Stellare Spurensuche im Zentrum der Milchstraße

Das galaktische Herz

Milchstraßenzentrum
Infrarotblick in die zentrale Region der Milchstraße, aufgenommen vom Spitzer-Weltraumteleskop der NASA. © NASA/JPL-Caltech

Das Zentrum der Milchstraße gehört zu den sternreichsten Gebieten des Universums – und zu den geheimnisvollsten. Denn dichte Staubwolken verschleiern die Sicht. Erst in jüngster Zeit haben Astronomen erste Einblicke in die zentralen Sternpopulationen unserer Galaxie erhalten – und Überraschendes entdeckt.

Obwohl die Milchstraße unsere Heimatgalaxie ist, sind ihre Struktur, ihre Geschichte und die Prozesse, die sie zu der machten, die sie heute ist, noch lange noch vollständig entschlüsselt. Denn viele Teile unserer Galaxie sind von uns aus nur schwer zu sehen, weil nahe Sterne, Gaswolken und Staubschleier die Sicht versperren. Dies gilt in besonderem Maße für die dichte Sternenansammlung im galaktischen Zentrum, den Bereich, der in enger Nachbarschaft zum zentralen Schwarzen Loch liegt – doch gerade dieses Zentrum kann besonders viel über die galaktische Geschichte verraten.

Wie ermittelt man Alter und Herkunft von Sternen?

Galaktische Archäologie

Die Geschichte der Milchstraße, reicht mehr als 13 Milliarden Jahre zurück – sie ist fast so alt wie unser Universum. Wann und wie unsere Heimatgalaxie entstand und welche Entwicklung sie durchlief, war lange unbekannt. Erst in den letzten Jahren ist es Astronomen gelungen, ihre Geschichte mithilfe großer Himmelsdurchmusterungen und durch Beobachtungen an jüngeren „Geschwistern“ der Milchstraße zu rekonstruieren.

Milchstraße
Das Band der Milchstraße über den vier Teleskopen des Very Large Telescope (VLT) in Chile. © ESO/ Y. Beletsky, CC-by 4.0

Blick in die Vergangenheit

Das Vorgehen bei einer solchen astronomischen Rekonstruktion ähnelt der Art und Weise, wie Archäologen die Geschichte einer Stadt rekonstruieren würden: Für einige Gebäude sind die Entstehungsdaten bekannt. Bei anderen deuten der Baustil oder die verwendeten Baumaterialien darauf hin, wann sie entstanden sind. Nicht zuletzt sind räumliche Muster wichtig: In der Archäologie verraten die Grabungsschichten die Abfolge der Ereignisse, zudem gibt es in vielen Siedlungen einen alten zentralen Stadtkern, der von neueren Vierteln umgeben ist.

Bei Galaxien, und insbesondere bei unserer Heimatgalaxie, funktioniert die galaktische Archäologie nach ganz ähnlichen Prinzipien: Die Grundbausteine einer Galaxie sind ihre Sterne. Für eine kleine Untergruppe von Sternen können die Astronomen genau bestimmen, wie alt sie sind. Dies gilt zum Beispiel für die so genannten Unterriesen, eine kurze Phase der Sternentwicklung, in der man anhand der Helligkeit und Temperatur eines Sterns auf sein Alter schließen kann.

„Baumaterial“ verrät Entstehungszeit

Außerdem gibt es für fast alle Sterne Baumaterialien und einen „Baustil“, die ungefähre Rückschlüsse auf das Alter erlauben. Entscheidendes Merkmal dafür ist die sogenannte Metallizität eines Sterns. In der Astronomie sind Metalle alle Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium und die nicht schon mit dem Urknall gebildet wurden. Stattdessen wurden sie erst durch die Kernfusion im Inneren der ersten Sterne erschaffen und durch deren Explosionen ins All hinaus geschleudert. Dort reicherten sich diese Elemente an und wurden zum Rohmaterial für neue Sterne.

Das bedeutet: Hat ein Stern eine geringe Metallizität und besteht demnach fast nur aus Wasserstoff und Helium, muss er aus einer Gaswolke mit noch sehr ursprünglichem „Baustoff“ entstanden sein. Ein solcher Stern stammt wahrscheinlich aus einer sehr frühen Ära des Kosmos. Enthält ein Stern dagegen schon mehr schwerere Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen oder Magnesium, muss er einer späteren Sternengeneration angehören. Sein Rohmaterial enthielt schon die Fusionsprodukte älterer Sterne.

Spektrallinien im Spektrum der Sonne
Spektrum der Sonne: Die dunklen Absorptionslinien zeigen an, welche Elemente in welchen Anteilen in der Sonne präsent sind. Das erlaubt Rückschlüsse auf das Alter des Sterns. © NASA/ Solar Dynamics Observatory (SDO)

Konkret enthält beispielsweise unsere Sonne knapp 74 Massenprozent Wasserstoff, knapp 25 Prozent Helium und rund 1,3 Prozent „Metalle“ in Form schwererer Elemente. Von ihr wissen wir, dass sie vor gut 4,56 Milliarden Jahren entstand, daher gilt ihre Metallizität als Bezugswert für andere Sterne: Hat ein Stern einen geringeren Anteil schwerer Elemente, muss er älter sein als die Sonne, Hat er dagegen eine höhere Metallizität, ist er höchstwahrscheinlich jünger als sie.

Bewegung als Indikator für die Herkunft

Doch neben dem Alter eines Sterns ist auch wichtig, wo und unter welchen Umständen er einst gebildet wurde: Ist er an Ort und Stelle entstanden? Ist er durch galaktische Turbulenzen oder Strömungen verschoben worden? Oder stammt er womöglich gar nicht aus unserer eigenen Galaxie? Antworten auf diese Fragen kann die Bewegung der Sterne geben. Weichen sie beispielsweise in ihrer Bahn stark von der Rotation der großen Sternenscheibe der Milchstraße und den Bewegungen ihrer stellaren Nachbarn ab, kann dies ein Hinweis auf eine frühere Verlagerung oder sogar eine „fremde Herkunft“ sein.

Tatsächlich haben Astronomen in unserer Milchstraße schon jede Menge solcher „Abweichler“ aufgespürt. 2017 entdeckten sie eine ganze Reihe von Sternen, die rund 300.000 Lichtjahre von uns entfernt außerhalb der Spiralarme unserer Galaxie liegen. Ihre Bahnen deuten darauf hin, dass diese Sterne ursprünglich zu nahen Zwerggalaxien gehörten, dann aber von der Schwerkraft der Milchstraße eingefangen wurden. Auch Sternenströme und sogar ganze Zwerggalaxien hat sich unsere Galaxie im Laufe ihrer Geschichte einverleibt.

„Um die Entwicklungsgeschichte unserer Galaxie zu entwirren, müssen wir wissen, wie viele Sterne wann, aus welchem Material und in welchen Orbits geboren wurden“, erklären Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

Wie alt sind die Sterne im Zentrum der Milchstraße?

Blick ins dichte Herz

Die Sonne liegt im Orion-Seitenarm, einem eher ruhigen, dünner besiedelten „Vorort“ unserer Galaxie. Von uns aus gesehen liegt das Zentrum der Milchstraße rund 25.000 Lichtjahre entfernt. Wie es dort aussieht und was sich dort befindet, blieb jedoch lange Zeit buchstäblich im Dunkeln, denn dichte Staubwolken verdecken optischen Teleskopen teilweise die Sicht. Erst durch Beobachtungen mit Infrarot- und Radioteleskopen und auch durch Röntgensatelliten konnten Astronomen die verhüllenden Staubschleier durchdringen.

Zentrale Sterne
Diese Sterne liegen nahe am zentralen Schwarzen Loch Sagittarius A*, abgebildet mithilfe des Nahinfrarot-Instruments NACO am VLT.© ESO/S. Gillessen et al., CC-by 4.0

Inzwischen ist klar, dass sich im Zentrum der Milchstraße wie bei allen anderen Galaxien ein supermassereiches Schwarzes Loch von gut vier Millionen Sonnenmassen verbirgt. Die Schwerkraftwirkung von Sagittarius A* prägt das Verhalten der Milchstraße, aber insbesondere auch die der Sterne in seiner unmittelbaren Umgebung – sie rasen in enormen Geschwindigkeiten um das Schwarze Loch. Doch das Milchstraßenzentrum ist auch der Ort, an dem die Sterne am dichtesten stehen: Astronomen gehen davon aus, dass es allein in den innersten 26 Lichtjahren der Galaxie rund 20 Millionen Sterne gibt.

Relikt uralter Proto-Galaxien

Die zentrale Lage und hohe Dichte der Sterne im galaktischen Zentrum werfen die Frage auf, wann diese Struktur entstanden ist – stammen diese Sterne womöglich schon aus den ersten Uranfängen unserer Milchstraße? „Die Entstehungsgeschichte unserer Heimatgalaxie zu entschlüsseln und vor allem ihre ersten Phasen, ist schon seit Jahrzehnten ein zentrales Ziel der galaktischen Archäologie“, erklären Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und seine Kollegen.

Aus Beobachtungen fremder Galaxien und aus Simulationen schließen Astronomen, dass unsere Milchstraße vor gut 13 Milliarden Jahren aus drei bis vier kleineren Protogalaxien gebildet wurde. Diese noch sehr schmächtigen und unregelmäßig geformten Galaxienvorläufer verschmolzen miteinander und bildeten so eine erste vergleichsweise kompakte Sternansammlung von nur ein paar tausend Lichtjahren Durchmesser.

Rein theoretisch könnte daher ein Teil der Sterne im Milchstraßenzentrum noch aus dieser frühen Ära stammen. Zwar hat die Milchstraße seit ihren Anfängen zahlreiche Kollisionen und Verschmelzungen durchlaufen, bei der auch ihre Sternpopulation durcheinandergemischt wurde und zahlreiche neue Sterne dazu kamen. Simulationen legen aber nahe, dass ein Teil des ursprünglichen Kerns diese Turbulenzen relativ unversehrt überlebte.

Fahndung nach galaktischen Methusalems

Doch lassen sich diesen uralten, ersten Sterne unserer Galaxie heute noch aufspüren und identifizieren? An diesem Punkt kommen Rix und seine Kollegen ins Spiel. Sie erforschen schon seit einigen Jahren die Sternenpopulationen im Milchstraßenzentrum und hatten bereits festgestellt, dass es neben jüngeren Sternen mit höherer Metallizität dort auch Sterne gibt, die eine geringere Metallizität als die Sonne aufweisen – sie müssten also deutlich älter sein als unser Heimatstern.

Gaia-Karte
Sternendichte und -helligkeit in der Milchstraße, kartiert vom Gaia-Satelliten.© ESA/Gaia/DPAC, A. Moitinho; CC-by-sa 3.0 IGO

Um den ältesten Vertretern der zentralen Sternpopulation auf die Spur zu kommen, nutzten Rix und sein Team den im Sommer 2022 veröffentlichen dritten Datenkatalog des europäischen Gaia-Satelliten. Dieser umfasst neben Daten zur Position und Bewegung von rund 1,8 Milliarden Sternen auch Spektralanalysen für rund 220 Millionen astronomische Objekte. Zusätzlich zogen die Astronomen noch hochauflösendere Spektren hinzu, die im Rahmen des Sloan Digital Sky Survey erstellt wurden.

Hilfe von der künstlichen Intelligenz

Weil diese Datenmengen viel zu groß sind, um von Menschen in halbwegs vertretbarer Zeit analysiert und ausgewertet zu werden, holten sich die Astronomen Hilfe bei einer künstlichen Intelligenz: Sie trainierten ein neuronales Netzwerk mit einem Teil der Daten darauf, anhand der Spektren die Metallizität und damit das Alter der Sterne zu bestimmen. Dabei konzentrierte sich das Training auf Rote Riesen, weil diese Sterne besonders groß und hell sind und zudem sehr gut interpretierbare Lichtspektren erzeugen.

Für die eigentliche Analyse erhielt das auf diese Weise trainierte KI-System die Spektraldaten von rund von zwei Millionen Roten Riesen aus den inneren Regionen unserer Heimatgalaxie – einem Himmelsauschnitt von rund 30 Grad rund ums galaktische Zentrum. Würden die Ergebnisse mehr darüber verraten, wann und wo die zentralen Sterne unserer Galaxie entstanden sind?

Sterne aus den Vorläufern unserer Galaxie

Uralte Riesen

Die aufwendige Fahndung hat sich ausgezahlt: Das Team um Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat im Zentrum unserer Galaxie tatsächlich eine ganze Population uralter, metallarmer Sterne aufgespürt – die Methusalems unserer Milchstraße.

Metallarme Sterne
Karte der besonders metallarmen Riesensterne, der Kreis in der Mitte markiert die Methusalem-Sterne im Herzen der Milchstraße. © H.-W. Rix / MPI für Astronomie

Älter als 12,5 Milliarden Jahre

Wie ihre Analysen enthüllten, haben rund 100.000 dieser alten Roten Riesen haben ein Verhältnis von schwereren Elementen zu Wasserstoff von weniger als minus 1. Sie enthalten demnach rund zehn Prozent oder weniger Metalle als unsere Sonne. „Diese zentralen metallarmen Sterne existierten demnach schon vor den ältesten Sternen in der galaktischen Scheibe, die rund 12,5 Milliarden Jahre alt sind“, berichten Rix und seine Kollegen. Rund 18.000 dieser alten Sterne weisen sogar ein Verhältnis von Metallen zu Wasserstoff von weniger als minus 1,5 auf – sie sind demnach besonders alt und ursprünglich.

Die metallarmen alten Sterne konzentrieren sich in einem Gebiet von rund 15.000 Lichtjahren um das galaktische Zentrum herum. Ausgehend von ihren Werten für die Roten Riesen haben die Astronomen hochgerechnet, wie viele ähnlich alte Sterne es in diesem inneren Bereich unserer Galaxie geben könnte. Das Ergebnis: Es gibt in diesem inneren Bereich der Milchstraße mindestens zehn Millionen Sonnenmassen solcher uralten Methusalem-Sterne.

Woher stammen diese Uralt-Sterne?

Doch handelt es sich bei diesen zentralen Uralt-Sterne wirklich um die Grundbausteine der jungen Milchstraße? „Wegen der hierarchischen Entwicklung von Galaxien wie der Milchstraße müssen wir davon ausgehen, dass ihre ältesten und metallärmsten Sterne eine Mischung darstellen: Ein Teil bildete sich vor Ort in den Protogalaxien, ein zweiter Teil entstand ähnlich früh in kleinen Satellitengalaxien, die erst später mit der Hauptgalaxie verschmolzen“, erklären die Astronomen. Das Alter allein bedeutet demnach noch nicht, dass die Methusalem-Sterne auch wirklich zu dem stellaren Urgestein der Milchstraße gehören.

Doch auch diese Frage lässt sich mithilfe der Spektren solcher Sterne klären: Wenn Sterne in einer Umgebung mit dichter Masseansammlung wie im Zentrum der Milchstraße oder ihren Vorläufern entstanden sind, spiegelt sich dies auch im Verhältnis ihrer Elemente wider. Sie enthalten besonders viele Elemente wie Sauerstoff, Silizium, Magnesium, Titan und Neon, die anders als Eisen durch das sogenannte Alpha-Enhancement entstehen. Dabei verschmelzen in der stellaren Kernfusion zunächst Atome zu Helium-4-Kernen aus zwei Protonen und zwei Neutronen, dann kommen im weiteren Fusionsverlauf immer mehr Helium-4-Kerne dazu.

Milchstraßenzentrum
Infrarotaufnahme der innersten 890 mal 640 Lichtjahre der Milchstraße, erstellt mit dem Spitzer-Weltraumteleskop der NASA. © NASA/JPL-Caltech/S. Stolovy (Spitzer Science Center/Caltech)

Abkömmlinge der Proto-Galaxien

Und tatsächlich: Wie Rix und sein Team feststellten, haben die meisten der von ihnen aufgespürten Uralt-Sterne im Milchstraßenzentrum tatsächlich einen erhöhten Gehalt an Alpha-Elementen. Damit ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Sterne anderswo entstanden sind und erst nachträglich ins galaktische Herz fielen. „Die meisten dieser Sterne haben Elementverhältnisse, wie sie bei einer Herkunft aus den massereichsten Bereichen der Proto-Galaxien zu erwarten sind“, berichten die Astronomen.

Und noch ein weiteres Indiz kommt dazu: Die Methusalem-Sterne mit hohem Alpha-Anteil kreisen größtenteils in engen, fast kreisförmigen Bahnen um das galaktische Zentrum der Milchstraße. Damit unterscheiden sie sich deutlich von einigen anderen Sternen dieser Region, die deutlich exzentrischere, weitere Bahnen besitzen und zudem weniger Alpha-Elemente aufweisen. Auch das spricht dafür, dass die uralten Sterne vor Ort entstanden sein. „Fast alle Sterne, die eng im innersten Teil der Galaxie gebunden sind, haben Elementhäufigkeiten, die auf einen protogalaktischen Ursprung hindeuten“, so Rix und sein Team.

All diese Merkmale zusammen sprechend dafür, dass die Astronomen damit tatsächlich einige der ältesten und ursprünglichsten Sterne der Milchstraße aufgespürt haben – Sterne, die möglicherweise sogar noch in den protogalaktischen Vorläufern unserer Heimatgalaxie gebildet wurden. Doch sie sind nicht die einzige Sternpopulation im galaktischen Zentrum…

Stellare Abweichler im Kernsternhaufen

„Fremdlinge“ im innersten Kern

Im Herzen der Milchstraße liegen einige der ältesten Sterne unserer Galaxie – so viel scheint inzwischen klar. Doch während viele dieser Methusalem-Sterne vor Ort entstanden sind und möglicherweise sogar aus den protogalaktischen Vorläufern der Milchstraße stammen, gilt dies nicht für alle: Ausgerechnet einige der innersten Sterne haben einen „Migrationshintergrund“.

Galaktisches Zentrum
Das dichte Zentrum der Milchstraße erscheint dieser Kompositaufnahme der Spitzer-, Hubble- und Chandra-Teleskope weißlich. Dort liegt auch der Kernsternhaufen unserer Galaxie © NASA/JPL-Caltech/ESA/CXC/STScI

Das Rätsel der Kernsternhaufen

Einen ersten Anhaltspunkt dafür lieferte die Entdeckung eines Kernsternhaufens im Herzen der Milchstraße – eines kompakten, dichten Sternhaufens ganz in der Nähe des zentralen Schwarzen Lochs. Solche „Nuclear Star Cluster“ (NSC) liegen bei Zwerggalaxien und anderen massearmen Galaxien dort, wo bei größeren Galaxien das supermassereiche Schwarze Loch liegt – sie bilden den zentralen Masseschwerpunkt. Lange war jedoch unklar, ob es solche Kernsternhaufen auch noch in massereicheren Galaxien mit zentralem Schwarzen Loch gibt.

Inzwischen legen Beobachtungen nahe, dass solcher Kernsternhaufen bei den massereichsten Galaxien oft fehlen. Doch die Milchstraße und auch die meisten anderen Spiralgalaxien scheinen sowohl ein zentrales schwarzes Loch als auch einen zentralen Kernsternhaufen zu besitzen. Aber warum? Um mehr darüber herauszufinden, haben Astronomen um Anja Feldmeier-Krause von der Europäischen Südsternwarte (ESO) vor einigen Jahren die Bewegungen und die Metallizität von rund 700 Sternen im innersten Zentrum unserer Heimatgalaxie untersucht. Die Sterne umkreisen das Schwarze Loch Sagittarius A* im Abstand von nur 1,3 bis 15 Lichtjahren – in der Region, in der der Kernsternhaufen liegt.

Stellare Abweichler

Mithilfe der spektralen Daten des Very Large Telescope der ESO in Chile konnten die Astronomen nachvollziehen, wie alt diese Sterne sind, aber auch, wie ihre Bahnen verlaufen und wie schnell sie sich bewegen. Dabei zeigte sich: In der Zone um das Schwarze Loch sind metallreichere und metallarme Sterne nicht gleichmäßig verteilt, sondern asymmetrisch: „Im galaktischen Norden ist der Anteil von Sternen mit geringerer Metallizität als die Sonne mehr als doppelt so hoch wie im Süden“, berichten die Astronomen. Im nördlichen Teil des galaktischen Zentrums sind demnach mehr ältere Sterne präsent als im Süden.

Und noch etwas ist auffällig: Ein Teil dieser älteren Sterne bewegt sich nahezu synchron, schneller als der Rest und zudem leicht gegenüber der galaktischen Ebene gekippt. Insgesamt machen diese Sterne rund sieben Prozent des Kernsternhaufens der Milchstraße aus. Die Astronomen schließen daraus, dass es sich hierbei um eine zuvor unbekannte Sternenpopulation handeln muss, die sich vom Rest der zentralen Sterne unterscheidet.

Kugelsternhaufen
Der Kugelsternhaufen NGC 2808 gehört zu den ältesten und massereichsten der Milchstraße. Er ist bereits 12,5 Milliarden Jahre alt.© NASA/ESA, A. Sarajedini (University of Florida) und G. Piotto (Universität Padua)

In den Kern gestürzt

Doch woher rühren diese Unterschiede? Und woher kommen diese Sterne? Um das herauszufinden, haben Feldmeier-Krause und ihre Kollegen die Entwicklung dieser Sternengruppe in einer Simulation rekonstruiert. Diese spielte verschiedene, in gängigen Theorien beschriebene Szenarien durch. So könnten die Sterne aus einem Kugelsternhaufen der Milchstraße stammen, der ursprünglich weiter außen lag und durch gravitationsbedingte Effekte ins Zentrum stürzte. „Möglicherweise ist die von uns neu entdeckte Population der Überrest eines solchen älteren Sternhaufens aus weiter außen liegenden Gebieten der Milchstraße“, sagt Manuel Arca Sedda von der Universität Heidelberg.

Denkbar wäre aber auch, dass die Kollision der Milchstraße mit einer benachbarten Zwerggalaxie dahintersteckt. Dann könnten die Sterne entweder aus dem Kernsternhaufen der vereinnahmten Zwerggalaxie stammen oder aber aus einem ihrer Kugelsternhaufen, der eingefangen und ins Milchstraßenzentrum gezogen wurde. Um dies zu klären, verglichen die Astronomen die Eigenschaftender neuentdeckten Sternpopulation mit denen von Kugelsternhaufen in der Milchstraße und in nahen Zwerggalaxien.

Das Ergebnis: Den Simulationen zufolge gelangten die „fremden“ Sterne erst vor rund drei bis fünf Milliarden Jahren in das Milchstraßenzentrum. Der Sternhaufen, in dem sie ursprünglich gebildet wurden, muss zu dieser Zeit in den inneren Bereich unserer Galaxie gezogen worden sein. Unter Einwirkung der enormen Gravitations- und Gezeitenkräfte im galaktischen Zentrum wurde der Sternhaufen dann zerrissen und die Sterne zerstreuten sich. Nur ihre ähnlichen Flugbahnen und Geschwindigkeiten verraten heute noch ihren gemeinsamen Ursprung.

Von außen oder von unseren Nachbarn?

Doch woher kam der Sternhaufen, aus dem diese Sterne stammen? Diese Frage lässt sich nicht ganz so eindeutig beantworten. Auf Basis ihrer Analysen haben die Astronomen ermittelt, dass die chemischen Merkmale der zentralen „Abweichler“-Sterne eher mit denen von Kugelsternhaufen aus der Milchstraße übereinstimmen. Der Simulation zufolge passen auch die Bahnen und Bewegungsparameter eher zum Szenario eines ins Zentrum gestürzten galaktischen Sternhaufens.

Simulation
Simulation eines ins Zentrum der Milchstraße stürzenden Kugelsternhaufens. Die Farbskala zeigt die Verteilung der Sterndichten. Der Kugelsternhaufen verschmilzt innerhalb von 400 Millionen Jahren zunehmend mit dem Kernsternhaufen und löst sich dabei auf. ©

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Einfall eines eher näher gelegenen Sternhaufens aus der Milchstraße wahrscheinlicher ist“, erklärt Koautorin Nadine Neumayer vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Dieser Sternhaufen müsste etwa 10.000 bis 16.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entstanden und dann in den Kernsternhaufen gestürzt sein. „Ein extragalaktischer Ursprung der Sterne kann zwar nicht komplett ausgeschlossen werden, ist aber eher unwahrscheinlich“, ergänzt Arca Sedda.

Erst der Anfang

Damit haben diese Studien mehr über das geheimnisvolle Herz unserer Heimatgalaxie ans Licht gebracht. Doch vieles bleibt noch immer ungeklärt und verborgen. Bei der Erforschung des galaktischen Zentrums und seiner Anfänge stehen die Astronomen erst ganz am Anfang. Sie hoffen aber, durch weitere Beobachtungen auch mithilfe neuer Teleskope bald mehr über die zentralen Sterne, Sternpopulationen und ihre Herkunft zu erfahren.

Möglicherweise lässt sich dann klären, woher die restlichen Sterne des Kernsternhaufens kommen, aber auch, aus welchen Proto-Galaxien die vor Ort gebildeten Methusalem-Sterne stammen. Denn es wäre durchaus denkbar, dass diese Uralt-Sterne noch heute Merkmale in sich tragen, die auf diese Vorläufergalaxien zurückgehen.