt – größere Tiere hätten in der kargen Salzwüste kaum Nahrung gefunden. Nur wenige hochspezialisierte Einzeller harrten dort noch aus. Doch auf den kühleren Hochplateaus Maltas, Sizilien, Kretas oder Zyperns hatten schon zu Anfang der Austrocknungsphase Antilopen, Nilpferde und Elefanten Zuflucht gefunden, die aus Afrika dorthin gewandert waren.

Skelett eines Zwerg-Elefanten von der Insel Malta © Giovanni Dall'Orto

Abgeschnitten vom Festland – und von Raubtieren

Als die große Flut kam, überlebten die meisten von ihnen zwar, sie waren aber nun durch die wiederaufgefüllten Wassermassen des Mittelmeeres endgültig abgeschnitten. Ihre Hochplateaus waren plötzlich zu Inseln geworden. Für die Pflanzenfresser hatte das zunächst durchaus Vorteile: Denn auf ihren Inseln gab es für sie zwar nur begrenzte Nahrung, aber dafür auch kaum natürliche Feinde. Wie sich das auf ihre weitere Evolution auswirkte, davon zeugen fossile Überreste der urzeitlichen Elefanten und Nilpferde, die auf Zypern, Kreta, Malta und anderen Inseln des Mittelmeers gefunden wurden. Ihr auffallendstes Merkmal: Sie sind klein, quasi nur Miniaturausgaben ihrer normalgroßen Verwandten auf dem Festland.

Der Grund dafür: Weil auf diesen Inseln keine größeren Raubtiere lebten, mussten die Pflanzenfresser nicht mehr möglichst groß und damit unangreifbar werden. Zudem sparte die geringere Körpergröße Energie und damit auch Futter. Da die Nahrungsressourcen auf den Inseln eher begrenzt waren, konnten kleinere Vertreter dieser Arten besser überleben.

Das zypriotische Zwerg-Nilpferd war das kleinste seiner Art © George Lyras / CC-by-sa 3.0

Elefant in Hundegröße

Auf Zypern lebte beispielsweise Palaeoloxodon cypriotes, ein mit dem Europäischen Waldelefanten verwandtes Rüsseltier. Während dieser jedoch fast vier Meter groß war und stattliche sieben Tonnen auf die Waage brachte, war sein zypriotischer Nachfahre nur noch 200 Kilogramm schwer und etwa so groß wie ein großer Hund. Nachdem er Fossilien solcher Inselelefanten gesehen hatte, stellte der österreichische Paläontologe Othenio Abel 1914 die Theorie auf, dass diese Überreste der Ursprung für die einäugigen Zyklopen der griechischen Sagen gewesen sein könnten. Denn, so argumentierte er, die zentrale Öffnung für den Rüssel im Schädel dieser Tiere könnte von antiken Findern solcher Skelettreste als großes Zyklopenauge interpretiert worden sein.

Doch die Elefanten waren nicht die einzigen Zwergtiere auf den Mittelmeerinseln. Annähernd genauso klein waren auch Zwerg-Nilpferde, deren Überreste Forscher auf Malta, Sizilien und Zypern entdeckten. Das kleinste von ihnen, das zypriotische Zwerg-Nilpferd war nur 76 Zentimeter groß und 1,20 Meter lang. Es kam noch bis etwa 9.000 vor Christus auf der Insel vor. Dann wurde es vermutlich von frühen menschlichen Einwanderern gejagt und ausgerottet.

Nadja Podbregar
Stand: 22.03.2013