Die arktischen Dauerfrostböden im Klimawandel

Zeitbombe Permafrost

Permafrost
Ein neues Modell samt interaktiver Karte zeigt den vergangenen, heutigen und künftigen Zustand des Permafrosts. © AWI

Die Dauerfrostböden der Arktis sind die Tiefkühltruhe der Erde – und gleichzeitig eine klimatische Zeitbombe. Denn wenn sie auftauen, setzt dies große Mengen an potenten Treibhausgasen frei. Wie weit der Permafrost schon vom Klimawandel beeinträchtigt ist, was dies für die Treibhausgas-Emissionen bedeutet und wie viel Zeit noch bleibt, haben Forscher nun ermittelt.

Die dauerhaft gefrorenen Böden der Arktis bergen ein gewaltiges Reservoir an organischem, noch nicht zersetztem Material – von Pflanzenresten über Torf bis hin zu Fossilien ausgestorbener Tiere. Wenn sie tauen, können Bakterien dieses Material zersetzen und dabei große Mengen an Methan und Kohlendioxid freisetzen. Das würde die Klimaerwärmung noch weiter anheizen und eine fatalen Teufelskreisanstoßen.

Doch wann der Permafrost „umkippt“ und unaufhaltsam zur Treibhausgas-Schleuder wird, ist bislang strittig. Ein Team vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam und der Brigham Young University in den USA hat deshalb das bisherige Wissen zum Zustand des Permafrost zusammengetragen und auf Basis dieser Daten ein Modell erstellt, das die Entwicklung der Dauerfrostböden von 1750 bis in die Zukunft nachzeichnet – mit interessanten Ergebnissen.

Was ist das Besondere am Permafrost?

Irdische Tiefkühltruhe

Ob in der arktischen Tundra Sibiriens, den eisigen Weiten des arktischen Kanadas oder in den Hochlagen der Gebirge: Große Teile der irdischen Landflächen werden von Permafrost dominiert – dauerhaft gefrorene Böden, von denen selbst im Sommer nur die obersten Zentimeter antauen. Der Rest bleibt bis in mehrere hundert Meter Tiefe das ganze Jahr hindurch gefroren.

Permafrost NOrdhalbkugel
Verteilung und Temperatur des Permafrosts auf der Nordhalbkugel. © Obu et al,

22 Prozent der irdischen Landfläche

Wie riesig die Permafrostflächen unseres Planeten – noch – sind, hat im Jahr 2020 eine umfassende Kartierung neu ermittelt. Auf Basis von Daten der Aqua- und Terra-Satelliten der NASA ermittelte das Forschungsteam um Jaroslav Obu von der Universität Oslo dafür zunächst die Oberflächentemperatur der Landflächen. Dann nutzten sie ein Klima-Boden-Modell, um die Temperaturverteilung im Untergrund zu rekonstruierten.

Das Ergebnis ist die erste bis auf einen Kilometer genaue Karte des irdischen Permafrosts. Sie bestätigt, dass der mit Abstand größte Teil dieses Dauerfrostbodens im hohen Norden des Planeten liegt. Dieser arktische Permafrost umfasst 13,9 Millionen Quadratkilometer und macht damit rund 15 Prozent der gesamten irdischen Landflächen aus. Rechnet man den Permafrost der Antarktis und die kleineren Dauerfrostgebiete in Gebirgen dazu, kommt die Kartierung auf rund 21 Millionen Quadratkilometer weltweiten Permafrosts – 22 Prozent der Landfläche.

Uralte Schichten

Der Permafrost ist dabei allerdings nicht überall gleich: Die Kälte des gefrorenen Bodens kann sich je nach geografischer Lage und Klimabedingungen deutlich unterscheiden. Je weiter man beispielsweise in der Arktis nach Norden kommt, desto kälter ist der Untergrund. Der kälteste Permafrost der Nordhalbkugel findet sich im Nordosten Grönlands, hier erreichen die Bodentemperaturen minus 22 Grad. Der kälteste Dauerfrostboden unseres Planeten findet sich dagegen am anderen Ende der Welt: Auf dem Mount Markham im transantarktischen Gebirge ist der Untergrund bis zu minus 36 Grad kalt.

Batagai-Abbruch
Batagai-Permafrost-Abbruch in Sibirien. Die in 50 Meter tiefe ligeende Permafrostschicht ist hier schon rund 650.000 Jahre alt. © Thomas Opel / AWI

Je kälter und polnäher ein Permafrostgebiet ist, desto älter ist es meist auch. Diese Böden haben im Verlauf der Erdgeschichte oft schon mehrere Kalt- und Warmzeiten überdauert und überstanden dabei sogar Phasen, in denen es noch wärmer war als heute. Einige solche uralten Permafrostschichten haben Wissenschaftler erst kürzlich am Batagai-Abbruch im Nordosten Sibiriens entdeckt. Dort kam es durch Entwaldung und Minenarbeiten zu einer Bodenrutschung, bei der Permafrost aus 50 Meter Tiefe zutage gebracht wurde. Nähere Analysen ergaben, dass die untersten dieser Schichten schon seit rund 650.000 Jahren dauerhaft gefroren sind.

Dieser Dauerfrostboden taute demnach selbst dann nicht auf, als die Temperaturen in der sommerlichen Arktis vor rund 130.000 Jahren rund vier bis fünf Grad Celsius höher lagen als heute. „Die Datierungsergebnisse von Batagai zeigen eindrucksvoll, wie stabil ein Permafrostboden sein kann und so Jahrhunderttausende überdauert“, sagt Thomas Opel vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam. Zumindest in einigen Regionen kann demnach sehr alter, tief begrabener Permafrost natürliche Wärmeperioden überdauern.

Archiv vergangener Lebenswelten

Unter anderem deshalb bildet der Permafrost auch eine natürliche Zeitkapsel – ein Fenster in die Vergangenen Lebenswelt dieser Regionen. Denn wie in einer riesigen Tiefkühltruhe hat dieser Frostboden Unmengen an organischem Material konserviert, darunter auch die Relikte unzähliger Mikroorganismen, Tiere und Pflanzen. Erst im Juni 2022 stießen Goldsucher im Yukongebiet durch Zufall auf ein fast perfekt erhaltenes, 30.000 Jahre altes Mammut-Baby.

Auch Viren, Bakterien und sogar die RNA und DNA vieler gefrorener Organismen lässt sich im Permafrost noch nachweisen. Im Jahr 2021 gelang es einem Forschungsteam erstmals, das Erbgut eines vor einer Million Jahren gestorbenen Mammuts zu bergen und zu lesen – es ist die älteste jemals sequenzierte DNA. Das eisige Archiv des Permafrosts liefert damit wertvolle Informationen darüber, wie sich das Leben in diesen Regionen vor Jahrtausenden und sogar Jahrmillionen entwickelte.

Doch diese Tiefkühltruhe des Lebens ist in Gefahr…

Warum Permafrost für uns alle wichtig ist

Was sind die Folgen?

Ausgerechnet die kältesten Regionen unseres Planeten heizen sich im Zuge des Klimawandels am schnellsten und stärksten auf. Die Temperaturen in der Arktis und den Hochgebirgen haben zwei- bis viermal schneller zugenommen als im weltweiten Durchschnitt. Sowohl an Land als auch im Meer verändern sich die Klimabedingungen dadurch deutlich schneller als erwartet – und das hat auch Auswirkungen auf dem Permafrost.

Eis im Untergrund
Untergrund-Eis des Dauerfrostbodens tritt hier zutage. © Sepp Friedhuber/ Getty images

Zerfallende Landschaften

„Der Klimawandel ist für diese Permafrost-Regionen eine ernsthafte Gefahr“, sagt Jens Strauss vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Schon jetzt tauen vor allem die am südlichen Rand der arktischen Permafrostgebiete liegenden Böden immer weiter und tiefer auf. Dadurch wird der Untergrund schlammig und instabil, weil das Eis zwischen den Bodenschichten taut und mit dem Schmelzwasser einfach wegrinnt.

Als Folge sackt der Untergrund ab, Abhänge und Uferkanten geben der Erosion nach und brechen weg, teilweise reißen riesige Löcher auf. Im Westen Alaskas sind im Jahr 2018 nach einem besonders warmen Winter auf einem Schlag 192 Thermokarst-Seen ausgelaufen. Diese flachen Gewässer in Permafrostgebieten entstehen, wenn die obersten Bodenschichten antauen und sich Schmelzwasser sammelt. Wenn jedoch das Untergrundeis bis in größere Tiefen schmilzt, werden die Uferränder dieser Jahrtausende alten Senken instabil und das Wasser läuft aus.

Arktische Lebensweisen und Infrastrukturen in Gefahr

Das Abtauen des Permafrosts verändert aber nicht nur die Landschaft der Arktis – es bedroht auch die Existenz von Millionen Menschen in arktischen Gefilden. Für einige Gemeinschaften im hohen Norden hängt sogar ihre gesamte Lebensweise und Kultur von den gefrorenen Ökosystemen ab. „Diese Menschen haben nur sehr wenig zum Klimawandel beigetragen, sind aber besonders stark davon betroffen“, sagt Strauss.

Schon jetzt kostet der tauende Permafrost allein in Alaska die USA zufolge mehrere 100 Millionen US-Dollar pro Jahr, weil Flughäfen, Straßen, Pipelines und Siedlungen auf instabilen, absackenden oder verschlammenden Böden liegen und verlegt oder ersetzt werden müssen. Einer Studie aus dem Jahre 2018 nach liegen zwischen 48 und 87 Prozent der panarktischen Infrastruktur in Gebieten, in denen der Permafrost bis 2050 abtauen wird. Davon könnten dann 3,6 Millionen Menschen direkt betroffen sein.

Folgen für das gesamte Weltklima

Doch neben diesen direkten Folgen hat das Verschwinden des Permafrosts auch indirekte Effekte – und diese betreffen die gesamte Menschheit. Denn die dauerhaft gefrorenen Böden der Arktis sind wichtige Stellglieder im irdischen Klimasystem. Sie beeinflussen auf gleich doppelte Weise den globalen Energiehaushalt und das Klima.

Permafrost-Kliff
Permafrost-Kliff in der sibirischen Arktis. Die dunklen Stellen sind unzersetztes organisches Material eines Moores. © Lutz Schirrmeister/ AWI

Der erste Grund: In den Dauerfrostböden des hohen Nordens sind enorme Mengen an organischem Material eingefroren. Sobald der Boden taut, wird dieses Material zu einem Festmahl für Mikroben aller Art. Sie können nun die seit Jahrtausenden angesammelten Mengen an energiereichen organischen Verbindungen abbauen. Dabei setzen sie jedoch Treibhausgase in Form von Kohlendioxid, Methan und Lachgas frei. Dieser Einstrom potenter Treibhausgase heizt den Klimawandel noch weiter an, so dass sich das Abtauen des Permafrosts weiter beschleunigt – ein fataler Teufelskreis.

Hinzu kommt eine weitere positive Rückkopplung: Die Oberfläche der Permafrost-Regionen prägt in großem Maße die Albedo unseres Planeten. Denn dort, wo die Böden dauerhaft gefroren sind, bleiben Schnee und Eis lange liegen und bilden weiße Flächen, die das Sonnenlicht reflektieren und so die Aufnahme der solaren Wärme verringern. Weil der Untergrund aber zunehmend wärmer wird, bleiben Schnee und Eis weniger lange liegen und die arktischen Landflächen werden dunkler. Ihre Albedo sinkt und damit nehmen sie mehr Wärme auf – das Erdklima wird zusätzlich angeheizt.

„Langsamer“ Kipppunkt“ im Klimasystem

Das Problem jedoch: Der Permafrost reagiert ähnlich wie die großen Eiskappen und Gletscher der Erde nur träge und mit Verzögerung auf den Klimawandel. Das macht es schwer die tatsächliche Bedrohung für das Erdklima abzuschätzen. Klimaforscher zählen die Dauerfrostböden daher zu den langsamen Kipppunkten – Systemen, die sich ihrem unumkehrbaren „Umkippen“ nur sehr langsam annähern. Ist dann jedoch die kritische Schwelle erreicht, können sich die einmal angestoßenen Veränderungen so verselbstständigen, dass sie für lange Zeit unaufhaltbar sind.

Genau das könnte auch für die Permafrost gelten: „Wenn diese Böden einmal anfangen zu tauen, werden sie Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte lang Treibhausgase freisetzen, ohne dass man viel dagegen tun kann“, warnten schon im Jahr 2011 Forscher vom Permafrost Carbon Research Network. Doch wie nahe ist der arktische Permafrost seinem Kipppunkt? Und wann konkret machen sich die Folgen global bemerkbar?

Wie schnell taut der Permafrost?

Die Zeitbombe tickt…

Klar ist: Der Permafrost wird vom Klimawandel angenagt und zeigt schon jetzt erste Auflösungserscheinungen an seinen Rändern. Doch wie weit das Abtauen fortgeschritten ist und in welchem Tempo es fortschreitet, ist weit weniger klar.

Permafrost
Wie schnell der Permafrost abtauen wird, dazu gibt es widersprüchliche Angaben. © Lutz Schirrmeister/ AWI

Wie lang ist die „Lunte“?

„Darüber geistern ganz unterschiedliche Vorstellungen durch die Öffentlichkeit“, erklärt Jens Strauss vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Für die einen sind die Permafrost-Regionen eine tickende Klima-Zeitbombe, die der Menschheit demnächst um die Ohren fliegen wird. Andere gehen davon aus, dass der hohe Norden nur sehr langsam auf die Erwärmung reagiert und daher kein Grund zur Beunruhigung besteht.

„Beides stimmt nicht“, betont der Potsdamer Forscher. „Wir müssen zwar nicht damit rechnen, dass der Permafrost in ein paar Jahren riesige Mengen Treibhausgase auf einmal in die Atmosphäre spuckt und das Klima damit unweigerlich zum Kippen bringt.“ Verharmlosung sei aber auch nicht angebracht. „Immerhin setzen die Permafrost-Regionen heute schon Treibhausgase in einem Umfang frei, der nahezu den jährlichen Emissionen von Deutschland entspricht.“

Ein komplexes System

Das Problem: Die Analyse und Simulation des Permafrost-Zustands sind sehr aufwendig, weil viele Faktoren berücksichtigt werden müssen. Zwar existieren bereits Computermodelle, die dies in unterschiedlicher Detailschärfe abbilden, mit abnehmender Vereinfachung wächst aber der Rechenaufwand enorm.

„Fortgeschrittene thermo-hydrologische Modelle erfordern immense Computerleistungen, um einige hundert Jahre zu simulieren“, erklären Moritz Langer von der Permafrost-Forschungsabteilung am AWI und seine Kollegen. „Sie werden daher typischerweise nur für lokale bis regionale Prozessstudien und zur Simulation von Jahren bis Jahrzehnten eingesetzt.“ Globale Erdsystemmodelle wiederum können zwar die grobe Klimaentwicklung über hunderte von Jahren simulieren. „Viele dieser Systeme können aber die Langzeit-Entwicklung des tiefen Permafrosts nicht abbilden, weil sie nur die oberen Meter des Untergrunds umfassen“, so das Team.

Permafrost-Karte
Die auf dem neuen Modell basierende interaktive Karte zeigt, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben und wie die zukünftige Entwicklung aussehen könnte. © Lutz Schirrmeister/ AWI

Ein Kombi-Modell als Brücke

Um dieses Dilemma zu lösen, haben langer und sein Team ein neues Computermodell entwickelt, das die Brücke zwischen den zu groben globalen Modellen und den regionalen Permafrost-Simulationen schlägt. Als Basis nutzten sie einen eingeschränkten Satz von Klimaparametern, der aber wichtige Kenngrößen wie die täglichen mittleren Oberflächentemperaturen, Niederschläge und geothermale Wärmeströme umfasst.

Dies kombinierten sie mit genaueren Faktoren aus regionalen Modellen wie dem Wasser- und Eisgehalt des Bodens, der Schneebedeckung oder dem Wärmetransport in den verschiedenen Tiefen des Dauerfrostbodens. Ein Test für die Treffsicherheit dieses kombinierten Modells ergab, dass die simulierten Ergebnisse gut mit aktuellen Messdaten aus verschiedenen Permafrostgebieten der Arktis übereinstimmten. Auf Basis dieses Modells haben Langer und sein Team dann den thermischen Zustand des arktischen Permafrosts in der Zeit von 1750 bis 2000 rekonstruiert.

Das Ergebnis ist eine interaktive Karte, die anzeigt, wie warm es in den verschiedenen Permafrostgebieten des hohen Nordens ist und wie der dortige Permafrost darauf reagiert…

Zustand und künftige Entwicklung des Permafrosts

Drei Hotspots und ein schleichender Schwund

Wie stark hat sich die Oberfläche in den verschiedenen Permafrostgebieten bereits erwärmt? Wie tief ist der Boden aufgetaut? Und welche Mengen Kohlenstoff stecken in dieser aktiven Schicht? All diese Fragen beantwortet nun eine interaktive Karte, die Moritz Langer vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Potsdam erstellt haben. „Auf dieser Karte kann man sich anzeigen lassen, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben“, erklärt der Forscher.

Hotspots
Die Analysen enthüllen drei regionale Hotspots mit besonders schnell auftauendem Permafrost. © Langer et al./ EGUsphere, CC-by 4.0

Drei Hotspots des Permafrost-Verlusts

Die Rekonstruktion bestätigt nicht nur, dass sich der arktische Permafrost seit präindustrieller Zeit insgesamt erwärmt hat und dass er von Süden her immer weiter abtaut. Sie zeigt auch, dass es dabei große regionale Unterschiede gibt: „Wir haben drei Hotspot-Regionen mit Erwärmungen über einem Grad identifiziert: im Nordosten Kanadas, im Norden Alaskas und West-Sibirien“, berichten Langer und sein Team. „In einigen Netzzellen überschreitet die Erwärmung drei Grad.“

Ähnlich uneinheitlich ist auch die Abtau-Geschwindigkeit des Dauerfrostbodens: Vor allem am Südrand der drei Hotspotzonen hat sich die aktive, vom Abtauen betroffene Schicht von früher zwei Metern bis auf zehn Meter Tiefe verdickt. Während diese Randzone schmelzenden Untergrunds in Nordamerika relativ schnell weiter nach Norden vorrückt, ist dies in Eurasien deutlich langsamer der Fall. Der Dauerfrostboden ist dort offenbar noch etwas stabiler als in Kanada und Alaska.

136.000 Quadratkilometer weniger pro Jahrzehnt

Doch die Computermodelle enthüllen auch, dass die riesige „Tiefkühltruhe“ des Permafrosts insgesamt immer weiter schrumpft. In den letzten 150 Jahren hat sich die Gesamtfläche des arktischen Dauerfrostbodens um rund zwölf Prozent verringert. Der größte Verlust des gefrorenen Untergrunds hat sich dabei seit 1950 ereignet, wie die Forschenden ermittelten. Seit dieser Zeit schrumpft die arktische Permafrostregion um rund 136.000 Quadratkilometer pro Jahrzehnt – das ist doppelt so schnell wie noch im Jahrhundert davor.

Das Abtauen des Untergrunds von oben her hat Folgen für die Treibhausgas-Emissionen der Permafrostgebiete. So geben die Böden in den aktuell auftauenden Gebieten dem Modell zufolge im Schnitt 42,6 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter ab – ein Großteil davon in Form der potenten Treibhausgase Methan und CO2.

Permafrost
Wie sich der Permafrost entwickeln wird, hängt vom Klimaschutz ab. Hier zu sehen ist ein eisreicher Abhang auf den Neusibirischen Inseln. © Georg Schwamborn / AWI

Zwei-Grad-Ziel rettet auch den Permafrost

Was aber bedeutet dies für die Zukunft? Auch das haben Langer und sein Team mithilfe ihrer Computersimulation untersucht. Dafür spielten sie die Abtauraten und Erwärmungstrends für drei Klimaszenarien mit niedrigen, mittleren und hohen Treibhausgas-Emissionen durch. Welche Folgen dies für verschiedenen Permafrostgebiete hätte, zeigt ebenfalls die interaktive Karte. Demnach könnte ein großer Teil der Dauerfrostböden stabil bleiben, wenn der Klimawandel auf unter zwei Grad Erwärmung begrenzt bleibt.

„Leider steuern wir im Moment aber auf eine viel stärkere Erwärmung zu“, gibt Moritz Langer zu bedenken. Und die dazu passende Simulation, die je nach Region mit 4 bis 6 Grad Erwärmung rechnet, zeichnet ein düsteres Bild: Bis zum Jahr 2100 hätte das große Tauen dann so gut wie jeden Winkel im Reich des Permafrosts erfasst. Nach Ansicht der Forschenden wird das Schicksal des Permafrosts daher stark davon abhängen, welche Entscheidungen die Politik in den nächsten zehn Jahren bezüglich der Treibhausgas-Emissionen trifft.

„Wir können durchaus noch etwas tun“, betont Jens Strauss von AWI. „Für Resignation haben wir keine Zeit.“ So gibt es angesichts der rasanten Fortschritte im Bereich der erneuerbaren Energien nach Einschätzung der Fachleute durchaus realistische Möglichkeiten, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 ganz zu stoppen – wenn man bereit ist, entsprechend konsequent zu handeln.

Quelle: Langer et al.; EGUsphere Preprint, 2022; doi: 10.5194/egusphere-2022-473