Über die vergessenen Pionierleistungen eines Universalgenies

Edmond Halley – mehr als nur Kometen

Edmond Halley
Edmond Halley entdeckte die periodische Wiederkehr des heute nach ihm benannten Kometen – aber dies war nur eine seiner vielen bahnbrechenden Leistungen. © historisch/ NASA

Heute kennen die meisten von uns Edmond Halley nur wegen des gleichnamigen Kometen – Halley war der erste, der seine regelmäßige Wiederkehr erkannte. Doch der 1656 geborene Forscher war weit mehr als nur Astronom: Er erstellte die erste Wetterkarte, kartierte die Magnet-Missweisung und erforschte den Wasserkreislauf. Ohne ihn wäre auch eines der berühmtesten Werke der Wissenschaft nie erschienen.

Edmond Halley war einer der Pioniere der datenbasierten empirischen Wissenschaft – und ein echtes Allroundtalent der Renaissance. Neben bedeutenden Beiträgen zur Astronomie, Mathematik und Geophysik brachten seine Erkenntnisse, Experimente und Erfindungen auch ganz praktische Fortschritte in der Seefahrt, Technik und der Forschung. Was aber machte Halley so besonders? Und welche seiner Leistungen haben bis heute Bestand?

Wie ein Allroundtalent zum Geburtshelfer der modernen Wissenschaft wurde

Halley und seine Zeit

Es ist paradox: Gerade weil Edmond Halley durch seinen Kometen und die astronomischen Entdeckungen so berühmt wurde, ist das wahre Ausmaß seiner wissenschaftlichen Leistungen und Verdienste fast vergessen. Denn der 1656 in England geborene Forscher war weit mehr als nur Astronom – er war eines der Universalgenies der Wissenschaft.

Edmond Halley
Edmond Halley war schon als junger Mann ein begabter und innovativer Forscher. Hier ein Portrait aus der Zeit um 1690. © Thomas Murray/ historisch

Ein echter Allrounder

„Seine Zahl an Veröffentlichungen war phänomenal, seine unveröffentlichten Werke umfangreich und die Breite seiner Interessen selbst für das 17. Jahrhundert außergewöhnlich“, beschrieb schon 1946 der britische Hofastronom Harold Spencer Jones die vielfältigen Interessengebiete und Leistungen von Edmond Halley. „Er war gleichzeitig Mathematiker, Astronom, Physiker sowie Statistiker, Geograf, Hydrograf und Geomagnetiker, aber auch Navigator, Seemann und der erste Forschungsreisende.“ Das Ungewöhnliche daran: Halley hat in gleich mehreren dieser Fachgebiete bahnbrechende und bis heute wesentliche Beiträge geleistet.

Dies bringt ihm nicht nur die Stellung als Hofastronom der englischen Krone und als Sekretär der Royal Society ein – sein Ruf dringt sogar bis ins ferne Russland: Als der russische Zar Peter der Große im Jahr 1698 England besucht, trifft er sich mehrfach mit Halley und sucht dessen Rat darüber, wie er die Wissenschaften im russischen Reich fördern und voranbringen könnte. Wenig später – möglicherweise als Folge dieser Gespräche – gründet Peter der Große die russische Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg.

Heliozentrisches Weltbild
Als Halley geboren wurde, war das heliozentrische Weltbild (hier dargestellt in einer Karte aus dem Jahr 1660) noch umstritten und auch der kirchliche Bann von Galileo Galilei war noch in Kraft. © Andreas Cellarius/ historisch

Geburtshelfer der modernen Naturwissenschaften

Darüber hinaus ist Edmond Halley auch eine Art „Geburtshelfer“ der modernen Naturwissenschaft. Der Sohn eines englischen Seifenfabrikanten wird in eine Zeit des tiefgreifenden Umbruchs wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens hineingeboren: Noch zur Zeit seiner Geburt betrachten viele die Naturwissenschaften als eine bloße Variante der Philosophie und klassischen Gelehrsamkeit – Ideen, Theorien und Modelle spielen eine entscheidende Rolle. Nur selten fußen diese Vorstellungen jedoch auf systematischen Messungen oder Experimenten.

„Selbst auf der Höhe der naturwissenschaftlichen Revolution standen die brillantesten Männer mit einem Fuß im Mittelalter. Sie hatten Schwierigkeiten mit Konzepten, die wir heute als elementar ansehen“, beschreibt der Wissenschaftshistoriker David Deming von der University of Oklahoma die Lage zu Halleys Zeit. Noch in der zweiten Hälfte der Renaissance halten einige Gelehrte an überlieferten Erkenntnissen und Traditionen fest, die empirische Überprüfung ist noch kein Standard.

Newtons „Principia“ als Fundament

Ihren Abschluss findet die Revolution der wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen erst im Jahr 1689 mit der Veröffentlichung eines entscheidenden Werks von Isaac Newton: der „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“, kurz „Principia“. In diesem dreibändigen und gut 600-seitigen Buch legt der britische Gelehrte seine Erkenntnisse und sein Wissen zu Mathematik, Mechanik und Astronomie dar.

„Dieses Werk war der endgültige Durchbruch zum modernen Zeitalter. Auf einen Streich und im Alleingang wandelte Isaac Newton die Physik von einer mit Spekulationen, logischen Diskursen und Schlüssen geprägten Naturphilosophie in eine exakte, auf Empirie beruhende mathematische Wissenschaft um“, erklärt Deming.

Newtons Principia
Isaac Newtons Werk „Principia“ markierte den Beginn der modernen Wissenschaft. © historisch

Halley und Newton

Doch ohne Edmond Halley wäre die „Principia“ nie geschrieben und veröffentlicht worden. Ursprünglich sucht dieser bei Newton Rat zu einem der damals größten Probleme der Astronomie – der Berechnung und physikalischen Erklärung der Planetenbahnen. Als Halley im Gespräch mit dem Physiker erfährt, dass dieser das Problem längst mathematisch gelöst, aber nie publiziert hat, drängt er Newton dazu, seine Lösung dieses und weiterer physikalisch-mathematischer Fragen zu veröffentlichen. „Halley besaß die Genialität, das noch größere mathematische Genie von Isaac Newton zu erkennen und drängte ihn dazu, die Principia Mathematica zu schreiben“, heißt es in einer Biografie.

Es folgt eine 18 Monate dauernde Zeit, in der Newton nach und nach seine umfangreichen Erkenntnisse zu Papier bringt. Halley organisiert währenddessen die Unterstützung der Royal Society für die spätere Veröffentlichung, redigiert Newtons Texte und drängt den Physiker immer wieder zum Weitermachen. Doch als dann das epochale Werk endlich fertig ist, fehlt der Royal Society das Geld für die Druckkosten. In dieser Notlage springt Halley ein, der selbst nur knapp die nötigen Mittel aufbringt. Doch seine Investition sollte sich lohnen: Die „Principia“ wird ein Bestseller – und der Rest ist Geschichte…

Von der Sternenkarte über den Merkurtransit bis zum Kometen

Halley und die Astronomie

Auch wenn Edmond Halley ein echter Allrounder der Wissenschaft ist: Seine Liebe zur Astronomie zieht sich durch sein gesamtes Leben. Sie bildet die Klammer, die den Beginn und das Ende seiner Karriere verbindet – von den Anfängen als junger Hobbyastronom bis zur Position als königlicher Hofastronom, die Halley die letzten 21 Jahre seines Lebens bekleidet.

Sternentafeln
Zu Halleys Studienzeit bildeten die auf Tycho Brahes Sternenbeobachtungen basierenden und von Johannes Kepler editierten Sternentafeln die Basis der Astronomie. © historisch

Forschungsreise statt Studium

Schon als Schüler studiert Halley den Himmel und kann dafür – dank seines wohlhabenden Vaters – einige für die damalige Zeit modernste astronomische Instrumente nutzen. Zu seinem „Werkzeugkasten“ gehören unter anderem ein sieben Meter langes Teleskop und ein 60 Zentimeter großer Sextant, die der erst 17-jährige Astronom im Jahr 1673 auch zum Studium nach Oxford mitnimmt. In schneller Folge veröffentlicht Halley in den nächsten drei Jahren drei Fachartikel zu astronomischen Themen, darunter Sonnenflecken, eine Marsbedeckung durch den Mond und Korrekturen der gängigen astronomischen Tabellen.

Doch relativ schnell wird Halley klar, dass die Astronomie seiner Zeit eine entscheidende Lücke aufweist: „Er erkannte, dass der Fortschritt der exakten Astronomie zum größten Teil von einem präziseren Wissen der Sternenpositionen abhängt“, erklärte der britische Hofastronom Harold Spencer Jones im Jahr 1946 bei einem Vortrag. Nur wenn die Sternenpositionen bekannt sind, lassen sich bestimmte astronomische Theorien überprüfen, gleichzeitig werden solche Sternenkarten auch dringend für die Navigation auf See benötigt. Aber gerade für die südlichen Breiten fehlen diese Angaben damals noch weitgehend.

Daraufhin ergreift Halley die Initiative: Im Jahr 1676 schmeißt er sein Studium hin und überredet seinen Vater, ihm eine Forschungsreise zur Südhalbkugel zu finanzieren. Sogar den damaligen König Charles II. kann der ehrgeizige Jungforscher zur Mithilfe bewegen: Der König weist die Ostindische Handelskompanie an, Halley und seinen Kollegen zur Insel St. Helena im Südatlantik mitzunehmen – dem damals südlichsten Territorium unter britischer Herrschaft.

St. Helena
Die Insel St. Helena war ab 1658 im Besitz der Ostindischen Handelskompagnie und damit Teil des britischen Territoriums. Hier ein zeitgenössischer Kupferstich. © historisch

Sternenkarte, Merkurtransit und eine neue Idee

Auf St. Helena bleibt Halley 18 Monate lang und kartiert in dieser Zeit die Positionen von 341 hellen Sternen der Südhalbkugel. Auf dieser Basis erstellt er den ersten Sternenkatalog dieser Hemisphäre. Außerdem entdeckt er einen neuen Sternhaufen im Sternbild Centaurus und beobachtet erstmals einen Merkurtransit von Anfang bis Ende. Dies gibt Halley den Anstoß für eine weitere astronomische Idee: Er schlägt vor, solche Passagen von Merkur und Venus vor der Sonne zu nutzen, um den Abstand von Sonne, Erde und diesen Planeten genauer zu kalkulieren.

Das Prinzip dahinter: Die genauen Eintritts- und Austrittszeiten des Planeten in die Sonnenscheibe variieren je nachdem, von wo auf der Erde man den Transit beobachtet. „Aus diesen Unterschieden, genau beobachtet, kann die Parallaxe der Sonne bestimmt werden, und das ohne irgendwelche anderen Instrumente außer Teleskopen und guten, gewöhnlichen Uhren und ohne andere Qualifikationen der Beobachter als Zuverlässigkeit und Sorgfalt, mit ein wenig Geschick in Astronomie“, beschreibt Halley nach seiner Rückkehr das Verfahren.

Halley erlebt zwar keinen Transit mehr, aber seine Veröffentlichungen sorgen dafür, dass beim Venustransit im Jahr 1761 die weltweite astronomische Gemeinschaft mobilisiert wird: Mindestens 120 Beobachter richten an 62 verschiedenen Orten der Welt ihre Teleskope gen Himmel.

Rätsel um die Bahn der Kometen

Die astronomische Entdeckung, für die Edmond Halley bis heute berühmt ist, macht der junge Wissenschaftler jedoch erst nach seiner Rückkehr nach England. Anstoß dafür geben zwei Kometen, die im Jahr 1680 und 1682 am Himmel sichtbar werden. Allerdings herrscht zu diesem Zeitpunkt noch Uneinigkeit darüber, wie sich diese „Schweifsterne“ bewegen: Sind sie nur kosmische Vagabunden, die manchmal zufällig in Erdnähe geraten. Oder folgen sie womöglich geregelten Bahnen ähnlich wie die Planeten?

Zwar berichtet der italienische Astronoem Giovanni Cassini Halley schon 1681 von seiner Idee, dass auch die Kometen regelmäßigen Bahnen um die Sonne folgen. Doch den Astronomen fehlt die mathematisch-physikalische Basis, um genauere Bahnberechnungen für die Kometen durchzuführen. Dadurch sind sie sich bei vielen Beobachtungen nicht einmal sicher, ob es sich um zwei Sichtungen desselben Kometen handelt oder um zwei verschiedene. Im Falle des Kometen von 1680 streiten sich darüber auch der englische Hofastronom John Flamsteed und Isaac Newton.

Halleys Brief
Ausschnitt aus einem Brief Halleys an Isaac Newton, in dem er vermutet, dass der Komet von 1682 schon vorher dreimal aufgetaucht ist. © historisch

Mehr Klarheit bringen erst Newtons Erkenntnisse zu den Gesetzmäßigkeiten der Planetenbahnen unter dem Einfluss der Gravitation. Er postuliert, dass Kometen wahrscheinlich exzentrischen Bahnen folgen. Ob diese elliptisch oder parabolisch sind, ist jedoch noch strittig. Halley macht sich nun daran, mithilfe von Newtons Gleichungen die Beobachtungsdaten von 24 hellen Kometen zu analysieren, die seit 1337 beobachtet und dokumentiert worden sind.

Der Jupiter mischt mit

Dabei fallen dem Astronomen Parallelen zwischen dem Kometen von 1682 und früheren Beobachtungen auf: Halley schreibt an Newton: „Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass wir diesen Kometen nun schon dreimal seit dem Jahr 1531 gesehen haben.“ Das Merkwürdige jedoch: Die Kometensichtungen von 1531, 1607 und 1682 folgen nicht in genau den gleichen Intervallen aufeinander – es gibt Abweichungen von bis zu 15 Monaten.

Beim Grübeln über dieses Phänomen erinnert sich Halley daran, dass Newton bei der Berechnung der Planetenbewegungen ebenfalls auf leichte Abweichungen gestoßen ist. Er erklärt diese mit Schwerkraft-Wechselwirkungen der Planeten untereinander, vor allem durch die großen Planeten Jupiter und Saturn. Halley schreibt an Newton: „…bedenke, um wie viel mehr die Bewegung eines Kometen durch die Zentren von Jupiter und Saturn gestört werden könnte (…) und welchen Unterschied dies in der Umlaufzeit eines Kometen machen würde.“

der Halley'sche Komert
Halley erkannte als erster, dass der heute nach ihm benannte Komet regelmäßig in Erdnähe vorbeifliegt und sagte als erster seine Wiederkehr und den Zeitpunkt des Wiederauftauchens voraus. © NASA

Die Wiederkehr des Kometen

Ausgehend von diesen Überlegungen rekonstruiert Halley die Bahn des Kometen von 1682 und ermittelt, dass dieser offenbar in Abständen von rund 76 Jahren in Erdnähe vorbeifliegt. 1705 veröffentlicht er seine Ergebnisse und erstellt erstmals auch eine Prognose dafür, wann der Komet wieder in Erdnähe erscheinen wird. Unter Berücksichtigung der Störeinflüsse des Jupiter sagt Halley voraus, dass der Komet im Jahr 1758 das nächste Mal auftauchen wird.

Und tatsächlich: Am 25.Dezember 1758 – 16 Jahre nach Halleys Tod – erhascht ein Amateurastronom einen ersten Blick auf den wiederkehrenden Kometen. Wie von Halley vorhergesagt, hat der Schwerkrafteinfluss des Jupiter dessen Ankunft verzögert. Zu Ehren des Astronomen und der von ihm als erstem erkannten Periodizität trägt dieser kurzperiodische Komet seither den offiziellen Namen 1P/Halley.

Halley und der Wasserkreislauf

Das Geheimnis des Wassers

Fast ebenso intensiv wie für die Astronomie interessiert sich Edmond Halley für irdische Zusammenhänge. Eine Frage beschäftigt ihn dabei besonders: das Geheimnis des irdischen Wassers. Wie kommt es, dass die Ozeane niemals überlaufen, obwohl ständig neues Süßwasser aus den Flüssen nachströmt? Und woher kommt das Wasser, das als Regen vom Himmel fällt?

Wasserkreislauf
Zu Halleys Zeiten vermutete man bereits, dass die Verdunstung – unter anderem aus den Ozeanen – den Regen speist. Doch die genauen Zusammenhänge und Quantitäten waren unklar. © jeremkin/ iStock

Wie viel Wasser verdunstet vom Meer?

Schon länger vermuten die Wissenschaftler seiner Zeit, dass die Verdunstung von Wasser aus den Ozeanen als Lieferant für den Regen dient. Aber wie viel Wasserdampf dadurch entsteht und ob dieser ausreicht, um beispielsweise auch Quellen, Flüsse und Seen aufzufüllen, ist strittig. Wie es Halleys Art ist, geht er diesen Fragen ganz praktisch nach: Er führt ein Experiment durch. In diesem repräsentiert eine flache Pfanne mit einer zuvor genau abgewogenen Wassermenge den Ozean.

„Wir brachten das Wasser dann auf dieselbe Wärme, wie sie auch die Luft an unseren heißesten Sommertagen hat“, beschreibt er den Versuchsaufbau im Jahr 1687 in einer Publikation. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit wiegt Halley die Wassermenge in der Pfanne erneut. Dabei stellt er fest, dass das Wasser „im Laufe von zwei Stunden ein 60stel eines Inchs von seiner gesamten Oberfläche verliert.“

Mithilfe dieser Messungen stellt Halley eine Formel auf, mit der er die Verdunstungsmenge über dem sommerlichen Ozean abschätzen kann. Dabei berücksichtigt er auch Faktoren wie den Wind, die diese Verdunstung beschleunigen können. In seiner Hochrechnung kommt Halley zu dem Ergebnis: Das gesamte Mittelmeer verdunstet an einem einzigen Sommertag die enorme Menge von 5.280 Millionen Tonnen Wasser.

Wie viel fließt über die Flüsse hinein?

Im nächsten Schritt versucht Halley zu ermitteln, wie viel Wasser das Mittelmeer aus dem Zustrom der Flüsse erhält. Dies im Detail zu messen, ist nahezu unmöglich, so viel ist ihm klar. Also nutzt der Forscher auch hier die Methode der Extrapolation: Er misst die Strömung an einer Themsebrücke und kombiniert dies mit Tiefe und Breite des Flussbeckens, um die Durchflussmenge abzuschätzen. Halley kommt auf rund 19 Millionen Kubikmeter pro Tag – der heute gemessenen Durchschnittswert liegt bei etwa einem Drittel davon.

Um nun daraus auf den Einstrom von Flusswasser ins Mittelmeer zu schließen, geht Halley von neun großen Flüssen mit jeweils dem zehnfachen Einstrom der Themse aus. Der Grund dafür: „Zwar ist keiner dieser Flüsse in Wirklichkeit so groß, aber so erfasse ich damit auch all die kleinen Rinnsale, die ins Meer fließen und die ich sonst nicht berücksichtigen kann“, erklärt Halley in seiner Publikation von 1687.

Halley kommt aufgrund dieser Kalkulation zu dem Ergebnis, dass die Flüsse nur rund ein Drittel der Wassermenge ins Mittelmeer eintragen, die zur selben Zeit durch Verdunstung verloren geht. Dies liefert ihm auch die Erklärung dafür, warum an der Meerenge von Gibraltar das Wasser immer nur vom Atlantik ins Mittelmeer strömt, nicht umgekehrt: Der Atlantik-Einstrom gleicht das Defizit aus, so die Schlussfolgerung des Forschers.

Halleys Wasserkreislauf
Halleys Darstellung des Wasserkreislaufs in einer Publikation von 1692. © historisch

Die Basis des Wasserkreislaufs

„Auch wenn Halleys Schätzungen und Methoden nach modernen Standards noch sehr grob waren, war seine Herangehensweise bereits quantitativ und experimentell – und stand damit im Kontrast zu den oft ungehemmten theoretischen Spekulationen, die die Naturphilosophie der vorangegangenen Jahrhunderte kennzeichnete“, schreibt der Wissenschaftschaftshistoriker David Deming von der University of Oklahoma.

Im Jahr 1691 beschäftigt sich Halley mit der Frage, was mit dem vom Meer aufsteigenden Wasserdampf geschieht. Auf Basis seiner Beobachtungen schließt er, dass der Wasserdampf durch Winde ins Innere der Kontiente getrieben wird. „Dort wird er von den Luftströmen gezwungen, mit diesen zu den Gipfeln der Berge aufzusteigen, wo das Wasser dann abregnet“, schreibt Halley. Die Luft in der Höhe sei so kalt und dünn, dass sie nur noch einen kleinen Teil des Wasserdampfs halten könne. Von den Bergen strömt das abgeregnete Wasser dann über Bäche und Flüsse wieder ins Meer – der Kreislauf schließt sich.

Damit hat Edmond Halley die Basis für unser modernes Verständnis des Wasserkreislaufs und der Wasserbilanzen gelegt. Zwar war ihm noch nicht klar, welche Rolle das Grundwasser dabei spielt und auch bei seinen Schätzungen zu den beteiligten Wassermengen lag er teilweise noch daneben. Dennoch gelang es ihm, einzelne, schon vorher von anderen Forschern dargelegte Theorien zum Ursprung von Quellen oder dem Verbleib des Niederschlags zu präzisieren und zu ergänzen.

Halley als Geophysiker, Kartograf und Meteorologe

Wetterkarte und Magnet-Missweisung

Halleys Wissensdrang und seine datenbasierte Herangehensweise bringen ihn dazu, auch abseits von Astronomie und Hydrologie Bahnbrechendes zu leisten: Ihm verdanken wir die erste Wetterkarte, die barometrische Höhenmessung und die erste Weltkarte der Magnet-Missweisung.

Die erste meteorologische Karte der Welt

Das Interesse an der Meteorologie bringt Edmond Halley schon auf seiner ersten Forschungsreise nach St. Helena dazu, das Phänomen der Passatwinde und des Monsuns näher zu studieren. Zurück in England, sammelt er weitere Informationen von Seefahrern. Auf dieser Basis erstellt er 1686 eine Weltkarte, die die Richtung der vorherrschenden Winde über den Ozeanen zeigt. Mit dieser meteorologischen Karte ist Halley der erste, der geophysikalische Daten in grafischer Form auf einer Karte visualisiert.

Passatwinde
Halley Karte der Passatwinde. © historisch

Damit ist Halley auch einer der Pioniere der thematischen Kartografie. Er erklärt dazu in seiner Publikation: „Ich fand es nötig, ein Schema zu finden, das die verschiedenen Richtungen und Routen dieser Winde auf einen Blick zeigt. Dadurch ist es möglich, diese Sache besser zu verstehen als durch jede verbale Beschreibung.“ Parallel zur Karte postuliert Halley auch erste Ideen dazu, was die Passatwinde und andere vorherrschenden Winde antreibt. Er erkennt bereits, dass die Aufheizung der Luft durch die Sonne und die Erddrehung dafür eine entscheidende Rolle spielen.

Kompass-Missweisung und Terra Incognita

Und noch eine weitere kartografische Neuerung verdanken wir Halley: Im Jahr 1698 wird der Forscher von der englischen Krone zum Marinekommandeur ernannt – obwohl er Zivilist ist – und auf eine Forschungsmission in den Atlantik geschickt. Die zweijährige Seereise ist die erste, die allein wissenschaftlichen Zwecken dient. Halley Auftrag: Er soll die Kompass-Missweisung auf See systematisch vermessen – die Abweichung der Kompass-Nordrichtung vom geografischen Norden. Diese je nach Standort unterschiedlich große Deklination zu kennen, ist für die Navigation der Schiffe auf See entscheidend. Doch gerade für die Südhalbkugel sind die Daten bisher dünn.

In Halleys Instruktionen heißt es daher: „Du sollst bestmöglich bis südlich des Äquators vordringen und dort die Ostküste Südamerikas, die Westküste Afrikas und die Variationen des Kompasses mit der größten Dir möglichen Genauigkeit beobachten.“ Auch die noch kaum erforschten südlichen Gefilde soll Halley erkunden: „Wenn es die Saison erlaubt, sollst du soweit nach Süden vorstoßen, bis du die Küste der Terra Incognita findet, die zwischen der Magellanstraße und dem Kap der Guten Hoffnung liegen soll.“

Deklintations-Karte
Halleys Karte der magnetischen Missweisung von 1701. Es ist die erste Karte, die die Deklination mithilfe von isogonen Linien zeigt. © historisch

Die erste Deklinationsweltkarte und die Halleyschen Linien

Zwei Jahre ist Halley mit seinem Schiff auf See unterwegs. Dabei kommt er bis auf 51,5 Grad südlicher Breite und sichtet die ersten antarktischen Eisberge – nicht aber die gesuchte „Terra incognita“. Nach seiner Rückkehr macht er sich direkt daran, seine Magnetmessungen auszuwerten. 1701 veröffentlicht Halley die erste Karte der Magnet-Missweisung für den Atlantik, 1702 folgt die durch Daten anderer Seefahrer ergänzte erste Weltkarte der magnetischen Deklination.

Die große Neuerung ist dabei nicht nur die Vollständigkeit der Magnetdaten, sondern ihre Darstellung: Halley nutzt als erster Isogonen, um Punkte gleicher Magnetdeklination miteinander zu verbinden. Sie werden heute auch als Halleysche Linien bezeichnet. „Diese Methode ist so eingängig, dass sie bis heute allgemein gebräuchlich ist. Es war der wichtigste Beitrag zur praktischen Navigation“, erklärte der britische Hofastronom Harold Spencer Jones 1946 in einem Vortrag zu Ehren Halleys.

Das Magnetfeld beschäftigt Edmond Halley auch später immer wieder, beispielsweise 1716 in einer Studie zu Polarlichtern. Ihm fällt ihm auf, dass diese leuchtenden Schleier besonders oft auf Island und Grönland gesichtet werden, etwas seltener in Nordwegen und nie am Äquator. Als erster Forscher äußert Halley die Vermutung, dass die Polarlichter mit dem Erdmagnetfeld zusammenhängen könnten. Er schreibt das Leuchtphänomen jedoch zunächst „magnetischen Ausdünstungen“ zu.

Die barometrische Höhenmessung

Halleys Messungen meteorologischer Parameter und seine Überlegungen zu geophysikalischen Zusammenhängen bringen ihn auf eine weitere Idee: Er erkennt, dass die Messung des Luftdrucks mittels Barometer auch dazu verwendet werden kann, die Höhenlage eines Standorts zu ermitteln. „Die Expansion der Luft ist reziprok zur Höhe des Quecksilbers im Barometer“, erklärt er.

Auf Basis seiner Experimente erstellt Halley im Jahr 1686 eine Tabelle, die angibt, um wie viel das Quecksilber eines Barometers mit der Höhe sinkt. Diese Werte, so merkt der Forscher an, stimmen gut mit Messungen anderer überein, darunter auch denen „eines kuriosen Experiments, die der einfallsreiche Mr. John Caswell aus Oxford auf dem Gipfel des Snowdon-Bergs in Wales durchführte.“ Dieser ermittelt bei seinen Barometer-Messungen, dass das Quecksilber auf dem knapp 1100 Meter hohen Berggipfel um zehn Zentimeter unter den Wert auf Meereshöhe liegt.

Halley erkennt auf Basis seiner Experimente und Berechnungen als erster, dass der Luftdruck mit der Höhe nicht linear, sondern exponentiell abnimmt. Gleichzeitig ist ihm jedoch auch bewusst, dass verschiedene Faktoren diese barometrischen Höhenmessungen beeinflussen können. In seinem Artikel diskutiert er ausführlich, welche Effekte die Wetterlage, in der Luft enthaltene Gase oder Winde haben könnten und warum. Er legt darin auch dar, warum der Luftdruck überhaupt je nach Wetterlage schwankt.

Warum Halley bei vielen Zeitgenossen aneckte

Feinde und Förderer

Der Allrounder Edmond Halley ist seiner Zeit nicht nur in Vielem voraus – durch seine faktengestützte Interpretation der Dinge widerspricht er oft gängigen Vorstellungen und Traditionen. Sowohl in kirchlichen Kreisen wie auch in den ehrwürdigen Institutionen der etablierten Wissenschaft macht er sich damit auch Feinde.

John Flamsteed
John Flamsteed, Halleys Vorgänger als englischer Hofastronom, gehörte noch der alten Schule an und stand Halley und Newton feindlich gegenüber. © historisch

Eine Fehde mit dem königlichen Hofastronom

Dies beginnt schon in Halleys Studienzeit. Bei seinen astronomischen Forschungen stellt er fest, dass die damals führenden Tabellen für die Planeten- und Sternenpositionen fehlerhaft sind. Sowohl für Jupiter und Saturn als auch für einige Sterne sind falsche Angaben enthalten. Halley schreibt deswegen im März 1675 einen Brief an den damaligen englischen Hofastronomen John Flamsteed, in dem er ihn auf diese Fehler hinweist. Dieser hat zwar Respekt vor den Leistungen des Jüngeren, fühlt sich aber düpiert.

Auch im weiteren Verlauf von Halleys Karriere kommt es zwischen ihm und Flamsteed immer wieder zum Streit. „Soweit wir wissen, hatte Halley nur einen großen Konflikt in seinem Leben – mit Flamsteed“, schrieb Sydney Chapman von der University Alaska über Halley. Der Überlieferung zufolge tut der Hofastronom einiges dafür, um Halleys Karriere zu durchkreuzen. Er beschuldigt ihn des geistigen Diebstahls und durchkreuzt Halleys Berufung zum Professor für Astronomie in Oxford. Flamsteed warnt die Universität, dass Halley „die Jugend der Universität korrumpieren“ würde.

Der Streit eskaliert, als Flamsteed sich später beharrlich weigert, Halley und Isaac Newton astronomische Daten des Königlichen Observatoriums zur Verfügung zu stellen – Daten, die Newton für die Vorbereitung seines Werks „Principia“ dringend benötigt. Flamsteed steigert sich im Laufe der Zeit so in seinen Hass auf Halley hinein, dass er dessen Namen nicht mehr nennt und ihn stattdessen selbst in Briefen nur mit „Reymers“ tituliert – nach dem deutschen Astronom Nicolaus Reimers, der es angeblich gewagt hatte, Tycho Brahe zu plagiieren.

Alter der Erde
In diesem Artikel von 1714 zweifelt Edmond Halley die buchstäbliche Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte an – damit machte er sich Feinde. © historisch

Wie alt ist die Erde?

Doch Flamsteed ist nicht der einzige, der sich an den modernen Methoden und Ansichten Halleys stößt. Im Jahr 1714 veröffentlicht Halley einen Artikel in den „Philosophical Transactions“ der Royal Society, in dem er Zweifel an der wörtlichen Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte äußert – ein rotes Tuch für das damalige Christentum. Halley schreibt: „Es ist kaum vorstellbar, dass die Tage der Schöpfung als natürliche Tage zu verstehen sind.“ Seiner Ansicht nach muss die Schöpfung weit mehr Zeit in Anspruch genommen haben – und die Erde daher weit älter sein als nach biblischen Angaben kalkuliert.

Aber wie viel älter? Im Zuge seiner Forschungen am Wasserkreislauf ersinnt Halley eine Methode, mit der man das Alter der Ede vielleicht messen könnte. Seine Überlegung: Wasser enthält gelöste Salze, die beim Verdunsten zurückbleiben. Dieses Salz, so vermutet Halley, wird über die Flüsse ins Meer gespült und reichert sich dort im Laufe der Zeit an. Deswegen müssten die Ozeane im Laufe der Erdgeschichte immer salziger geworden sein. Wenn man die Veränderungen im Salzgehalt misst, könnte man über die Rate der Versalzung demnach bis zum Uranfang zurückrechnen.

„Man kann die Dauer aller Dinge demnach über die Beobachtung des zunehmenden Salzgehalts in ihren Wässern abschätzen“, schreibt Halley. „Vielleicht ist die Welt viel älter als viele es sich vorstellen.“ Allerdings wird ihm schnell klar, dass die Rate der Versalzung wahrscheinlich extrem gering ist und man daher für solche Messungen große Zeitabstände bräuchte – mehr als in einem Menschenleben machbar. „Diese Methode kann daher für uns selbst von keinem Nutzen sein“, so der Forscher. Dennoch reichen schon seine Überlegungen dazu aus, um einige Kirchenvertreter gegen sich aufzubringen.

Halleys Nutznießer

Doch es gibt auch genügend Zeitgenossen, die Halleys unkonventionelles Denken zu schätzen wissen -vor allem, wenn es praktisch nutzbare Erkenntnisse und Erfindungen mit sich bringt. Halleys frühe Forschungen zu Kompass, Magnetfeld und Navigation bringen ihm beispielsweise Posten eines Schiffskommandanten und den Auftrag zur Forschungsfahrt in den Atlantik ein. Auch seine Gezeitenmessungen und Positionsbestimmungen ferne Häfen werden von der Marine dankend angenommen.

Für die Marine interessant ist auch eine praktische Erfindung Halleys, die er 1691 im Rahmen der Bergung eines Schiffswracks macht: Auf der Suche nach einer besseren Möglichkeit, unter Wasser zu arbeiten, entwickelt das Allroundtalent eine neue, verbesserte Version der Taucherglocke. Sie löst zwei der zuvor größten Probleme solcher Tauchhilfen: Der Sauerstoff im Inneren ist zu schnell verbraucht und gleichzeitig sinkt der Innendruck, sodass das Wasser in die Glocke eindringt.

Halleys Artikel zur Taucherglocke
Der Beginn einer Veröffentlichung von Edmond Halley über seine Taucherglocke und seinen Taucherhelm. © historisch

Eine bessere Taucherglocke und ein Taucherhelm

„Ich beseitigte diese Schwierigkeiten, indem ich einen Weg erfand, um Luft zur Glocke hinunterzubringen“, beschreibt Halley sein System. Dabei werden regelmäßig abgedichtete Luftbeutel an beschwerten Seilen zur Glocke hinuntergelassen und dann in ihrem Inneren geöffnet. „Dies erfrischt und ergänzt nicht nur die Luft in der Taucherglocke, es treibt auch das Wasser hinaus, egal auf welcher Tiefe man sich befindet“, so Halley.

Sein System hält den Luftdruck im Inneren der Taucherglocke hoch genug, um dem Wasserdruck entgegenzuwirken. „Auf diese Weise habe ich drei Männer eindreiviertel Stunden und 18 Meter tief unter Wasser gehalten, ohne die leiseste Unannehmlichkeit und in perfekter Freiheit, so zu agieren als wären sie an der Oberfläche“, berichtet Halley weiter.

Und nicht nur das: Sogar einen Taucheranzug samt Helm konzipiert und testet der Forscher. Dieser besteht aus einem abgedichteten Lederanzug und einem metallenen, mit Sichtgläsern für die Augen ausgestattetem Helm. „Diese Kappe muss rund fünf bis sechs Gallonen Luft fassen können und braucht eine Leitung, die von der Taucherglocke zu ihr führt“, schreibt Halley. Über diese Leitung bekommt der Taucher frische Luft, die ihm mithilfe einer Handpumpe von der Taucherglocke aus zugeführt wird. Eine zweite Leitung führt vom Helm nach oben und entlässt die Ausatemluft ins Wasser.

Halley nutzt seine Taucherglocke, um mehrfach selbst zu tauchen und sich längere Zeit unter Wasser aufzuhalten. „In Zeiten, wenn das Wasser aufgewühlt und dick war, wurde es in der Glocke dunkel wie in der Nacht“, beschreibt er eine dieser Erfahrungen. „Aber in einem solchen Fall konnte ich eine Kerze in der Glocke anzünden und so lange brennen lassen, wie ich wollte – trotz der großen Luftmenge, die eine solche Flamme benötigt.“