Wie der tropische Pazifik das Weltklima beeinflusst

El Niño – Klimaphänomen mit globalen Folgen

El Niño
Das pazifische Klimaphänomen des El Niño hat weltweite Auswirkungen. © MCCAIG/ Getty images

Alle paar Jahre bringt das Klimaphänomen El Niño nicht nur das Wetter im Pazifikraum durcheinander – es beeinflusst auch das Klima weltweit. Nun steht wieder ein El Niño bevor. Er könnte das globale Klima erstmals über die 1,5 Grad-Grenze der Erwärmung treiben. Doch was steckt hinter dem Klimaphänomen? Und wie hängt es mit dem Klimawandel zusammen?

Die Zeichen stehen auf heiß: Im äquatorialen Pazifik zeigen sich schon seit April 2023 erste Vorzeichen eines kommenden El Niño – einer periodisch wiederkehrenden Klimakapriole, die die Temperaturen im Pazifik und weltweit in die Höhe treibt. Es drohen verstärkte Trockenheit und Waldbrände in Australien, Südostasien und Südafrika sowie Stürme und Starkregen entlang der Westküste Nord- und Südamerikas. Für das Weltklima und viele vom El Niño betroffenen Regionen sind dies keine guten Nachrichten.

2023 könnte ein neues El Niño-Jahr werden

Er ist wieder da

„El Niño“, das Christkind – so haben peruanische Fischer einst die alle paar Jahre auftretende Klimaanomalie entlang der Westküste Südamerikas getauft. Denn dieses Klimaphänomen manifestierte sich meist im Herbst und Winter und brachte den Fischern leere Netze und eine Zwangspause zur Weihnachtszeit.

Doch der harmlose Name trügt: Der El Niño ist ein Klimaphänomen mit weltweiten Auswirkungen und teilweise schwerwiegenden Folgen. „Das El Niño-Phänomen ist eines der wichtigsten Merkmale des globalen Klimasystems, und Änderungen seines Verhaltens haben schwerwiegende Auswirkungen auf das Wetter und extreme Ereignisse auf der ganzen Welt“, erklärt Benjamin Henley von der University of Melbourne.

Prognose
Messdaten und Prognosen von Anfang Mai 2023 für einen bevorstehenden El Niño.© NOAA Climate.gov/ Emily Becker

2023: Die Zeichen stehen auf El Niño

Jetzt wird das Thema wieder akut: Für die zweite Jahreshälfte 2023 sagen Klimaforscher einen El Niño voraus. Messdaten aus dem äquatorialen Pazifik zeigen, dass die Temperaturen dort bereits 0,4 Grad über dem langjährigen Mittel für den Monat Mai liegen. „Dies ist nur noch 0,1 Grad von der 0,5-Grad-Schwelle entfernt, die für El-Niño-Bedingungen nötig ist“, erklärt Nat Johnson von der US National Atmospheric and Oceanic Administration (NOAA). „Auch die Temperaturen der tieferen Wasserschichten haben sich erhöht – sie liefern damit das warme Wasser für einen sich entwickelnden El Niño.“

Auch die World Meteorological Organization (WMO) sieht klare Vorzeichen für einen neuen El Niño. Sie beziffert die Chance für einen Begin dieser Klimaanomalie schon in den nächsten Wochen auf rund 60 Prozent, bis September auf bis zu 80 Prozent. Modelle anderer Forschungseinrichtungen sehen sogar eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit. Zwar zeigen die Luftströmungen über dem tropischen Pazifik bisher noch nicht die El-Niño-typische Veränderungen. Diese könnte aber demnächst eintreten – und damit offiziell eine El-Niño-Phase einläuten.

Erwärmung über 1,5 Grad hinaus

„Die Welt sollte sich auf einen neuen El Niño vorbereiten“, sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. Denn die Auswirkungen dieser Klimaanomalie seien weltweit zu spüren. „Wir haben gerade die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter uns – obwohl es in den letzten drei Jahren eine kühlende La Niña gab. Ein neuer El Niño wird wahrscheinlich zu einem erneuten Sprung in der globalen Erwärmung führen und die Wahrscheinlichkeit für neue Klimarekorde erhöhen.“

Meerestemperaturen April 2023
Im Ostpazifik zeichnete sich bereits im April 2023 die für einen El Niño typische anomale Erwärmung der Meeresoberfläche ab.© NOAA Climate.gov

Den Prognosen zufolge könnte der Wärmeschub im tropischen Pazifik dazu führen, dass die globale Mitteltemperatur spätestens im Jahr 2024 einen neuen Rekordwert erreicht. Möglicherweise wird sogar die Marke von 1,5 Grad Erwärmung gegenüber präindustriellen Zeiten überschritten – die Schwelle, die laut Klimaabkommen von Paris eigentlich als nicht zu überschreitende Obergrenze anvisiert wurde. Weil aber im internationalen Klimaschutz zu wenig getan wurde, ist die Chance, dieses Klimaschutzziel zu erreichen, in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken

Der sich anbahnende El Niño verschärft die Lage nun zusätzlich: Laut WMO besteht eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Jahresmitteltemperaturen zwischen 2023 und 2027 in mindestens einem dieser Jahre oberhalb von 1,5 Grad Erwärmung liegen werden. „Der El Niño, kombiniert mit der menschengemachten Erwärmung, wird die globalen Temperauren in bisher unbekannte Gefilde treiben“, sagt Taalas. „Dies wird weitreichende Konsequenzen für Gesundheit, Nahrungssicherheit, Wasser-Management und die Umwelt haben.

Jeder El Niño kostet die Weltwirtschaft Billionen

Wie schwerwiegend die Auswirkungen eines El Niño nicht nur für die unmittelbar betroffenen Regionen, sondern auch für die gesamte Weltwirtschaft sind, haben Christopher Callahan und Justin Mankin vom Dartmouth College in den USA ermittelt. Für ihre im Mai 2023 veröffentlichte Studie hatten sie anhand des Bruttoninlandsprodukts von Ländern weltweit untersucht, ob und wie sich ein starker El Niño in den Folgejahren auf die Wirtschaft auswirkt.

Das Ergebnis: In den fünf Jahren nach einem El Niño kommt es zu einer messbaren Senke der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und einem deutlich verlangsamten Wirtschaftswachstum. Ursachen dafür sind zum einen die Folgen von Wetterextremen und Ernteeinbußen in den unmittelbar betroffenen Ländern des tropischen Pazifikraums, aber auch Lieferengpässe und Preissteigerungen auf den globalen Märkten. Dadurch kam es nach dem starken El Nino von 1997/1998 weltweit zu Verlusten von insgesamt 5,7 Billionen US-Dollar.

Für die Zeit nach dem El Niño von 2023 sagen Callahan und Mankin weltweite Einbußen von rund drei Billionen US-Dollar voraus – mindestens. „Wir können mit Sicherheit sagen, dass Gesellschaften und Wirtschaftssysteme nicht einfach nur einen kurzzeitigen Schlag hinnehmen und sich dann erholen“, sagt Callahan. „Stattdessen sind diese Klimaschwankungen unglaublich teuer und lassen das Wachstum über Jahre hinweg stagnieren.“

Doch was macht den El Niño so folgenreich? Und wie zeigt er sich?

Wie manifestiert sich ein El Niño?

Die Symptome

Der El Niño und seine „kalte Schwester“ La Niña manifestieren sich zuerst im äquatorialen Pazifik – dort werden die ersten Vorzeichen des Klimaphänomens messbar. Sie verändern Ozean und Atmosphäre auf jeweils charakteristische Weise und lösen dadurch eine Kaskade von Effekten aus, die auch die großräumigen, weit über den tropischen Pazifikraum hinausgehenden Zirkulationsmuster beeinflussen.

neutrale Bedingungen und El Nino
Meerestemperaturen und Luftströmungen im äquatorialen Pazifik unter neutralen Bedingungen und bei einem El Niño.© NOAA Climate.gov/ Emily Eng

Mit warmem Meerwasser fängt es an

Das erste Symptom des El Niño ist eine Veränderung der Meerestemperaturen im östlichen Pazifik: Entlang der Westküste Südamerikas sorgt normalerweise eine Aufwärtsströmung dafür, dass ständig kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe des Ozeans an die Oberfläche steigt. Dies beschert den dortigen Fischern einen reichen Fang und macht die Gewässer vor der Küste sehr artenreich. Gleichzeitig verursacht dies ein West-Ost-Temperaturgefälle im äquatorialen Pazifik: Das oberflächennahe Wasser in Südostasien ist im Schnitt acht Grad wärmer als vor der Küste Südamerikas.

Stabilisiert wird dieses Temperaturgefälle durch die westwärts wehenden Passatwinde, die das wärmere Oberflächenwasser von der Küste Südamerikas wegtreiben und so das Nachströmen des Tiefenwasser erleichtern. Die Winde stauen das warme Wasser im Westpazifik und erhöhen dort den Meeresspiegel um bis zu einen Meter. Zum Temperaturgefälle kommt dadurch auch ein Gefälle des Meeresspiegels.

Bei einem El Niño ändert sich dies: Vor der Küste Südamerikas steigen die Wassertemperaturen und der Aufstrom des kalten Tiefenwassers lässt nach. Als Folge schwindet der Nährstoff-Nachschub in den oberen Wasserschichten, die Planktonproduktion bricht ein und die Fische bleiben aus. Parallel dazu schwächen sich auch die westwärts wehenden Passatwinde ab, die normalerweise die warmen Wassermassen des Pazifiks im Westen aufstauen. Dadurch strömt das warme Meerwasser „bergab“ gen Osten und sammelt sich vor der Küste Südamerikas. Dort blockieren die warmen Wassermassen das Aufsteigen des Tiefenwassers weiter und verstärken die Erwärmung noch.

Trockenheit im Westen, Starkregen im Osten

Dies bleibt nicht ohne Folgen auf Wetter und Klima im tropischen Pazifikraum – und verursacht das zweite Symptom eines El Niño: Die normalen Wetterverhältnisse rund um den Pazifik kehren sich um. Im Ostpazifik verdunstet mehr Wasser von der aufgeheizten Meeresoberfläche und die aufsteigende warmfeuchte Luft transportiert große Mengen Wasser und Wärme in die Atmosphäre. Es bilden sich dicke Regenwolken, die sich in teilweise sintflutartigen Regenfällen über den westlichen Teilen Mittel- und Südamerikas und dem Süden der USA entleeren.

Die Folge sind häufig Überschwemmungen und Erdrutsche, ganze Ernten können in sintflutartigen Regenfällen ertrinken. Selbst die an milde und trockene Winter gewöhnten Einwohner von Florida und den anderen südöstlichen „Sonnenstaaten“ der USA müssen sich in El-Niño-Jahren auf ungemütlich nasses und kaltes Winterwetter einstellen. Entlang der Westküste des Kontinents wird es zudem stürmischer und die Erosion durch Wind und Wellen steigt.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifik herrscht dagegen Regenmangel: Die normalerweise über den tropischen Regionen Südostasiens und Ozeaniens hängenden Regenwolken verschwinden, dadurch wird es im gesamten westlichen Pazifikraum trockener. Die Folge sind Dürren und vermehrte Waldbrände in Südostasien, Australien und Teilen des südlichen Afrika.

Goobale Folgen eines El NIno
Globale Auswirkungen eines El Niño im Winter und Sommer.© NOAA Climate.gov

Hadley-Zirkulation, Jetstream und Hurrikans

Doch die Symptome des El Niño beschränken sich nicht auf die Anrainer des tropischen Pazifik: Weil der El Niño den Aufstrom warmer Luft in der Äquatorregion verstärkt, verstärkt er die Hadley-Zirkulation. Diese riesige Strömungszelle transportiert große Luftmassen vom Äquator aus nach Norden und Süden bis in subtropische Breiten. „Durch den El Niño wird dieser Luftmassen-Strom in Richtung der Pole heftiger und das führt zu weltweiten Veränderungen in den Zirkulationsmustern“, erklärt Anthony Barston vom IRI-Klimaforschungszentrum der Columbia University in New York.

Eine der Folgen davon: Die Position des subtropischen Jetstreams verschiebt sich und dies wirkt sich auch auf alle weiter polwärts liegenden Luftströmungen aus. Das normalerweise etwa auf Höhe des nördlichen Wendekreises um den Globus rasende Windband kann nun bis nach Nordamerika hineinreichen. Auch südlich des Äquators kommt es zu großräumigen Verschiebungen der Luftströmungen. Diese Verlagerung lenkt pazifische Winterstürme weiter südwärts an die Küsten Chiles und Argentiniens und nordwärts nach Kalifornien und entlang der amerikanischen Westküste. Dort können starke Regenfälle und Rekordschneefälle immer wieder zu Überschwemmungen, Erdrutschen und Schlammlawinen führen.

Im Pazifikraum fördern die beim El Niño abgeschwächten Höhenwinde auch die Bildung tropischer Wirbelstürme. Weil die eher hemmenden Scherwinde nun weniger stark ausgeprägt sind, können während der sommerlichen Sturmsaison über dem Zentral- und Ostpazifik mehr starke Zyklone entstehen. Über dem Golf von Meiko und dem äquatorialen Atlantik verursachen die verstärkte Hadley-Zirkulation und der verlagerte Jetstream dagegen starke Scherwinde, die Hurrikans abschwächen oder ganz zerstreuen – atlantische Wirbelstürme werden dadurch in El-Niño-Jahren seltener.

Und Europa?

Europa liegt von allen Kontinenten am weitesten vom „Ground Zero“ des El Niño im Pazifik entfernt. Deshalb sind die direkten Auswirkungen bei uns nur wenig zu spüren. Allerdings kann die großräumige Verschiebung und Destabilisierung der normalen atmosphärischen Zirkulation auch bei uns das Wetter beeinflussen.

Ein möglicher Effekt: Die normalerweise eher über Nordeuropa hinwegziehenden Tiefdruckgebiete verlagern ihre Route etwas Richtung Süden. Dadurch kann es in El-Niño-Jahren in Skandinavien und Großbritannien etwas weniger regnen, in Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum etwas mehr. Im Winter kann der El Niño dazu führen, dass es in Nord- und Osteuropa besonders kalt wird. Allerdings sind diese Auswirkungen nur sehr schwach und äußern sich eher in statischen Wahrscheinlichkeiten als in deutlich spürbaren Veränderungen.

Im Normalfall merken wir Europäer den El Niño deshalb vor allem dann, wenn es beispielsweise wegen Überschwemmungen und Starkregen zu Missernten in Süd- und Mittelamerika kommt und die Preise für bestimmte Lebensmittel steigen. Auch Dürren in Asien oder Teilen Afrikas können indirekte Folgen haben. Und natürlich wächst auch bei uns das Risiko für Extremwetter wie Hitzewellen, wenn der El Niño die globalen Temperaturen weiter in die Höhe treibt.

Wie entsteht ein El Niño?

Die Zutaten

Die Kapriolen des El Niño gehören zum normalen irdischen Klimageschehen wie die Jahreszeiten oder der Monsun. Wie ein gewaltiges Pendel schwingen die wiederkehrenden Veränderungen von Wasser, Wind und Temperaturen seit Jahrtausenden zwischen Ost und West, Hoch und Tief, El Niño und La Niña hin und her.

Doch im Gegensatz zu den regelmäßigen Jahreszeiten ist der El Niño launisch und unberechenbar. Sein Kommen und Gehen ist bis heute nur schwer vorherzusagen. Zwar kennen Klimaforscher und Meteorologen die Grundzutaten für dieses Klimaphänomen, doch welche davon den Anstoß für einen El Nino gibt, ist noch immer erst in Teilen geklärt – es ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. „Es müssen erst mehrere Zutaten aus Meer und Luft zusammenkommen, damit der ENSO wachsen und erblühen kann“, erklärt Michelle L’Heureux von Climate Predictions Center der US-Atmosphären- und Meeresforschungsbehörde NOAA.

Walker-Zirkulation
Die Walker-Zirkulation im Normalzustand: Über dem Westpazifik steigt warmfeuchte Luft auf und erzeugt ein Tiefdruckgebiet mit reichlich Regen. Im Ostpazifik herrscht dagegen hoher Luftdruck, kühle, trockene Höhenluft sinkt ab.© National Weather Service

Walker und das Luftdruckpendel

Die erste Zutat für einen El Niño entdeckte in den 1920er Jahren der britische Meteorologe Gilbert Walker. Ihm war aufgefallen, dass bestimmte Ausprägungen des indischen Monsuns oft von außergewöhnlichen Trockenperioden in Australien und Indonesien und besonders milden Wintern in Westkanada begleitet wurden. Nur ein Zufall? Oder steckte doch mehr dahinter? Walker reiste nach Indien und ging den Dingen auf den Grund.

Bald stellte er fest, dass sich die Luftdruckverhältnisse beiderseits des Pazifik eine Wippe verhielten: Stieg der Luftdruck im Osten, sank er im Westen und umgekehrt. Diese normalerweise starken Luftdruckgegensätze schienen sich jedoch alle paar Jahre abzuschwächen. Und genau unter diesen „Low-Index“-Bedingungen ereigneten sich die Trockenperioden und Monsunstörungen, die Walker bereits früher aufgefallen waren. Walker taufte die von ihm entdeckten Luftdruckbewegungen „Southern Oscillation“ – und wurde prompt von seinen Kollegen verlacht.

Bjerknes entdeckt den Zusammenhang

Erst 40 Jahre später, in den 1960er Jahren, bestätigte ein anderer Klimaforscher, Jacob Bjerknes, Walkers „Southern Oscillation“ und deckte ihren Zusammenhang mit Klimaphänomenen wie dem El Niño auf. Bjerknes beobachtete, dass die für den El Niño typischen Veränderungen der Meerestemperaturen immer dann auftraten, wenn sich gleichzeitig auch die Luftdruckunterschiede zwischen Ost- und Westpazifik abschwächten. Beide Phänomene mussten daher Teil eines einzigen großen Zyklus sein, folgerte der Forscher.

Heute fast man deshalb den El Nino und die von Walker entdeckte Southern Oscillation zu einem Phänomen zusammen – der ENSO (El Niño-Southern Oscillation) „Bjerknes erkannte, dass Ozean und Atmosphäre gekoppelt waren – Luftdruck- und Temperaturmuster sind Ausdruck von Wechselwirkungen zwischen Meer und Atmosphäre“, erklärt L’Heureux. Durch diese Feedbackschleifen zwischen beiden Systemen schaukeln sich die Bedingungen alle paar Jahre so auf, dass das ENSO-Pendel in Richtung El Niño oder aber seiner kalten Schwester La Niña ausschlägt.

Pinatubo-ERuption
Nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Sommer 1991 folgte 1992 ein El Niño.© USGS/ Dave Harlow

Auch Aerosole mischen mit

Allerdings: Meerestemperaturen und Luftdruckunterschiede sind zwar die wichtigsten Zutaten für das ENSO-Pendel, aber nicht die einzigen. Auch andere Einflüsse können dafür sorgen, dass ein El Niño eintritt, ausbleibt oder aber eine La Niña länger bleibt als vorhergesagt.

Einer dieser Einflussfaktoren sind Vulkanausbrüche. Schon länger weiß man, dass große Eruptionen und die von ihnen ausgeschleuderten Schwefelaerosole messbare Klimaeffekte haben. Reicht die Eruptionswolke bis in die Stratosphäre, können die Schwebtröpfchen dort einen weltumspannenden Schleier bilden, der Sonnenlicht schluckt und das globale Klima abkühlt. Nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 sank die globale Mitteltemperatur beispielsweise um ein Grad und in weiten Teilen der Nordhalbkugel ging das darauffolgende Jahr als das Jahr ohne Sommer in die Geschichte ein.

Diese Abkühlung kann auch das ENSO-Phänomen beeinflussen – zumindest deuten einige Studien darauf hin. Demnach führt der Aerosolschleier und die von ihm bewirkte Abkühlung dazu, dass sich die Passatwindzone leicht nach Süden verschiebt. Als Folge schwächen sich die westwärts wehenden Winde über dem äquatorialen Pazifik ab und begünstigen damit das Auftreten eines El Niño im Jahr nach dem Vulkanausbruch. Einer anderen Hypothese wirkt sich der abkühlende Effekt einer Eruption stärker auf den ohnehin warmen Westpazifik aus und schwächt damit den Ost-West-Temperaturgradient im Ozean – und das löst dann den El Niño aus.

Feuerrauch über Australien
Die extremen Wald- und Buschbrände des Jahres 2019/2020 in Australien verteilten Aerosole über der halben Südhalbkugel.© lovleah/ Getty images

Die dreifache La Niña

Umgekehrt können Aerosole aber auch der kalten Schwester des El Niño zugutekommen – der La Niña. Gezeigt hat sich dies im Jahr 2020, als Klimaforscher eigentlich den Umschwung des ENSO-Pendels zu neutralen Bedingungen oder einem schwachen El Niño erwarteten. Stattdessen entwickelte sich eine starke La Niña, die fast drei Jahre lang anhielt – ein extrem seltenes und ungewöhnliches Phänomen.

Aber warum? Auf der Suche nach der Ursache stießen John Fasullo vom National Center for Atmospheric Research in Colorado und seine Kollegen auf ein Ereignis, das sich tausende Kilometer vom tropischen Pazifik entfernt in Australien abgespielt hat: die Megabrände im Südsommer 2019/2020. Die über den südlichen Pazifik und bis nach Südamerika ziehenden Rauchschwaden der Feuer verursachten eine Abkühlung des Ozeans und eine Nordverschiebung der Innertropischen Konvergenzzone.

Das wiederum schuf im äquatorialen Pazifik die Voraussetzungen für eine starke und ungewöhnlich langanhaltende La Niña. „Viele Menschen haben die australischen Brände schon längst wieder vergessen. Aber das Erdsystem hat ein langes Gedächtnis und die Auswirkungen der Feuer haben jahrelang angehalten“, sagt Fasullo.

Das Problem der ENSO-Vorhersage

Henne und Ei

Um einen El Niño oder eine La Niña vorherzusagen, muss man die Vorwarnzeichen kennen – und wissen, welche Auslöser das ENSO-Pendel in die eine oder andere Richtung auslenken. Doch genau da hapert es: Ozean und Atmosphäre sind so auf so komplexe Weise miteinander verwoben, dass selbst nach Jahrzehnten der ENSO-Forschung unklar ist, welcher Faktor den Ausschlag gibt.

El Nino Vorhersage
Die Vorhersage eines El Niño ist schwierig, denn viele Faktoren und Wechselwirkungen beeinflussen seine Entstehung.© MCCAIG/ Getty images

Sind es die schwächer werdenden Passatwinde, die das Gleichgewicht der Meeresströmungen durcheinanderbringen? Oder geben vielmehr die steigenden Meerestemperaturen den Ausschlag, und die Winde sind nur deren Folge? „Wir wissen oft nicht genau, was diese Feedbackschleife initiiert – manchmal verändern sich erst die Meerestemperaturen und dann schwächen sich die Passatwinde ab, manchmal ist es umgekehrt“, sagt L’Heureux. Das macht die Vorhersage eines El Niño nicht einfacher.

Widersprüche von Luft und Ozean

Auch im Frühjahr 2023 waren die Messdaten widersprüchlich: Zwar lagen Ende April die Meerestemperaturen im Ostpazifik schon bei 0,4 Grad über dem langjährigen Mittel – nur noch 0,1 Grad unter dem offiziellen Grenzwert eines El Niño. Doch in der Atmosphäre tat sich zunächst wenig: „Obwohl der Ozean drauf und dran ist, die Schwelle zum El Niño zu überschreiten, scheint die tropische Atmosphäre zögerlicher, sie bleibt fest im ENSO-neutralen Bereich“, berichtet Nat Johnson von der NOAA. Die Passatwinde und die Walker-Zirkulation zeigten bis Anfang Mai noch keine Anzeichen für eine Abschwächung.

Erschwerend kommt dazu, dass im Frühjahr auftretende Anomalien der Passatwinde sich bis zum Sommer und Herbst wieder verflüchtigen können – es kommt dann quasi zum Fehlstart. Dies war unter anderem im Jahr 2014 der Fall, als es zwar erste Vorzeichen eines kommenden El Niño gab, er dann aber doch vorerst ausblieb. Erst im Jahr darauf manifestierte sich dann der starke El Niño von 2015/2016. „Ohne die Anomalien der tropischen Winde schaffen die El-Niño-Ereignisse nicht den Absprung“, erklärt die NOAA-Expertin L’Heureux. Unter anderem deshalb lässt sich ein kommender El Niño oft erst im Sommer verlässlich vorhersagen.

Ein Gürtel aus Messbojen…

Um die Vorwarnzeichen möglichst frühzeitig und umfassend erkennen zu können, fahren Klimaforscher und Meteorologen bei der ENSO-Überwachung zweigleisig: Ihre Vorhersage beruht sowohl auf Messungen des Ozeanzustands als auch auf Messdaten zum Luftdruck im äquatorialen Bereich. Für die Messung der Meerestemperaturen und -strömungen sorgen die Bojen des TAO/TRITON-Messnetzes. Sie bilden von Indonesien bis Südamerika einen rund 10.000 Kilometer breiten Gürtel quer über den äquatorialen Pazifik.

Die am Meeresgrund verankerten Messbojen registrieren kontinuierlich Temperatur, Druck, Strömung, Sonneneinstrahlung und andere Faktoren an der Meeresoberfläche und bis zu 500 Meter darunter. Über Antennen senden sie ihre gesammelten Informationen regelmäßig an Satelliten, die die Daten dann direkt an die großen Rechenzentren der Klimaforscher weiterleiten. Dort werden sie mit Messdaten von Schiffen und Erdbeobachtungssatelliten kombiniert und ausgewertet.

SOI und El Nino
Entwicklung des Southern Oscillation Index (SOI) und der Meerestemperaturen im Niño-Messgebiet.© Climate.gov/ NOAA CPC

…und die Luftdruckwippe

Die zweite Säule der ENSO-Vorhersage ist die Southern Oscillation – die große Luftdruckwippe über dem Pazifik. Um ihre Entwicklung zu erfassen, werten Klimaforscher die Luftdruckunterschiede zwischen der Südseeinsel Tahiti und dem gut 13.000 Kilometer entfernten Ort Darwin in Australien aus. Mithilfe spezieller Klimamodelle erstellen sie aus den Messdaten den Southern Oscillation Index (SOI). Er gibt an, in welcher Phase sich dieses Luftdruckpendel befindet.

Im Idealfall passen die Ergebnisse beider Vorhersagemethoden zusammen: „Wenn der Luftdruck in Tahiti niedriger ist als in Darwin, dann ist bei einer warmen Episode des ENSO auch die Temperatur im Ostpazifik erhöht“, erklärt Nat Johnson. „Ist umgekehrt der Luftdruck in Tahiti höher als Darwin, dann sind auch die Meerestemperaturen im Messgebiet niedriger und eine La Niña kündigt sich an.“ Doch so einfach ist es eben leider nicht immer – und das macht die Vorhersage der ENSO-Kapriolen so schwierig.

Wie der Klimawandel den El Niño beeinflusst

Wird es schlimmer?

Die Klimakapriolen des ENSO-Phänomens und das globale Klima sind eng miteinander verknüpft – so viel scheint klar. So brachten El-Niño-Jahre in den letzten Jahrzehnten meist auch neue Hitzerekorde in Ozeanen und Atmosphäre mit sich – das Jahr 2016 wurde durch die Kombination von Klimawandel und El Niño zum bisher wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

El Nino 2015/2016
Der starke El Niño von 2015/2016 machte das Jahr 2016 zum bisher heißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.© Climate.gov/ NOAA CPC

Die Verknüpfung wirkt aber auch in umgekehrter Richtung: Die Veränderungen des globalen Klimas beeinflussen das ENSO-Phänomen. Ein Faktor sind dabei die Verlagerungen großräumiger Luftströmungen durch die globale Erwärmung. So verbreitert und verschiebt sich beispielsweise der Tropengürtel, große Windbänder verschieben sich allmählich weiter polwärts. Außerdem sorgen die sich erwärmenden Ozeane dafür, dass sich Temperaturgradienten abschwächen und Niederschlagsmuster verändern. All dies beeinflusst auch die sensible Balance des ENSO-Klimapendels.

Widersprüchliche Prognosen

Aber wie? Bisher gab es dazu sehr widersprüchliche Ergebnisse. So prognostizierten einige Klimaforscher im Jahr 2014, dass die globale Erwärmung einen eher schwachen, aber dafür häufigen und vielleicht sogar dauerhaften El Niño im Pazifik verursachen könnte. Mithilfe ihrer Klimamodelle führten sie dies auf eine Abschwächung und Verschiebung der Passatwinde zurück.

Im gleichen Jahr kam ein Team um Wenju Cai von der australischen Forschungsorganisation CSIRO zum gegenteiligen Schluss. Sie hatten mithilfe von 20 verschiedenen Klimamodellen die Klima- und Niederschlagsentwicklung über 200 Jahre bis zum Jahr 2090 hinweg simuliert und dabei die Häufigkeit von besonders starken El-Nino-Ereignissen ermittelt. Das Ergebnis: Die Häufigkeit extremer El Niños stieg von einmal alle 20 Jahre auf einmal alle zehn Jahre – sie verdoppelte sich damit. Als ausschlaggebenden Grund identifizierten sie die Erwärmung des tropischen Pazifik durch den Klimawandel.

El Niño ist nicht gleich El Niño

Im Jahr 2018 lieferten dann zwei weitere Studien eine mögliche Erklärung für diese widersprüchlichen Prognosen. Denn nicht jeder El Niño manifestiert sich auf die gleiche Weise: Einige heizen den Pazifik eher im zentralen Bereich auf, andere konzentrieren sich nur auf den Ostpazifik. In den letzten Jahrhunderten traten beiden Varianten etwa gleich häufig auf, wie Auswertungen von Korallenriff-Bohrkernen aus dem Pazifikraum belegen. Dabei waren die zentralpazifischen El Niños in der Regel schwächer als die ostpazifischen.

Doch etwa ab 1980 hat sich dieses Muster geändert: „Im späten 20. Jahrhundert zeigt sich ein merklicher Anstieg in der Häufigkeit der El Niños im Zentralpazifik“, berichten Mandy Freund von der University of Melbourne und ihre Kollegen. „Die Zahl dieser Ereignisse hat sich gegenüber dem präinstrumentellen Mittel mehr als verdoppelt – von 3,5 auf neun El Niños pro 30 Jahren.“

globale Meerestemperaturen
Die steigenden Meerestemperaturen weltweit und im tropischen Pazifik beeinflussen auch den ENSO-Zyklus.© NOAA Climate.gov

Parallel dazu hat sich die Häufigkeit der Ostpazifik-El-Niños zwar leicht verringert, dafür sind sie deutlich stärker geworden. Wenn sie eintreten, treiben sie die Meerestemperaturen stärker in die Höhe als in früheren Jahrhunderten. Es ist daher wahrscheinlich kein Zufall, dass die drei letzten El Niños dieses Typs – 1982, 1997 und 2015 – die stärksten Klimaschwankungen dieser Art in den gesamten letzten 400 Jahren darstellten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Cai und sein Team bei einer erneuten Modellierung der pazifischen Klimaverhältnisse. Auch ihre Simulationen ergaben, dass sich die ostpazifischen El Niños verstärken.

Widersprüche bleiben

Allerdings: Ganz einig sind sich die Klimaforscher trotzdem noch nicht, was dies konkret für die zukünftige Häufigkeit von El-Niño-Ereignissen bedeutet. „Eine Gruppe von Forschenden favorisiert die Hypothese, dass sich der mittlere Klimazustand ,El-Niño-artig‘ verändern wird, mit einer stärkeren Erwärmung im Osten als im Westen, übereinstimmend mit den Klimamodellen“, erklärt dazu Klimaforscher Mojib Latif im Jahr 2022.

„Eine andere Gruppe favorisiert die ,La-Niña-artige‘ Veränderung, mit einer Abkühlung im Osten oder zumindest einer schwächeren Erwärmung im Osten als im Westen. Und wieder andere haben publiziert, dass sich entweder La-Niña- oder El-Niño-Ereignisse intensivieren werden.“ Klar ist allerdings auch: „Jede dieser möglichen Veränderungen hätte schwerwiegende Folgen für viele Regionen rund um den Globus“, betont Latif.