Warum der größte Mond des Sonnensystems so einzigartig ist

Ganymeds Geheimnisse

Ganymed
Das Jupitermond Ganymed – ein geheimnisvoller Riese. © NASA/JHUAPL/ SwRI/ Malin Space Science Systems, Kevin M. Gill

Der Jupitermond Ganymed ist ein rätselhafter Exot im Sonnensystem. Kein anderer Mond ist so groß wie er, keiner sonst besitzt ein eigenes Magnetfeld oder ein so komplexes Innenleben. Der flüssige Ozean unter der Eiskruste des Ganymed könnte zudem ein Ort außerirdischen Lebens sein. Doch was sich darin verbirgt und welche Eigenheiten der Jupitermond sonst noch hat, ist bisher unbekannt.

Obwohl schon Galileo Galilei den Jupitermond entdeckte, ist Ganymed bis heute kaum erforscht. Erst zweimal flogen irdische Raumsonden an ihm vorbei und auch irdische Teleskope haben nur wenige Bilder und Daten geliefert. Sie reichen aber immerhin aus, um den Jupitermond als ziemlich spannenden und einzigartigen Himmelskörper zu zeigen. Ganymed gehört zudem zu den wenigen Himmelskörpern im Sonnensystem, auf denen extraterrestrisches Leben existieren könnte. Was aber wissen wir bisher über ihn – und was nicht?

Besonderheiten von Ganymed und seinen Nachbarn

Die vier Monde des Galilei

Ganymed verdankt seine Entdeckung keinem geringeren als dem berühmten Galileo Galilei. Der ferne Jupitermond spielte eine entscheidende Rolle für die revolutionären Ideen des Astronomen und den wenig später folgenden Sturz des geozentrischen Weltbilds.

Jupiter und Ganymed
Jupiter und sein Mond Ganymed – schon Galileo Galilei entdeckte den großen Jupitermond mit seinem Fernrohr. © NASA/ESA, Hubble

Galileis Entdeckung

Das Ganze begann mit einer Beobachtung, die Galilei im Januar 1610 machte: Als er den fernen Jupiter mit seinem selbstgebauten Fernrohr anvisierte, sah er im Umfeld des Planeten erst drei, später vier kleine Lichtpunkte. Noch erstaunlicher jedoch: Diese Lichtpunkte waren nicht statisch, sondern schienen sich auf festen Bahnen um den Jupiter zu bewegen. Galileo hatte damit erstmals entdeckt, dass auch andere Planeten Trabanten besitzen – und dass sich nicht alle Himmelskörper um die Erde drehen. Dies widersprach der mittelalterlichen Vorstellung von der Erde als Zentrum des Universums – und sollte Galilei in Konflikt mit der Doktrin der katholischen Kirche bringen.

Heute wissen wir, dass der Jupiter von einem ganzen Hofstaat aus mindestens 92 Monden umgeben ist. Die von Galilei vor gut 400 Jahren entdeckten Monde sind die vier größten, relativ weit innen kreisenden Trabanten des Gasriesen. Ganymed ist nach Io und Europa der dritte galileische Mond, lange trug er deshalb die offizielle Bezeichnung Jupiter III. Ganymed umkreist Jupiter im Abstand von rund einer Million Kilometer, weitere 100.000 Kilometer weiter außen folgt der vierte große Jupitermond Kallisto.

Bahnresonanz
4:2:1-Bahnresonanz von Io, Europa und Ganymed (Größen nicht maßstabsgetreu). © CWitte/ gemeinfrei

Folgenreiche Resonanz

Alle vier großen Monde umkreisen ihren Planeten in gebundener Rotation: Sie kehren dem Jupiter immer die gleiche Seite zu, wie der Erdmond der Erde. Ganymed und seine beiden inneren Nachbarn Europa und Io bewegen sich dabei in einer Resonanz: Ihre Umlaufzeiten um den Jupiter sind miteinander gekoppelt. Für jede sieben Tage dauernde Jupiterumrundung Ganymeds absolviert Europa genau zwei, Io genau vier Orbits. Nur Kallisto kreist unabhängig in seinem Orbit, er ist nicht Teil der Resonanz.

Diese Resonanz von Ganymed und seinen beiden inneren Nachbarn hat Auswirkungen auf die Form ihrer Orbits: Sie hat verhindert, dass die Umlaufbahnen dieser Monde im Laufe der Zeit kreisförmig wurden – wie es normalerweise zu erwarten wäre. Stattdessen treffen sich die drei Jupitermonde immer wieder an den gleichen Stellen ihrer Bahnen und zerren aneinander. Diese Schwerkraft-Wechselwirkungen führten dazu, dass Io, Europa und Ganymed den Jupiter heute auf leicht exzentrischen, elliptischen Bahnen umkreisen.

Diese Verformung der Mondbahnen hat Folgen: Wegen ihrer exzentrischen Orbits sind Ganymed und seine Nachbarn verstärkten Gezeitenkräften durch Jupiters Gravitationsfeld ausgesetzt: Weil ihr Abstand zum Planeten variiert, wird ihr Inneres durch die Jupiter-Schwerkraft im Wechsel gestaucht und gedehnt. Die dabei freigesetzte Energie macht den innersten Mond Io zum vulkanisch aktivsten Himmelskörper im gesamten Sonnensystem. Ganymed und Europa verdanken ihren flüssigen, subglazialen Ozean diesem Effekt.

DIe vier galileischen Monde
Von der NASA-Sonde New Horizons erstellte Porträts der vier galileischen Monde Io, Europa, Ganymed, Kallisto. © NASA/JHUAPL/ SwRI

Lunarer Riese

Alle vier inneren Jupitermonde entstanden schon in der Frühzeit des Sonnensystems. Sie formten sich aus Überresten des Materials, das bei der Bildung des Jupiter übrig geblieben war. Weil dessen große Masse viel Staub und Gas aus der Urwolke in seine Umgebung zog, hatten seine ersten Monde viel Rohmaterial zur Verfügung. Sie konnten daher entsprechend groß werden.

Der mit Abstand größte unter den großen Jupitermonden ist Ganymed: Mit einem mittleren Durchmesser von 5.262 Kilometern ist er der größte Mond im gesamten Sonnensystem. Er übertrifft den Erdmond, den Saturnmond Titan und selbst den Planeten Merkur an Größe. Ganymeds Masse ist allerdings deutlich geringer als die des massiven, aus Metall und Gestein bestehenden Merkur: Mit einer Dichte von 1,94 Gramm pro Kubikzentimeter ist Ganymed eher ein Leichtgeweicht. Merkur und Erde haben mit jeweils rund 5,5 Gramm pro Kubikzentimeter eine gut zweieinhalbmal so hohe Dichte.

Der Grund dafür verbirgt sich im Inneren des lunaren Riesen Ganymed.

Was verbirgt sich unter Ganymeds Kruste?

Ein Sandwich aus Wasser und Eis

Anders als unser Erdmond ist der Jupitermond Ganymed keine massive Kugel aus Metall und Gestein. Stattdessen besitzt er ähnlich wie sein innerer Nachbar Europa eine dicke Eiskruste, unter der sich ein flüssiger Ozean aus Salzwasser verbirgt. Das macht Ganymed zu einem möglichen Kandidaten für außerirdisches Leben.

Frühere Vorstellung von Ganymeds Innenleben
Frühe Vorstellung von Ganymeds innerem Aufbau und subglazialem Ozean, basierend auf Daten der Galileo-Sonde. © NASA/JPL

25-mal mehr Wasser als in allen Weltmeeren

Den Verdacht, dass sich unter der Kruste des größten Jupitermonds nicht nur festes Material verbirgt, hatten Planetenforscher schon in den 1970er Jahren. Gewissheit brachte jedoch erst ein Vorbeiflug der NASA-Raumsonde Galileo im Jahr 1996. Ihre Messdaten lieferten erste Hinweise auf die innere Struktur des großen Eismonds. „Unsere Schwerkraftmessungen deuten darauf hin, dass Ganymed einen metallischen Kern besitzt. Dieser ist von einem Mantel aus Silikatgestein umgeben, der seinerseits in einer rund 800 Kilometer dicken Eishülle steckt“, berichtete damals John Anderson vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA.

Noch spannender jedoch: Weitere Messungen ergaben, dass ein Teil von Ganymeds Eishülle flüssig sein muss. Heute gehen Planetenforscher davon aus, dass sich unter der rund 150 Kilometer dicken äußeren Eiskruste des Jupitermonds ein rund 100 Kilometer dicker Ozean aus flüssigem, leicht salzhaltigem Wasser verbergen muss. Ganymeds subglazialer Ozean hat damit ein enormes Volumen: In ihn würden alle Meere der Erde rund 25-mal hineinpassen.

Gibt es die Voraussetzungen für Leben?

„Dieser Ozean ist riesig und in ihm muss ein enormer Druck herrschen“, erklärt NASA-Forscher Steve Vance vom JPL. „Deshalb dachte man, dass sich auch am Grund des Ozeans dichtes Eis bilden müsste.“ Wäre dies das Fall, dann wäre Ganymeds Wasser komplett von Eis eingeschlossen und hätte keinen Kontakt zum steinigen Mantel des Mondes. Damit würde dem subglazialen Ozean jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Leben fehlen.

Erst die Wechselwirkungen zwischen Mineralien und Wasser schaffen gängiger Theorie zufolge die molekularen Voraussetzungen, durch die biochemische Lebensbausteine entstehen können. Auf unserer Erde könnten diese lebensbildenden Reaktionen an den hydrothermalen Schloten des urzeitlichen Meeresgrunds stattgefunden haben. Auch heiße Quellen an Land oder sogar wassergefüllte Poren im Gestein gelten als mögliche Wiegen des Lebens. Auf Ganymeds innerem Nachbar Europa könnte es Messdaten zufolge hydrothermale Schlote oder sogar Untersee-Vulkane am Grund des subglazialen Ozeans geben.

Schichtstruktur
Neueren Erkenntnissen zufolge hat Ganymeds subglazialer Ozean wechselnde Schichten aus verschiedenen Eisformen und Salzwasser. © NASA/JPL-Caltech

„Sandwich“ aus Eis und Wasser

Doch was ist mit Ganymed? Tatsächlich könnte auch sein subglazialer Ozean weniger eisumschlossen und steril sein als zunächst angenommen. Denn 2014 lieferten Laborexperimente und physikalische Modelle ein neues Bild vom Innenleben des großen Jupitermonds. Demnach erzeugt der Salzgehalt seines subglazialen Meeres eine komplexe Schichtstruktur. Dabei wechseln sich Zonen sehr salzigen flüssigen Wassers mit Wassereis unterschiedlicher Dichte ab.

„Der Ozean des Ganymed könnte wie ein Sandwich in Schichten aufgebaut sein“, erklärt Vance. Das leichteste, am wenigsten dichte Eis bildet dabei die harte Oberflächenkruste des Ganymed. Dieses „Eis I“ entspricht in seiner Kristallstruktur unserem normalen Wassereis. Weiter unten wird das Wassereis jedoch durch den enormen Druck komprimiert und bildet andere, dichtere Eisvarianten. Doch das ist nicht alles: Wenn Wasser gefriert, bleibt das zuvor im Wasser gelöste Salz außen vor. Als Folge steigt der Salzgehalt im verbleibenden flüssigen Wasser und schützt dieses vor dem Gefrieren.

Aufwärts-Schnee und lebensfördernde Kontaktzonen

Dadurch bilden sich in der Hülle des Ganymed abwechselnde Schichten aus Eis und salzigem Wasser. Vance und sein Team vermuten, dass es mindestens drei solcher Schichten geben muss. In den flüssigen Zonen dieses „Sandwichs“ könnte es sogar aufwärts schneien, wie ihre Modelle ergeben haben: Weil die auskristallisierenden Eisklumpen leichter sind als das umgebende Salzwasser, steigen sie nach oben – es schneit aufwärts.

Mit seiner komplexen Schichtstruktur aus Salzwasser und Eis erfüllt Ganymed wichtige Voraussetzungen für potenzielles Leben. Denn die wechselnden Schichten schaffen zahlreiche Grenzflächen, die chemische Reaktionen begünstigen. Noch wichtiger jedoch: Die unterste, direkt über dem Gesteinsmantel liegende Schicht dieses „Sandwichs“ ist wahrscheinlich flüssig. Denn dort sammelt sich das salzigste und damit dichteste Wasser des Jupitermonds und verhindert die Bildung einer Eiskruste auf dem Gestein.

Ob der subglaziale Ozean tatsächlich so aufgebaut ist und wie es in ihm aussieht, ist allerdings noch unbekannt. Mehr Klarheit dazu soll die europäische Raumsonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) bringen, die am 14. April 2023 zum Jupiter und seinen Eismonden gestartet ist. Sie wird im Laufe ihrer Mission mehrfach nah an Ganymed vorbeifliegen und Ende 2034 sogar in eine Umlaufbahn um den größten Jupitermond einschwenken.

Warum sind Ganymed und Kallisto so verschieden?

Die ungleichen Zwillinge

Das Innere des Jupitermonds Ganymed ist nicht nur wegen seines subglazialen Ozeans spannend. Seine Struktur hat auch eine weitere Besonderheit: Anders als sein äußerer Nachbar Kallisto oder der nur wenig kleinere Saturnmond Titan ist sein Inneres ähnlich aufgebaut wie bei den terrestrischen Planeten des Sonnensystems. Wie sie hat Ganymed einen Kern aus Eisen und einen darüber liegenden Mantel aus silikatreichem Gestein.

Kallisto
Anders als Ganymed, der einen Eisenkern und Gesteinsmantel besitzt, ist Kallisto kaum differenziert. Unter ihrer Kruste aus Eis und möglicherweise ein wenig Wasser liegt eine Mischung aus Metall und Gestein. © NASA/JPL

Der Unterschied liegt im Kern

Besonders auffällig ist der Gegensatz zu dem nur 100.000 Kilometer von Ganymed entfernten Kalisto: Weil beide auf die gleiche Weise und in der gleichen Zone der Urwolke entstanden, waren sie zu Beginn ihrer Entwicklung sehr ähnlich. „Ähnlich wie Erde und Venus sind Ganymed und Callisto Zwillinge“, sagt Amy Barr und vom Southwest Research Institute (SwRI) in Texas. Dennoch entwickelten sich die beiden eng benachbarten Jupitermonde unterschiedlich. Ganymed bildete eine planetenähnliche Schichtstruktur, während Kallisto undifferenziert blieb. Sein innerer Bereich besteht aus einem Gemisch aus Silikatgestein und Eis, einen Metallkern hat er nicht.

Aber warum? Allein an der größeren Nähe zum Jupiter kann dies nicht liegen, wie Barr und ihre Kollegen erklären. Zwar wirken die Gezeitenkräfte des Jupiter auf Ganymed etwas stärker als auf Kallisto. Dennoch hätte selbst die dabei entstehende Hitze nicht ausgereicht, um den jungen Mond komplett aufzuschmelzen und für seine Schichtenbildung zu sorgen.

Frühes Bombardement

Schon 2010 vermuteten Barr und ihr Team daher, dass Ganymed in seiner Frühzeit einem stärkeren Bombardement durch Asteroiden ausgesetzt war als Kallisto. Denn nachdem die Phase der Planetenbildung im Sonnensystem abgeschlossen war, blieben Unmengen an größeren und kleineren Planetenbausteinen übrig. Ein Teil sammelte sich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, viele andere schlugen jedoch auf den jungen Planeten und ihren Monden ein und verursachten vor 4,1 bis 3,8 Milliarden Jahre die Phase des „Late Heavy Bombardement“.

„Die Einschläge in dieser Periode schmolzen Ganymed so gründlich und tief, dass die gesamte Hitze nicht so schnell entweichen konnte“, erklärt Barr. Dadurch konnte sich der junge Mond ausdifferenzieren. „Das gesamte Gestein des Mondes sank in sein Zentrum – ähnlich wie Schokoladenstückchen in geschmolzenem Eis auf den Boden sinken“, so die Forscherin. Kallisto erhielt dagegen deutlich weniger Treffer. Er kreist weiter außen und damit nicht in der dichtesten Zone der vom Jupiter angezogenen Asteroiden. Kallisto könnte dadurch nur halb so oft getroffen worden sein wie Ganymed, wie Barr und ihr Team errechneten.

Furchen
Karte der riesigen Furchen (gelb) auf Ganymed. Sie ist auf den mutmaßlichen Einschlagsort bei 20 Grad Süd und 180 Grad West zentriert. Weiße Bereiche sind junges, helles Terrain, in denen die Furchen nicht mehr sichtbar sind.© NASA

Das Rätsel der Furchen

Ganymed könnte bei diesem Bombardement sogar einen fast fatalen Treffer abgekommen haben, wie Forscher um Naoyuki Hirata von der Universität Kobe im Jahr 2020 entdeckten. Sie hatten die riesigen Furchen und Tröge näher untersucht, die die Oberfläche des großen Jupitermonds durchziehen. Diese Furchen durchziehen vor allem die älteren, dunkleren Regionen und sind tausende Kilometer lang und bis zu 700 Meter tief.

„Diese Furchen werden von allen bekannten Einschlagskratern auf Ganymed überlagert und gelten daher als die ältesten erkennbaren Oberflächenstrukturen des Mondes“, erklären die Forscher. Um herauszufinden, was die Ursache dieser tiefen Rinnen sein könnte, haben Hirata und sein Team ihre Verteilung auf Basis von Aufnahmen der Raumsonden Voyager und Galileo kartiert und mithilfe von Computermodellen analysiert.

Der größte Einschlagskrater im Sonnensystem

Das überraschende Ergebnis: Die Furchen auf Ganymeds alter Oberfläche bilden ein konzentrisches Muster aus Ringen, deren Zentrum auf 20 Grad Süd und 180 Grad West liegt. Die gesamte Struktur ist gut 7.800 Kilometer groß und erstreckt sich damit fast über den gesamten Mond. „Damit ist das Furchensystem auf Ganymed weit größer als zuvor angenommen“, erklären die Forscher. Aus der Anordnung der konzentrischen Ringe schließen sie, dass es sich dabei um die Überreste eines einst gewaltigen Einschlagskraters handelt.

Der Jupitermond Ganymed muss demnach in seiner Frühzeit von einem riesigen Asteroiden getroffen worden sein. Hirata und sein Team schätzen dessen Durchmesser auf mindestens 300 Kilometer. Sollte sich dies bestätigten, dann wäre dies der mit Abstand größte bekannte Einschlagskrater im Sonnensystem. Denn der vorherige Rekordhalter, ein Multiring-Krater auf Ganymeds Nachbar Kallisto, ist „nur“ rund 1.900 Kilometer groß.

Dieser Mega-Einschlag auf dem jungen Ganymed hatte Folgen auch für sein Inneres: „Der Impakt, der die Furchen bildete, hatte signifikante Auswirkungen auf die geologische und interne Entwicklung des Mondes“, erklären Hirata und seine Kollegen. Denn der Einschlag setzte genug Energie und Hitze frei, um Ganymed bis in seinen Kern hinein aufzuschmelzen – und schuf so die Voraussetzung für die Bildung seiner inneren Schichtung.

Auch in diesem Punkt warten Planetenforscher ungeduldig auf die Ankunft der ESA-Raumsonde JUICE im Jupitersystem. Denn seine topografische Kartierung der Mondoberfläche könnte mehr Informationen über das Furchensystem, den zugrundeliegenden Krater und dessen Entstehung liefern.

Feldlinien, Polarlichter und Ganymeds Atmosphäre

Ein Magnetfeld im Magnetfeld

Als wären die vielen Eigenheiten des Jupitermonds Ganymed nicht genug, hat er noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Ganymed ist der einzige bekannte Mond, der ein eigenes, intern erzeugtes Magnetfeld besitzt.

Ganymeds Magnetfeld
Ganymed besitzt ein eigenes Magnetfeld (blau), das auf komplexe Weise mit dem Jupitermagnetfeld (orange) interagiert. © NASA/JPL-Caltech / SwRI, Duling

Überraschung beim Vorbeiflug

Entdeckt hat dies die NASA-Raumsonde Galileo, als sie im Jahr 1996 erstmals im Abstand von nur 835 Kilometern an Ganymed vorbeiflog. Bei ihrer Annäherung an den großen Jupitermond registrierten die Magnetometer der Sonde zunächst nichts Ungewöhnliches: Weil sich die inneren Monde im gewaltigen Magnetfeld des Jupiter bewegen, sind seine Feldlinien auch beim Anflug auf Ganymed detektierbar. Sie verliefen auf der Route der Raumsonde in Nord-Süd-Richtung waren relativ gleichmäßig angeordnet.

Doch als sich die Galileo-Sonde dem Ganymed weiter näherte, änderte sich dies abrupt: Plötzlich erhöhte sich die Magnetfeldstärke um fast das Fünffache und die Feldlinien wechselten ihre Richtung – sie zeigten nun direkt auf den Jupitermond. „Zusammengenommen belegen diese Messdaten, dass Ganymed der erste bekannte Mond mit einer eigenen Magnetsphäre ist – und das erste bekannte Beispiel für eine Magnetosphäre in einer Magnetosphäre“, sagt Margaret Kivelson von der University of California in Los Angeles. Der Jupitermond besitzt damit quasi ein doppeltes Magnetfeld – eines ist sein eigenes, das andere ist das bis zu ihm reichende Feld seines Planeten.

Ganymed hat eine Atmosphäre

Der Vorbeiflug der NASA-Raumsonde verriet zudem, dass Ganymed eine – wenn auch dünne – Atmosphäre besitzen muss. Denn auch die Dichte geladener Teilchen stieg im nahen Umfeld des Jupitermonds sprunghaft um das mehr als 100-Fache an, wie die Daten des Plasmawellen-Spektrometers ergaben. „Dies deutet darauf hin, dass Ganymed von einer dünnen Ionosphäre umgeben ist und das wiederum spricht dafür, dass er auch eine Atmosphäre hat“, erklärt Donald Gurnett von der University of Iowa. Seither haben weitere Beobachtungen dies bestätigt.

Aufschluss über die Zusammensetzung von Ganymeds Atmosphäre lieferten dabei vor allem Spektralanalysen seiner Polarlichter. Anfang 2023 ergaben solche Messungen, dass die dünne Gashülle des Jupitermonds von molekularem Sauerstoff (O2) dominiert wird. Seine Dichte liegt demzufolge bei rund 320 bis 480 Billionen Molekülen pro Quadratzentimeter, wie Katherine de Kleer vom California Institute of Technology und ihr Team ermittelten. Der Sauerstoff wird freigesetzt, wenn energiereichen Teilchen auf die Eiskruste des Mondes treffen und dort Wassermoleküle zerschlagen.

Polarlichter
Die spektrale Zusammensetzung von Ganymeds Polarlichtern verrät, dass er eine dünne Atmosphäre besitzt und welche Moleküle darin vorkommen (Illustration). © NASA/ESA

Deutlich variabler ist dagegen der Wassergehalt von Ganymeds Gashülle: Während auf der Tagseite des Jupitermonds eine deutliche Spektralsignatur von Wasserdampf nachweisbar ist, gibt es auf seiner Nachtseite fast kein Wasser in der Atmosphäre. Planetenforscher führen dies auf die ausgeprägten Wechsel von Teilchenbombardement und Sonneinstrahlung zurück: „Der tagsüber detektierte Wasserdampf entsteht, wenn das Oberflächeneis sich erwärmt und das Wasser sublimiert“, erklärt Lorenz Roth vom königlichen Institut für Technologie in Stockholm. In der kalten Nacht friert dieser Wasserdampf wieder aus und ist daher nicht mehr in der Gashülle nachweisbar.

Wie Ganymeds Polarlichter entstehen

Das Zusammenspiel von Gashülle und doppeltem Magnetfeld erklärt auch, warum Ganymed ausgeprägte Polarlichter besitzt. Auf der Erde entstehen solche Aurora-Phänomene, wenn Teilchen des Sonnenwinds mit dem irdischen Magnetfeld und der Ionosphäre wechselwirken. Ganymed wird jedoch durch das starke Jupiter-Magnetfeld fast vollständig vom Sonnenwind abgeschirmt – er ist daher nicht der Urheber der Polarlichter auf dem Jupitermond.

Woher bekommt Ganymed dann die Aurora auslösenden Teilchen? Auch das verrieten die Messdaten der Galileo-Sonde: Weil sich Ganymed bei seiner Bahn um den Jupiter durch dessen Magnetfeldlinien bewegt, kommt es zu Wechselwirkungen des lunaren mit dem planetaren Magnetfeld. Wenn dabei Feldlinien von Jupiter und Ganymed miteinander in Kontakt komme, kommt es zu einer explosiven Umlagerung und Rekonnexion. Dabei werden Plasmateilchen beschleunigt und rasen als energiereicher Teilchenschauer in die Ionosphäre des Jupitermonds.

Ein Teil dieser Teilchen kollidiert in der Ionosphäre von Ganymed direkt mit den dortigen Gasteilchen und löst so ein Polarlicht aus. Der Rest des Bombardements prallt mit hoher Geschwindigkeit auf die Eisoberfläche des Jupitermonds und schlägt dort Wassermoleküle aus der Kruste. Diese werden ionisiert und bis in die Ionosphäre des Monds geschleudert. Dort tragen sie dann zur Entstehung der Polarlichter bei.

Prasseln, Pfeifen und Zirpen

Diese energiereichen Wechselwirkungen von Ganymeds Magnetfeld mit dem seines Planeten kann man sogar hören: Wandelt man die dort auftretenden Plasmawellen in Töne um, ertönt ein lautes Prasseln, Zwitschern und Pfeifen. Diese sogenannten „Chorwellen“ entstehen durch stark beschleunigte Elektronen und sind auch auf dem irdischen Magnetfeld bekannt. „Die irdischen Chorwellen sind jedoch nicht annähernd so stark wie die um den Jupiter“, erklärt Richard Horne vom British Antarctic Survey.

Messdaten der Galileo-Sonde haben jedoch gezeigt, dass die Chorwellen in der Nähe des Ganymed sogar noch eine Million Mal intensiver sind als im Durchschnitt des ohnehin schon starken Jupitermagnetfelds. „Selbst wenn nur ein Bruchteil dieser Wellen es schafft, die nähere Umgebung von Ganymed zu verlassen, können sie Elektronen extrem beschleunigen und damit auch für hochenergetische ‚Killer-Elektronen‘ innerhalb des Jupiter-Magnetfeldes sorgen“, erklärt Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und der Universität Potsdam.

Wird eine Sonde von diesen energiereichen Teilchenströmen getroffen, kann dies ihre Elektronik empfindlich schädigen. Deshalb sind die Instrumente der ESA-Raumsonde JUICE entsprechend abgeschirmt. Wenn sie ab 2031 den Ganymed in Vorbeifügen und später sogar von seinem Orbit aus erkundet, wird sie daher ungestört ihre Messungen absolvieren – das jedenfalls hoffen die Planetenforscher.