Albert Einstein und die Allgemeine Relativitätstheorie

Die Neuerfindung der Gravitation

Die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein veränderte unser Bild des Universums nachhaltig. © scinexx

Vor 100 Jahren, am 25. November 1915, stellte Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie vor. In ihr beschrieb er die Gravitation und ihre Wirkung auf das Universum auf völlig neue Art – als Krümmung der Raumzeit. Diese Idee stellte nicht nur herkömmliche Lehrmeinungen auf den Kopf, sie hat Folgen bis heute.

„Das ist wahrscheinlich die größte wissenschaftliche Entdeckung, die je gemacht wurde“ – so kommentierte der Physiker und Nobelpreisträger Paul Dirac Einsteins revolutionäre Theorie. Tatsächlich bildet sie bis heute das Fundament unseres Weltbilds und machte viele physikalische Erkenntnisse des letzten Jahrhunderts erst möglich. Für Einstein allerdings war der Weg vom ersten Geistesblitz bis zur fertigen Formulierung seiner Feldgleichungen und dem Beweis ihrer Gültigkeit alles andere als ein Spaziergang.

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Das Problem mit der Gravitation

„Unmögliche“ Fernwirkung

Der Anfang des 20. Jahrhunderts bringt eine Flut neuer Erkenntnisse mit sich: Die Entdeckung der Radioaktivität eröffnet eine ganz neue Sicht auf Elemente, Röntgenstrahlen machen das zuvor Unsichtbare sichtbar. Und der Patentangestellte Albert Einstein entthront mit seiner Speziellen Relativitätstheorie die Zeit als absolute Größe und definiert stattdessen die Lichtgeschwindigkeit als das Maß aller Dinge.

Newtons Gesetz der Gravitation funktioniert bei einem fallenden Apfel bestens. Bei anderen Objekten ist das jedoch nicht der Fall. © Ulrich Kamp/ freeimages

Newton und der Apfel

Eine Größe aber scheint zunächst allen Erschütterungen und Umstürzen zu widerstehen: die Gravitation. Sie gehört zu den Grundkräften der Materie und prägt nicht nur den Alltag auf der Erde, sie bestimmt auch das Verhalten nahezu aller Objekte im Kosmos. Wie sie wirkt, erkannte schon 1665 der englische Physiker Isaac Newton.

In seinem Gravitationsgesetz beschreibt er die Gravitation verblüffend einfach als die gegenseitige Anziehungskraft zweier Massen. Je größer die Masse, desto stärker wirkt dabei diese Kraft. Und je weiter entfernt zwei Körper sind, desto mehr schwächt sich die Anziehung ab. Diese Fernwirkung sorgt deshalb dafür, dass der berühmte Apfel nach unten zur Erde fällt und die Erde um die Sonne kreist – und nicht umgekehrt.

Die Periheldrehung eines Planetenorbits. Die Exzentrizität der Bahn und der Betrag der Drehung sind übertrieben dargestellt. © Rainer Zenz / gemeinfrei

Wandernde Punkte

Doch Newtons Theorie der Gravitation hat einige Schönheitsfehler: Sie beschreibt nicht, was genau die Gravitation eigentlich ist und sie kann einige Planetenbewegungen wie die des Merkur nicht genau beschreiben. Denn nach Newtons Gesetz müsste der Planet auf einer immer gleichen elliptischen Bahn kreisen. Tatsächlich aber dreht sich die Umlaufbahn des Planeten im Laufe der Zeit, so dass die Punkte des größten und kleinsten Abstands zur Sonne wandern. Zeichnet man diese Periheldrehung auf, ergibt sich eher eine Art Rosette als eine saubere Ellipse.

Und noch ein Problem gibt es: Seit Einstein im Jahr 1905 seine Spezielle Relativitätstheorie veröffentlicht hat, ist klar, dass sich in unserem Universum nichts schneller ausbreiten kann als das Licht. Aber nach Newton müsste die Schwerkraft zwischen Himmelskörpern instantan wirken – egal wie weit beispielsweise ein Planet von der Sonne entfernt ist. Zwar nimmt die Stärke der Gravitation mit dem Quadrat der Entfernung ab, aber nach Newtons Gesetz breitet sie sich trotzdem unendlich schnell aus. Das aber ist nach dem neuen, Einstein’schen Weltbild der Physik unmöglich.

Albert Einstein ist dieser Widerspruch ein Dorn im Auge. Es muss doch einen Weg geben, wie sich die Gravitation, diese Urkraft des Universums, mit seiner Speziellen Relativitätstheorie vereinbaren lässt?

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Einsteins Gedankenexperiment

Ein Fahrstuhl im Weltraum

Den Anstoß für Einsteins berühmte Theorie gibt 1907 ein simples Gedankenexperiment. „Ich saß im Berner Patentamt, als mir plötzlich der Gedanke kam: Wenn sich Mensch im freien Fall befindet, wird er seine eigene Schwere nicht empfinden können.“ Das klingt erstmal kryptisch, Einstein malt sich dies aber an einem sehr alltäglichen, konkreten Beispiel aus:

Ein Ball fällt im beschleunigten Fahrstuhl genauso auf den Boden wie in einem Fahrstuhl unter Einfluss der Schwerkraft. © Markus Pössel/ CC-by-sa 3.0

Wenn ein Fahrstuhl abstürzt und im freien Fall nach unten rast, fühlt sich ein darin stehender Mensch für einen kurzen Augenblick schwerelos. Allein von seinem Gefühl ausgehend könnte er nicht unterscheiden, ob er fällt oder in der echten Schwerelosigkeit des Weltraums schwebt. Umgekehrt spüren wir im stehenden Fahrstuhl die normale Schwerkraft der Erde: Unsere Fußsohlen werden auf den Boden gedrückt, ein fallengelassener Gegenstand fällt nach unten.

Beschleunigung oder Schwerkraft?

Das gleiche aber würden wir auch empfinden, wenn unser Fahrstuhl in der Schwerelosigkeit des Weltraums wäre, aber mit hoher Geschwindigkeit nach oben rasen würde. Der imaginäre Fahrstuhl-Fahrer kann nicht unterscheiden, ob er unter dem Einfluss der Gravitation steht oder aber dem einer Beschleunigung, so Einsteins Überlegung. In beiden Fällen spürt er nur eine Kraft, die in Richtung Boden wirkt.

Für den Physiker folgert daraus, dass die Wirkung von Schwerkraft und Beschleunigung gleich sind – sie sind äquivalent und daher womöglich Manifestationen des gleichen Phänomens. „Dieser einfache Gedanke beeindruckte mich nachhaltig“, schreibt Einstein kurz darauf nieder. „Die Begeisterung, die ich da empfand, trieb mich zur Gravitationstheorie.“ Was an diesem sogenannten Äquivalenzprinzip so begeisternd war, erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick.

Albert Einstein an seinem Schreibtisch im Patentamt. Wahrscheinlich zeigt dieses Foto ihn im Jahr 1904 oder 1905. © Lucien Chavan/ historisch

Der gekrümmte Lichtstrahl

Doch Einstein denkt sein Gedankenexperiment weiter: Was wäre, wenn man einen Lichtstrahl durch ein kleines Loch in einer Fahrstuhlwände schickt? Rast der Fahrstuhl dabei rasend schnell aufwärts, dann würde der Strahl die gegenüberliegende Wand nicht genau auf gleicher Höhe wie das Loch treffen. Denn die Wand samt Fahrstuhl hat sich bis dahin weiterbewegt. Der Lichtstrahl trifft dadurch etwas tiefer auf.

Würde man nun die Bahn des Strahls von einer Fahrstuhlwand zu anderen aufzeichnen, erschiene sie gebogen. Eine Beschleunigung krümmt demnach das Licht – und genau das liefert Einstein die entscheidende Idee. Denn wenn nach dem Äquivalenzprinzip Beschleunigung und Gravitation auf gleiche Weise wirken, dann muss auch die Gravitation das Licht krümmen können. Und das wiederum macht aus der Gravitation etwas völlig anderes als eine bloße Kraft. Aber was?

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Einstein erfindet die Krümmung der Raumzeit

Gravitation als Geometrie

Nach seinem Gedankenexperiment ist für Einstein klar, dass die Gravitation nicht einfach nur eine Kraft ist, die wie durch Fäden Himmelskörper und Alltagsobjekte bewegt. Denn dies erklärt nicht, warum sie das Licht krümmen kann. Was nun folgt, ist einer der ganz großen Geistesblitze der Wissenschaft.

Die Schwerkraft der Sonne krümmt die Raumzeit - sie erzeugt eine "Kuhle" © scinexx

Krümmung statt Kraft

Einsteins revolutionäre Idee: Die Gravitation wirkt nicht einfach nur zwischen den Objekten im Universum, sondern ist eine direkte Folge der Geometrie von Raum und Zeit. Die Wirkung der Schwerkraft lässt sich damit geometrisch ausdrücken: Je mehr Masse ein Körper besitzt, desto stärker krümmt er die kosmische Matrix der Raumzeit. Und je größer diese Verzerrung, desto stärker beeinflusst sie die Bahnen naher Objekte: Sie werden zu diesem Körper hin abgelenkt – und das erscheint uns als Anziehung.

Damit aber stellt Einstein auch die Vorstellung der Raumzeit auf den Kopf – der von ihm selbst in seiner Speziellen Relativitätstheorie eingeführten Matrix des Kosmos. Denn diese ist nun nicht mehr bloß passiver Hintergrund, sondern greift selbst in das Geschehen ein und beeinflusst, wie sich die Objekte im Universum bewegen.

Verdeutlichen lässt Einsteins Vorstellung mit einem aufgespannten Gummituch. Legt man in seine Mitte eine Stahlkugel, drückt sie eine tiefe Kuhle in das Tuch. Auf ähnliche Weise krümmt beispielsweise die Schwerkraft unserer Erde die Raumzeit. Gibt man nun einige Tischtennisbälle auf das Gummituch, kullern sie in Richtung Stahlkugel bis sie sie erreichen – immer der Neigung des Tuches folgend. In der realen Welt entspräche dies beispielsweise einem Objekt, das man aus großer Höhe fallen lässt: Es wird angezogen und landet unweigerlich auf dem Boden.

Gravitationsmulde der Erde
Mit genügend Schwung kann eine Raumsonde der Gravitations-"Kuhle" der Erde entkommen. © MMCD NEW MEDIA GmbH

Energie hilft beim Entkommen

Doch Einsteins Theorie der gekrümmten Raumzeit hat noch eine weitere Konsequenz: Man kann den Gravitations-„Kuhlen“ durchaus entfliehen – wenn man nur schnell genug ist. Denn nach Einsteins einige Jahre zuvor formulierten Formel E=mc² sind Masse und Energie äquivalent. Auf ein energiereiches und damit schnelles Objekt wirkt die Gravitation demnach genauso wie auf ein entsprechend schweres. An diesem Punkt geht Einsteins Gravitationstheorie über die von Newton hinaus.

In unser Beispiel übersetzt bedeutet dies: Mit genügend Schwung lässt sich auch ein Tischtennisball so über unser Gummituch hinwegrollen, dass er von der Stahlkugel zwar aus seiner Bahn gelenkt wird, dann aber in der neue Richtung weiterrollt. Seine Bahn wurde von der Schwerkraft der Stahlkugel gekrümmt. Und genau dies passiert auch im Weltraum: Die Schwerkraft unserer Sonne krümmt die sie umgebende Raumzeit und beeinflusst so die Bahnen der Planeten. Sie bewegen sich gerade so schnell, dass ihre Geschwindigkeit sie auf stabilen Bahnen hält – sie fallen nicht in die solare Gravitations-„Kuhle“, können aber auch nicht entkommen.

Soweit, so einleuchtend. Doch wäre das schon alles, dann wäre Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie wenig mehr als eine andere Umschreibung für die schon seit Newton bekannten Schwerkraft-Effekte. Ihre wahre Sprengkraft geht aber sehr viele weiter.

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Gravitation wirkt auf mehr als nur Massen

Gebogenes Licht und gedehnte Zeit

Richtig radikal wird Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie jedoch dort, wo sie über die Wechselwirkung von Masse und Schwerkraft hinausgeht. Denn in seinem Universum der gekrümmten Raumzeit sind selbst Licht und Zeit den Einflüssen der Gravitation unterworfen.

Atomuhren - hier eine nur chipgroße Ausgabe - sind inzwischen genau genug, um die gravitative Zeitdehnung zu messen. © NIST

Große Schwerkraft – gedehnte Zeit

Dass die Zeit keine absolute Größe sein kann, hat Einstein schon 1905 in seiner Speziellen Relativitätstheorie bewiesen. Die Zeitdehnung ist dabei eine direkte Folge der Lichtgeschwindigkeit als feststehender Naturkonstante. Damit sie immer gleich bleiben kann, unabhängig davon, ob ein Betrachter diesem Lichtstrahl entgegenrast oder stillsteht, muss für den jeweiligen Betrachter die Zeit unterschiedlich schnell vergehen. Je stärker seine Beschleunigung, desto ausgeprägter ist die Zeitdehnung für ihn.

Und hier kommt nun die Gravitation ins Spiel: Mit seinem Äquivalenzprinzip hat Einstein festgestellt, dass Beschleunigung und Gravitation die gleiche Wirkung haben. Wenn demnach eine Beschleunigung die Zeit dehnt, dann muss die Schwerkraft dies auch tun. In der Nähe großer Massen vergeht folglich die Zeit langsamer. Und tatsächlich: Genau dieser Effekt der gravitativen Zeitdehnung lässt sich heute mit Atomuhren messen – sogar auf der Erde. So vergeht auf einem Berggipfel von rund 3.000 Metern Höhe die Zeit um rund 30 Nanosekunden pro Tag schneller als auf Meereshöhe.

Die Krümmung der Raumzeit lenkt das Licht ab - große Massen krümmen das Licht auf sich zu. © scinexx

Abgelenktes Licht

Die Wirkung der Gravitation auf das Licht hat Einstein schon seinem Gedankenexperiment mit dem Fahrstuhl vorweggenommen. Die Erfindung der durch Massen gekrümmten Raumzeit erklärt nun auch, warum dies geschieht. Wenn die Schwerkraft die Raumzeit krümmt, dann muss auch ein Lichtstrahl dieser Krümmung folgen, argumentiert der Physiker. So etwas war in Newtons Universum noch völlig unvorstellbar. Weil Licht keine Masse besitzt, konnte sie nach dessen Gravitationsgesetz auch nicht von der Schwerkraft beeinflusst werden – so jedenfalls die einhellige Lehrmeinung zu dieser Zeit.

Einsteins gekrümmte Raumzeit macht damit Schluss. Nach ihr wirkt die Gravitation auf Licht genauso anziehend wie auf Massen. Rast ein Lichtstrahl an einem schweren Körper wie der Sonne vorbei, wird er daher in Richtung auf ihre Gravitations-„Kuhle“ abgelenkt. Dass dies im Kosmos tatsächlich der Fall ist, wollten Einsteins Zeitgenossen ihm allerdings zunächst nicht recht glauben. Erst ein astronomisches Experiment bestätigte diesen Effekt und bewies damit, dass große Massen sogar das Licht ablenken können.

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Einsteins Kampf mit den Feldgleichungen

Zahlenspiele

Eigentlich hätte Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie schon im Jahr 1911 publik machen können – wenn da nicht die lästige Mathematik wäre. Zwar hatte er die physikalische Seite seiner neuen Sicht auf die Gravitation schon parat, nicht aber die dazu gehörenden Feldgleichungen, jener Satz von Formeln, der seine Theorie mathematisch untermauert und praktisch anwendbar macht.

Eine Seite aus Einsteins Züricher Notzbuch von 1912. In ihm notierte er seine Bemühungen, die Effekte der gekrümmten Raumzeit mathematisch zu beschreiben. © historisch

Das Problem dabei: Einstein ist zwar ein genialer Physiker, aber wie man die Effekte der gekrümmten, vierdimensionalen Raumzeit mathematisch beschreibt, geht über seine Fähigkeiten hinaus – noch jedenfalls. Hilfesuchend wendet er sich deshalb 1912 an seinen Freund, den Mathematiker Marcel Grossmann. Von ihm lässt er sich die nötige Nachhilfe erteilen und paukt erst einmal Mathe.

„Arbeiten wie ein Ross“

Schon kurz darauf beginnt Einstein, die ersten Feldgleichungen niederzuschreiben. Aber so richtig scheint er nicht voranzukommen. Immer wieder glaubt er Fehler zu entdecken, formuliert Gleichungen um, streicht Teile aus. Im Vergleich zur Leichtigkeit, mit der ihm die Idee zugeflogen ist, erscheint dies nun eine mühselige Plackerei.

„Das eine ist sicher, dass ich mich im Leben noch nicht annähernd so geplagt habe“, schreibt Einstein zu dieser Zeit in sein Notizbuch. „Rauchen wie ein Schlot, arbeiten wie ein Ross, Essen ohne Überlegung und Auswahl, Spazierengehen leider selten, schlafen unregelmäßig.“ Was er nicht weiß: Schon 1912 hat er einige Gleichungen aufgestellt, die schon sehr nahe an der richtigen Lösung waren, das zeigt das Notizbuch ebenfalls. Doch der Physiker ist noch nicht so weit, dies zu erkennen und verwirft sie wieder. Drei weitere Jahre formuliert er an den Feldgleichungen herum.

Der Mathematik David Hilbert suchte ab Sommer 1915 ebenfalls nach den Feldgleichungben für Einsteins Relativitätstheorie. © historisch

Kopf-an-Kopf-Rennen

Verschärfend kommt hinzu, dass Einstein ab Mitte 1915 unter Konkurrenzdruck steht: Im Sommer dieses Jahres hält er in Göttingen eine Reihe von Vorträgen, in denen er einige Grundannahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorstelle. Unter den eifrigen Zuhörern ist David Hilbert, einer der begabtesten Mathematiker jener Zeit. Er hakt immer wieder nach und will von Einstein mehr über seine neue Theorie erfahren.

Einstein ist davon durchaus angetan, er weiß aber auch, dass Hilbert ihm mathematisch weit voraus ist. Sollt sich Hilbert entschließen, seinerseits nach den Feldgleichungen für Einsteins Theorie zu suchen, könnte er durchaus schneller fertig sein als der Physiker. Und so kommt es auch: Es entwickelt sich ein Wettlauf zwischen Hilbert und Einstein, dessen Ausgang bis heute umstritten ist. Klar ist nur, dass beide in den letzten Wochen vor der Veröffentlichung der Theorie in häufigem Austausch stehen. Wer dabei wen korrigiert und möglicherweise kopiert hat, lässt sich jedoch kaum mehr nachvollziehen.

Der Merkur passt

Der erste Durchbruch für Einstein kommt Mitte November 1915. Er beschließt, seine immer wieder veränderten und korrigierten Gleichungen an einem praktischen Fall zu testen: der Bahn des Merkur und im Speziellen der Periheldrehung. Und tatsächlich: Die Gleichungen ergeben, dass der sonnennächste Punkt der Merkurbahn pro Jahrhundert um 43 Bogensekunden weiterwandert – genau wie es astronomische Beobachtungen zeigen.

Einstein ist erleichtert: „Ich war tagelang außer mir vor Freude und Aufregung“, erzählt er später einem Kollegen. Und er merkt an: „Wie hilfreich ist die pedantische Genauigkeit der Astronomie, über die ich mich im Stillen oft lustig gemacht habe.“ Mathematisch kann er nun beschreiben, wie und warum die Gravitation der Sonne den Merkur auf diese leicht eiernde Bahn bringt. Dieses Ergebnis stellt Einstein am 18. November 1915 in Berlin vor der Akademie der Wissenschaften vor.

Titelseite der von Einstein am 25. November 1915 vorgestellten Feldgleichungen der Gravitation. © historisch

Es ist soweit

Noch allerdings sind Einsteins Feldgleichungen nicht komplett. Er arbeitet fieberhaft, um sie rechtzeitig zum 25. November 1915 fertig zu bekommen – dem Termin seines nächsten Vortrags vor der Berliner Akademie der Wissenschaften. Hilbert reicht seine Version der Feldgleichungen dagegen bereits am 20. November 1915 bei einem Göttinger Fachjournal ein, fünf Tage, bevor Einstein seine Arbeit mit den fertigen Gleichungen an der Akademie vorstellen soll.

Doch der Physiker behält die Nase vorn: Während Hilberts Fachartikel noch das Korrekturprozedere durchläuft, kann Einstein seine fertigen Feldgleichungen wie geplant am 25. November 1915 vor den versammelten Fachkollegen vorstellen. Die Reaktion fällt aber zunächst nicht so begeistert aus, wie Einstein sich das vorgestellt hat. Viele Physiker sind zwar beeindruckt von diesem revolutionären Wurf, bleiben aber gerade wegen dieser innovativen Sicht skeptisch. Ihnen fehlt der experimentelle Beweis – noch.

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Eine Sonnenfinsternis und verschobene Sterne

Der erste Beweis

29. Mai 1919: Am Himmel über Westafrika geschieht etwas: Der Mond schiebt sich vor die Sonne und verdunkelt sie – eine Sonnenfinsternis. Eine solche Eklipse ist zwar ein faszinierendes Schauspiel, aber so selten nun auch wieder nicht. Dennoch sorgt diese Finsternis auf fast der ganzen Welt für gespannte Erwartung. Der Grund: Diese Verdunkelung der Sonne könnte den entscheidenden Beweis für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erbringen.

Der Astronom Arthur Stanley Eddington trug dazu bei, die Verzerrung des Lichts durch die Gravitation zu beweisen. © Smithsonian Institution /historisch

Verzerrte Sternenpositionen als Beweis

Nach Einsteins Theorie krümmen große Massen die Raumzeit und als Folge wird selbst das Licht in der Nähe eines solchen Körpers abgelenkt. Übertragen auf den Himmel bedeutet dies: Wenn das Licht ferner Sterne dicht an der Sonne vorbeistrahlt, dann müsste die Schwerkraft der Sonne seine Bahn leicht verändern. Die scheinbare Position der Sterne erschiene verzerrt.

Dummerweise lässt sich dies aber unter normalen Umständen nicht nachweisen, weil die Sonne jeden noch so hellen Stern überstrahlt. Deshalb kommt hier die Sonnenfinsternis ins Spiel: Während der Mond die helle Sonnenscheibe verdeckt, wird es gerade dunkel genug, um nahe Sterne noch erkennen zu können. Vergleicht man ihre Position nun mit der zu einem Zeitpunkt, an dem die Sonne weit von ihnen entfernt steht, kann man feststellen, ob es eine Verzerrung durch die Sonnenschwerkraft gibt.

Optische Instrumente zur Beobachtung der Sonnenfinsternis im Mai 1919 in Sobral. © C. Davidson/ historisch

Expedition mit Hindernissen

Genau diesen Effekt will am 29. Mai 1919 der britische Astronom Arthur Eddington mit seinem Team überprüfen. Er hat über Umwege von Einsteins neuer Theorie der Gravitation und ihren Auswirkungen auf das Licht erfahren – denn 1915 lagen Deutschland und England noch im Krieg. Begeistert studiert Eddington Himmelskarten und findet heraus, dass die Sonne während ihrer Verfinsterung dicht an dem gut sichtbaren Sternehaufen der Hyaden stehen wird.

Allerdings: solange der Erste Weltkrieg andauert, hat der Astronom kaum eine Chance, die spezialisierten Teleskope zu bekommen, die er für die Beobachtung benötigt. Die Zeit wird knapp. Als der Krieg im November 1918 endet, muss daher alles sehr schnell gehen. Doch Eddington hat Glück: Er und sein Team können im Februar 1919 per Schiff nach Principe, einer kleinen Insel im Golf von Guinea, aufbrechen. Ein zweites Team schifft sich nach Sobral in Brasilien ein, um die Messungen von dort aus durchzuführen.

Als der entscheidende Moment endlich da ist, droht alles in letzter Minute zu scheitern: Der Himmel über Principe ist bewölkt und in Sobral hat der große Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht die Optiken verzogen. Dennoch gelingt es beiden Teams, ein paar Aufnahmen des Himmels im Umfeld der Sonne zu machen. Zurück in Großbritannien, machen sich die Astronomen nun daran, ihre Daten auszuwerten.

Diese Aufnahme machte Eddington während der Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919. Schwach zu erkennen sind die Positionen einiger Sterne. © historisch

Superstar Einstein

Am 6. November 1919 ist es endlich soweit: Eddington und seine Mitstreiter veröffentlichen die Ergebnisse ihrer Messungen. Und tatsächlich: Das Team aus Sobral kommt auf eine Positionsverschiebung von 1,98 Bogensekunden, Eddington hat in Principe eine Verzerrung von 1,61 Bogensekunden gemessen. Damit liegen beide weniger als zwei Standardabweichungen von Einsteins errechnetem Wert von 1,74 entfernt. Seine Theorie ist damit bestätigt.

Die Nachricht vom Beweis der Allgemeinen Relativitätstheorie geht um die Welt – und macht Einstein fast über Nacht zum Star. Die London Times titelt am nächsten Tag: „Revolution in der Wissenschaft – Neue Theorie des Universums“. Und auch in anderen Ländern ziert nun Einsteins Konterfei die Titelseiten der Zeitungen, erscheinen populärwissenschaftliche Texte, die die Bedeutung der neuen Theorie für das physikalische Weltbild erklären.

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015

Warum Einsteins Theorie so aktuell und relevant ist

Und heute?

Bis heute ist Albert Einstein ein echter Star. Selbst Menschen, die sich keinen Deut für Wissenschaft interessieren, kennen seinen Namen. Seit Jahren führt er zudem unangefochten die Rangliste der populärsten Nobelpreisträger aller Zeiten an. Und das durchaus zu Recht. Denn obwohl seine Allgemeine Relativitätstheorie inzwischen ein Jahrhundert alt ist, hat sie alle experimentellen Tests mit Bravour überstanden und nichts von ihrer Bedeutung verloren. Ohne sie wären bedeutende Erkenntnisse über unser Universum bis heute verborgen.

Einstein mit seinem charakteristisch wirren Haarschopf ist heute eine Ikone der Wissenschaft. Hier ein Portrait des Physikers aus dem Jahr 1921. © Ferdinand Schmutzer/ historisch

„Es ist natürlich die Relativität, die Einsteins Namen in aller Munde brachte“, schrieb Einsteins späterer Kollege Banesh Hoffmann vom Queen’s College in New York zu dessen 70. Geburtstag. „Es kann keine Frage darüber geben, dass diese eine revolutionäre Errungenschaft ihn bis heute aus allen heraushebt.“ Und der Physiker Max Born bezeichnete die Relativitätstheorie als „die größte Bravourtat menschlichen Denkens über die Natur und die erstaunlichste Kombination von philosophischer Durchdringung, physikalischer Intuition und mathematischem Können.“

Alle Tests mit Bravour bestanden

Aber welche Bedeutung hat die Allgemeine Relativitätstheorie heute tatsächlich? Klar ist, dass sie die Basis für die gesamte moderne Kosmologie bildet. Denn Phänomene wie Neutronensterne, Schwarze Löcher oder Gravitationslinsen ließen sich ohne sie nicht physikalisch erklären – und dienen gleichzeitig als experimenteller Test für Einsteins Theorie. Auch die Krümmung der lokalen Raumzeit durch die Schwerkraft und Rotation der Erde lässt sich inzwischen messen.

Diese Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble zeigt den Gravitationslinsen-Effekt: Die Galaxie im Zentrum verzerrt das Licht dahinterliegender Lichtquellen zu einem Ring. © NASA/STScI, ESA

„Wir haben die Allgemeine Relativitätstheorie inzwischen auf unzählige Arten getestet“, sagt Roger Blandford von der Stanford University. „Aber es gibt bisher keine glaubwürdige Messung oder Beobachtung, die einen an der Theorie im Rahmen ihrer Gültigkeit zweifeln lassen.“ Sogar für die von Einstein postulierten Gravitationswellen, Schwingungen der Raumzeit, die durch die Wechselwirkung sehr großer Massen auftreten, gibt es zumindest indirekte Hinweise.

Der direkte Nachweis dieser Wellen steht allerdings bisher aus. Die dafür gebauten Detektoren Geo600, Virgo und LIGO sind noch nicht empfindlich genug, um die winzigen Dehnungen und Stauchungen zu registrieren, die die Gravitationswellen auf der Erde hervorrufen. Aber das könnte sich in naher Zukunft mit der nächsten Generation dieser Detektoren ändern. In den nächsten Tagen startet zudem die LISA Pathfinder-Sonde der ESA. Sie wird im Weltall eine weitere Technologie testen, mit der ab 2034 eine Folgesonde Gravitationswellen aufspüren soll.

Von GPS bis Schrödingers Katze

Aber auch ganz alltägliche Technik ist ein sozusagen lebender Beweis für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie: Würde man den von Einstein vorhergesagten Effekt der Gravitation auf die Zeit nicht berücksichtigen, wäre das GPS-System grauenvoll ungenau. Denn die Atomuhren auf den GPS-Satelliten sind einer geringeren Schwerkraft ausgesetzt als die irdischen Empfänger und gehen daher schneller. Weil aber die Ortung auf der Laufzeit der Funksignale basiert, würde unser Navi uns hoffnungslos in die Irre führen, wenn diese Zeitdehnung nicht mit eingerechnet wäre.

Schrödingers Katze: Dieses Gedankenexperiment gilt nur in der Welt der kleinsten Teilchen © Dhatfield/ CC-by-sa 3.0

Diese Zeitdehnung könnte einer aktuellen Studie nach sogar erklären, warum Phänomene der Quantenphysik wie die Überlagerung von Zuständen – Schrödingers berühmte Katze – nicht in der Makrowelt funktionieren: Winzige Unterschiede im Zeitverlauf, beispielsweise zwischen den Atomen in unserem Kopf und unseren Füßen, stören die Kohärenz und verhindern so diesen Quantenzustand bei größeren Objekten.

Die „Eselei“ und ihre triumphale Rückkehr

Und sogar die kosmologische Konstante, die Einstein selbst einmal als „meine größte Eselei“ bezeichnet haben soll, ist heute aktueller denn je. Einstein fügte diese Konstante Lambda nachträglich ein, weil seine Formel sonst nicht der damals vorherrschenden Vorstellung eines statischen Universums genügen würde. Als dann Edwin Hubble bewies, dass sich das Universum ausdehnt, entfernte er sie wieder – und hielt sie für einen Fehler.

Inzwischen allerdings erlebt die kosmologische Konstante eine Renaissance. Denn 1998 entdeckten Astronomen bei der Vermessung ferner Supernovae, dass sich unser Universum nicht nur ausdehnt – es wird dabei sogar immer schneller. Der Grund dafür ist höchstwahrscheinlich die Dunkle Energie, eine geheimnisvolle Kraft, die der Gravitation entgegenwirkt und dadurch die Expansion antreibt. Ihr Einfluss jedoch lässt sich in Einsteins Gleichungen sehr gut mit der kosmologischen Konstante beschreiben. „Einsteins größter Fehler erweist sich damit aus moderner Sicht eher als eine seiner außergewöhnlichsten Einsichten“, meint Blandford.

Und auch der Rest der Allgemeinen Relativitätstheorie ist heute noch so wegweisend und aktuell wie vor hundert Jahren: „Die Landschaften, die Einstein uns enthüllte, bleiben auch heute noch bemerkenswert lebendig und fruchtbar“, kommentiert der Physiker Brian Greene. „Einsteins Allgemeine Relativität ist fest in das Gewebe heutiger Spitzenforschung eingewoben.“

Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015