Wie moderne Methoden die archäologische Forschung verändern

Alte Funde, neue Technologien

Pergamon
Archäologie umfasst heute längst auch digitale Technologien bis hin zum 3D-Modell. © modifiziert aus Ozbalci/ Getty images

Zwar haben Schaufel und Pinsel in der Archäologie noch nicht ausgedient, aber bei den Ausgrabungen kommt längst auch modernste Digitaltechnik zum Einsatz – vom Tablet über Laserscanner bis zur 3D-Technologie. Auch bei den Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in den Ruinen des antiken Pergamon nutzen Forschende diese Technologien.

Eine unscheinbare Kunststoffbox mit langsam blinkender grüner LED – so präsentierte sich die erste externe Festplatte der Pergamongrabung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in der Türkei. Sie diente damals, Anfang der 2000er Jahre, zur Speicherung von Digitalfotos der Ausgrabungsarbeiten. Rund zwei Jahrzehnte später flackern unzählige LEDs in einem Serverschrank im Grabungshaus und digitale Technologien sind aus dem archäologischen Alltag auch in Pergamon nicht mehr wegzudenken. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und ständig kommen neue hinzu.

Digitale Technologien bei der Ausgrabung

Vom Fund zum 3D-Modell

Die an der Westküste Kleinasiens liegende Stadt Pergamon war schon in der griechischen Antike ein wichtiger Herrschersitz. Neben ihrer politischen Bedeutung war die Stadt im dritten bis ersten Jahrhundert vor Christus auch ein kulturelles und religiöses Zentrum mit einer bedeutenden Bibliothek, beeindruckenden Bau- und Kunstwerken und dem international frequentierten Heiligtum des Asklepios. Später gehörte Pergamon als römische Metropole zu den prominentesten städtischen Zentren der antiken Welt.

3D-Rekonstruktion des antiken Pergamon um 200 n. Chr.© Lengyel Toulouse Academic

Zeitreise in die Welt der Antike

Für die Archäologie ist Pergamon jedoch noch aus einem anderen Grund besonders wertvoll:
Anders als die meisten hellenistischen Residenzstädte wie beispielsweise Alexandria oder Antiocheia wurde Pergamon nicht von modernen Siedlungen überbaut. Dadurch sind die Ruinen dieser antiken Stadt zugänglich geblieben und wurden nicht für neuzeitliche Gebäude zerstört. Unter anderem deshalb wurden die Überreste des antiken Pergamon schon im Mittelalter von Reisenden und Gelehrten besucht und beschrieben.

Seit über 140 Jahren erforschen auch Archäologinnen und Archäologen aus Deutschland die Ruinen von Pergamon. Heute finden die Arbeiten unter dem Schirm der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur und Tourismus der Republik Türkei statt. Ein aktuelles Forschungsprojekt widmet sich der Transformation der Mikroregion Pergamon zwischen Hellenismus und römischer Kaiserzeit.

Grafik-Tablet
Details der Funde und Architektur werden vor Ort mithilfe von Grafik-Tablets dokumentiert. © I. Yeneroğlu/ DAI Pergamongrabung

Digitale Technologie statt Zeichenbrett und Papier

Jeden Sommer arbeitet ein internationales Team für mehrere Monate vor Ort. Doch wo einst Papier, Stift und Zeichenbrett die Werkzeuge der Wahl waren, setzen die Archäologen heute auf 3D-Modelle und Drohnen bei der Erforschung der antiken Stadt Pergamon und ihres Umlandes. Digitale Technologien begleiten die Forschungsarbeit mittlerweile von der Dokumentation archäologischer Funde und Befunde im Gelände, über die Analyse und Auswertung der gewonnenen Informationen bis hin zur Publikation in ganz unterschiedlichen Formen und Medien.

Die Ausgrabungsarbeit mit Schaufel und Kelle ist unter der mediterranen Sonne Pergamons mitunter mühsam. Sie wird aber dann äußerst spannend, wenn mit jedem Fund ein neues Stück Vergangenheit auftaucht und jede freigelegte Mauer unser Bild jener Bauwerke ergänzt, die einst die antike Großstadt bildeten.

Drohnen, GPS und 3D-Modelle

Die Dokumentation der Funde in situ, also am Ort, ist heute weitgehend digitalisiert. Grabungstechnikerinnen und Grabungstechniker, Archäologinnen und Archäologen vermessen mit elektronischen Tachymetern oder GPS-Geräten und fotografieren jedes Detail, egal ob aus der Nähe oder mit Hilfe einer Drohne aus der Luft.

Drohneneinsatz
Schwer zugängliche Bereiche der Ruinen werden mittels Drohne erkundet. © G. Günay/ DAI Pergamongrabung

Zu einem der wichtigsten Dokumentationswerkzeuge hat sich in den letzten zehn Jahren die „Structure from Motion“-Methode (SfM) entwickelt. Structure from Motion ist ein fotogrammmetrisches Verfahren, das die Erstellung von präzisen 3D-Modellen aus einer Serie überlappender 2D-Fotos ermöglicht. Damit können Objekte, Grabungssituationen oder die Ruinen ganzer Bauwerke effizienter und präziser als je zuvor und gleichzeitig kostengünstiger als mit einem Laserscanner dokumentiert werden.

So basiert beispielsweise die Visualisierung des sogenannten Grottenheiligtums am Osthang des Stadtberges von Pergamon mit den beiden Grotten, der vorgelagerten Architektur und dem gut vier Meter tiefen Schacht auf einem solchen 3D-Modell. Auch für die Dokumentation und Rekonstruktion des Amphitheaters der antiken Metropole lieferte dieses Verfahren zuletzt eine wesentliche Grundlage.

Helfer für Funddokumentation und Survey

Laserscanner, Tablet und LIDAR

Eine Ausgrabung bedeutet immer auch eine kontrollierte Zerstörung des archäologischen Kontextes. Deshalb muss jedes Detail der Funde und ihrer Umgebung akribisch beschrieben werden. Auch in Pergamon haben dabei Tablets oder Laptops die früher handschriftlich geführten Tagebücher längst ersetzt.

Alle Informationen, ob Text, Fotos, Zeichnungen oder Koordinaten, werden in Field Desktop (iDAI.field), einer speziellen Datenbank, zusammengeführt und miteinander verknüpft. Diese Open Source-Software ermöglicht dank cloudbasierter Speicherung und Synchronisation gemeinsames Arbeiten und Forschen – jederzeit und überall.

Laserscanner
Keramikscherben werden mit einem speziellen Laserscanner abgetastet und digitalisiert. © P. Michalski/ DAI Pergamongrabung

Keramikscherben unterm Laserscanner

Zu den häufigsten archäologischen Funden vor Ort gehören Keramikscherben. Um sie besser verstehen und einordnen zu können, werden unter anderem detailgetreue Zeichnungen angefertigt. Während über Jahrzehnte hinweg jedes Fragment solcher Scherben mit Bleistift, Zeichenkamm, Radiusschablone und Schieblehre aufwendig aufs Papier gebracht und anschließend digitalisiert werden musste, kommt seit einigen Jahren auch in diesem Bereich modernste Technologie zum Einsatz.

Mit einem Laser-Aided-Profiler, einem speziellen Laserscanner, können Keramikfragmente in wenigen Minuten präzise gescannt und in maßstabsgetreue Zeichnungen übersetzt werden. Besonders bei zeitlich begrenzten Forschungskampagnen oder großen Fundmengen bedeutet diese Technologie einen großen Effizienzfortschritt.

LIDAR zeigt die Topografie der Umgebung

Auch das Umland Pergamons wird in diese Forschungen einbezogen. Neben der Auswertung von Satellitendaten ermöglicht vor allem der Einsatz von LiDAR (Light Detection and Ranging) völlig neue Einblicke in die Landschaft. Bei diesem Verfahren tasten Laserstrahlen die Landschaft ab und können so topografische Details sichtbar machen. Unter einer Drohne montiert, scannte ein LiDAR-System im vergangenen Sommer den antiken Stadtberg von Pergamon und seine Umgebung.

LIDAR
LIDAR-Scans können die Topografie kartieren und verborgene archäologische Strukturen sichtbar machen. © B. Ludwig/ DAI Pergamongrabung

Daraus entstand ein sehr detailliertes Modell des Geländes, das es uns ermöglicht, unzugängliche oder unter Vegetation verborgene Strukturen wie Mauern, Straßen, Grabstätten oder Siedlungen zu identifizieren.

Mit dem Tablet auf Begehung

Systematische Begehungen der Landschaft, sogenannte Surveys, bleiben jedoch unerlässlich, um Informationen zur Art und Datierung der Befunde zu sammeln. Aber auch dabei kommen Papier und Stift nur noch selten zum Einsatz. Ausgestattet mit Tablet-PCs geht das Team festgelegte Gebiete systematisch ab und dokumentiert jeden Fund in seiner exakten Position und seinem Fundkontext. Die an der Oberfläche gesammelten Daten können dann in einem Geografischen Informationssystem (GIS) kartiert und mit geophysikalischen Messungen der im Untergrund verborgenen Strukturen verglichen werden.

Dadurch gelang es den Archäologenteams zuletzt beispielsweise, eine ländliche Produktionsstätte für Amphoren aus spätantiker und frühbyzantinischer Zeit mit mindestens zehn Brennöfen zu entdecken: Die in den geophysikalischen Messungen festgestellten Anomalien im Untergrund stimmten in ihrer Position exakt mit starken Konzentrationen keramischer Produktionsabfälle überein.

Digitale Werkzeuge für die Forschung

Interaktiv und transparent

Der Weg aller bei einer Ausgrabung gesammelten Daten und Informationen endet aber keineswegs nur in einer Datenbank oder einem digitalen Archiv. Er führt unter anderem tiefer in die iDAI.world, eine digitale Plattform des Deutschen Archäologischen Instituts, in die Daten aller Projekte und Ausgrabungen eingepflegt sind.

Pergamon Karte
Auf der zentralen Plattform iDAI.geoserver werden die Daten der Ausgrabung zugänglich gemacht.. © Deutsches Archäologisches Institut/ iDAI.geoserver

Interaktive Karten machen die Informationen zugänglich

So stellt die archäologische Karte von Pergamon auf dem iDAI.geoserver alle bekannten archäologischen Strukturen der antiken Stadt in einem interaktiven, dreisprachigen WebGIS dar. Bei jedem Kartenupdate werden die weißen, noch unerforschten Bereiche Pergamons auf der Karte etwas kleiner oder bereits dargestellte Gebäude aufgrund neuer Forschungen verändert und ergänzt.

Die Karte dient aber insbesondere als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung, indem sie mit weiterführenden Informationen in der iDAI.world vernetzt ist. Über iDAI.objects können beispielsweise Archivfotos, Pläne und Literatur zu dargestellten Gebäuden, Straßen oder Befunden erkundet werden.

Mehr Transparenz für die Forschung

Für die Analyse des stetig wachsenden Datenschatzes werden ständig neue digitale Forschungswerkzeuge entwickelt und etablierte Verfahren optimiert. Mit Hilfe GIS-basierter räumlicher Analysen wurden zuletzt befestigte Siedlungen bezüglich ihrer Funktion bei der Überwachung und Kontrolle der pergamenischen Landschaft untersucht. Neue Erkenntnisse zur ökologischen Tragfähigkeit jener Landschaft lieferten zuletzt auch komplexere, quantitative Modellierungen verschiedener Szenarien landwirtschaftlicher Produktion.

Diese Methoden ermöglichen es uns, neue Perspektiven einzunehmen und neue Wege bei der Beantwortung aktueller Forschungsfragen zu gehen. Ein Fokus liegt dabei auf der Transparenz und Reproduzierbarkeit der Informationen. Das bedeutet, dass Forschungsdaten und Analysen parallel zur Publikation in digitalen Repositorien zugänglich gemacht werden und dadurch für jede Forscherin und jeden Forscher nachvollziehbar sind – eine wesentliche Voraussetzung für die Zuverlässigkeit digitaler Methoden und guter wissenschaftlicher Forschung.

Was bringt die Zukunft?

Der Einsatz digitaler Technologien in Pergamon und in der archäologischen Forschung ganz allgemein ist heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Innovative Methoden der Datenerfassung und -analyse eröffnen ständig neue Möglichkeiten und Perspektiven zur Erforschung der Vergangenheit.

Was vor gerade einmal 20 Jahren mit der Frage nach ausreichendem Speicherplatz auf einer einzigen Festplatte im Grabungshaus begann, entspricht heute der Diskussion darum wie Künstliche Intelligenz uns in Zukunft dabei helfen wird, Fundmaterial zu klassifizieren, antike Strukturen oder Landschaften zu rekonstruieren oder große Datenmengen zu analysieren und Muster und Beziehungen zu erkennen.

Von der einstigen Festplatte übrig geblieben ist nur noch ihr damals festgelegter Laufwerksbuchstabe „M“. Er wird noch heute im täglichen Sprachgebrauch des Projektes als Synonym für die Datensammlung der Pergamongrabung verwendet.