Wie taktile Reize unser (Er-)Leben beeinflussen

Die Macht der Berührung

Berührung ist nicht nur schön, sondern überlebenswichtig. © Teksomolika/ iStock.com

Ein zufälliges Streifen am Arm, ein fester Händedruck oder eine innige Umarmung: Körperkontakt gehört zu unserem Alltag selbstverständlich dazu – und das nicht ohne Grund. Denn Berührungen sind nicht nur einfach schön, sie sind überlebenswichtig. Sie ermöglichen erst die gesunde Entwicklung von Neugeborenen, beeinflussen unser psychisches Wohlergehen, stärken das Immunsystem und wirken sogar wie Medikamente.

Die Haut ist nicht nur unser größtes, sondern auch eines unserer wichtigsten Sinnesorgane. Über ihre Tastsensoren versorgt sie uns mit wichtigen Informationen aus unserem Umfeld, lässt uns zwischen Ich und Außenwelt unterscheiden und macht uns zu einem empfindsamen Wesen. Werden wir von einem anderen Menschen berührt, setzt das im Körper ein regelrechtes Feuerwerk in Gang: Es werden Botenstoffe frei, die den Zustand von Leib und Seele bedeutend beeinflussen.

Nur wenn sich Neugeborene immer wieder die Nähe einer liebenden Bezugsperson ertasten können, entwickeln sie sich optimal. Der positive Effekt von intensivem Hautkontakt nach der Geburt zeigt sich dabei noch bis ins Schulalter hinein. Auch Erwachsene brauchen Berührung, damit es ihnen gut geht. So fördern Streicheleinheiten eine gute Stressbewältigung und machen weniger anfällig für Krankheiten. Umgekehrt kann gezielter Körperkontakt als Therapie bei bestimmten Erkrankungen eingesetzt werden – und unter anderem depressiven Patienten helfen.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Wie Hautkontakt die frühkindliche Entwicklung steuert

Gesund durch Mamas Nähe

Mit Berührung fängt alles an. Der erste, intensive Kontakt zwischen Mutter und Kind nach der Geburt findet über den Tastsinn statt. Noch bevor der Säugling richtig die Augen geöffnet hat, kann er Körperwärme und streichelnde Hände spüren. Das Zusammenspiel von Sinneszellen der Haut und dem Gehirn ist so gut ausgeprägt wie kein anderer Sinn zu diesem Zeitpunkt – und entwickelt sich erstaunlich früh.

Körperkontakt stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind - und fördert die Entwicklung des Babys. © Feverpitched/ iStock.com

Schon in der achten Schwangerschaftswoche nimmt der Embryo sich selbst und seine Umgebung über die Haut wahr. Er reagiert auf Reize im Lippenbereich und greift wenige Wochen später nach der Nabelschnur. Auch die Grenzen des immer enger werdenden Mutterleibs erfährt er auf diese Weise.

Hat das Neugeborene diesen schützenden Kokon verlassen, ist Körperkontakt das, was ihm Geborgenheit gibt. Auf dem Bauch der Mutter beruhigt es sich nach dem stressigen Geburtsvorgang schnell. Saugt es dann zum ersten Mal an der Brust, entsteht eine noch stärkere körperliche Verbindung.

Frühchen profitieren vom Känguruen

Der Kontakt zur Mutter und anderen Bezugspersonen ist für die gesunde Entwicklung des Kindes von enormer Bedeutung. Die angenehmen Reize auf der Haut stellen dabei nicht nur das für die Psyche wichtige Gefühl von Sicherheit her und stärken die soziale Bindung. Sie fördern auch die Reifung des Gehirns sowie die Ausschüttung von Wachstumshormonen.

Vor allem Studien mit Frühgeborenen offenbaren, wie wichtig die stete Berührung ist: Zwar brauchen Frühchen die Intensivmedizin zum Überleben und müssen durch ärztliches Personal betreut werden. Ihre Entwicklung aber kann bedeutend verbessert werden, wenn sie regelmäßig den Inkubator verlassen und für längere Zeit gut zugedeckt auf der nackten Brust der Eltern liegen dürfen.

Studien zeigen: Die Kinder legen dank der sogenannten „Känguru-Methode“ schneller an Gewicht und Kopfumfang zu. Zudem leiden sie seltener an schweren Infektionen, schreien weniger und schlafen ruhiger. Oft können Neugeborene, die auf diese Weise die intensive Nähe ihrer Eltern genießen, früher aus dem Krankenhaus entlassen werden. Vor allem bei sehr kleinen Frühchen scheint das Känguruen sogar die Sterblichkeit zu reduzieren.

Effekte bis ins Schulalter hinein

Doch die Berührung wirkt sich nicht nur unmittelbar auf das Wohlergehen der Babys aus. Offenbar profitieren Kinder noch bis ins Schulalter hinein von dem vermehrten Hautkontakt nach der Geburt. So stellten israelische Wissenschaftler im Rahmen einer Untersuchung fest, dass frühgeborene Kinder in ihrer ersten Lebensdekade besser schliefen, weniger stressanfällig und kognitiv leistungsfähiger waren, wenn bei ihnen die Känguru-Methode praktiziert worden war.

Dabei scheint das Känguruen sogar einige für Frühgeborene typische Defizite in der Gehirnentwicklung vollständig ausgleichen zu können – unter anderem in den für die Bewegungssteuerung und Koordination wichtigen Bereichen, wie ein kanadisches Forscherteam herausfand.

15-Jährige, die lange vor ihrem errechneten Geburtstermin zur Welt gekommen und mit dieser Methode betreut worden waren, zeigten demnach im Motorcortex vergleichbare Hirnreaktionen wie zum Geburtstermin Geborene. Im Vergleich dazu schnitten Jugendliche, die als Frühchen lediglich standardmäßig behandelt worden waren, etwas schlechter ab.

Sich als Baby die Nähe liebender Bezugspersonen immer wieder ertasten zu können, setzt demzufolge Prozesse in Gang, die den weiteren Verlauf des Lebens maßgeblich mitbestimmen – womöglich ist diese Fähigkeit sogar überlebenswichtig: Wird gesunden Affenbabys der Körperkontakt zur Mutter entzogen, können sie sterben.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Warum uns Körperkontakt das Leben erleichtert

Wohltat für Leib und Seele

Nicht nur als Babys brauchen wir Berührung, damit es uns gut geht. „Berührungen haben für Lebewesen einen Stellenwert wie die Luft zum Atmen“, hat der Psychologe Martin Grunwald einmal in einem Interview mit „Die Zeit“ konstatiert. Man könnte auch sagen: Nur mithilfe von körperlicher Nähe können wir die Herausforderungen unseres Alltags problemlos meistern.

In allen drei Schichten der Haut sitzen Tastsensoren wie die auf Druck spezialisierten Meissner-Körperchen. © medOCT-group/ CC-by-sa 2.0

Auf Berührungsreiz folgt Gehirnreaktion

Das Geheimnis hinter der Macht der Berührungen steckt in den Prozessen, die sie im menschlichen Körper auslösen. Werden wir angefasst, wird dieser Reiz von verschiedenen Arten von Berührungssensoren in der Haut aufgenommen. Diese spezialisierten Rezeptoren sitzen in allen drei Schichten der anderthalb bis zwei Quadratmeter großen Schutzhülle um unser Körperinneres, von der Epidermis über die Leder- bis zur Unterhaut.

Dort registrieren sie so unterschiedliche Reize wie Druck, Dehnung, Vibration oder Schmerz. Über Nervenbahnen melden die Sinneszellen ihre Erregung dem Gehirn. Die eingehenden Signale haben es in sich, denn sie können unsere Psyche entscheidend beeinflussen. So veranlassen sie bei angenehmen Berührungen zum Beispiel, dass Botenstoffe wie das „Glückshormon“ Dopamin oder das als Bindungs- und Kuschelhormon bekannte Oxytocin ausgeschüttet werden. Gleichzeitig dämpfen sie das Stresszentrum und führen dazu, dass der Cortisol-Spiegel sinkt.

Angenehme Berührungen setzen Glückshormone frei. © Charlotte Na/ Freeimages

Hilfe bei der Stressbewältigung

Berührungen können deshalb beruhigend wirken, Ängste nehmen und uns stressige Situationen besser meistern lassen. Experimente zeigen: Frauen schneiden in psychosozialen Stresstests grundsätzlich besser ab, wenn sie zuvor oder währenddessen die körperliche Nähe ihres Partners genießen durften – sei es in Form von Händchenhalten oder einer Schulter-Nacken-Massage.

Tatsächlich scheint die emotionale Beruhigung auch das Sozialverhalten sowie die kognitive Leistungsfähigkeit zu beeinflussen. So haben Wissenschaftler herausgefunden, dass sich Teilnehmer strategischer Spiele kooperativer verhalten, wenn sie einander ab und zu anfassen – und dass Berührungen gedankliche Blockaden lösen können. Letzteres funktioniert sogar, wenn wir uns selbst berühren. Unbewusst scheinen wir das zu wissen. Denn mit Ausnahme von Affen ist der Mensch das einzige Tier, dass sich ohne erkenntlichen Grund von außen hin und wieder ins Gesicht fasst – vor allem in stressigen Situationen.

Vor kurzem haben Leipziger Forscher nachgewiesen, was diese Selbstberührung im Gehirn bewirkt. Im Experiment berührten Probanden immer dann ihr Gesicht, wenn der Arbeitsspeicher ausgelastet war und das Hirn Zeichen emotionaler Belastung zeigte. Nach der Berührung veränderte sich die Situation dann deutlich: Es schien, als habe die spontane Gesichtsberührung dabei geholfen, sowohl Störungen der Informationsverarbeitung als auch das Stressempfinden zu beheben.

Stärkung fürs Immunsystem

Wenn sich das emotionale Empfinden ändert, profitiert auch der Körper. Die durch Berührungen ausgeschütteten Botenstoffe können deshalb dabei helfen, gesund zu bleiben. Sie senken Pulsschlag und Blutdruck – bei regelmäßigem Kuscheln sogar langfristig. Auf diese Weise vermag Berührung das Risiko für koronare Herzerkrankungen zu vermindern.

Auch das Immunsystem ist ein Nutznießer von Streicheleinheiten. Regelmäßige Umarmungen oder Massagen stärken die Immunreaktion, indem sie unter anderem die Anzahl der natürlichen Killerzellen im Blut erhöhen. Welchen durchschlagenden Effekt das hat, offenbart ein Experiment von Sheldon Cohen und seinen Kollegen von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh: Das Team befragte 404 Probanden nach ihren sozialen Kontakten und infizierte sie anschließend mit Erkältungsviren.

Das Ergebnis: Wer zuvor angegeben hatte, intensive emotionale Unterstützung von seinen Mitmenschen zu erfahren und oft in den Arm genommen zu werden, bekam seltener Schnupfen. Setzten sich die Viren trotz Kuschelschutz durch, waren die Symptome immerhin weniger stark und langanhaltend als bei anderen Testpersonen. „Je mehr Umarmungen jemand bekam, umso besser war er vor Infekten geschützt“, sagt Cohen.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Was Streicheleinheiten angenehm macht

Vom Fühlen zum Gefühl

Für sein seelisches Wohlergehen braucht der Mensch Berührung. Doch längst nicht jeder Hautkontakt wirkt als Seelenstreichler. Entscheidend ist, dass die Berührung angenehm ist. Nur dann schüttet der Körper „Glückshormone“ aus, baut Stressbotenstoffe ab und das Herz schlägt langsamer. Wir reagieren deshalb auf sanfte Streicheleinheiten anders als auf ein festes Zupacken, auf die Berührung einer vertrauten Person anders als auf die eines völlig Fremden. Wie aber entscheidet das Gehirn, wie es eingehende Reize interpretiert?

"Kuschelsensoren" reagieren besonders auf handwarme, sanfte Berührungen - deshalb sind Streicheleinheiten so angenehm. © Hemera/ iStock.com

„Streichelrezeptoren“ in der Haut

Neurowissenschaftler um Håkan Olausson von der Universität Göteborg entdeckten 2002, dass es für die emotionale Bewertung von Berührungen in der menschlichen Haut offenbar ein eigenes System gibt: die sogenannten C-taktilen Nervenzellen. Während andere Hautnerven innerhalb weniger Millisekunden Informationen über die Art und den Ort eines Kontakts an den bewussten Teil des Gehirns senden, schicken diese viel langsamer leitenden Neurone parallel dazu Signale an das Gefühlszentrum. Damit vermitteln sie ganz unbewusst, ob eine Berührung angenehm oder unangenehm ist – und machen aus dem reinen Fühlen ein Gefühl.

Wie die Forscher inzwischen herausfanden, reagiert das C-taktile Netz dabei am stärksten auf sanften Kontakt und insbesondere auf handwarme sowie langsame bis mittelschnelle Berührungen – genau jene Reize, die natürlicherweise von Streicheleinheiten ausgehen. Interessanterweise sind jedoch nur behaarte Hautbereiche von den „Kuschelsensoren“ durchzogen. Auch in den Genitalien gibt es diese Rezeptoren nicht. Demnach spielt das CT-Netzwerk für sexuelle Stimulation keine Rolle. Vielmehr dient es hauptsächlich dazu, soziale Nähe zu vermitteln, glauben Olausson und seine Kollegen.

Weiche Illusion fördert soziale Berührungen

Tatsächlich empfinden wir nicht nur wohlige Gefühle, wenn wir selbst sanft angefasst werden – sondern auch, wenn wir jemand anderen streicheln: „Man kann eine andere Person nicht berühren, ohne selbst berührt zu sein“, sagen Antje Gentsch und ihre Kolleginnen vom University College London.

Und noch etwas ist einzigartig an dieser Wahrnehmung, wie das Forscherteam vor kurzem bei einem Experiment feststellte: Unser Tastsinn lässt uns die Haut des anderen bei sanften Berührungen grundsätzlich weicher erscheinen als unsere eigene, wenn wir uns selber streicheln. Diese Weichheits-Illusion löst eine positive Reaktion im Belohnungszentrum aus. Sie verführt uns dazu, noch mehr von dem angenehmen Gefühl zu wollen, fördert auf diese Weise soziale Berührungen und wirkt wie ein Kitt in unseren Beziehungen.

Die Wissenschaft weiß damit nun, warum streicheln und gestreichelt werden glücklich – und manchmal sogar süchtig – macht. Klar scheint jedoch auch: Als wie angenehm wir eine Streicheleinheit empfinden, hängt nicht ausschließlich von der Berührung selbst ab. Auch andere Faktoren wie der Kontext, vorherige Erfahrungen und die aktuelle Stimmungslage spielen eine Rolle dabei.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Wie Massage Krankheitssymptome lindern kann

Heilsame Handgriffe

Die wohltuende Wirkung von Berührung ist inzwischen so gut belegt, dass Mediziner sie gezielt als Therapie einsetzen. Das Mittel Hautkontakt bildet zwar selten den einzigen Baustein der Behandlung – vor allem als Ergänzung hat es sich jedoch in vielen Bereichen bewährt. Immer mehr in den Fokus von Sinnesforschern ist dabei in der Vergangenheit eine der ältesten Heilmethoden der Menschheit gerückt: die Massage.

Schon der griechische Arzt Hippokrates war seinerzeit überzeugt: „Der Arzt muss viele Dinge beherrschen, in jedem Fall aber das Reiben.“ Damals wie heute kommt die klassische Massage hauptsächlich zum Einsatz, um die Muskulatur zu lockern, die Durchblutung zu steigern und Gewebeverklebungen zu lösen. Doch der Wirkungsbereich des medizinischen Drücken und Reibens geht weit darüber hinaus.

Massagen wirken schmerzlindernd und steigern das seelische Wohlbefinden. © Karel Noppe/ iStock.com

Massage statt Schmerzmittel

Einer der positiven Effekte von Massagen ist ihre schmerzlindernde Wirkung. Mit gezielten Handgriffen lässt sich nachweislich eine ähnliche biologische Wirkung erzielen wie durch gängige Analgetika: In den Muskelzellen wird die Ausschüttung entzündungsfördernder Substanzen wie Zytokinen gehemmt. Zudem bilden sich vermehrt Mitchondrien, die Energielieferanten des Zellstoffwechsels. Das fördert Heilungsprozesse auf Zellebene.

Studien belegen: Patienten mit chronischen Schmerzen oder schweren Erkrankungen wie Krebs benötigen weniger Schmerzmittel, wenn sie regelmäßig massiert werden. Außerdem haben die Behandelten weniger Ängste, weniger Stress und sind insgesamt in besserer Stimmung.

Hilfe für depressive Patienten

Genau aus diesem Grund kann die Methode auch Menschen mit Depressionen helfen. Der Pharmakologe Bruno Müller-Oerlinghausen gehörte Anfang der 2000er Jahre zu den ersten Medizinern, die den Effekt von Massagen auf stationär behandelte depressive Patienten im Rahmen einer kontrollierten Studie untersuchten. Insgesamt 32 Probanden nahmen dafür im Abstand von wenigen Tagen an jeweils drei sogenannten Slow Stroke-Massagen sowie drei Kontrollterminen teil, bei denen sie andere Entspannungs- und Wahrnehmungsübungen ohne körperliche Berührung praktizierten.

Dabei zeigte sich: Zwar wirkten sich beide Maßnahmen zumindest kurzfristig positiv auf die Stimmung der Patienten aus – bei den sanft und mit langsamen Bewegungen ausgeführten Massagen war der Effekt jedoch im Vergleich deutlich stärker. Die Versuchspersonen fühlten sich danach akut besser, wie sie durch verschiedene Formulierungen zum Ausdruck brachten: „Patienten sprachen davon, dass sie nicht mehr die Gummihaut spürten, die sonst immer um sie sei, oder dass ein großer Stein von ihrer Brust genommen wurde“, schreiben die Forscher.

Besonders erstaunlich war für Müller-Oerlinghausen und seine Kollegen, dass die Patienten berichteten, die therapeutische Berührung tatsächlich genossen zu haben. Denn oft können sich depressive Menschen nur schwer über etwas freuen oder Lust an Etwas empfinden – der sanfte Körperkontakt scheint da eine Ausnahme zu bilden.

Auf den Druck kommt es an

Dass Massagen bei etlichen Krankheitsbildern eine positive Wirkung entfalten können, bestätigt auch eine Übersichtarbeit aus dem Jahr 2014. Tiffany Field von der University of Miami kommt darin jedoch zu dem Schluss, dass nicht jede Technik gleich viel hilft. Demnach sind vor allem Massagen mit mittlerem Druck effektiv – das spiegelt sich auch im Gehirn der Behandelten wider: Mit moderatem Druck ausgeführte Massagen verändern laut Field die Aktivität in Hirnregionen wie der Amygdala, dem Hypothalamus und dem anterioren Gyrus cinguli. „All diese Bereiche hängen mit der Regulation von Stress und Emotionen zusammen“, so die Psychologin. Allerdings: Welche neurophysiologischen und biochemischen Mechanismen dieser Wirkweise im Detail zugrunde liegen, müsse die Forschung erst noch klären.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Wie ein Neoprenanzug Magersüchtigen hilft

Korrigiertes Körperbild

Anstatt auf die therapeutische Wirkung fremder Hände auf der Haut setzt der Haptik-Forscher Martin Grunwald von der Universität Leipzig auf die Berührung durch enganliegende Neoprenanzüge. Seine Patienten: Menschen mit Magersucht. Für die Behandlung ihrer Anorexia nervosa sollen sie mindestens dreimal am Tag für eine Stunde in maßgeschneiderte Kautschuk-Anzüge schlüpfen, die normalerweise Taucher oder Surfer tragen. Was steckt hinter dieser seltsam anmutenden Methode?

Enge Neoprenanzüge sollen die Körperwahrnehmung von Magersüchtigen verbessern. © Susan Daniels/ iStock.com

Verarbeitungsstörung im Gehirn

Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass bei Magersüchtigen das sogenannte Körperschema gestört ist. Das heißt: Sie nehmen ihren Körper mental anders wahr als er in Wirklichkeit aussieht. „Nach unserer Ansicht liefert das haptische System die psychophysiologischen Basisdaten für das Konstrukt Körperschema“, erklärt die Forschergruppe um Grunwald ihren Ansatz. „Störungen des Körperschemas sind daher aus unserer Sicht die Folge elementarer Verarbeitungs- beziehungsweise Wahrnehmungsstörungen im Bereich des Tastsinns.“

Tatsächlich lassen sich solche Störungen im Gehirn von Patienten erkennen: Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Körperbildern zuständig sind, weisen bei Magersüchtigen zum Teil eine geringere Zelldichte auf. Zudem sind sie auch funktionell schwächer verbunden als bei Gesunden und kommunizieren demnach weniger gut miteinander. Je stärker dieser Verbindungsfehler ist, desto dicker finden sich die Betroffenen, wie ein Team um den Neurowissenschaftler Boris Suchan von der Ruhr-Universität Bochum im Test mit weiblichen Patienten herausfand: „Diese Auffälligkeiten könnten erklären, warum Frauen mit Magersucht sich selbst als dick wahrnehmen, obwohl sie objektiv untergewichtig sind“, sagt Suchan.

Korrektur durch haptische Reize

Wie es zu dieser gestörten Wahrnehmung kommt, ist unklar. Grunwalds Team glaubt jedoch, dass ein Mangel an Körperkontakt in bestimmten Entwicklungsphasen der Kindheit ein gestörtes Körpergefühl, und damit das Auftreten von Anorexie, begünstigen kann. Die Idee der Forscher: Komplexe Körperreize und -erfahrungen können dem Gehirn helfen, den Körper wieder angemessen wahrzunehmen – und diese korrigierenden Reize soll ein Neoprenanzug liefern. Denn das enge Kleidungsstück übt einen steten Druck auf Haut und Gelenke des Trägers aus. Dadurch bekommt das Gehirn deutliche Informationen darüber, wo der Körper wirklich endet.

Unter anderem in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Berliner Charité und am Universitätsklinikum Salzburg sind die Neoprenanzüge bereits erfolgreich erprobt worden. Es scheint, dass sich eine Mehrheit der Behandelten durch die Anzüge deutlich besser fühlt und über ein realeres Körperbild verfügt.

Repräsentative Studien zur Wirksamkeit der ungewöhnlichen Therapiemethode gibt es bislang allerdings noch nicht. Ende 2016 sollen jedoch erste Ergebnisse einer Pilotstudie vorliegen. Die Wissenschaftler wollen dabei vor allem überprüfen, ob der positive Effekt, von dem die Patienten vielfach berichten, auch langfristig anhält.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Warum Kuschelpartys so erfolgreich sind

Hunger nach Berührung

Zwanzig Minuten pro Tag – so lautet die offizielle Kuschelverordnung von Ärzten. Schätzungsweise so viel Körperkontakt braucht der Mensch nämlich, um sich richtig wohlzufühlen. Das zumindest legen Versuche mit Massagebehandlungen nahe. Bei Probanden, die so lange massiert wurden, zeigten sich deutliche positive Effekte auf Körper und Psyche. Auch unter Normalbedingungen, so glauben Forscher, müssten diese zwanzig Minuten eine ähnliche Wirkung zeigen.

Unsere Gesellschaft leidet unter Berührungsmangel, sagen Forscher. © Moodboard/ iStock.com

Doch egal ob Massage, wohlwollende Schulterklopfer, feste Umarmungen oder intimes Kuscheln: Das Berührungssoll zu erfüllen, ist im Alltag oft gar nicht so leicht. So ist der Anteil der Singlehaushalte in Deutschland inzwischen auf rund 40 Prozent gestiegen, Paare führen oft Fernbeziehungen – und selbst beim gemeinsamen Zusammenleben berühren Liebende einander mit der Zeit immer seltener, wie Studien belegen. Dass heutzutage ein Großteil der Kommunikation über das Smartphone und soziale Netzwerke abläuft anstatt offline stattzufinden, trägt auch nicht unbedingt zu vermehrtem Körperkontakt bei.

„Chronischer Berührungsmangel“

Manche Wissenschaftler sehen diese Entwicklung mit Sorge. Der Physiologe Cem Ekmekcioglu von der Medizinischen Universität Wien geht sogar so weit, der heutigen Gesellschaft einen „chronischen Berührungsmangel“ zu attestieren – und warnt in seinem Buch „Drück mich mal“ davor, dass Seele und Körper unter der modernen berührungslosen Lebensroutine erodierten. „Obwohl wir auf angenehme Berührungen angewiesen sind und sie uns extrem gut tun, strengen wir uns wenig an, sie zu bekommen. Abgesehen von sexueller Erregung lassen wir unseren Hautsinn verkümmern“, so sein ernüchterndes Urteil.

Tatsächlich aber scheint das Bedürfnis nach körperliche Nähe jenseits von Sex bei vielen Menschen groß zu sein. Auf die Frage, was sie glücklich macht, gibt mehr als die Hälfte der Deutschen in einer vom Marktforschungsinstitut Innofact durchgeführten Umfrage an erster Stelle an: eine liebevolle Umarmung. Auch einer Befragung der Online-Partnervermittlung Elitepartner zufolge sehnen sich 61 Prozent der Single-Frauen und 48 Prozent der alleinstehenden Männer vor allem nach Umarmungen.

Kuscheln als Dienstleistung

Wer sich Nähe wünscht, aber niemanden zum Umarmen hat, setzt oft auf Ersatzangebote – zum Beispiel in Form von Wellnessbehandlungen. Doch längst hat sich daneben ein Markt entwickelt, der sich den Bedürfnissen solcher Menschen ganz gezielt widmet und Kuscheln als Dienstleistung anbietet: Auf sogenannten Kuschelpartys etwa treffen sich Erwachsene, um in einem geschützten Rahmen körperliche Nähe auszutauschen, zwanglos und ohne Hintergedanken. Kuscheltrainer leiten das Zusammensein an. Sie sollen für eine Atmosphäre sorgen, in der sich alle Teilnehmer sicher und entspannt fühlen.

Kuschelpartys mit Fremden: Für manche ein Lichtblick im berührungslosen Alltag © Rinky Dink Images/ iStock.com

Erdacht haben das Konzept die Beziehungstherapeuten Reid Mihalko und Marcia Baczynski. Sie organisierten vor gut zehn Jahren in New York die ersten „Cuddle Partys“ – und setzten damit eine regelrechte Bewegung in Gang. Längst haben sich die Kuschelpartys über die Grenzen der USA hinaus verbreitet. Hierzulande boomen solche Angebote mittlerweile nicht nur in Großstädten wie Berlin und Köln. „Wir haben einen Nerv getroffen“, sagt Mihalko heute rückblickend.

Der einzige Haken an der Sache: Nach ein paar Stunden ist das Gefühl der Geborgenheit wieder vorbei und das Portemonnaie ein paar Euros leichter. Kritiker glauben, dass solche kurzfristigen Ereignisse langfristig keine Lösung bringen. Ohnehin könnten Streicheleinheiten von Fremden die Nähe zu einer vertrauten Person nie vollständig ersetzen. Viel wichtiger sei, als Single sozial aktiver zu werden und in einer Partnerschaft die Qualität der Beziehung zu verbessern. Es komme darauf an, im Alltag ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung körperlicher Nähe zu schaffen.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016

Wenn der Tastsinn streikt

Berühren ohne zu fühlen

Gras unter den nackten Füßen, Sonnenstrahlen auf der Haut oder eine sanfte Berührung am Arm – all das spüren und genießen zu können, empfinden die meisten Menschen als selbstverständlich. Doch für Betroffene sogenannter Gefühlsstörungen ist es das nicht. Sie können taktile Reize nicht so wahrnehmen wie normalerweise üblich.

Strumpf- und Handschuh-Gefühl: Betroffene sind an den Gliedmaßen weniger sensibel. © Siewlian/ Freeimages

Wie in Strümpfen und Handschuhen

Je nach Krankheitsbild empfinden die Patienten Berührungen, Temperaturunterschiede und auch Schmerz viel intensiver, weniger stark oder gar nicht. Gleichzeitig können Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den betroffenen Körperregionen vorherrschen. Grund für diese Verfälschung des Berührungsempfindens sind Funktionsstörungen der Nerven. Diese können angeboren sein, aufgrund von Verletzungen entstehen oder auf eine ernsthafte Erkrankung hindeuten.

Das sogenannte Strumpf- und Handschuh-Gefühl ist zum Beispiel häufig das erste Anzeichen einer Multiplen-Sklerose, bei der das körpereigene Immunsystem die Markscheiden um die Nervenfasern im Zentralen Nervensystem angreift. Betroffene sind an den Gliedmaßen weniger sensibel. Es fühlt sich für sie so an, als würden sie ständig Handschuhe und Strümpfe tragen – oder als hätten sie Watte unter den Fußsohlen. Auch eine unbehandelte Diabetes-Erkrankung vermag das Fühlen an Armen und Beinen auf diese Weise zu beeinträchtigen.

Der Schmerz bleibt aus

Solche Empfindungsstörungen können nicht nur unangenehm sein. Im Extremfall erschweren sie den Alltag extrem und sind mitunter sogar gefährlich – zum Beispiel dann, wenn Patienten keinerlei Schmerzen wahrnehmen. Denn die Evolution hat das Schmerzempfinden als Warnsignal entwickelt. Es zeigt an, dass dem Körper Schaden zugefügt wurde und veranlasst uns dazu, uns zu schützen.

Ohne Schmerzen aber lernen Kinder zum Beispiel nicht automatisch, ihre Hand besser nicht auf eine heiße Herdplatte zu legen. Sie empfinden nichts, wenn der Schuh zu eng ist und auch nichts, wenn sie sich schwere Verletzungen zuziehen. So bleiben etwa Knochenbrüche häufig unbemerkt.

Ohne Körper im Raum

Neben dem Verlust der Schmerzwahrnehmung kann auch die Eigenwahrnehmung verloren gehen – jenes Gefühl, das uns zeigt, wo die Grenzen unseres Körpers liegen, wo genau die Umwelt anfängt und wie wir uns in ihr bewegen. Für diese Einschätzung greifen wir auf das Tastgefühl, den Gleichgewichtssinn und Tiefensensoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken zurück. Bereits im Mutterleib lernt das Ungeborene so zwischen Ich und Außenwelt zu unterscheiden. Dieses Bewusstsein ist uns in die Wiege gelegt – und selbst ein Einzeller kann per Tastsinn Innen und Außen unterscheiden.

Ein Fuß auf dem Trockenen, den anderen im Wasser: Der Tastsinn hilft uns, unseren Körper im Raum zu verorten. © Laia Solanellas/ cc-by-sa 2.0

Doch was passiert, wenn diese Wahrnehmung plötzlich fehlt? Zeuge eines solchen seltenen Falls der Gefühlsstörung wurde der Neurophysiologe Jonathan Cole. In seinem Buch „Pride and a Daily Marathon“ berichtet er von seinem Patienten Ian Waterman, der aufgrund einer Virusinfektion vom Hals abwärts sein Körpergefühl als 19-Jähriger vollständig verlor. Er spürte nicht mehr, wo sich seine Beine, Arme oder Finger im Raum befanden, bemerkte weder das Betttuch auf seinem Körper, noch die sanfte Berührung einer anderen Person – sein Schmerz- und Temperaturempfinden blieb jedoch erhalten.

Als Folge konnte sich Waterman nicht mehr kontrolliert bewegen. Denn ohne Rückmeldung aus dem Körper hatte sein Gehirn für Bewegungsbefehle keine Anhaltspunkte. Ein Trick aber ermöglichte es ihm entgegen aller Erwartungen schließlich doch wieder, seinen Körper scheinbar normal zu koordinieren. Die fehlenden Sinneswahrnehmungen aus dem Haut-, Muskel- und Gelenksystem ersetzte er durch visuelle Kontrolle. Nur wenn er ihn direkt ansieht und die Bewegung bewusst plant, kann Waterman heute etwa seinen Arm bewegen oder einen Fuß vor den anderen setzen. Das Gefühl dafür, wo sich sein Körper befindet, fehlt ihm noch immer. Seine Augen aber verraten es ihm.

Daniela Albat
Stand: 02.09.2016