Was bringen Semaglutid und Co gegen das Übergewicht?

Abnehmspritze gegen Adipositas

Abnehmspritze
Das regelmäßige Spritzen von Semaglutid kann stark Übergewichtigen das Abnehmen erleichtern. © imyskin/ Getty images

Neue Hoffnung für Menschen mit starkem Übergewicht: Der ursprünglich gegen Diabetes entwickelte Wirkstoff Semaglutid verhilft auch Nichtdiabetikern zu erstaunlichem Gewichtsverlust und weniger Heißhunger. Er gilt daher als echter Gamechanger im Kampf gegen Adipositas. Aber wie funktioniert das Abnehmen mit Semaglutid? Und wo ist der Haken?

Unter den Handelsnamen Namen Wegovy und Ozempir sorgt der Wirkstoff Semaglutid schon seit Monaten für Furore im Netz. Prominente wie Elon Musk und Kim Kardashian berichten begeistert über purzelnde Pfunde durch die neue Abnehmspritze, aber auch in der Medizinwelt ist Aufbruchsstimmung angesagt. Denn mit den sogenannte GLP-1-Mimetika scheint die Medizin endlich ein Rezept gegen hartnäckiges Übergewicht gefunden zu haben. Wir erklären, was dahintersteckt.

Warum das Abnehmen bei Adipositas so schwer ist

Ein oft aussichtsloser Kampf

Starkes Übergewicht und Adipositas sind keine Randerscheinung: In Deutschland gelten knapp ein Viertel der Menschen als fettleibig, ihr Body-Mass-Index liegt bei 30 und mehr. Übergewicht mit einem Body-Mass-Index von 25 und mehr betrifft hierzulande die Hälfte aller Frauen und 60 Prozent der Männer – Tendenz steigend. Gerade bei jüngeren Menschen nimmt die Häufigkeit von Adipositas in den letzten Jahren immer weiter zu.

Body-Mass-Index
Adipositas beginnt ab einem Body-Mass-Index von 30. © CollageM/ Getty images

Komplexe Ursachen, viele Folgen

Die Ursachen für starkes Übergewicht sind vielfältig. So können genetische Faktoren den Fettstoffwechsel beeinflussen, das natürliche Sättigungsgefühl herabsetzen oder das Hungergefühl fördern. Bestimmte Anhänge an unserer DNA beeinflussen zudem, ob wir Couchpotatos sind oder gerne körperlich aktiv. Auch vorgeburtliche Einflüsse, Hormone und psychische Faktoren spielen für die Entstehung von Übergewicht eine Rolle. Die wahrscheinlich wichtigste Ursache ist allerdings schlicht unsere moderne Lebensweise: Wir bewegen uns im Alltag zu wenig und essen zu viel und das Falsche.

Das Problem dabei: Starkes Übergewicht ist mehr als nur eine Äußerlichkeit: Wer unter Adipositas leidet, muss nicht nur mit Einschränkungen seiner Lebensqualität zurechtkommen, die Fettleibigkeit ist auch gesundheitlich riskant. Betroffenen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Fettleibigkeit auf Dauer auch dem Gehirn schadet und das Demenzrisiko erhöht.

Hinzu kommt, dass stark übergewichtige Menschen oft diskriminiert werden: Sie gelten als weniger leistungsfähig, als unfähig zur Selbstdisziplin und haben Nachteile beispielsweise bei der Jobsuche. Schließlich, so die oft vorherrschende Meinung, brauche man ja bloß Diät zu halten und sich mehr zu bewegen, um die überschüssigen Pfunde wieder zu verlieren: „Der Kern der Stigmatisierung besteht darin, dass man den Menschen mit Adipositas zuschreibt, sie seien selbst an ihrem Übergewicht schuld und sie müssten sich doch einfach nur ein bisschen anstrengen, dann würde das alles schon wieder“, sagt Anja Hilbert, psychologische Leiterin der Adipositasambulanz am Universitätsklinikum Leipzig.

Vergeblicher Kampf gegen die Pfunde

Doch das stimmt nicht: Menschen mit starkem Übergewicht haben es deutlich schwerer, durch die klassischen Maßnahmen abzunehmen. Wer es schafft, dauerhaft seine Ernährung und Lebensweise umzustellen, hat zwar gute Chancen – aber genau das gelingt nur den wenigsten. Die meisten Betroffenen versuchen zwar immer wieder, gegen ihre Pfunde anzukämpfen und schaffen dies zunächst auch. Doch nach vorübergehendem Abnehmerfolg kehrt das Übergewicht wieder zurück – durch den Jojo-Effekt oft stärker als vorher.

Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2015 schafft es im Schnitt nur eine von 124 übergewichtigen Frauen, auf Normalgewicht zu kommen, bei Frauen mit Adipositas ist es nur eine von 677. Bei Männern sieht es sogar noch schlechter aus: Übergewichtigen schafft es nur einer von 210, bei stark Fettleibigen sogar nur einer von 1.290 Betroffenen.

Sport
Bei Menschen mit Adipositas ist das Abnehmen extrem schwierig, selbst Sport bringt bei ihnen weniger. © Aja Koska/ Getty images

Der Körper arbeitet gegen das Abnehmen

Ursachen dafür sind keineswegs nur mangelnde Disziplin, sondern auch biologische Faktoren. So legen Studien nahe, dass die hormonelle Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl bei stark Übergewichtigen aus dem Gleichgewicht geraten ist. Auch die veränderte Darmflora der Betroffenen trägt dazu bei, den Appetit anzuheizen und den Jojo-Effekt zu begünstigen.

Und selbst Sport bringt bei stark übergewichtigen Menschen weniger fürs Abnehmen als bei schlanken, wie eine Studie im Jahr 2021 belegte. Zwar verbrennt jeder Mensch bei intensiver körperlicher Bewegung mehr Kalorien als in Ruhe. Bei Menschen mit Adipositas regelt sich dabei aber der Grundumsatz herunter und gleicht dadurch einen Teil dieses Mehrumsatzes wieder aus. Im Schnitt wird dadurch von jeder mehr verbrannten Kalorie die Hälfte wieder eingespart. „Der Körper von Menschen mit Adipositas ist offenbar besonders effektiv darin, die Fettreserven festzuhalten“, erklärt John Speakman vom Shenzhen Institut für Technologie.

Adipositas ist eine Krankheit

All dies illustriert, dass Adipositas mehr ist als nur ein Problem der Selbstdisziplin oder Ernährung – es ist eine Erkrankung. Vielen Betroffene haben ohne Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie oder auch medizinischen Maßnahmen nur wenig Chancen, dem Teufelskreis aus Abnehmversuchen und Jojo-Effekt zu entkommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat deswegen die Adipositas schon im Jahr 2000 offiziell als Krankheit eingestuft, in Deutschland hat der Bundestag diesen Schritt erst im Jahr 2020 beschlossen.

Das Problem jedoch: „Wir haben auf der einen Seite die Anerkennung von Adipositas als Erkrankung und eine riesige, riesige Menge von Patienten, die darunter leiden. Auf der anderen Seite werden Therapiemaßnahmen zur Adipositas nicht erstattet von den Krankenversicherungen“, erklärt Jens Aberle, Ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Operation als letzte Hoffnung?

Und auch die Behandlungsoptionen waren bisher beschränkt. Wenn sogenannte „Lifestyle-Interventionen“ wie eine durch Verhaltenstherapie und Ernährungsberatung unterstützte Diät und Umstellung der Lebensweise nicht wirken, blieben auch Medizinern bisher wenig Optionen. Die bisher gängigen Abnehmpillen wirken kaum oder haben gravierende Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme. Andere Maßnahmen wie ein implantierter „Magenschrittmacher“ sind erst in der Erprobung.

Menschen mit hochgradiger, hartnäckiger Adipositas blieb daher meist nur noch ein radikaler Schritt: die Magenverkleinerung. Dabei wird ein Teil des Magens chirurgisch entfernt oder abgeklemmt, was wodurch das Völlegefühl früher einsetzt und auch die Aufnahme der Nährstoffe verringert wird. „Mit diesem Verfahren nehmen die Patienten etwa 20 bis 30 Prozent ihres Ausgangsgewichts ab“, erklärt Hilbert. Allerdings bringt diese Maßnahme wie alle Operationen ein erhebliches Risiko mit sich – und sie funktioniert nicht bei allen Betroffenen auch auf Dauer. „Die meisten behalten das sehr gut bei, einige aber auch nicht. Und bis zu 15 Prozent haben einen unzureichenden Gewichtsverlust“, so die Forscherin.

Doch jetzt gibt es erstmals eine echte Alternative zur Magen-OP.

Wie gut funktioniert das Abnehmen durch Semaglutid?

„Ein echter Gamechanger“

In sozialen Medien und im Internet macht die „Abnehmspritze“ Semaglutid“ schon seit Monaten Furore. Promis, aber auch ganz normale Nutzerinnen und Nutzer berichten von erstaunlichen Abnehmerfolgen durch dieses ursprünglich für Diabetiker gedachte Medikament. In den USA ist der Wirkstoff Semaglutid unter dem Handelsnamen Wegovy schon seit Juni 2021 auch zur Behandlung der Adipositas bei Nichtdiabetikern zugelassen, in der EU erfolgte die Zulassung im Januar 2022.

Semaglutid-Spritze
Die „Abnehmspritze“ sorgt für Furore. Aber ist sie ein echter Durchbruch? © imyskin/ Getty images

Bis zu 20 Prozent Gewichtsverlust

Doch was steckt hinter diesem neuen Abnehm-Medikament? Ist der Hype begründet? Tatsächlich sehen auch Mediziner in Semaglutid und den mit ihm verwandten Wirkstoffen einen echten Meilenstein in der Adipositas-Therapie: „Gamechanger ist ein Schlagwort, das hier absolut zutrifft. Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben“, sagt der Adipositasforscher Jens Aberle vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Dazu sind sie auch noch sicher, mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen.“

Die Studien zu Semaglutid untermauern dies. Für diese erhielten die Testpersonen – alle mit einem Body-Mass-Index über 30 – einmal wöchentlich eine Dosis von Semaglutid unter die Haut gespritzt. Die Dosis wurde dabei allmählich von anfangs 0,5 bis auf 2,4 Milligramm erhöht. Zusätzlich bekamen sie Beratung zur Ernährungsumstellung und Bewegung. Nach 68 Wochen hatten die Teilnehmenden im Schnitt knapp 15 Prozent an Gewicht verloren, rund ein Drittel von ihnen sogar mehr als 20 Prozent. Die Vergleichsgruppe mit einem Placebo plus beratender Begleitung nahem dagegen nur 1,7 bis 2,4 Prozent ab.

Wirkung auch bei Jugendlichen

„Kein anderes Medikament hat bisher auch nur annähernd eine derartige Gewichtsabnahme erreicht – das ist wirklich ein entscheidender Fortschritt“, sagt Rachel Batterham vom University College London, eine der Studienautorinnen. „Zum ersten Mal können Menschen durch Medikamente erreichen, was bisher nur durch eine Operation zur Gewichtsreduktion möglich war.“ Parallel zur Gewichtsabnahme verbesserten sich durch die Behandlung zudem die kardiometabolischen Risikofaktoren und die subjektiv empfundene physische Fitness der Teilnehmer.

Inzwischen haben weitere Studien die positiven Effekte von Semaglutid auch bei adipösen Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren bestätigt. Nach 68 Wochen lag ihr BMI im Schnitt um 16 Prozent niedriger als vorher. Auch sie verloren signifikant an Körperfett und ihre Herz-Kreislauf-Risikofaktoren reduzierten sich. „Gerade angesichts der zunehmenden Häufigkeit von Adipositas bei Teenagern sind neue Optionen für ihre Behandlung dringend nötig“, sagt Aaron Kelly von der University of Minnesota.

Weniger Hunger, schneller und länger satt

Semaglutid erreicht diese Abnehmwirkung, weil Übergewichtige nach dem Spritzen des Mittels weniger Appetit und Hunger verspüren. Beim Essen setzt zudem das Sättigungsgefühl schneller ein, wodurch man automatisch kleinere Mahlzeiten zu sich nimmt. Weil das Medikament auch auf die Magen- und Darmtätigkeit wirkt, bleibt die Nahrung zudem länger im Magen. Das verlängert die Phase der Sattheit und bremst das Wiedereinsetzen des Hungergefühls.

Semaglutid wirkt dabei nicht nur auf Verdauung, sondern auch auf das Gehirn: „Die psychischen Effekte sind sehr deutlich nachgewiesen: Lebensqualität verbessert sich, Stimmung verbessert sich, Kontrolle des Essverhaltens gelingt besser, das Craving – also das intensive Essbedürfnis – nimmt ab“, erklärt Anja Hilbert von der Adipositasambulanz des Universitätsklinikums Leipzig.

Adipositas
Verschrieben wird Semaglutid nur bei Adipositas oder bei starkem Übergewicht mit mindestens einer Begleiterkrankung. © peakSTOCK/ Getty images

Für wen kommt die Abnehmspritze in Frage?

Allerdings: Bei allem Hype um Semaglutid seine Effekte: Sinnvoll ist die Abnehmspritze vor allem bei denjenigen, die wirklich unter starkem Übergewicht und Adipositas leiden. Das belegen auch Studien mit Mäusen: „Der Gewichtsverlust ist umso größer, je mehr Fettmasse die Nagetiere haben. Und es ist de facto so, dass der Gewichtsverlust rapide nachlässt, je weniger Körperfett das Tier hat“ erklärt Diabetesforscher Timo Müller vom Helmholtz Zentrum München. Gleiches gilt für den Menschen: Wenn jemand normalgewichtig ist oder nur ein paar Pfund zu viel hat, wirkt Semaglutid entsprechend schwächer bis gar nicht.

Aus diesem Grund ist Semaglutid sowohl in Deutschland nur für Menschen mit starkem Übergewicht zugelassen: Verschrieben werden kann es ab einem Body-Mass-Index von 30, außerdem bei Übergewichtigen mit einem BMI von 27, wenn zusätzlich Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und ähnliches diagnostiziert wurden.

Allerdings ist Semaglutid momentan nicht leicht zu bekommen: Der Hype um den Wirkstoff hat dazu geführt, dass der Hersteller mit der Produktion des Präparats Wegovy nicht hinterherkommt und es in Deutschland zurzeit gar nicht erhältlich ist. Das für Diabetes zugelassene Präparat Ozempic, das die halbe Dosis Semaglutid enthält, ist wegen der großen Nachfrage mancherorts ebenfalls schon knapp. Und billig ist die Abnehmspritze auch nicht: Bei Ozempic kostet eine Drei-Monatsdosis rund 250 Euro. Wegovy könnte sogar mehr als 100 Euro pro Monatsdosis kosten. Und bisher übernehmen die Krankenkassen die Kosten für diese Therapie nicht.

Das Funktionsprinzip der GLP-1-Analoga

Wie wirkt Semaglutid?

Semaglutid gehört zu einer ganzen Gruppe von Wirkstoffen, die ursprünglich für die Behandlung des Diabetes Typ-2 entwickelt wurden. Diese sogenannten „Glucagon-like Peptide-1“-Mimetika (GLP-1) ahmen ein körpereigenes Hormon nach, das den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl beeinflusst. Doch wie genau funktioniert das? Und warum können auch Nichtdiabetiker diese Wirkstoffe nehmen, ohne dass ihr Blutzucker abstürzt?

Bauchhirn
Darm und Gehirn sind über Botenstoffe und Nervenbahnen eng miteinander verbunden. Einen dieser Darm-Botenstoffe ahmt Semaglutid nach. © Pikovit44/ Getty images

Wie GLP-1 auf den Zuckerstoffwechsel wirkt

Am Anfang der gesamten Wirkungskette steht das „Bauchhirn„: Unser Darm verdaut nicht nur die Nahrung, er ist auch über Hormone und Nerven eng mit unserem Gehirn und damit der Steuerzentrale für Stoffwechsel, Appetit und Sättigung verknüpft. Wenn wir Nahrung zu uns nehmen, setzt unsere Darmschleimhaut verschiedene Botenstoffe frei, darunter GIP (Glukoseabhängiges Insulinotropes Peptid) und GLP-1.

Diese Peptidhormone gelangen mit dem Blut in die Bauchspeicheldrüse, wo sie in Kombination mit dem steigenden Blutzuckerspiegel die Produktion und Freisetzung von Insulin anregen. Das Blutzuckerhormon sorgt dafür, dass der bei der Verdauung ins Blut gelangte Blutzucker wieder von den Zellen aufgenommen und verarbeitet werden kann. Parallel dazu hemmt GLP-1 auch die Ausschüttung des Insulin-Gegenspielers Glucagon. Dieses Hormon wird von der Bauchspeicheldrüse freigesetzt, wenn der Blutzuckerspiegel niedrig ist und unser Darm keinen Nachschub an Zucker liefert.

Das ausbalancierte Zusammenspiel von Insulin, Glucagon und den Darmhormonen sorgt demnach dafür, dass unser Blutzuckerspiegel stabil bleibt und damit Muskeln und Gehirn immer genügend „Futter“ erhalten. Bei Diabetikern ist dieses Gleichgewicht jedoch gestört, wie neuere Untersuchungen belegen. Ihr Darm schüttet weniger GIP und GLP-1 aus, weshalb auch die Insulinausschüttung nur eingeschränkt funktioniert. Als Folge davon kommt es immer wieder zu Blutzuckerspitzen, die im Laufe der Zeit die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse abstumpfen lassen zerstören.

Vom Darmhormon zum Abnehm-Wirkstoff

Doch GLP-1 ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Das Darmhormon wirkt auch auf unser Gehirn und unseren Appetit. Dafür dockt es an GLP-1-Rezeptoren an, die im oberen Teil des Hirnstamms und im Hypothalamus sitzen. Dadurch werden Signalketten aktiviert, die das Hungerfühl dämpfen und das Sättigungsgefühl verstärken. Genau diese Wirkung ist es, die GLP-1-Analoga wie Semaglutid zu wirksamen Abnehmhelfern machen.

GLP-1-Agonisten
Das natürliche Darmhormon GLP-1 wird sehr schnell enzymatisch abgebaut, bei den GLP-1-Analoga Liraglutid und Semaglutid hemmen Anhänge am Molekül den Abbau. © Benff/ CC-by-sa 4.0

Damit dies funktioniert, mussten Pharmakologen jedoch erst eine entscheidende Hürde aus dem Weg schaffen: Das körpereigene GLP-1 wird schon nach wenigen Minuten von dem Enzym Dipeptidylpeptidase 4 (DPP4) wieder abgebaut und damit unwirksam gemacht. Deshalb müssen die GLP-1-Mimetika so umgebaut werden, dass das Enzym sie nicht mehr angreifen kann.

Bei einem Vorläufer von Semaglutid, dem ebenfalls als Abnehmhilfe zugelassenen Wirkstoff Liraglutid, hat man dafür eine 16 Kohlenstoffatome lange Fettsäure an das GLP-1 angehängt. Dies erhöht die Halbwertszeit immerhin auf rund zwölf Stunden. Dadurch muss Liraglutid aber täglich gespritzt werden. Semaglutid bleibt dagegen rund eine Woche lang im Körper stabil und muss deshalb nur noch einmal in der Woche gespritzt werden. Möglich wird dies, weil die angehängte Fettsäure verlängert wurde und zusätzlich eine Aminosäure in der Peptidkette ersetzt.

Auch bei Nichtdiabetikern sicher

Semaglutid eröffnet damit die Möglichkeit, den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl gleichzeitig zu regulieren. Bei Diabetikern hilft das Mittel, den Mangel an GLP-1 auszugleichen und bringt so die Insulinausschüttung wieder auf das normale Maß. Gleichzeitig hemmt es entzündliche, zellzerstörende Prozesse in der Bauchspeicheldrüse. „Deshalb können GLP-1-Mimetika auch quasi präventiv bei einem Prädiabetes eingesetzt werden“, erläutert Diabetesforscher Timo Müller vom Helmholtz Zentrum München.

Das Entscheidende jedoch: Nichtdiabetiker müssen nicht befürchten, dass Semaglutid ihren Blutzuckerspiegel zu stark verringert oder ihren Zuckerstoffwechsel durcheinanderbringt. „Der Effekt auf den Blutzucker funktioniert nur unter Bedingungen, wo der Blutzucker erhöht ist. Wenn der Blutzucker normal ist, ist GLP-1 nicht mehr in der Lage, die Insulinsekretion zu stimulieren“, erklärt Müller. „Deswegen können dieses Medikament auch adipöse Patienten nehmen, die an keinem Typ-2-Diabetes leiden.“

Der einzige Unterschied: Damit das Semaglutid seine Wirkung im Gehirn entfalten kann, ist eine etwas höhere Dosis nötig. Deshalb ist das speziell zum Abnehmen für Nichtdiabetiker gedachte Präparat Wegovy mit 2,4 Milligramm Semaglutid etwa doppelt so hoch dosiert wie das für Diabetiker zugelassene Präparat Ozempic.

Nebenwirkungen und Schattenseiten der Abnehmspritze

Und wo ist der Haken?

So vielversprechend Semaglutid für die Therapie von Adipositas ist, ganz ohne Nebenwirkungen und offene Fragen ist auch dieser Wirkstoff nicht.

Dosierung
Um die anfängliche Übelkeit in Grenzen zu halten, beginnt die Semaglutid-Therapie mit einer niedrigen Dosis und steigert diese dann schrittweise.© imyskin/ Getty images

Nicht ohne Nebenwirkungen

Eine fast bei allen Nutzern auftretende Nebenwirkung von Semaglutid ist Übelkeit, die vor allem am Anfang der Therapie und kurz nach der wöchentlichen Spritze auftritt. „Das liegt auch am Wirkmechanismus im Zentralnervensystem“, erklärt Jens Aberle vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Denn Semaglutid bindet an GLP-1-Rezeptoren im Brechzentrum unseres Hirnstamms und aktiviert damit die mit Brechreiz und Übelkeit verbundenen Signalwege. Außerdem häufig sind Verdauungsstörungen wie Durchfälle oder Verstopfung.

„Das ist auch der Grund, weshalb man die Dosierung langsam steigert. Unsere Patienten beginnen immer mit 0,25 Milligramm für einen Monat, dann 0,5, dann ein Milligramm“, erklärt Aberle. In der Regel klingen Übelkeit und Verdauungsstörungen aber im Laufe der Zeit ab, weil sich der Körper an das Mittel gewöhnt.

Vorsicht bei zu raschem Gewichtsverlust

Ein weiteres Risko sind Gallensteine: Sie traten in den Studien mit Semaglutid etwa doppelt so häufig auf – 2,6 Prozent statt 1,2 in der Placebogruppe. Schuld daran ist aber weniger das Mittel selbst als vielmehr der Gewichtsverlust und Fettabbau. Denn auch ohne Semaglutid wird bei raschem Abnehmen vermehrt Cholesterin frei, das von der Leber in die Galle gelangt und dort zu Steinen auskristallisiert. Empfohlen wird daher, den Gewichtsverlust unter 1,5 Kilogramm pro Woche zu halten – dies gilt auch für jede Form der Diät.

Unklar ist zurzeit noch, wie sich Semaglutid und Co auf das Krebsrisiko auswirken. In Tierversuchen gab es ein leicht erhöhtes Risiko für bestimmte Arten des Schilddrüsenkrebses und für Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dies wurde allerdings in klinischen Studien mit Menschen bisher nicht beobachtet. Umgekehrt erhöht eine anhaltende Fettleibigkeit das Risiko für viele Krebsbarten messbar – insofern verringert das Abnehmen mit Semaglutid das Krebsrisiko insgesamt gesehen eher. Menschen mit Schilddrüsenproblemen, Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse oder Nierenschwäche wird dennoch zur Vorsicht geraten.

Lebenslängliche Einnahme?

Doch es gibt noch einen weiteren großen Haken bei der Abnehmspritze: Semaglutid wirkt nur so lange, wie es regelmäßig dem Körper zugeführt wird. Setzt man die Spritze ab, lässt auch die Hemmung des Hungergefühls und die Wirkung auf das Verdauungssystem nach. In den Studien nahm daher ein Teil der Testpersonen nach Absetzen des Wirkstoffs wieder zu. Ähnliches hatte sich schon vorher auch in Tierversuchen mit Mäusen und Ratten gezeigt. Einen dauerhafte Abnehmerfolg sichern Wegovy und Co demnach oft nur dann, wenn sie lebenslang angewendet werden.

Genau das ist jedoch vielen Semaglutid-Nutzern nicht klar – auch, weil es oft nicht eindeutig kommuniziert wird: „Die allermeisten Patienten sehen das erst mal als temporären Support und beginnen die Therapie nicht mit der Vorstellung, das dann lebenslang durchzuführen“, sagt Aberle. Umso wichtiger sei es, dass Patienten die Chance nutzen, während der Semaglutid-Behandlung ihren Lebensstil und ihre Ernährung nachhaltig umzustellen.

Ohne Umstellung der Lebensweise geht es nicht

„Insofern ist es wichtig, auch die Lebensstilberatung und die Verhaltenstherapie während der Phase der medikamentösen Therapie immer wieder zu adressieren“, sagt Aberle. Denn das gibt den Patienten eine Chance, dann auch ohne Medikament das Gewicht zu halten. Was das konkret heißt, erläutert Anja Hilbert von der Adipositasambulanz am Universitätsklinikum Leipzig: „Es beinhaltet zum Beispiel, Patienten anzuleiten, ihre Ernährung gut zu beobachten, also einen Überblick zu bekommen, was sie essen, wann sie essen, wie viele Kalorien sie aufnehmen, und eben auch identifizieren zu können, wie man Ernährungsverhalten verändern kann.“

Mit anderen Worten: Auch die Abnehmspritze erspart es einem nicht, ungesunde Gewohnheiten abzulegen, die Ernährung umzustellen und mehr Bewegung ins Leben zu bringen.

Optimierte Präparate sind schon im Kommen

Bald Tablette statt Spritze?

Schon jetzt machen Semaglutid-Präparate wie Wegovy vielen Menschen mit Adipositas Hoffnung auf ein buchstäblich leichteres Leben. Doch in naher Zukunft könnte es sogar weitere, noch wirksamere Abnehmhelfer geben. „Die Pipelines der pharmazeutischen Unternehmen stehen nicht still und es wird immer noch eine weitere Verbesserung geben“, sagt Timo Müller vom Helmholtz Zentrum München. „Man arbeitet intensiv an der an der Entwicklung neuer Ko-Agonisten und Tri-Agonisten.“

Tirzepatid
Der neue Wirkstoff Tirzepatid kombiniert den Grundaufbau des Darmhormons GLP-1 mit Teilen des des Botenstoffs GIP. © Benff/ CC-by-sa 4.0

Kombi-Wirkstoff mit Doppeleffekt

Einer dieser sogenannten Ko-Agonisten ist Tirzepatid. Für diesen Wirkstoff wurden chemische Bestandteile von GLP-1 und dem zweiten Darmhormon GIP (Glukoseabhängiges Insulinotropes Peptid) miteinander kombiniert. Ähnlich wie GLP-1 wirkt auch GIP nicht nur auf die Bauchspeicheldrüse und den Zuckerstoffwechsel, sondern dämpft auch das Hungergefühl. Gleichzeitig unterstützt es den Gewichtsverlust, indem es Anpassungsmaßnahmen des Stoffwechsel an die verringerte Kalorienzufuhr ausbremst.

„Wenn man die Sequenz dieser beiden Hormone, GLP-1 und GIP, fusioniert, erhält man ein Molekül, das gleichzeitig an den Rezeptoren für GLP-1 und für GIP bindet und diese Rezeptoren aktiviert“, erklärt Müller. „Das führt zu einer deutlich stärkeren Wirkung – nicht nur auf die Regulation des Blutzuckers, sondern auch auf die auf die Regulation der Nahrungsaufnahme.“ In einer ersten klinischen Studie des Pharmakonzerns Ely Lilly konnten rund zwei Drittel der Testpersonen ihr Körpergewicht dadurch um mehr als 20 Prozent reduzieren.

Tirzepatid ist unter dem Handelsnamen Mounjaro in den USA und in der EU bereits für die Behandlung von Diabetes Typ-2 zugelassen. In den USA steht der Wirkstoff zudem bereits in einem beschleunigten Zulassungsverfahren für die Adipositas-Therapie auch bei Nichtdiabetikern. „Es wird sicherlich auch zeitnah bei uns in Deutschland zugelassen werden“, sagt Müller. Dieses und weitere Wirkstoffe ähnlichen Typs könnten daher die Chance für einen erfolgreiche Kampf gegen Adipositas in Zukunft deutlich erhöhen.

Semaglutid bald auch als Tablette

Und nicht nur das: Bald könnte auch das wöchentliche Spritzen wegfallen. Ein erstes orales Präparat mit dem Wirkstoff Semaglutid hat der Hersteller Novo Nordisk vor wenigen Jahren entwickelt. Auch Ely Lilly arbeitet bereits GLP-1-Analoga in Tablettenform. Die Schwierigkeit dabei: Peptidhormone wie GLP-1 werden normalerweise schnell von den Verdauungssäften des Magens zerstört, außerdem können sie aus dem Verdauungstrakt nur schwer ins Blut und damit an ihren Wirkort im Gehirn gelangen.

Semaglutid-Spritze
Bald könnte es Semaglutid als Tablette statt wie hier als Spritze geben.© imyskin/ Getty images

Damit das Semaglutid die Magenpassage übersteht und aufgenommen werden kann, wurde es mit einem Hilfsstoff kombiniert: Natriumsalcaprozat (SNAC) hebt den pH-Wert des Magens an und schützt den Peptidwirkstoff dadurch vor dem Zersetzen. Die Tabletten enthalten zudem eine höhere Dosis Semaglutid, um die geringere Bioverfügbarkeit auszugleichen. Unter dem Handelsnamen Rybelsus ist das orale Semaglutid-Präparat bereits seit 2020 auch in der EU zur Behandlung eines schwer kontrollierbaren Diabetes Typ-2 zugelassen.

Eine echte Chance – aber kein Lifestyle-Mittel

Für Menschen mit starkem Übergewicht sind dies gute Aussichten. Denn durch weiter optimierte Wirkstoffe und orale Einnahmeformen könnte es schon bald erheblich leichter sein, eine hartnäckige Adipositas zu bekämpfen. „Das ist ein wirklicher Gamechange“, sagt Müller. Denn mit den neuen Medikamenten gibt es nun eine reelle Chance, Menschen auch ohne Magenoperation gegen ihr starkes Übergewicht und seine gesundheitlichen Folgen zu helfen.

Allerdings: Ein Lifestyle-Mittel sind Semaglutid und Co deshalb nicht. Auch wenn prominente Nutzer wie Elon Musk oder Kim Kardashian suggerieren, man könnte damit problemlos mal eben einige Kilo abspecken. Denn ohne ärztliche Begleitung ist die Einnahme dieser Wirkstoffe riskant und bei uns schlicht illegal. Denn Wegovy, Ozempic und Co sind verschreibungspflichtig – und das aus gutem Grund.

„Wir behandeln, und das ist immer wichtig, aus medizinischer Indikation – damit Patienten gesünder werden oder gesund bleiben. Wir behandeln nicht aus kosmetischer Indikation“, betont Jens Aberle. „Und daher wird es auch immer so bleiben, dass eine ärztliche Indikationsstellung gestellt werden muss und man die Medikamente nicht anders bekommen kann.“