Das wissenschaftliche Mysterium der höchsten Gefühle

Orgasmus

Orgasmus
Der Orgasmus: Was steckt hinter dem Gefühlsspektakel? © Shironosov / iStock

Ein Feuerwerk der Emotionen: Befreiung, Entspannung, Erleichterung – kaum eine andere Erfahrung nehmen wir so intensiv wahr wie den Orgasmus. Dabei dauert er durchschnittlich nicht einmal eine Minute. Doch was genau passiert während des Höhepunkts? Wie unterscheiden sich der männliche und der weibliche Orgasmus? Und warum gibt es ihn überhaupt? Das sind nur einige der Fragen, die sich stellen.

Egal ob beim Sex mit einem Mann, einer Frau oder bei der Selbstbefriedigung: Im Idealfall hat jeder Mensch schon einmal einen Orgasmus erlebt. Sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wissenschaft umgeben den Höhepunkt jedoch noch viele Rätsel. Erlebt wird er der Orgasmus oft als völliger Ausnahmezustand des Körpers – der Kopf scheint für den Moment völlig abgeschaltet zu sein. Das ist er aber ganz und gar nicht.

Was während des Orgasmus im Körper passiert

Phasen der Lust

Obwohl der Orgasmus in der Regel nur einige Sekunden andauert, passiert währenddessen eine ganze Menge. Viele Organe spielen zusammen, wobei die Geschlechtsorgane besonders aktiv werden. Was genau läuft also während des Höhepunktes im Körper ab? Der Verlauf eines Orgasmus lässt sich durch einen sogenannten Erregungszyklus beschreiben. Dieser beinhaltet vier Stufen.

Die Spannung steigt

Es beginnt mit der Erregungsphase, welche sowohl durch Berührung, als auch allein durch Vorstellungskraft oder das Unterbewusstsein ausgelöst werden kann. Dabei schwellen die Genitalien an. Bei Frauen betrifft dies die Klitoris, die Vulvalippen, Vaginalwände und die Brustwarzen. Darüber hinaus tritt ein Vaginalsekret aus, wodurch die Vulva befeuchtet wird. Bei Männern hingegen weiten sich die Blutgefäße in den Schwellkörpern des Penis, wodurch vermehrt Blut in das Glied fließen kann. Dadurch, dass die Venen dabei zusammengepresst werden, kann das Blut nicht mehr abfließen und der Penis erigiert.

Kein Weg zurück

Darauf folgt die Plateauphase, in welcher das hohe Lustgefühl anhält. Einige Menschen empfinden die hohe Erregung auch als wellenartig. Kurz bevor es zur nächsten Phase, dem Höhepunkt, kommt, erfahren Männer die sogenannte ejakulatorische Unvermeidbarkeit. Dies kennzeichnet die Phase, in der die Spermien bereits über den Spermienleiter in die Prostata gepumpt wurden, wo sie sich mit Samenflüssigkeit mischen und in die Harnröhre geleitet werden. Diese Zeitspanne umfasst allerdings nur wenige Sekunden.

Das große Spektakel

Beim Höhepunkt der Männer wird das Sperma dann mit einer Geschwindigkeit von circa 17 Kilometer pro Stunde durch rhythmische Muskelkontraktionen aus dem Penis geschossen. Gleichzeitig wird der Zugang der Harnröhre zur Blase verschlossen. Durchschnittlich hält der Höhepunkt bei Männern ungefähr zwölf Sekunden an. Bei Frauen hingegen kann der Höhepunkt im Schnitt 13 bis 51 Sekunden andauern. Dabei kommt es zum Zusammenziehen und Weiten des äußeren Teils der Vagina, der Gebärmutter und der umliegenden Muskeln in einem Rhythmus von etwa 0,8 Sekunden.

Manche Frauen erleben auch eine Art Ejakulation. Diese wird oft als „Squirting“ bezeichnet. Dessen Existenz ist schon seit einigen Jahren wissenschaftlich bestätigt. Ebenso wurde relativ schnell deutlich, dass die Paraurethraldrüsen, auch Skene-Drüsen genannt, damit in Zusammenhang stehen. Diese liegen in einem Drüsengewebe, welches die Harnröhre umgibt und mit der männlichen Prostata vergleichbar ist.

Es ist jedoch noch nicht gesichert, ob alle Frauen Skene-Drüsen besitzen und somit jede Frau überhaupt rein physisch in der Lage ist, entsprechend zu ejakulieren. Ebenso ungesichert ist die Zusammensetzung des Sekrets. Eine im April 2022 veröffentlichte Studie ergibt, dass verschiedene Flüssigkeiten ausgeschieden werden und daher zwischen „weiblicher Ejakulation“ und „Squirting“ unterschieden werden muss. Demnach handelt es sich bei der weiblichen Ejakulation um eine dickflüssige Flüssigkeit, welche aus den Skene-Drüsen ausgeschieden wird und eine hohe Konzentration an prostataspezifischem Antigen, also einem Eiweißstoff, enthält.

Erschöpfung
Nach dem Orgasmus setzt vor allem bei dem Mann Erschöpfung ein. © PeopleImages/ Getty images

Laut den Forschenden stammt die dünnflüssige farblose Flüssigkeit, die beim Squirting ausgeschieden wird, hingegen aus der Harnblase und ist eher urinähnlich. Die beiden Vorgänge könnten allerdings auch gleichzeitig auftreten. Andere Quellen besagen, dass das Squirting-Sekret unter anderem aus Harnstoff, Harnsäure und Kreatinin besteht und von den Skene-Drüsen ausgeschieden wird. Die Forschung zu den Flüssigkeiten, welche beim weiblichen Orgasmus ausgestoßen werden können, ist also noch sehr jung und kontrovers, weshalb das Phänomen noch nicht vollständig erklärt werden kann.

Einige Auswirkungen des Höhepunktes erleben Frauen sowie Männer. Die Atemfrequenz und der Puls sind bei allen erheblich erhöht, Gefäße werden stärker von Blut durchflossen und mehr Sauerstoff gelangt in die Muskeln und Organe.

Zweite Runde?

Unmittelbar im Anschluss an den Höhepunkt folgt die Refraktärphase. Während dieser nimmt das Lustgefühl rapide wieder ab, bis es schließlich gänzlich verschwindet. So zumindest bei den Männern, denn bei Frauen können auch weitere Plateauphasen folgen. Daher können sie, im Gegensatz zu Männern, mehrere Orgasmen hintereinander erleben.

Von den Genitalien bis ins Gehirn – und zurück

Größtenteils Kopfsache

Eigentlich klingt es ziemlich konträr: Gerade dann, wenn wir am meisten loslassen, uns quasi frei von allen Problemen fühlen, arbeitet unser Gehirn auf Hochtouren. Denn alle körperlichen und psychischen Veränderungen während des Orgasmus werden letztlich vom Gehirn ausgelöst. Während sich der Orgasmus äußerlich bei Frauen und Männern unterschiedlich zeigt, sind die Wahrnehmung und auch die grundlegenden Abläufe im Gehirn bei beiden Geschlechtern sehr ähnlich. Dreh- und Angelpunkt ist dabei vor allem der Hypothalamus. Seine Aufgabe ist die Steuerung der Hormone, wodurch er Einfluss auf unseren gesamten Körper hat.

Hypothalamus
Der Hypothalamus ist im Zwischenhirn verortet und spielt durch die Ausschüttung von Hormonen eine entscheidende Rolle beim Orgasmus. © decade3d/ Getty images

Der Weg dahin

Bevor es zum großen Höhepunkt kommt, passieren jedoch noch einige andere Dinge. Als erstes wird durch die Stimulation der Geschlechtsorgane im Gehirn der genitale sensorische Cortex aktiv – ein Areal unserer Hirnrinde, das etwa in der Mitte unserer Scheitelregion sitzt und für die Verarbeitung von Sinneseindrücken zuständig ist. Durch die Stimulation verschiedener Geschlechtsorgane werden unterschiedliche Regionen des Cortex aktiviert, weshalb die Erregung von mehreren erogenen Zonen gleichzeitig auch zu einem intensiveren Orgasmus führen kann. Ist ein ausgelöster Reiz intensiv genug, wird er in das Zwischenhirn weitergeleitet, wo er den Hypothalamus erreicht. Dieser dient als eine Art Vermittler zwischen dem Nerven- und Hormonsystem.

Hormonschub beim Höhepunkt

Kommt es dann zum Höhepunkt, schüttet der Hypothalamus schlagartig große Mengen an Hormonen aus. Das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytocin ist das, was hauptsächlich das berauschend angenehme Gefühl eines Orgasmus verursacht, wie Forschende in einer Studie herausfanden. Dabei wurde Männern vor dem Sex oder Masturbieren ein oxytocinhemmendes Mittel verabreicht. Daraufhin kamen die Probanden zwar noch zum Orgasmus, fühlten sich jedoch in keiner Weise befriedigt oder glücklich. Zusätzlich trägt das Hormon zur erhöhten Herzfrequenz und zum kurzfristigen Bluthochdruck bei, weitet die Pupillen und fördert besonders nach dem Orgasmus noch die Bindung und das Vertrauen zur anderen Person.

Oxytocin
Während des Höhepunkts werden große Mengen des Hormons Oxytocin freigesetzt. © MindZiper /CC-by-sa 1.0

Auch Dopamin wird nicht ohne Grund als „Glückshormon“ bezeichnet. Es wirkt während des Orgasmus ebenfalls erregend und verursacht eine Art Rauschzustand der Glücksgefühle. Indem zusätzlich auch das Hormon Serotonin freigesetzt wird, wird das Schmerzunterdrückungssystem des Körpers aktiviert. Die Schmerzempfindlichkeit nimmt also während des Orgasmus deutlich ab.

Und Schluss

Nach dem Sex trägt Serotonin auch zum Gefühl der Zufriedenheit und Entspannung bei. Um die Rauschwirkung des Dopamins wieder zu beenden, schüttet die Hirnanhangsdrüse zusätzlich das Hormon Prolaktin aus. Dieses ist in der Schwangerschaft und Stillzeit für das Brustwachstum und die Milchproduktion verantwortlich. Gleichzeitig wirkt es aber auch beruhigend. Nach dem Orgasmus hemmt das Prolaktin die Wirkung des Glückshormons und unterstützt das Zufriedenheitsgefühl. Die Aktivität des Hypothalamus nimmt wieder ab.

Warum Frauen seltener zum Orgasmus kommen

Rätseln über weibliche Anatomie

Während die hormonellen Grundlagen des Orgasmus von Frauen und Männern sehr ähnlich sind, gibt es doch einige Unterschiede. Sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Gesellschaft herrscht noch viel Unwissenheit über den weiblichen Körper. Immer wieder berichten Frauen, beim Sex einen Orgasmus nur vorzutäuschen, weil sie so selten oder nie durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr einen Orgasmus erleben.

Auch eine US-amerikanische Studie, in welcher knapp über 50.000 Menschen teilnahmen, ergab, dass circa 95 Prozent der Männer und nur 65 Prozent der Frauen durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen. Damit erleben fast ein Drittel der Frauen beim Sex mit Männern in der Regel keinen Höhepunkt. Welche Gegebenheiten machen es für viele Frauen so schwer, ihn zu erreichen?

Einfluss durch Freud

Ein Grund dafür sind jahrelange Falschannahmen über die weiblichen Geschlechtsorgane. So wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass zwischen klitoralem und vaginalem Orgasmus unterschieden werden kann. Demnach könne ein Orgasmus entweder durch Reizung der Klitoris, oder Penetration der Vagina erreicht werden. Begründer dieser Theorie war Sigmund Freud. Der Neurologe und Schöpfer der Psychoanalyse war einer der ersten, die sich in den Anfängen des 20. Jahrhunderts mit dem Orgasmus intensiver auseinandersetzte.

Freud beurteilte den vaginalen Orgasmus allerdings als den „einzig echten“, wodurch die Klitoris auch langfristig gesellschaftlich an Bedeutung verlor. Die Theorie des minderwertigen klitoralem Orgasmus beruhte auf der Annahme, dass sich die Klitoris auf den sichtbaren, perlenförmigen Teil namens Klitoris-Eichel beschränkt. Heute ist jedoch bekannt, dass dies nicht der Fall ist. Tatsächlich teilt sich der innere Teil der Klitoris in zwei Schenkel und umgibt hufeisenförmig die Harnröhre und Vagina. Somit wird auch beim „vaginalen Orgasmus“ indirekt die Klitoris erregt.

Klitoris
Die gesamte Klitoris umfasst die Klitoris-Eichel sowie zwei Schenkel, welche die Harnröhre und Vagina umschließen. © Amphis / gemeinfrei

Alle Wege führen zur Klitoris

Eigentlich ist also eher das Gegenteil von Freuds Theorie der Fall: Die Klitoris spielt eine entscheidende Rolle beim weiblichen Orgasmus – egal, auf welche Weise er herbeigeführt wird. Anatomisch gesehen ist die Klitoris-Eichel der männlichen Eichel sehr ähnlich. Da ihre Nervenenden aber auf einen deutlich kleineren Bereich verteilt sind, ist sie circa 50-mal so empfindlich. Die Vagina ist im Vergleich zur Klitoris-Eichel deutlich unempfindlicher, weshalb viele Frauen nicht durch rein penetrativen Sex zum Orgasmus kommen können.

Dass Frauen beim Sex verglichen mit Männern so selten zum Höhepunkt kommen, liegt darüber hinaus auch daran, dass der weibliche Orgasmus generell komplexer ist. Es gibt viele verschiedene erogene Zonen und somit auch viele unterschiedliche Vorlieben. Auch psychischer Druck kann die Orgasmusfähigkeit negativ beeinflussen. Daher sind Vertrauen, Kommunikation und das Kennenlernen des weiblichen Körpers häufig essenziell, um einen Orgasmus als Frau zu erreichen.

Verschiedene Funktionen von Sex

Orgasmen im Reich der Tiere

„Sich vermehren wie die Karnickel.“ Dieser Spruch stammt nicht von ungefähr. Kaninchen haben viel Sex. Und damit sind sie im Tierreich nicht allein. Katzen, Mäuse, Delfine, Bonobos – sie alle pflanzen sich gerne fort. Doch warum ist das so? Erleben auch sie einen Orgasmus?

Tatsächlich ist unklar, ob alle Tiere beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus haben können. Bei einigen gibt es jedoch Hinweise darauf, dass sie sehr wohl einen entsprechenden Höhepunkt erleben. Das ist bei dem Großteil der Säugetierarten der Fall. Bei anderen Klassen, wie beispielsweise Vögeln, Fischen und Reptilien, gibt es dazu nur wenig Forschung.

Schein-Penis

Eine Ausnahme bildet der in Ostafrika heimische Büffelweber (Bubalornis niger). Forschende der University of Sheffield haben herausgefunden, dass die Männchen dieser Vogelart einen Penis haben, welcher lediglich der sexuellen Stimulation und nicht der Samenabgabe dient. Der Orgasmus äußert sich bei den Büffelwebern durch Zittern und glasige Augen.

Delfine
Delfine haben auch zum Vergnügen Sex. © Ecohotel /CC-by-sa 3.0

Freudige Flipper

Mehr Erkenntnisse gibt es zu verschiedenen Säugetieren. Auch diesen geht es nicht immer nur um die Fortpflanzung. Genau wie Menschen haben auch Delfine zum Vergnügen Sex. Forschende konnten immer wieder beobachten, wie Delfine sich gegenseitig mit Schnauze, Schwanzflossen, Brustflossen oder Egeln die Klitoris reiben. Diese sexuellen Interaktionen konnten nicht nur zwischen heterosexuellen Pärchen, sondern vor allem vermehrt zwischen gleichgeschlechtlichen Delfinen festgestellt werden.

Grund für dieses Verhalten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die große Klitoris der weiblichen Delfine. Diese liegt an der Vorderseite der Vagina, was die Stimulation begünstigt. Die Klitoris der Delfinweibchen hat außerdem viel reizsensibles, erregbares Gewebe, da der Schwellkörper über zahlreiche Nervenenden verfügt. Damit ähnelt die Delfin-Klitoris stark der menschlichen.

Bonobos
Das Sozialverhalten wird bei Bonobos durch Sex gestärkt. © Rob Bixby /CC-by-sa 2.0

Sex für das Sozialleben

Auch Bonobos haben Sex ohne das Ziel der Fortpflanzung. Vielmehr fördern diese Menschenaffen durch den Geschlechtsverkehr das soziale Miteinander und lösen Konflikte. Das betrifft vor allem gleichgeschlechtlichen Sex zwischen Bonoboweibchen. Die Schimpansenart hat insgesamt sogar mehr homosexuellen Geschlechtsverkehr als zur Fortpflanzung geeigneten heterosexuellen Sex.

Forschende der Universität Leipzig konnten feststellen, dass weibliche Bonobos nach dem Sex mit einem anderen Weibchen einen höheren Oxytocinspiegel im Urin aufweisen, als nach dem Sex mit einem Männchen. Dies könnte unter anderem eine physiologische Grundlage dafür sein, dass Bonoboweibchen auch eine höhere Motivation zur Zusammenarbeit zeigen. Das wiederum hat für sie den Vorteil, dass sie dadurch häufig auch einen höheren Rang in ihrer Gemeinschaft erreichen.

Induzierter Eisprung

Bei einigen Säugetieren, darunter Kaninchen und Katzen, ist der Orgasmus nicht nur für den sozialen Aspekt wichtig, sondern es ist gar notwendig zur Fortpflanzung, dass beide Geschlechter den Höhepunkt erreichen. Hinweise darauf gibt der Ovulationszyklus. Bei menschlichen Frauen wird der Eisprung im Normalfall etwa alle vier Wochen ausgelöst, unabhängig von der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs. Das aber ist nicht bei allen Säugetieren so: Bei einigen findet ein Eisprung erst dann statt, wenn sie einen Orgasmus hatten.

Diesen Zusammenhang von Orgasmus und Ovulation haben Mihaela Pavlicev vom Cincinnati Children’s Hospital Medical Center und Günter Wagner von der Yale University an Kaninchen genauer untersucht. Dazu verabreichten sie weiblichen Kaninchen zwei Wochen lang Fluoxetin. Dabei handelt es sich um ein antidepressives Mittel, das beim Menschen die Orgasmusfähigkeit hemmt.

Kaninchen
Bei Kaninchen müssen beide Geschlechter zum Orgasmus kommen, um sich fortpflanzen zu können. © Oxford Scientific/ Getty images

Es zeigte sich: Nachdem die solcherart behandelten weiblichen Kaninchen mit einem Rammler zusammengesetzt wurden, sank die Anzahl ihrer Eisprünge nach der Paarung um 30 Prozent. Um auszuschließen, dass sich das Mittel bei den Kaninchen direkt auf den Eisprung auswirkt, wurde den Weibchen zusätzlich das Sexualhormon Humanes Choriongonadotropin gespritzt. Dies löste trotz Fluoxetin die Ovulation aus, während der Orgasmus vom Antidepressivum unterbunden blieb.

Daraus lässt sich schließen, dass der Eisprung bei Kaninchen tatsächlich erst durch den Orgasmus induziert wird. Die Eizelle wird durch die beim Orgasmus ausgelösten Hormone dazu angeregt, sich aus den Eierstöcken zu lösen – jetzt kann eine Befruchtung stattfinden.

Den entscheiden Reiz für den Orgasmus gibt auch bei den Kaninchenweibchen die Klitoris. Dadurch, dass sie bei Kaninchen innerhalb der Vagina liegt, wird sie durch Penetration direkt stimuliert. Ob die Nagetiere den Orgasmus dabei ähnlich wahrnehmen wie Menschen, ist jedoch noch ungeklärt. Es gibt allerdings einige Orgasmus-Symptome, die bei Kaninchen und Mensch sehr ähnlich sind, wie beispielsweise das Wärmegefühl, verstärkte Lubrikation und unwillkürliche Muskelkontraktionen an der Vagina.

Der biologische Ursprung des weiblichen Orgasmus

Warum Frauen kommen können

Die Funktionen des Orgasmus in der Tierwelt könnten Lösungsansätze für eines der größten Rätsel der Sexualität bieten: den weiblichen Orgasmus. Warum der männliche Orgasmus existiert, scheint klar: Das Ejakulat wird zur Fortpflanzung benötigt. Der Orgasmus und der damit verbundenen Samenerguss dienen daher dazu, die Spermien in den Genitaltrakt der Frauen zu bringen. Dort kann dann die Befruchtung der Eizelle stattfinden.

Der weibliche Orgasmus hingegen spielt keine so direkte Rolle bei der Fortpflanzung – zumindest keine so offensichtliche. Eine Befruchtung ist auch möglich, ohne dass die Frau beim Sex Lust empfindet oder zum Orgasmus kommt. Warum also gibt es ihn? Im Laufe der Zeit wurden einige Theorien zu dessen Ursprung und biologischen Sinn aufgestellt.

Wie die Kaninchen

Eine Möglichkeit: Der Ursprung des weiblichen Orgasmus könnte, unabhängig von seiner heutigen Funktion, seine Wurzeln in der Vergangenheit haben. Mihaela Pavlicev vom Cincinnati Children’s Hospital Medical Center und Günter Wagner von der Yale University haben die Theorie aufgestellt, dass der Orgasmus der Frau ursprünglich ebenso relevant für die Fortpflanzung war wie der des Mannes. Demnach ist auch der weibliche Eisprung wie bei einigen anderen Säugetieren ursprünglich erst durch den weiblichen Orgasmus induziert worden.

Die Theorie wird mit eben jenen Säuge- und Nagetieren begründet, bei denen das noch heute so ist: beispielsweise den Kaninchen. Laut Pavlicev ist der Orgasmus an sich als reflexartige Reaktion auf sexuelle Stimulation bei Kaninchen und Menschen gleich. Lediglich das Hormon, welches die Ovulation bewirkt, wird beim menschlichen Orgasmus heute nicht mehr ausgeschüttet. Das vermehrte Ausstoßen von Prolaktin und Oxytocin beim weiblichen Orgasmus könnte jedoch ebenfalls ein Hinweis auf den Zusammenhang sein, denn bei vielen Säugetieren, wie zum Beispiel Mäusen, haben auch diese Hormone Einfluss auf den Zyklus.

Der unabhängige Ovulationszyklus der Menschen und vieler anderer Säugetiere, bei welchem es unabhängig vom Sexualleben in regelmäßigen Abständen zum Eisprung kommt, hätte sich dieser Theorie zufolge erst im Laufe der Zeit entwickelt.

Orgasmus
Der Ursprung des weiblichen Orgasmus ist noch nicht final geklärt. © fizkes/ Getty images

Ein möglicher Grund dafür, dass sich der unabhängige Zyklus evolutionär durchgesetzt hat, liegt darin, dass die Klitoris beim Menschen und den entsprechenden weiblichen Säugetieren verhältnismäßig weit von der Vagina entfernt ist. Deshalb wird sie bei reiner Penetration weniger stimuliert, was die Wahrscheinlichkeit, einen Orgasmus zu haben, verringert. Daher könnte es sein, dass der Eisprung von der Stimulation der Klitoris unabhängig werden musste.

Diese Theorie des Orgasmus als „Überbleibsel“ einer früher notwendigen Reizerfahrung ist heute eine der aktuellsten und weit verbreitetsten. Allerdings merken die Forschenden selbst an, dass es für eine klare Bestätigung noch weitere Forschung braucht. Es ist beispielsweise auch noch unklar, inwiefern die tierischen Studien tatsächlich auf den Menschen anwendbar sind. Ebenso ist die Kausalität bei der Klitorisposition noch nicht geklärt.

Entwicklungsbiologisches Nebenprodukt?

Eine weitere evolutionsbiologische Theorie beruht auf der anatomischen Ähnlichkeit von Klitoris und Penis. Wie der Penis kann sich die Klitoris bei sexueller Erregung mit Blut füllen und auf die doppelte Größe anschwellen. Beide Organe sind zudem von dicht mit sensiblen Sinneszellen besetzt, die Erregungsreize an das Gehirn senden.

Besonders auffallend sind die Gemeinsamkeiten in der frühen Entwicklungsphase von Embryos, denn die Geschlechtsorgane werden aus anatomisch gleichem Gewebe gebildet. Daher haben sie einen ähnlichen sensorischen Apparat und bestehen aus ähnlichen neuronalen Strukturen. So liegt es nahe, dass auch die Reaktion auf Reize auf diese gemeinsame Wurzeln zurück geht. Der weibliche Orgasmus wäre in diesem Fall eine Art entwicklungsbiologisches Nebenprodukt des männlichen Orgasmus.

Heutige Funktion

Andere Erklärungsmodelle suchen Antworten auf das Rätsel des weiblichen Orgasmus eher in potenziellen heutigen Funktionen des Höhepunktes. So vermuten einige, dass die durch den Orgasmus ausgelösten Muskelkontraktionen der Vagina und Gebärmutter den Spermien den Weg zur Eizelle erleichtern und somit die Chance einer Befruchtung erhöhen. Auch dieser Theorie fehlt es allerdings noch an Evidenz.

Darüber hinaus könnte die den Orgasmus begleitende Hormonausschüttung eine wichtige psychologische Funktion haben. So sorgen beispielsweise Dopamin und Oxytocin für ein starkes Belohnungs-, beziehungsweise Glücksgefühl. Die positiven Emotionen könnten dafür sorgen, dass die Person erneut Sex haben möchte – was den Fortpflanzungserfolg erhöhen würde. Das Kuschelhormon Oxytocin stärkt zusätzlich die Bindung zur anderen involvierten Person. Folglich wären die Hormone also auch vorteilhaft für die Arterhaltung.

Klar ist: Sowohl der Ursprung als auch die Funktion des weiblichen Orgasmus sind noch immer ein wissenschaftliches Mysterium. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Ganz im Gegenteil: Der weibliche Orgasmus bietet noch viel Raum für weitere Forschung.