Spurensuche unter der Kruste des Eismonds

Jupitermond Europa – Hort des Lebens?

Jupitermond Europa: Oben eisig, im Ozean darunter möglicherweise lebensfreundlich © NASA/JPL-Caltech

Kein Mond im Sonnensystem weckt so viel Faszination wie Europa: Denn der Jupitermond verbirgt unter seiner Eiskruste einen Ozean aus flüssigem Wasser – und damit einen möglichen Ort für außerirdisches Leben. Tatsächlich mehren sich die Hinweise darauf, dass der Eismond lebensfreundlicher sein könnte als gedacht.

Auf den ersten Blick scheint der Eismond Europa abweisend und kalt. Doch das täuscht. Denn unter seiner Kruste liegt ein gewaltiger Ozean aus flüssigem Wasser – und damit aus dem Stoff, der Leben möglich macht. Ob auch andere Zutaten für die Existenz von Organismen vorhanden sind, das haben in den letzten Jahren Forscher nach und nach erkundet. Mit teilweise überraschenden Ergebnissen.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Die zwei Gesichter des Jupitermonds Europa

Ozean unter dem Eis

Der Jupitermond Europa ist eine bizarre Schönheit: Ein filigranes Netz kilometerlanger Furchen zerschneidet seine äußere Eisschicht wie die Risse in einem alten Ölgemälde. Doch diese Schönheit ist tödlich, denn mit minus 150 Grad Kälte, einer starren Eiskruste und fehlender Lufthülle hätte Leben hier kaum eine Chance.

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Verborgenes Habitat

Doch weiter unten, in zehn bis 15 Kilometern Tiefe, beginnt eine andere Welt. Denn hier erstreckt sich ein riesiger Ozean aus flüssigem Salzwasser, wahrscheinlich bis zu 100 Kilometer tief und einmal um den Mond reichend. Insgesamt könnte dieser Ozean doppelt so viel Wasser enthalten wie alle Meere der Erde zusammen genommen.

Hinweise auf diesen wässrigen Riesen lieferten wieder einmal die Magnetfeldmessungen der Galileo-Sonde. Denn sie detektierte auch um den Mond Europa herum verräterische Störungen im Jupitermagnetfeld – Störungen, wie sie typischerweise durch Bewegungen einer leitfähigen Flüssigkeit erzeugt werden. Da Europa im Gegensatz zu Io keine Gesteinskruste besitzt, sondern komplett von Eis bedeckt ist, sprach dies gegen einen Magmaozean – er wäre viel zu heiß und hätte das Eis längst schmelzen müssen. Anders dagegen ein subglaziales Meer aus flüssigem Salzwasser: Es wäre leitfähig und gleichzeitig gerade kühl genug, um die Eiskruste zu erhalten.

Europa ist der zweitinnerste Mond des Jupiter, daher wirken hier noch starke Gezeitenkräfte © NASA

Von Gezeitenkräften durchgewalkt

Die große Frage aber war: Was hält diesen geheimnisvollen Ozean unter dem Eis flüssig? Eine Erklärung lag geradezu auf der Hand: die Gezeitenkräfte des Jupiter. Denn Europa umkreist seinen Planeten auf einer relativ exzentrischen, stark elliptischen Umlaufbahn. Dadurch schwankt die Anziehungskraft des Jupiter im Verlauf eines Umlaufs. Als Folge wird das Innere des Mondes mal stärker und mal weniger stark gestaucht und komprimiert.

Ist er dem Jupiter sehr nahe, heben sich Eis, Wasser und Gestein auf der ihm zugewandten Seite an, der gesamte Mond wird durch diese Kräfte leicht elliptisch verformt. Bewegt sich Europa dagegen vom Jupiter weg, nimmt er wieder eine annähernd kugelförmige Gestalt an. Diese ständigen Bewegungen erzeugen Reibungen im Untergrund, die Wärme erzeugen – Wärme, die ausreichen könnte, um Wasser unter der Eiskruste flüssig zu halten.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Was verursachte die ungewöhnliche Form der Spalten?

Das Rätsel der Risse

Das ständige Auf und Ab des subglazialen Ozeans bleibt jedoch nicht ohne Folgen für die starre Eiskruste Europas: An vielen Stellen kann sie der Bewegung nicht folgen und reißt. Diese Risse bilden das auffallende Muster aus langgezogenen Gräben und Furchen, die die Aufnahmen der Raumsonde Galileo zeigen. Die dunklere Farbe der Linien könnte darauf zurückgehen, dass an diesen Rissen immer wieder flüssiges Wasser aus dem Ozean an die Oberfläche quillt und dort erstarrt.

Die Risse in der Eiskruste laufen in verschiedene Richtungen, wie in dieser farbverstärkten Aufnahme der Raumsonde Galileo zu erkennen. © NASA/JPL/University of Arizona

Unerklärliche Richtungsswechsel

Etwas an diesen Linien aber ist seltsam: „Eines der Rätsel ist, warum diese langen, geraden Brüche im Laufe der Zeit ihre Orientierung geändert haben“, erklärt Alyssa Rhoden vom Goddard Space Flight Center der NASA. Weil der Jupitermond seinem Planeten in einer gebundenen Rotation immer die gleiche Seite zuwendet, wirken die Gezeitenkräfte eigentlich immer in der gleichen Richtung. Warum also sind nicht auch die Risse immer wieder auf die gleiche Weise entstanden?

Theoretisch gibt es dafür drei Erklärungsmöglichkeiten: Zum einen könnte die gefrorene Kruste von Europa etwas schneller rotieren als der Rest des Mondes. Die Kruste würde damit seiner Bewegung immer leicht voraneilen und so im Laufe der Zeit ihre Ausrichtung gegenüber dem Jupiter und seinen Gezeitenkräften verändern. Eine zweite Möglichkeit wäre, dass die Rotationsachse des Mondes gegenüber seiner Bahnbewegung leicht gekippt ist – ähnlich wie auch die Drehachse der Erde. Europa würde damit im Laufe der Zeit etwas eiern und so ebenfalls mal den einen und mal den anderen Krustenbereich dem Jupiter annähern.

Nicht auszuschließen wäre aber auch eine dritte Möglichkeit: Dass die Risse ganz einfach völlig zufällig verteilt sind und auch ihre Ausrichtung nicht von mondumspannenden Prozessen abhängt, sondern beispielsweise von lokalen Schwachstellen im Eispanzer. Rhoden und ihre NASA-Kollegen entschlossen sich, diese drei Szenarien anhand von Galileo-Aufnahmen und Modellsimulationen genauer zu überprüfen. Im September 2013 veröffentlichten sie ihr Ergebnis.

Eiernde Achse

Klarer Verlierer war demnach die Theorie der voreiligen Kruste: Die Modelle, die auf diesem Szenario beruhten, schafften es nicht ein einziges Mal, das für Europa typische Muster der Risse zu replizieren. Anders dagegen das Szenario der taumelnden Rotationsachse: Legten die Forscher ihr Modell so an, dass Europas Achse im Laufe der Zeit um rund ein Grad hin und her schwankte, dann kam das Ergebnis dem in der Eiskruste beobachteten Rissmuster schon ziemlich nahe.

Noch besser wurde die Übereinstimmung, als Rhoden und ihre Kollegen dieses Modell noch um einige zufällige Risse ergänzten. „Es zeigt sich, dass schon eine kleine Achsneigung – oder Obliquität – viel von dem erklären kann, was wir heute sehen“, sagt Rhoden.

Schwappendes Wasser oder vielleicht sogar Untersee-Vulkane - was hält den Europas Ozean flüssig? © NASA/JPL

Schwappendes Wasser unterm Eis

Das leichte Taumeln des Jupitermonds könnte nicht nur für das typische Rissmuster der Eiskruste verantwortlich sein, auch zur Bildung des subglazialen Ozeans könnte es beigetragen haben. Denn selbst wenn die Ausrichtung des Mondes gegenüber dem Jupiter nur wenig schwankt, reicht diese Unregelmäßigkeit möglicherweise schon aus, um die Heizwirkung der Gezeitenkräfte zu verstärken.

Robert Tyler, Ozeanforscher am Laboratorium für Angewandte Physik der Washington University hat sogar noch eine gewagtere These: Seiner Ansicht nach sorgt das Eiern des Eismonds sogar dafür, dass der subglaziale Ozean ständig unter der starren Kruste hin und herschwappt. Das Wasser wäre von starken Strömungen geprägt, statt träge und weitgehend ruhig zu stehen. Und diese Wasserbewegung, so glaubt er, könnte sogar ausreichend Energie und damit Wärme freisetzen, um den Ozean flüssig zu halten. „Wenn meine Arbeit korrekt ist, dann ist der Ozean selbst die Wärmequelle für das flüssige Wasser auf Europa und nicht das, was sich darüber oder darunter befindet”, erklärt Tyler. Noch aber, so räumt er selbst ein, ist dies nicht mehr als eine Hypothese.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Ein irdischer See als Modell

Leben unter dem Eis?

Wo flüssiges Wasser existiert, da kann es auch Leben geben – zumindest theoretisch. Im Falle eines subglazialen Sees oder Meeres aber gibt es dabei ein Problem. Denn die meisten Organismen benötigen entweder Licht, Luft oder zumindest bestimmte Gase, um wachsen und sich vermehren zu können. Lange Zeit hielt man daher auch die unter dem Eis der Antarktis verborgenen Seen für eher lebensfeindlich und vielleicht sogar für steril.

Lake Wostok - perspektivische Ansicht der Eisoberfläche © Michael Studinger / Lamont-Doherty Earth Observatory

Spurensuche im Lake Vostok

Das galt auch lange für den Lake Vostok, den größten subglazialen See des Südkontinents. Seit 15 Millionen Jahren ist sein Wasser durch eine mehr als drei Kilometer dicke Eisschicht von der Oberfläche isoliert. Kein Licht dringt durch diesen Panzer, es herrscht ein hoher Druck und Nährstoffe gibt es vermutlich kaum. Klar ist damit: Die Organismen, die im Lake Vostok leben, müssen extremen Bedingungen standhalten

Ob und was im Wasser des Sees lebt, war bisher weitgehend unbekannt, da aus Angst vor einer möglichen Kontamination des Wassers keine Proben flüssigen Seewassers gezogen wurden. In den letzten Jahren haben Forschergruppen aber Bohrungen bis knapp oberhalb des Wasserspiegels durchgeführt und so erste Proben von gefrorenem Seewasser aus dieser Grenzschicht gewonnen. Denn dort, wo das kalte Gletschereis mit dem Seewasser in Berührung kommt, gefriert dieses und lagert sich so an die Unterseite des Gletschereises an.

Schema des Lake Vostok. Das aus Seewasser angelagerte Eis ist weiß dargestellt. Die Bohrproben wurtden aus Eisschichten entnommen, die nahe der mögilcherweise hydrothermalen Erhebung (links) abgelagert worden waren. © Rogers et al. /PLoS ONE

Verblüffende Vielfalt

Im Sommer 2013 haben US-Forscher vier Proben aus einer solchen Bohrung analysiert. Die Proben stammen aus 3.563 bis 3.621 Metern Tiefe und stammen damit aus dem Eis, das aus Seewasser entstanden ist. Um mögliche Bewohner des Sees zu identifizieren, entschlüsselten die Forscher im Eis enthaltene DNA- und RNA-Sequenzen und bestimmten über sie die im Wasser vorkommenden Organismen.

Das überraschende Ergebnis: Statt einer spärlichen, artenarmen Lebenswelt fanden die Forscher das Erbgut von tausenden verschiedenen Organismen. Die meisten von ihnen, 94 Prozent, gehörten zu den Bakterien, es waren aber auch Pilze und Vertreter der Archaeen darunter, einer sehr ursprünglichen Gruppe von Einzellern. „Das zeigt, wie Organismen selbst an Orten überleben können, die wir früher für absolut lebensfeindlich hielten“, konstatiert Studienleiter Scott Rogers von der Bowling Green State University in Ohio. „Die Grenzen dessen, was als habitabel gilt und was nicht, verschieben sich immer weiter.“

Autonome Tauchroboter könnten künftig mehr über die Lebenswelt des Lake Vostok - und vielleicht auch von Europa - herausfinden © NASA / JPL-Caltech

Indizien für höheres Leben

Und noch etwas enthüllten die Analysen: Viele der im Eis identifizierten Bakterienarten kommen normalerweise in enger Gemeinschaft mit vielzelligen Tieren vor. Sie sind Kommensalen und Parasiten, die sonst in verschiedenen Krebsen, Würmern, mit Seeanomen, aber auch in und an Fischen leben. Hinzu kommt, dass einige der analysierten DNA-Bruchstücke sogar direkt von solchen höheren Tieren stammen könnten.

„Das führt zu der vorsichtigen Schlussfolgerung, dass es zumindest einige mehrzellige, komplexere Tiere im See geben könnte“, schreiben die Forscher in ihrem Bericht. Wenn aber schon irdische Organismen so vermeintlich feindliche und extreme Lebensräume besiedeln können, spricht dies nicht auch für mögliches Leben auf dem Eismond Europa? Noch gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Warum Europas Eiskruste entscheidend für mögliches Leben ist

Barriere oder Schutzhülle?

Die kilometerdicke Eiskruste des Jupitermonds Europa spielt für die Frage nach Leben eine Doppelrolle. Denn einerseits wirken sie wie eine schützende Decke: Sie schirmen den subglazialen Ozean gegen die Kälte des Weltraums und auch gegen die harte, tödliche Strahlung ab. Außerdem ist die Eiskruste gemeinsam mit dem Kerngestein vermutlich der Hauptlieferant für chemische Bausteine des Lebens. Denn Meteoriteneinschläge, Strahlung und Teilchen von Jupiter und Sonnenwind hinterlassen einen Film aus chemischen Substanzen auf dem Oberflächeneis.

Die Risse im Eis deuten darauf hin, dass die Kruste ab und zu aufreisst und durchlässig werden könnte. © NASA/JPL

Die Frage des Sauerstoffs

Und auch Sauerstoff entsteht so: Die Strahlung spaltet Wassermoleküle des Eises auf und setzt so Sauerstoff frei. Ist die Eisdecke dünn genug, können diese Substanzen und Gase durch die periodisch entstehenden Risse in den darunterliegenden Ozean gelangen – aber eben nur, wenn die Kruste durchlässig genug ist. „Eine Ansicht in der wissenschaftlichen Gemeinschaft war bisher, dass eine dicke Eiskruste schlecht für die Biologie ist“, erklärt Britney Schmidt von der University of Texas in Austin. Und die Eiskruste von Europa ist mit mindestens rund zehn Kilometern Dicke nicht gerade ein hauchdünnes Häutchen.

Bereits 2010 haben Forscher des Lunar and Planetary Laboratory der University of Arizona in Tucson für dieses Problem eine erste Lösung vorgeschlagen: Wie sie in Modellrechnungen ermittelten, könnte durchaus genügend Sauerstoff von der Eisoberfläche in den subglazialen Ozean gelangen – es ist nur eine Frage der Zeit. Denn die durch die Gezeitenkräfte verursachten Bewegungen der Eiskruste könnten dafür sorgen, dass diese immer wieder aufreißt, frischgefrorenes Eis an die Oberfläche gelangt und dafür andere Teile der Oberflächenschicht in die Tiefe gedrückt werden.

Ausreichend Umwälzungen?

Dass bis heute solche Umwälzungsprozesse stattfinden, ist gut erkennbar an den zahlreichen frischen Wülsten und Nähten, die Europas Oberfläche überziehen. Und hier setzt das Szenario der Forscher an: Sie gehen davon aus, dass zunächst Sauerstoff nur an der Oberfläche existierte. Aber im Laufe von rund einer bis zwei Milliarden Jahren solcher Bestrahlung und Umwälzung könnte freier Sauerstoff über die gesamte Dicke der Eiskruste untergemischt worden sein, wie ihre Modelle zeigen.

Möglicherweise sorgen Temperaturunterschiede in der Eiskruste für Umwälzungen © NASA/JPL

Auf der Unterseite der Eiskruste auf Europa, an der Grenzschicht zwischen Wasser und Eis, findet unterdessen ein ständiger, schnellerer Wechsel von Auftauen und Gefrieren statt, ähnlich dem an der Unterseite von Eisschollen in unseren irdischen Ozeanen. Nach Schätzungen der Wissenschaftler könnte dieser Austausch an der Eis-Wasser-Grenze schon innerhalb einer halben Million Jahren genügend Sauerstoff im Ozeanwasser gelöst haben, um einen Minimalwert der Sauerstoffsättigung zu erreichen.

Lebensfreundlich nach kleiner Anlaufzeit

Auf der Erde würde dieser Wert ausreichen, um bereits kleine Krebstiere am Leben zu erhalten. Nach nur zwölf Millionen Jahren könnte die Sauerstoffsättigung dann das Niveau unserer Erdmeere erreicht haben und damit auch für die größten aeroben Lebensformen genügen. Das Praktische daran: Die sauerstofffreie Anlaufzeit von einem bis zwei Milliarden Jahren könnte Europa genau die Zeit verschafft haben, die die Evolution des Lebens benötigt.

Denn auch auf der Erde bildeten sich die ersten Lebensbausteine zunächst ohne den chemisch eher aggressiven Sauerstoff. Erst als schon die ersten Einzeller existierten, änderten sich die Bedingungen und ein steigender Sauerstoffgehalt der Atmosphäre schuf die Voraussetzungen auch für die Bildung höherer Lebensformen. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist es daher keinesfalls ausgeschlossen, dass der Ozean unter dem Eis des Jupitermonds Europa genügend Sauerstoff enthält, um selbst größere Lebensformen zu ermöglichen.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Ein chaotisches Terrain liefert entscheidende Hinweise

Seen in der Eiskruste?

Die Frage, wie durchlässig die Eiskruste Europas ist, könnte für mögliches Leben auf dem Jupitermond entscheidend sein. Im Jahr 2011 entdeckten Britney Schmidt von der University of Texas in Austin und ihre Kollegen neue Hinweise darauf, dass die Eiskruste von Europa weniger undurchdringlich sein könnte als zunächst angenommen. Sie hatten Aufnahmen der Raumsonde Galileo analysiert, die ungewöhnliche Landschaftsformen auf dem Eismond zeigten: die Chaos Terrains, zwei rundliche, unebene Formationen im Eis.

Neuere Daten deuten daraufhin, dass es sogar Seen in der Eiskruste Europas geben könnte © NASA/JPL / University of Arizona

Um herauszufinden, wie diese Formationen entstanden waren, gingen die Forscher zunächst von ganz ähnlichen Phänomenen in irdischen Eisdecken aus. Denn im Schelfeis und auf Gletschern, die über subglazialen Vulkanen liegen, gibt es Ähnliches. Basierend auf diesen Formationen und dem über deren Entstehung bekannten Daten und Fakten, entwickelten Schmidt und ihre Kollegen ein Modell, wie auch das Chaos Terrain auf Europa gebildet worden sein könnte.

Höhlen im Eis

Die Ergebnisse der Simulationen waren äußerst interessant. Denn sie sprachen dafür, dass es in der Eiskruste Europas Seen geben könnte – wassergefüllte Höhlen auf halbem Wege zwischen der Oberfläche und dem Ozean. Über die zahlreichen Risse im zerklüfteten Terrain der über den Seen liegenden Chaos-Formationen könnten reichlich Sauerstoff und organische Verbindungen in das Wasser dieser flachen Wasserlinsen im Eis gelangen.

Das aber könnte auch diese subglazialen Seen zu einer Brutstätte des Lebens machen. Im Laufe der Zeit dann könnten größere Verwerfungen im Eis diese Höhlen aufbrechen lassen und eine Verbindung auch zum darunterliegenden Ozean schaffen. „Wir sehen nun, dass Europa zwar eine dicke Kruste besitzt, diese aber gigantische flache Seen enthalten könnte, die eine Durchmischung fördern“, erklärt Schmidt. „Das könnte Europa und seinen Ozean habitabler machen.“

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

Eine Verbindung zum subglazialen Meer?

Fontänen aus Wasserdampf

Im Dezember 2013 entdeckten Forscher weitere Hinweise auf eine Verbindung zwischen der Oberfläche des Mondes und seinem subglazialen Ozean: Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble deuteten darauf hin, dass am Südpol von Europa Wasserdampf austritt – und das sogar in gewaltigen, mehr als 200 Kilometer hohen Fontänen.

Das Hubble-Teleskop hat Indizien für Wasserdamüpf über dem Südpol Europas entdeckt. © NASA/ESA/ L. Roth/SWRI/ Universität Köln

Verräterisches Leuchten

Das Spektrometer des Teleskops hatte am Pol des Mondes das schwache Leuchten von angeregten Sauerstoff- und Wasserstoffatomen registriert. Dieses entsteht typischerweise, wenn Wassermoleküle durch Wechselwirkung mit dem Magnetfeld zerfallen. Das spricht dafür, dass dort extrem kalter Wasserdampf existiert. „Die mit Abstand einfachste Erklärung für diesen Wasserdampf ist, dass er als Fontäne aus der Oberfläche von Europa austritt“, erklärt Lorenz Roth vom Southwest Research Institute in San Antonio.

Ein ähnlicher Effekt ist bereits vom Saturnmond Enceladus bekannt. Auch bei ihm schleudern aktive Geysire Wasserdampf, Eis und Staub weit in den Weltraum hinaus. Bei Europa konnte allerdings zunächst nur Wasserdampf nachgewiesen werden, ob die Fontänen auch Eis und Staubteilchen enthalten, ist noch ungewiss. Auch woher diese Fontänen kommen, ließ anhand der bisherigen Daten noch nicht sicher feststellen.

Verbindung zum Ozean?

„Reichen die Austrittsöffnungen für den Dampf bis zum Ozean unter der Eiskruste hinunter oder werden sie im Eis erzeugt, beispielsweise durch Reibungsstress in der Nähe der Oberfläche?“, stellt Roth die entscheidende Frage. „Wenn diese Fontänen mit dem subglazialen Ozean verbunden wären, dann bedeutet dies, dass wir diesen Ozean nicht erst anbohren müssen, um mehr über seine Zusammensetzung zu erfahren.“ Es würde stattdessen ausreichen, zunächst diese Fontänen genauer zu analysieren. „Das ist enorm aufregend“, so der Forscher.

So könnten die aus dem Eis schießenden Fontänen aus Wasserdampf und Wasser aussehen. © NASA/ESA/ K. Retherford/SWRI

Die Hubble-Aufnahmen zeigten, dass die durch den Wasserdampf verursachten Auroren immer dann auftreten, wenn der Jupitermond in seiner exzentrischen Bahn am weitersten von seinem Planeten entfernt ist. Vermutlich sind daher Gezeitenkräfte durch die starke Schwerkraft des Jupiter der Auslöser für dieses Phänomen. Die Wissenschaftler vermuten, dass die langen Risse und Spalten im Eis von Europa bei größerem Abstand vom Planeten gedehnt und damit geöffnet werden, so dass der Wasserdampf austreten kann. Nähert sich der Mond dagegen wieder dem Planeten an, sorgen die stauchenden Kräfte von dessen Schwerkraft dafür, dass die Risse komprimiert und damit geschlossen werden.

„Die Entdeckung, dass Wasserdampf nahe dem Südpol von Europa austritt, stärkt dessen Position als Topkandidat für potenzielle Lebensfreundlichkeit“, sagt Roth. Gibt es auf Europa eine Verbindung zwischen der Oberfläche und dem subglazialen Ozean, dann schafft dies wichtige Voraussetzungen für einen Stoffaustausch und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im Untergrund Bedingungen herrschen, die eine Entstehung von Leben gestatten.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014

In der kalten Eiskruste tut sich was

Aktive Chemie im Eis

Unter der Eiskruste des Jupitermonds Europa könnte sich aber noch mehr verbergen als nur ein Ozean und Seen mit flüssigem Wasser: Möglicherweise laufen in der Tiefe des Eises chemische Reaktionen auch zwischen gefrorenen Stoffen ab – und dies sogar erstaunlich schnell. Bisher galt dies als nahezu unmöglich. Denn bei Temperaturen auf dem Mond von minus 187° bis minus 143°C ist es eigentlich viel zu kalt für chemische Reaktionen. Sie bräuchten dort eine zusätzliche Energiezufuhr.

Diese Falschfarben-Aufnahame zeigt, wo chemische Verbindungen das Eis verändert haben. Vor allem in den rötlichen Bereichen finden sich Säuren und Salze auf dem Eis. © NASA/JPL

Jupiter als Katalysator

Eine solche gibt es im Prinzip auch – und sie kommt vom Jupiter. Seine Strahlungsgürtel überfluten sein Umfeld ständig mit einem Strom energiereicher Teilchen und Strahlung. Treffen sie auf die Oberfläche von Europa, könnte sie dort durchaus chemische Prozesse auslösen. Allerdings dringen die meisten dieser Teilchen nur wenige Zentimeter in die Eisoberfläche vor. Dass es in der Tiefe der Eiskruste noch nennenswerte chemische Aktivität geben könnte, hielten die meisten Planetenforscher daher bisher für äußerst unwahrscheinlich.

Doch es geht auch ohne Strahlung und Teilchenstrom vom Jupiter, wie Mark Loeffler vom Goddard Space Flight Center der NASA und seine Kollegen bereits 2010 in Laborexperimenten herausfanden. Für ihre Versuche sprühten die Forscher Wasserdampf und Schwefeldioxidgas auf Spiegel in einer Hochvakuumkammer, die auf 50 bis 100 Kelvin heruntergekühlt waren – dies entspricht minus 223° bis minus 173°C. Die Gase kondensierten dabei sofort und wurden zu Eis. Durch frühere Messungen von Raumsonden ist bekannt, dass Schwefel im Eis von Europa präsent ist, vermutlich stammt es aus den Eisvulkanen des Jupitermonds Io, vielleicht aber auch aus dem subglazialen Ozean von Europa selbst. Was damit geschieht, war aber bislang unbekannt.

Reaktion bei minus 173 Grad

Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie beobachteten die Wissenschaftler dann, was in ihrer Reaktionskammer weiter geschah. Es zeigte sich, dass das Schwefeldioxid trotz der extremen Kälte mit den Wassermolekülen reagierte und sich positive und negative Ionen bildeten. Bei minus 143°C, spielte sich diese Reaktion nahezu sofort ab. Bei minus 173°C erreichte die Reaktion immerhin nach rund einem halben bis einem Tag ihre Sättigung.

Europas Eiskruste: Ort aktiver chemischer Reaktionen? © NASA/JPL

„Das klingt vielleicht nicht schnell, aber nach geologischen Maßstäben – Milliarden von Jahren – ist ein Tag wie ein Wimpernschlag“, so Loeffler. Im Labor wandelte die Reaktion immerhin nahezu ein Drittel des Schwefeldioxids um. „Das ist eine unerwartet hohe Ausbeute für diese chemische Reaktion“, so Loeffler. „Wir wären schon mit fünf Prozent zufrieden gewesen.“ Viel wichtiger aber: Die in dieser Reaktion entstehenden positiven und negativen Ionen können leicht mit weiteren Molekülen reagieren und damit weitere Prozesse in Gang setzen.

Kruste aktiver als gedacht?

Um zu testen, ob diese Reaktion auch in Kohlendioxideis und damit unter den auf Europa herrschenden Bedingungen abläuft, ergänzten die Forscher anschließend ihre Reaktionsmixtur um CO2. Auch dieses gefror sofort auf den Spiegeln aus, behinderte aber die laufenden Reaktion nicht, wie zunächst befürchtet. „Wenn das gefrorene Kohlendioxid die Reaktion geblockt hätte, dann wären wir nicht annähernd so interessiert an der ganzen Sache“, erklärt Reggie Hudson, ebenfalls von Goddard Center der NASA. Doch die Reaktion lief ungehindert weiter ab.

Das aber deutet darauf hin, dass das Eis von Europa – und möglicherweise auch von anderen Eismonden wie Ganymed und Kallisto – keineswegs chemisch ruht, sondern durchaus aktiv sein könnte. „Dies ist ein extrem wichtiges Ergebnis um die Chemie und Geologie von Europas eisiger Kruste zu verstehen“, kommentiert Robert E. Johnson von der Universität von Virginia in Charlottesville die Studie. Wenn das Schwefeldioxid unterhalb der Oberfläche reagiere und chemische Abkömmlinge erzeuge, dann ändere sich das Bild vollständig.

Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014