Auf der Suche nach der Ursache des Massenaussterbens

Der Fall „Dinokiller“

Wer war schuld am Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren? © 1971yes/ iStock.com

Das Ende der Dinosaurier ist das bekannteste Aussterben der Erdgeschichte. Doch wer hat es verursacht? Die Suche nach dem Täter begann schon vor rund 40 Jahren, abgeschlossen ist sie aber bis heute nicht. Im Gegenteil: Noch immer wird hitzig darüber gestritten, wer nun in diesem spannenden Kriminalfall der Paläontologie der Schuldige ist.

Von den ersten Hinweisen auf ein abruptes Massenaussterben über Indizien auf einen „kosmischen Einfluss“, die Entdeckung des Chicxulub-Kraters in Yucatan bis hin zu den neuesten Erkenntnissen über die Urzeit-Katastrophe – jeder Schritt auf der Suche nach dem „Dinokiller“ war und ist von heftigen Debatten und Diskussionen begleitet.

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Rätselhafte Brüche in den Fossilienfunden

Das erste Indiz

Am Anfang eines Mordfalls steht klassischerweise eine Leiche. Der Fall „Dinokiller“ beginnt allerdings eher mit dem Gegenteil: der verdächtigen Abwesenheit von Leichen beziehungsweise deren Fossilien.

Dinosaurier-Fossilien wie dieser Camarasaurus-Schädel sind nach Ende der Kreidezeit nicht mehr zu finden. © Rob Glover/ CC-by-sa 2.0

Brüche statt Übergänge

Schon im frühen 19. Jahrhundert fällt den Geologen ein ungewöhnliches Phänomen auf: Während normalerweise benachbarte Schichten nur allmähliche Unterschiede aufwiesen, gibt es zu bestimmten Zeiten deutliche Brüche in der Fossilienzusammensetzung. Urplötzlich – zumindest nach geologischen Maßstäben – verschwanden ganze Tiergruppen, um kurz darauf durch komplett andere ersetzt zu werden.

Von graduellen Übergängen, wie sie die Evolutionstheorie eigentlich nahelegte, keine Spur. Mehr als hundert Jahre lang hofft man, doch noch irgendwo auf der Erde entsprechende Übergangsformationen für diese Zeitabschnitte zu entdecken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Stattdessen spricht alles dafür, dass das irdische Leben im Laufe der Erdgeschichte gleich mehrfach knapp einem kompletten Aussterben entgangen ist.

Seltsam abrupte Grenze

Besonders einer dieser auffälligen Brüche findet sich immer wieder rund um den Globus: ein abrupter Wandel in Gestein, das vor 65 Millionen Jahren entstanden war. Während davor die Gruppe der Saurier zu Land, zu Wasser und in der Luft absolut dominierte, schienen die Riesenechsen danach wie von Erdboden verschluckt. Nicht der kleinste Knochen oder Fußabdruck ist nach dem Ende der Kreidezeit, vor 65 Millionen Jahren, noch zu finden.

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Und noch etwas ist auffällig: In mehr als hundert Fundstellen weltweit markiert eine dünne Tonschicht genau den Übergang zwischen den beiden Epochen Kreide und Tertiär (heute Paläogen). Wie ein dunkler Schnitt erstreckt sie sich zwischen den darüber und darunter liegenden hellen Kalksteinschichten. „Die K/T-Grenze sticht immer heraus. Man kann mit einer Messerspitze darauf zeigen und sagen: ‚Das ist die Grenze’“ erklärt der Geologe Jan Smit von der Freien Universität Amsterdam. „Das ist einzigartig, denn in keinem anderen Fall früher oder später in der Erdgeschichte kann man wirklich sagen: ‚OK, das ist es’.“

Vorher – nachher auch im Foraminiferenkalk

Typisch für den abrupten Übergang zwischen Kreidezeit und Paläogen ist nicht nur die dünne, dunkle Tonschicht im Gestein. Auch die vor und nach dem Grenzton abgelagerten Kalkschichten geben einen klaren Hinweis, darauf, dass sich damals die urzeitliche Umwelt dramatisch änderte. Sie bestehen aus den Schalen von Foraminiferen, winzigen Einzellern, die millionenfach im Plankton der damaligen Meere schwebten.

Und ihre Zusammensetzung änderte sich radikal und sehr plötzlich. „Man konnte deutlich drei Phasen erkennen: Erst ändert sich nicht viel außer den normalen, allmählichen Variationen“, berichtet Smit. „Dann – zack – alles weg. Die Tonschicht ist schwarz, kohlenstoffreich und sehr sauerstoffarm. Erst danach kehren langsam wieder Foraminiferen zurück – aber andere als zuvor.“

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Eine erste Spur des Täters

Das Iridium-Rätsel

Mit der Entdeckung der K/T-Grenze und dem zeitgleichen Ende der Dinosaurier und unzähliger anderer Tier- und Pflanzenarten ist das Opfer im Fall „Dinokiller“ gefunden. Aber wer war der Täter? Indizien dafür, so viel ist schon damals klar, verstecken sich am ehesten in der seltsam scharf abgegrenzte K/T-Grenze im Gestein.

War sie das Ergebnis eines kurzzeitigen, dramatischen Ereignisses, wie es auf den ersten Blick schien? Oder ist die Grenzschicht vielleicht doch langsam im Laufe von Jahrmillionen entstanden und wurde erst später so stark zusammengedrückt?

Luis und Walter Alvarez an der K/T-Grenze im italienischen Gubbio im Jahr 1981. © Lawrence Berkeley Laboratory

Spurensuche in Gubbio

Genau das will der US-Geologe Walter Alvarez herausfinden – mit „kosmischer Hilfe“. Er untersucht Ende der 1970er Jahre Proben dieses Grenztons aus einem geologischen Aufschluss nahe der mittelitalienischen Stadt Gubbio auf den Gehalt eines bestimmten Edelmetalls, Iridium. Dieses Metall kommt auf der Erde extrem selten vor, ist aber im Weltall wesentlich häufiger. Es findet sich in vielen Asteroiden, aber auch in dem feinen Weltraumstaub, der ständig auf die Erde rieselt.

Alvarez Idee: Aus der Konzentration des Iridiums in der Grenzschicht könnte man vielleicht ermitteln, wie lange der Ton gebraucht hatte, um sich abzusetzen. „Da wir die Rate kennen, mit der extraterrestrisches Material jedes Jahr auf die Erde regnet, dachte ich, dass wir über die Konzentration des Iridiums in den Sedimentablagerungen auch feststellen könnten, welche Zeitperiode diese Tonschicht repräsentierte“, erklärt Alvarez im Herbst 1979.

Denn, so seine Theorie, wenn das Metall konstant mit Weltraumstaub auf die Erde rieselt, dann müsste sich besonders viel davon in den Schichten finden, die nur langsam heranwuchsen. Material, das sehr plötzlich in großen Menge abgelagert wurde, wie beispielsweise Lava bei einem Vulkanausbruch oder Sand von einem Erdrutsch, dürfte dagegen nur wenig Iridium enthalten.

Anstieg der Iridiumwerte in der K/T-Grenzschicht aus Stevns Klint in Dänemark © Alvarez et al. / Science

Abrupter Anstieg

Doch als Walter Alvarez die Proben gemeinsam mit seinem Vater, dem Physiker und Nobelpreisträger Louis Alvarez, im Labor untersucht, erlebt er eine Überraschung: Die Iridiumkonzentrationen sind so hoch, dass sie unmöglich allein durch den Weltraumstaub entstanden sein können. Und auch das Muster ist seltsam: Am Anfang der Schicht schnellen die Werte sehr abrupt auf das 25-Fache hoch, fallen dann aber exponentiell bis auf den normalen Hintergrundwert ab.

Zunächst zweifeln die Forscher an ihren Messungen, doch auch eine Wiederholung der Analysen ändert nichts. Die Werte bleiben zu hoch. Und dessen nicht genug, ergeben Messungen an Grenzton-Proben aus anderen Regionen ebenfalls Iridium-Anomalien. Als Alvarez und seine Kollegen die Formation Stevn Klint, eine Klippe an der dänischen Küste südlich von Kopenhagen, untersuchen, staunen sie nicht schlecht: Hier steigen die Iridiumwerte sogar abrupt auf das 160-Fache an.

Auch der Amsterdamer Geologe Jan Smit findet Ende der 1970er Jahre in Proben der Tonschicht von der K/T-Grenze in Südspanien auffällig erhöhte Iridiumwerte. Sie sind dort, am ehemaligen Meeresboden des Tethys-Meeres, sogar noch zehnfach höher als in Gubbio.

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Auf der Suche nach der Herkunft des Iridiums

Ein kosmisches Attentat?

Der Kriminalfall „Dinokiller“ geht weiter. Für Walter und Luis Alvarez geht es nun darum, die am Tatort hinterlassene Spur – das Iridium – einem Täter zuzuordnen. Die entscheidende Frage ist daher: Was könnte die Quelle der abrupten Iridium-Anreicherungen in der K/T-Grenzschicht sein?

Der berühmte Krebsnebel ist ein Überrest einer Supernova - und auch bei diesen wird Iridium frei © NASA, ESA, J. Hester and A. Loll (Arizona State University)

Eine irdische Quelle kommt hierfür kaum in Frage, denn das Metall ist eines der seltensten Elemente überhaupt in der Erdkruste. Zudem ist nur dieses Metall im 65 Millionen Jahre alten Grenzton, nicht aber eines der anderen in irdischen Iridiumvorkommen häufigen Elemente. „Wenn aber die Quelle extraterrestrisch ist, dann wäre sie von Natur aus reich an Iridium und könnte unsere Messungen erklären“, erklärt der Nuklearchemiker Frank Asaro vom Lawrence Berkeley National Laboratory. „Wir hielten daher die extraterrestrische Hypothese für wahrscheinlicher.“

Eine Sternenexplosion reicht nicht

Aber was im Weltraum kann so große Mengen Iridium in so kurzer Zeit auf die Erde bringen? Eine der zunächst von vielen Forschern favorisierten Erklärungen ist eine Supernova, eine gewaltige Sternenexplosion. Auch der Geologe Jan Smit von der Freien Universität Amsterdam verfolgt anfangs diesen Ansatz und wendet sich mit seinen Iridium-Werten an einige Astronomen, die auf ungewöhnliche Weltraumphänomene spezialisiert sind.

„Sie begannen zu kalkulieren, welche Iridiummengen man durch eine Supernova erhalten könnte“, erzählt Smit. „Aber selbst unter Annahme eines extrem ungewöhnlichen Typs von Supernova lagen ihre Berechnungen noch immer um fünf Größenordnungen unter meinen Werten. Das war dann das Aus für die Supernova-Theorie.“

Helen Michel, Frank Asaro, Walter Alvarez und Luis Alvarez im Labor © Lawrence Berkeley Lab

Falsches Isotopen-Verhältnis

Auch Luis und Walter Alvarez rechnen das Supernova-Szenario durch. „Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass in den letzten 100 Millionen Jahren eine Supernova nahe genug an der Sonne stattfand, liegt nur bei eins zu einer Milliarde“, konstatieren sie. Um diese Theorie trotzdem zu überprüfen, gehen sie das Problem zusätzlich von der anderen Seite aus an: Sie fahnden in den urzeitlichen Iridiumresten nach Spuren ihrer Herkunft.

Dafür analysieren die Forscher das Verhältnis zweier Iridium-Isotope in ihren Proben von der K/T-Grenze. Denn wie viele andere chemische Elemente auch können die Atomkerne des Iridiums leicht abweichende Anzahlen von Neutronen enthalten. Der Clou daran: Das Isotopenverhältnis des Iridiums ist für alle Objekte in unserem Sonnensystem ziemlich gleich, weicht aber für andere extrasolare Quellen deutlich ab.

Das Ergebnis der Analysen zeigt: Das in der K/T-Grenze abgelagerte Iridium unterscheidet sich nur um 0,03 Prozent von der Referenz. „Daher stammt die Iridium-Anomalie sehr wahrscheinlich aus unserem Sonnensystem und nicht von einer Supernova oder einer anderen entfernten kosmischen Quelle“, konstatieren die Forscher. Für Alvarez und seine Mitstreiter bleibt damit nur noch eine logische Erklärung für die Iridium-Anomalie übrig: der Einschlag eines Asteroiden – eines Himmelskörpers aus unserem Sonnensystem.

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Eine Asteroiden-Theorie sorgt für Aufsehen

Ist der Täter gefunden?

Am 6. Juni 1980 sorgen Luis und Walter Alvarez für eine weltweite Sensation. Denn gemeinsam mit zwei weiteren Forschern machen sie nun ihre Theorie von einem urzeitlichen Asteroiden-Einschlag öffentlich – und das auf keiner geringeren Plattform als dem renommierten Fachjournal „Science“.

Unter dem Titel „Extraterrestrial Cause for the Cretaceous-Tertiary Extinction“ rollen sie den „Kriminalfall“ K/T-Grenze noch einmal von Anfang an auf. Sie erklären ihre Funde und führen Indizien für einen außerirdischen Ursprung, aber gegen eine Supernova auf. Dann, gegen Schluss des Artikels, kommt der Paukenschlag:

Vernichtete ein Asteroiden-Einschlag die Dinosaurier? © NASA/ Don Davis

„Ein Asteroid traf die Erde“

„Wir haben festgestellt, dass ein Meteoriteneinschlag ein Szenario liefert, das die meisten, wenn nicht sogar alle biologischen und physikalischen Belege erklärt“, konstatieren die Forscher. „Oder kurz gesagt: Unserer Hypothese nach traf ein Asteroid die Erde, bildete einen Einschlagskrater und einiges des dabei ausgeschleuderten Materials erreichte die Stratosphäre und verteilte sich um den Globus.“ Dieser Staub verteilte das Iridium aus dem Asteroiden rund um die Welt.

Und auch wie groß dieser Asteroid damals gewesen sein könnte, haben Alvarez und seine Kollegen berechnet – mit gleich vier verschiedenen Methoden. Sie gehen dabei von den typischen Iridiumgehalten von Asteroiden und den in der K/T-Schicht gefundenen Iridium-Werte aus, ziehen Schlüsse aus den Daten von erdbahnkreuzenden Asteroiden und den irdischen Kratergrößen und nehmen sogar den Ausbruch des Vulkans Krakatau zum Vorbild, um die nötige Staubmenge auszurechnen. Ihr Fazit: Der Asteroid, dem die Dinosaurier und viele ihrer Zeitgenossen zum Opfer fielen, muss etwa zehn Kilometer groß gewesen sein.

Nach dem Einschlag verdunkelten Staub und Rauch monatelang den Himmel © National Park Service

„Jahrelange Dunkelheit“

Die Forscher erklären auch, wie der Impakt das Massenaussterben vor 65 Millionen Jahren verursacht haben könnte: „Der Staub verhinderte mehrere Jahre lang, dass das Sonnenlicht die Erdoberfläche erreichte“, schreiben Alvarez und Co. „Dieser Lichtverlust unterdrückte die Fotosynthese und als Konsequenz kollabierten die meisten Nahrungsketten und ein Massenaussterben folgte.“

In den Fossilien der K/T-Grenze lässt sich tatsächlich mancherorts ein deutlicher Bruch in der Pflanzenwelt beobachten: Die vorher dominierenden Blütenpflanzen- und Koniferenpollen fehlen in der Grenzschicht völlig, stattdessen finden sich fast ausschließlich Reste von Farnpflanzen. Heute geht man davon aus, dass der Einschlag des „Dinokillers“ die Erde mindestens mehrere Wochen lang in Dunkelheit hüllte und das Klima möglicherweise sogar über Jahre hinaus abkühlte.

Asteroideneinschlag © NASA

Kosmische Boliden als Artenkiller?

Was heute als bewiesen gilt, ist zu Alvarez‘ Zeiten eine echte Sensation: „Die Leute dachten damals, das ist verrückt. Da hat einer eine blühende Fantasie und versucht jetzt, dafür Beweise herbeizuziehen“, beschreibt der Amsterdamer Geologe Jan Smit die Reaktionen. Verstärkt wird dies dadurch, dass Alvarez und Co auch für die anderen vier großen Massenaussterben nun Meteoriten verantwortlich machen.

„Wenn die K/T-Aussterben durch ein Impaktereignis verursacht wurden, dann könnte das gleiche auch für frühere Massenaussterben gelten“, postulieren sie in ihrem Artikel. „Dies würde gut zu der Wahrscheinlichkeit für den Einschlag eines zehn-Kilometer-Objekts passen.“ Denn ein solcher Impakt kommt theoretisch einmal alle 100 Millionen Jahre vor – und das passt ziemlich gut zum Abstand der fünf großen Extinktionen.

So plausibel das Szenario von Alvarez und Co auch ist – es hat eine entscheidende Schwäche. Denn der wichtigste Beweis für einen Einschlag fehlt: der Krater. Oder übersetzt in unseren Kriminalfall: Der genaue Tatort und Tathergang sind noch offen. Und noch ist nicht einmal klar, wo man anfangen soll, danach zu suchen.

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Die Suche nach dem Einschlagsort

Der Schwanz des Teufels

Wenn ein Asteroid von zehn Kilometer Durchmesser einschlägt, sind die Folgen eigentlich nicht zu übersehen – sollte man meinen. Denn ein solcher Impakt müsste einen Krater von mindestens hundert Kilometern Durchmesser hinterlassen. Doch von dem Meteoriten, der nach Ansicht von Walter Alvarez und seinen Mitstreitern vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier ausrottete, schien es zunächst keine Spur zu geben.

Wirklich verwunderlich ist dies allerdings nicht. Denn im Gegensatz zum Mond oder anderen „toten“ Himmelskörpern ohne Atmosphäre, sorgen auf der Erde Eis, Wind, Wasser und Vegetation dafür, dass die Form der Landschaft sich fortwährend ändert. Gebirge wachsen empor, Täler und Schluchten kerben sich ein, Hügel werden eingeebnet. Innerhalb von 65 Millionen Jahren kann daher ein Einschlagskrater leicht bis zur Unkenntlichkeit verändert oder sogar völlig abgetragen und überdeckt werden.

Schwerefeld-Anomalien im Norden Yucatans bei Chicxulub. Die weißen Punkte zeigen Cenoten an, wassergefülllte Einsturzdolinen. © USGS

Zufallsfund in Mexiko

Der Fund des Dinokiller-Kraters war deshalb eher ein glücklicher Zufall. Der entscheidende Hinweis dazu kam von Geophysikern der Ölgesellschaft PEMEX, die schon in den 1950er Jahren eine geophysikalische Anomalie im Norden der mexikanischen Halbinsel Yucatan entdeckt hatten. Messungen des Magnetfelds und der Schwerkraft enthüllten hier eine kreisförmige, unter der Erde verborgene Struktur, die die Forscher aber zunächst für Reste eines Vulkanschlots hielten.

An der Erdoberfläche war von alledem nichts sichtbar. Die seltsame Anomalie lag halb an Land, halb unter Wasser und war zudem unter 300 bis 1.000 Meter mächtigen Sedimentschichten begraben. Ihr Zentrum befand sich unter dem Ort Chicxulub Puerto, nördlich der Provinzhauptstadt Mérida. 1981 trugen Antonio Camargo-Zanoguera und Glen Penfield auf einer geophysikalischen Tagung neuere Ergebnisse ihrer Messungen vor und spekulierten dabei bereits, es könne sich um einen Einschlagskrater handeln.

Dünnschliff eines bei einem Meteoriteneinschlag geschockten Quarzkristalls. © USGS / Glen A. Izett

Gesteinsglas und geschockter Quarz

Doch ihr Fund fand zunächst keine Beachtung. Es sollte noch zehn weitere Jahre dauern, bis ein Forscherteam unter Leitung von Alan Hildebrand von der University of Arizona sich erneut der rätselhaften Struktur annahm. Sie sammelten nicht nur genauere Daten zu den Magnetfeld- und Schwereanomalien in diesem Gebiet, sondern untersuchten auch Proben aus alten Ölbohrungen. Ironie des Schicksals: Eine der entscheidenden Proben lag die ganze Zeit direkt vor aller Augen – als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch eines der PEMEX-Geologen.

Bei den Analysen dieser und weitere Proben fanden die Forscher Mineralien und Gesteine, die eindeutig auf eine starke Druck- und Hitzeeinwirkung schließen ließen. Zu diesen gehört amorphes Gestein, das entsteht, wenn Untergrundgestein schmilzt und dann wieder erstarrt. Auch Trümmergestein, sogenannte Brekzien, und durch Schockwellen veränderten Quarz entdeckten die Forscher in Gesteinsproben aus dem Kratergebiet. Eine Datierung dieser Proben ergab ein Alter von rund 65 Millionen Jahren – und stimmte damit genau mit dem Zeitpunkt überein, zu dem weltweit sowohl die Iridiumanomalie als auch das Massenaussterben aufgetreten waren.

Topografisches Modell des Chicxulub-Kraters auf Basis von Schwerefeld-Anomalien. © NASA/ LPI

Ground Zero der Katastrophe?

Hatte man endlich den Krater des Dinokillers gefunden? Alle Indizien sprachen dafür. Chicxulub, Maya-Bezeichnung für „Schwanz des Teufels“, wie der Krater nach der über ihm liegenden Stadt genannt wurde, schien tatsächlich als ernsthafter – und bis heute einziger – Kandidat für den K/T-Einschlag in Frage zu kommen.

Mitte der 1990er Jahre ergab sich aus weiteren Untersuchungen erstmals ein genaueres Bild der Form und Größe des Chicxulub-Kraters: Er gehört eindeutig zu den komplexen, für größere Einschläge typischen Kratern mit einem Zentralberg und mindestens einer ringförmigen Erhebung. Der Durchmesser wird bis heute unterschiedlich angegeben, liegt aber nach Ansicht der meisten Geoforscher bei rund 180 Kilometern. Damit ist Chicxulub der drittgrößte Krater der Erde, nach Vredefort in Südafrika und dem Sudbury-Becken in Kanada, die jedoch beide mehr als zwei Milliarden Jahre alt sind.

Aber war er auch der „Dinokiller“?

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Tauziehen um den Dinokiller

Das Datierungs-Problem

Seit dem Fund des Chicxulub-Kraters ist klar, dass es vor rund 65 Millionen Jahren einen Meteoriteneinschlag gab. Und die Iridium-Anomalie, Mikrotektite und andere global verbreitete Ejekta zeugen davon, dass sich dieser Impakt weltweit ausgewirkt haben muss. Damit sind im Fall „Dinokiller“ sowohl ein mutmaßlicher Täter als auch Indizien für seine Tat vorhanden.

Die Yaxcopoil-1 Bohrung im Chicxulub-Krater im Jahr 2001 © Chicxulub Scientific Drilling Project (CSDP)

Aber reichen die Indizien aus, um ihn zu überführen? War der Chicxulub-Asteroid tatsächlich der Dinokiller? Oder anders gesagt: Waren die Folgen des Einschlags ausreichend, um das Massensterben am Ende der Kreidezeit auszulösen?

Die große Bohrung

Nachdem dies seit Mitte der 1990er Jahre fast schon klar schien, hat ausgerechnet die umfassendste und wichtigste Bohrung im Chicxulub-Krater kurz nach der Jahrtausendwende neue Zweifel an dieser Theorie geweckt – zumindest bei einigen Forschern. Im Rahmen des internationalen Kontinentalen Tiefbohrprogramms fraß sich bei der Stadt Yaxcopoil, 60 Kilometer vom Zentrum des Kraters entfernt, ein Spezialbohrer tief in den Untergrund.

In etwa 800 Metern Tiefe dann war es soweit: In den Bohrkernen tauchte eine gut hundert Meter dicke Schicht auf, deren Gesteine deutliche Spuren von extremer Druck- und Hitzeeinwirkung zeigten. Die Ebene des Einschlags war erreicht. Kaum waren die Bohrkerne geborgen, stürzten sich Wissenschaftler aus aller Welt mit Feuereifer darauf.

Bohrkern aus dem Chicxulub-Krater. © Chicxulub Scientific Drilling Project (CSDP)

Der Schichten-Schock

Doch ihre mit Spannung erwarteten Auswertungen trugen nicht gerade dazu bei, mehr Klarheit zu schaffen – ganz im Gegenteil. Sie heizten die Diskussionen noch weiter an. Stein des Anstoßes dabei: Eine rund 50 Zentimeter dicke Kalksteinschicht mit Fossilien aus der Kreidezeit, die seltsamerweise nicht unter, sondern über der Einschlagsschicht lag.

Im Prinzip gab es dafür nur zwei Erklärungs-Möglichkeiten: Entweder waren alle bisherigen Datierungen falsch und der Chicxulub-Einschlag hatte sich nicht direkt an der K/T-Grenze, sondern einige hunderttausend Jahre früher ereignet. Oder aber die darüberliegenden Kreidezeit-Ablagerungen waren ein Artefakt, ein Resultat heftiger Umwälzungen und Einbrüche nach dem Impakt. Aber welche Erklärung war die richtige?

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015

Meteorit versus Vulkanismus und Co

Der große Streit

Der Streit um den wahren Dinokiller und die Rolle des Chicxulub-Einschlags hält bis heute an. Und die Datenlage könnte unübersichtlicher nicht sein. Zwar gibt es einen Krater, aber wann der Einschlag stattfand, hängt davon ab, wen man fragt. Und die Debatte darüber, ob der Asteroid allein schuldig gewesen sein könnte, wird hitzig und nicht immer ganz sachlich auf höchster wissenschaftlicher Ebene ausgetragen.

Gerta Keller und ihre Mitstreiter sehen in den Ausbrüchen des Dekkan Trapps den Schuldigen am Dinosterben. Diese Flutbasalte in Indien hinterließen meterdicke Lavaschichten. © Kppethe/ CC-by-sa 3.0

„Lücken so groß wie ein Argentinosaurus“

Wortführerin der „Anti-Dinokiller“-Fraktion ist Gerta Keller, eine Paläontologin der Princeton University. Ihr Hauptargument: Die Chicxulub-Bohrung, aber auch andere Gesteinsformationen rund um den Golf von Mexico, sollen eindeutig zeigen, dass sich der Einschlag schon 300.000 Jahre vor dem Ende der Dinosaurier ereignet hat. „Tatsächlich hat die Impakttheorie so große Lücken, dass ein Argentinosaurus hindurchpurzeln könnte, ohne irgendwo anzustoßen“, konstatiert der US-Geologe Dewey McLean.

Seiner Ansicht nach brachte nicht der Asteroid den massenhaften Tod, sondern eine Kombination mehrerer Faktoren. Ganz vorn unter den Schuldigen sehen er und Keller die Dekkan-Trapps, eine Region in Indien, in der es vor rund 65 Millionen Jahren gewaltige und ausgedehnte Vulkanausbrüche gab. Der gewaltige Ausstoß von Rauch und vulkanischen Gasen soll, so postulieren sie, das Klima allmählich verändert und so das Massenaussterben verursacht haben.

„Umgekippt und abgerutscht“

Demgegenüber vertritt der Geologe Jan Smit, einer der Begründer der Impakttheorie, die Ansicht, dass Chicxulub der überzeugendste und einzige Kandidat für den „Dinokiller“ ist. Die in der Yax-1 Bohrung entdeckte Kreidezeitschicht, so seine Argumentation, liegt gerade wegen der Wucht des Einschlags über dem Impaktgestein: Eine gewaltige Scholle des durch den Impakt aufgestellten und aufgetürmten Sediments sei damals abgekippt und über das Impaktgestein gerutscht. Ein Verhalten, dass auch bei anderen Kratern vielfach beobachtet worden ist.

Jan Smit und seine Kollegen sehen nach wie vor im Chicxulub-Einschlag den Haupttäter. © NASA/ Don Davis

Die Daten Kellers und ihrer Mitstreiter hält er dagegen für ziemlich dünn: „Ihre einzigen Belege stammen aus dem Gebiet des Golf von Mexiko. Aber das ist eine Region, die komplett durcheinander geworfen wurde: von Erdbeben geschüttelt, überall Erdrutsche, jede Menge Tsunamiablagerungen, Massenbewegungen – alles Mögliche. Die gesamte Region ist extrem instabil – und ausgerechnet daher stammen alle ihre Beweise.“

„Der Asteroid war pünktlich“

Wenn man die Ereignisse an der K/T-Grenze rekonstruieren will, eignen sich Gesteinsabfolgen in größerer Entfernung vom Krater weitaus besser, meint auch Peter Schulte von der Universität Erlangen, ein inzwischen zum Impaktlager übergelaufener ehemaliger Schüler von Gerta Keller. 2010 präsentierte er gemeinsam mit Kollegen im Fachmagazin „Science“ schlagkräftige neue Argumente gegen Kellers Hypothesen.

Demnach kam nicht der Einschlag zu früh, sondern der Dekkan-Trapp. „Die Vulkanausbrüche in Indien begannen schon 500.000 Jahre bevor das weltweite Massensterben einsetzte – ohne dass sich gravierende Auswirkungen auf die globale Artenvielfalt zeigten“, so Schulte. In ihrer Studie zeigen die Forscher zudem, dass der Chicxulub-Meteorit dagegen „pünktlich“ zum K/T-Ereignis einschlug. Sogar in mehreren tausend Kilometern Entfernung fanden sie davon eine Art Fingerabdruck in Form von typischen Gesteinsfragmenten.

Die K/T-Grenze (Pfeil) im Trinidad State Park in Colorado - umstritten ist nicht ihre Existenz, wohl aber ihre Ursache und ihre Datierung. © National Park Service

2013 bestätigte ein anderes Team Smit und Co mit der bisher genauesten Datierung des Chicxulub-Ereignisses. Paul Renne von der University of California in Berkeley und seine Kollegen hatten dafür das Alter von Tektiten aus Haiti und Aschen aus Montana mit Hilfe einer rekalibrierten Argon-Methode bestimmt. Ihr Ergebnis ist bis auf 11.000 Jahre genau – und nach diesem lagen Chicxulub-Einschlag und die K/T-Exinktion maximal 33.000 Jahre auseinander.

„Diese Ereignisse sind damit sozusagen um Haaresbreite synchron“, meint Renne. „Der Einschlag spielt damit eindeutig eine wichtige Rolle für das Aussterben.“ Allerdings räumt er versöhnlich ein, dass die Eruptionen des Dekkan-Trapp sozusagen die Vorarbeit für den Einschlag geleistet haben könnten. „Der Impakt war aber eindeutig der letzte Schubs für die Erde“, so der Forscher.

„Streit ist gut für die Wissenschaft“

Allerdings werden wohl auch diese Erkenntnisse die Debatte um die Ursache des Massenaussterbens am Ende der Kreidezeit nicht beenden. Im Fall „Dinokiller“ ist das letzte Urteil noch immer nicht gesprochen. Dennoch hat die Spurensuche schon jetzt eine Menge gebracht – den Beteiligten ebenso wie der Wissenschaft insgesamt. „Es gibt nichts Besseres für einen Wissenschaftler, als jemanden zu haben, der deine Ergebnisse anzweifelt. Es hält dich lebendig“, erklärt Smit.

Und nicht zuletzt wegen dieses Streits ist der Einschlag vor 65 Millionen Jahren der bestuntersuchte überhaupt. Bis heute sind es vor allem die daraus gewonnenen Erkenntnisse, die unsere Vorstellung von Auswirkungen eines katastrophalen Meteoriteneinschlags auf der Erde bestimmen. Ob Klimaforscher, Geophysiker, Zoologen oder Botaniker – sie alle stützen sich bei ihren Prognosen über die Folgen eines „Big One“ auf Chicxulub und das Massenaussterben am Ende der Kreidezeit.

Nadja Podbregar
Stand: 11.09.2015