Wie ein Mönch zum Vater der Genetik wurde

Gregor Mendel und sein Erbe

Gregor Mendel
Gregor Mendel und seine Erbsen. © Yelena Yemcuk/ Getty images; historisch

Vor 200 Jahren, am 20. Juli 1822, wurde Gregor Mendel geboren, der „Vater der Genetik“. Lange vor der Entdeckung von Genen und Chromosomen kam der Mönch und Naturforscher durch gewissenhafte Erbsenzählerei auf seine drei Vererbungsregeln. Aber wie kam er darauf? Was bedeuten diese Regeln heute noch?  Und was wusste Mendel von Darwins Evolutionstheorie?

Mendels Regeln der Vererbung haben wir alle in der Schule gelernt, sie bilden den klassischen Einstieg in die Vererbungslehre und Genetik. Doch wie kam Gregor Mendel dazu, im Klostergarten Erbsen zu zählen und was war die Motivation hinter diesen für die damalige Zeit erstaunlich fortschrittlichen Experimenten? Und wie richtig waren seine Schlussfolgerungen?

Wie Mendel zur Wissenschaft kam

Ungewöhnliche Karriere

Seine Erbsen machten ihn berühmt: Gregor Mendel gehört heute zu den bekanntesten Pionieren der Biologie. Seine Vererbungsregeln sind fester Bestandteil des schulischen Biologieunterrichts. Doch als dieser künftige Star der Genetik am 20. Juli 1822 im kleinen Dorf Heinzendorf bei Brünn geboren wurde, war davon noch nichts zu ahnen – im Gegenteil.

Mendels GEburtshaus
Das Geburtshaus von Gregor Mendel in Heinzendorf, heute Hynčice. © Palickap/ CC-by-sa 3.0

Vom Bauernsohn zum Studenten

Als Kind von Kleinbauern im ländlichen Schlesien hatte Mendel zunächst wenig Aussichten auf eine wissenschaftliche Karriere. Denn als einziger Sohn schien klar, dass er einst den Hof des Vaters weiterführen würde. Schon in der Dorfschule jedoch fielen seinem Lehrer und dem örtlichen Priester auf, wie begabt und intelligent der junge Mendel vor allem in den Naturwissenschaften war. Trotz der extremen finanziellen Belastung für seine Familie wurde der Junge daher auf eine Schule im nächstgrößeren Ort und später aufs Gymnasium geschickt.

Allerdings forderte diese für einen Bauernsohn ungewöhnliche Bildungskarriere einige Opfer von Mendel und seiner Familie. Schon mit 16 Jahren musste er sich als Privatlehrer Geld dazu verdienen, durch Überarbeitung und Hunger durchlitt er immer wieder Phasen der Krankheit. Dennoch begann Mendel ab 1840 an der Universität Olmütz ein Studium am philosophischen Institut, wo er unter anderem Kurse in Physik, Mathematik und Logik belegte und Bestnoten erhielt. Schon 1843 musste er das Studium aber aus Geldmangel wieder abbrechen.

Gregor Mendel
Obwohl Mendel eher wissenschaftlich als spirituell interessiert war, bot ihm die geistliche Laufbahn eine Chance zur weiteren Bildung. © historisch

Ein Kloster als Karriere-Trittbrett

Einen Ausweg aus dieser Misere fand der junge Mendel im Augustinerkloster St. Thomas bei Brünn. „Dieses Kloster war im frühen und mittleren 19. Jahrhundert ein Zentrum der Gelehrsamkeit, vor allem in den Naturwissenschaften und der Landwirtschaft“, erklärt der US-Biologe Garland Allen von der Washington University in St. Louis. „Der Abt, Pater Cyril Napp, war ein enthusiastischer Naturforscher, Mitglied mehrerer lokaler Landwirtschaftsverbände und wissenschaftlicher Gesellschaften, außerdem war er Autor mehrerer Fachschriften, vor allem zu Pflanzenschädlingen.“

Obwohl der junge Mendel keine besondere religiöse Berufung verspürte, verschaffte ihm das Kloster die Chance, neben seinen klösterlichen Pflichten auch seinen naturwissenschaftlichen Interessen nachzugehen. 1845 begann „Bruder Gregor“ mit einem Theologiestudium in Brünn, belegte aber gleichzeitig auch Kurse in Ökonomie, Weinbau und Obstbaumzucht. Dabei lernte er auch Grundlagen zu Kreuzungsmethoden, Samenvermehrung und Auslese lernte – Wissen, das sich für seine späteren Experimente als entscheidend erweisen sollte.

1859 bis 1853 finanzierte das Kloster dem wissbegierigen und begabten Mönch sogar ein Studium in Wien, wo er unter anderem sein Wissen in Pflanzenkunde vertiefte, aber auch Physik und Grundlagen des Experimentierens bei Christan Doppler, dem Entdecker des Doppler-Effekts, lernte. Ab 1854 arbeitete Mendel dann als Aushilfslehrer an einer Realschule in Brünn – eine Aufgabe, die ihm genügend Zeit für eigenen Forschungsarbeiten ließ. Diese Chance nutzte er.

Woher Mendel die Motivation für seine Experimente nahm

Warum Pflanzenzüchtung?

Wie kommt ein Mönch darauf, Züchtungsexperimente mit Erbsen durchzuführen? Auf den ersten Blick erscheint dies wenig naheliegend. Allerdings war Mendel kein gewöhnlicher Mönch und sein Kloster kein rein spiritueller Ort. Seine wissenschaftliche Ausbildung und die stark gärtnerisch-landwirtschaftliche Ausrichtung seines Klosters boten die besten Voraussetzungen für die Experimente.

Pollenschläuche
Zu Mendels Zeit war strittig, wie die Befruchtung der Pflanzen abläuft und welchen Anteil Pollenschlauch (hier von Lilien) und Embryosack an der nächsten Generation hatten. © eutr0nics/ CC-by-sa 3.0

Pflanzenzucht ohne Basis

Dazu kam eine weitere Motivation: Zur damaligen Zeit war die Pflanzenzüchtung von wenig Wissen und vielen Rückschlägen geprägt. Züchter versuchten, durch Kreuzungen neue Sorten zu erzeugen, konnten aber nicht erklären, warum die resultierenden Hybriden immer wieder ihre neuen Merkmale verloren. „Die meisten Tier- und Pflanzenzüchter arbeiteten auf Basis verschiedener Faustregeln, die sie in ihrem lokalen Umfeld entwickelt oder von anderen übernommen hatten“, erklärt Garland Allen von der Washington University in St. Louis. „Es war größtenteils eine Art Handwerk, ohne übergeordnete Regeln, die allgemein angewendet wurden.“

Weil man Mitte des 19. Jahrhunderts weder Gene, Chromosomen noch die Grundlagen der Vererbung kannte, blieben die scheinbar erratischen Zuchtergebnisse ein Rätsel. „Es war für Biologen – vor allem im deutschsprachigen Raum – zwar durchaus gängig, sich die Agenten der Vererbung als spezielle Partikel oder Moleküle vorzustellen“, so Allen. „Das Problem mit den meisten dieser Theorien war aber, dass sie hochgradig spekulativ waren und kaum auf Beobachtungen und wenigen bis keinen Experimenten beruhten.“

Streit um die Befruchtung

Heftig umstritten war zudem die Frage, wie bei den höheren Pflanzen die Befruchtung stattfand. Während einige Naturforscher auch bei den Pflanzen von einer Verschmelzung mütterlicher und väterlicher Zellen ausgingen, vertraten Anhänger des einflussreichen Botanikers Jacob Schleiden eine andere Ansicht. Nach dieser bildete der Embryosack der weiblichen Pflanze nur eine Hülle für den männlichen Pollenschlauch, ohne selbst viel zur neuen Pflanzengeneration beizutragen.

Diese Kontroverse könnte auch Mendel direkt betroffen haben. Denn es gibt einige historische Hinweise darauf, dass er seine Lehramtsprüfung in Wien deshalb nicht bestand, weil sein Botanikprüfer ein Anhänger Schleidens war – und Mendel dessen Ansicht in der Prüfung widersprach. Der deutsche Genetiker Rudolf Hagemann hält es daher für durchaus denkbar, dass dieser Konflikt Mendel eine zusätzliche Motivation für seine Züchtungsversuche lieferte.

„Es erscheint durchaus verständlich, dass Mendel relativ kurz nach der negativ verlaufenen Prüfung in Wien mit entsprechenden Versuchen begann, um das zu beweisen, worauf er in der Prüfung in Wien gegen die Ansichten seines Prüfers beharrte – nämlich, dass Vater und Mutter-Pflanze in gleicher Weise die Eigenschaften der Nachkommen bestimmen“, schreibt Hagemann. Der Klostergarten und die dort ohnehin schon in mehreren Sorten gezüchteten Erbsen lieferten Mendel dafür die besten Voraussetzungen…

Was Mendels Züchtungsexperimente so besonders machte

Erbsenzählen im Klostergarten

Die Erbsen-Zuchtversuche Gregor Mendels waren nicht nur wegen ihrer Ergebnisse und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen bahnbrechend. Auch in der Art und Weise, wie Mendel seine Experimente plante und auswertete, war er seiner Zeit in mehrfacher Hinsicht voraus.

Erbsenmerkmale
Diese sieben Merkmale der Erbsen wählte Mendel für seine Kreuzungsversuche aus. © Mariana Ruiz LadyofHats / CC0

Das Merkmal als vererbbare Einheit

Die erste Besonderheit betrifft die Auswahl der Sorten und Merkmale seiner Erbsen: Zwei Jahre verbrachte der gelehrte Mönch damit, zunächst geeignete Erbsensorten auszuwählen und in möglichst reinen Linien vorzuzüchten. Dabei begann er mit 34 verschiedenen Sorten, von denen er 22 für Befruchtungsversuche in die engere Wahl nahm. Für jede Sorte prüfte er, ob alle Nachkommen auch wirklich der Elterngeneration glichen, um so möglichst reinerbige Ausgangspflanzen zu erhalten.

Dann folgte der Schritt, in dem sich Mendel entscheidend von seinen Vorgängern und Zeitgenossen unterschied: Statt die ganze Erbsenpflanze mit allen ihren Merkmalen als Einheit zu sehen, konzentrierte sich Mendel auf einzelne Merkmale, die er losgelöst von der Einzelpflanze untersuchte. Dies ermöglichte es ihm, gezielt nachzuvollziehen, was die Kreuzung mit diesen einzelnen Merkmalen machte – losgelöst vom sonstigen Aussehen der Pflanze. Mendel wählte sieben Merkmale aus, die jeweils in zwei Varianten vorkamen und die gut unterscheidbar waren, darunter die Blütenfarbe, die Farbe und Form der Erbsen sowie die Form und Farbe der Erbsenschoten.

In seinen Versuchen kreuzte Mendel nun jeweils die Erbsenpflanzen miteinander, die verschiedene Ausprägungen in einem dieser Merkmale besaßen – beispielsweise weißblühende mit violett blühenden Pflanzen. Damit sich die Pflanzen nicht selbst bestäuben konnten, entfernte er die Staubblätter der einzelnen Blüten und übernahm die Bestäubung von Hand. Zudem umhüllte er die Blüten, um eine unkontrollierte Fremdbestäubung zu verhindern.

Ein mathematisch-statistischer Blick

Die zweite große Besonderheit von Mendels Forschungen ist die Art, wie er seine Versuche plante und auswertete. Insgesamt kultivierte Mendel für seine Versuchsreihen mehr als 28.000 Erbsenpflanzen und erzeugte aus 355 Kreuzungen insgesamt 12.980 hybride Nachkommen. Bei jeder neuen Kreuzung wertete der Mönch akribisch aus, in welcher Form und Menge die Merkmale der Eltern bei der Tochtergeneration wieder auftraten. Anschließend führte er mit dieser Tochtergeneration erneut gezielte Kreuzungen durch.

Im Unterschied zur damals in der Pflanzenzüchtung gängigen Herangehensweise analysierte Mendel seine Ergebnisse auf mathematisch-statistische Weise. Fast schon abstrakt beschrieb er die Vererbungsprozesse über Buchstaben und mathematische Formeln. Nach Ansicht einiger Wissenschaftler könnte dies mit dazu beigetragen haben, dass Mendels Zeitgenossen und im Speziellen die Botaniker, seinen 1866 veröffentlichten Fachartikel ignorierten, ablehnten oder schlicht nicht verstanden.

Mendels Erkenntnisse und ihre Bedeutung

Die drei Regeln

Mendels Schlussfolgerungen aus seinen Erbsenversuchen sind bis heute Lehrstoff im Biologieunterricht und seine Vererbungsregen gelten – wenn auch mit Einschränkungen – bis heute.

Uniformitätsregel
Uniformitätsregel am Beispiel des dominant-rezessiven Erbgangs: Die Tochtergeneration zeigt im Aussehen das dominante Merkmal, ist aber mischerbig. © Sciencia58/ CC0

Uniformität und eine widerlegte Theorie

Basierend auf den Ergebnissen seiner Erbsenversuche kam Mendel zu drei entscheidenden Schlussfolgerungen – den drei Mendelschen Regeln. Die Uniformitätsregel besagt, dass alle Individuen der F1-Tochtergeneration zweier reinerbiger Vorfahren gleich aussehen. Das elterliche Merkmal, das sich dabei durchsetzt, ist dominant. Mendel charakterisierte diese Dominanz mit einem Großbuchstaben, das rezessive, „unterdrückte“ Merkmal hingegen mit einem Kleinbuchstaben.

Mendels Beobachtung zur Weitergabe der Merkmale klärte auch die lange strittige Frage zur Befruchtung der Pflanzen: Wäre der weibliche Embryosack eine reine Hülle ohne genetischen Anteil an den Nachkommen, müssten Merkmale von weiblichen Pflanzen sich anders vererben als die von männlichen. Doch das war nicht der Fall, wie Mendel feststellte. In seinen Augen widerlegte dies die Theorien des Botanikers Schleidel – und rehabilitierte auch seinen eigenen Standpunkt bei seiner gescheiterten Lehramtsprüfung.

„Bei Pisum ist wohl außer Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungszellen stattfinden müsse“, schreibt Mendel in einer Fußnote seines Fachartikels. „Wie wollte man es sonst erklären, dass unter den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl und mit allen ihren Eigentümlichkeiten wieder hervortreten?“

Die Spaltungsregel und neue Sorten

Die Spaltungsregel beschreibt, was nun bei Kreuzungen dieser hybriden Nachkommen untereinander passiert: Einige von deren Nachkommen, der F2-Generation, zeigen nun wieder das zuvor unterdrückte Merkmal des Ausgangspaares. Dies geschieht in einem festen Zahlenverhältnis: Im Phänotyp stehen dominantes und rezessives Merkmal im Verhältnis 3:1. Genotypisch jedoch gilt das Verhältnis 1:2:1: Das dominante und rezessive Merkmal treten jeweils einmal als reinerbige Variante auf. Doppelt so viele Nachkommen der Enkelgeneration sind jedoch wieder genauso mischerbig wie die F1-Tochtergeneration.

Spaltungsregel
Spaltungsregel am Beispiel des dominant-rezessiven Erbgangs: In der Enkelgeneration tritt das rezessive Merkmal wieder in Erscheinung. © Sciencia58/ CC0

Für die Pflanzenzüchtung der damaligen Zeit war genau dies eine entscheidende Erkenntnis, erklärte sie doch erstmals, warum bei Kreuzungsversuchen manchmal stabile neue Sorten entstanden, manchmal hingegen nicht. „Die Experimente können konstante Nachkommen erzielen, die sich ebenso wie die reinen Arten fortpflanzen. Für die Entwicklungsgeschichte ist dieser Umstand von besonderer Wichtigkeit, weil konstante Hybriden die Bedeutung neuer Arten erlangen“, schrieb Mendel 1866 in seiner Veröffentlichung.

Unabhängigkeit – dank glücklicher Auswahl

Die Unabhängigkeitsregel schließlich besagt, dass sich einzelne Merkmale unabhängig voneinander vererben. Mendel sah jede Pflanze eine Art Mosaik aus vielen unabhängigen Merkmalen – einige dominant, andere rezessiv oder intermediär. Die Vererbung der Blütenfarbe beeinflusst bei den Erbsen demnach nicht die Form oder Farbe ihrer Schoten und Früchte. Jedes Merkmal folgt stattdessen seinem eigenen Erbgang – so die Ansicht des Forschers.

Allerdings: Heute weiß man, dass diese Unabhängigkeit eher die Ausnahme als die Regel ist. Denn wenn Gene auf den Chromosomen relativ nahe beieinander liegen, werden sie meist auch gemeinsam vererbt. Die von Mendel postulierte Unabhängigkeit gilt nur dann, wenn die Gene auf verschiedenen Chromosomen liegen oder aber so weit auseinander, dass der während der Meiose häufige Austausch von Chromosomenstücken sie trennt.

Ohne es zu ahnen, hatte Gregor Mendel bei der Auswahl seine Erbenmerkmale jedoch eine glückliche Hand: Vier der Merkmale liegen tatsächlich auf verschiedenen Chromosomen, die Gene der restlichen drei sind weit genug von den Genen der anderen entfernt. Nur deshalb ergaben die Zahlen und Verhältnisse seiner Kreuzungsversuche ein aussagekräftiges Bild.

Wie stand der Mönch zur Evolution?

Mendel und Darwin

Zu der Zeit, als Gregor Mendel in seinem Klostergarten Erbsen zählte, war in der Biologie eine fundamentale Umwälzung im Gange: 1859 veröffentlichte Charles Darwin sein bahnbrechendes Werk „Über die Entstehung der Arten“, das ein Jahr später auch auf Deutsch erschien. Auch andere Naturforscher diskutierten und theoretisierten damals über die Evolution und die Weitergabe von Merkmalen – und damit über ein Gebiet, das eng mit der Vererbung verknüpft war.

Darwin
Gregor Mendel kannte Darwins Evolutionslehre und stimmte ihr in Grundzügen zu. © duncan1890/ Getty images

Evolutionstheorie auch in Mendels Umfeld

Gregor Mendel kannte die damals diskutierten Theorien: Während seines Studiums in Wien belegte er Botanikkurse bei Franz Unger, einem sehr aktiven Verfechter einer Evolution höherer Lebensformen aus primitiveren Vorgängern. Unger schrieb dazu mehrere Artikel und veröffentlichte 1851 das sehr populäre Buch „Die Urwelt in ihren verschiedenen Bildungsperioden“. In der Bibliothek des Klosters St. Thomas standen zudem die Bücher von Charles Darwin, aber auch anderen namhaften Vertretern der verschiedenen Varianten der Evolutionstheorie. Randnotizen in Mendels Handschrift belegen, dass er diese Werke gelesen hat.

„Mendel war während seiner wissenschaftlich produktiven Jahre von einem intellektuellen Umfeld umgeben, das der Evolution positiv gegenüberstand“, schreibt Daniel Fairbanks von der Utah Valley University in einer Review zum Thema. „Auch Mendels Schriften enthüllen Einflüsse dieses Umfelds, vor allem von Darwin, Unger und Nägeli.“ Carl Wilhelm von Nägeli war ein Schweizer Botaniker, der ebenfalls die Evolutionstheorie vertrat und von 1867 bis 1873 eng mit Darwin zusammenarbeitete.

Obwohl Mendel Geistlicher war und die Kirche die Evolutionstheorie zu dieser Zeit strikt ablehnte, vertrat er in seinen Schriften durchaus ähnliche Vorstellungen wie Darwin und seine Mitstreiter. „Mendel beschrieb ein darwinistisches Szenario einer natürlichen Selektion und eines ‚Kampfs ums Dasein'“, berichtet Fairbanks.

Mendel korrigiert Darwin

Allerdings stimmte Mendel keineswegs allen Schlussfolgerungen von Darwin zu – und hatte damit Recht. Damals war die vorherrschende Ansicht, dass die Verschmelzung der Keimzellen zu einer Art Verdünnungseffekt führen müsste. Um dieses Problem zu umgehen, postulierte Darwin in seiner Pangenesis-Theorie, dass Merkmale eines Organismus durch winzige „Gemmulen“ weitergegeben würden.

Jedes Körperteil und jedes Organ sollten demnach eigene Varianten dieser Partikel abgeben, die sich dann in den Keimzellen sammeln. Diese Anreicherung sollte einer „Verdünnung“ entgegenwirken. Nach Darwins Ansicht konnten zudem Umwelteinflüsse diese Gemmulen beeinflussen und so erklären, wie sich Merkmale im Laufe der Generationen verändern. Doch Mendels Versuche widerlegten die Verdünnungstheorie und beweisen zudem, dass die Vererbung auf der freien Kombination von unteilbaren Einheiten beruhte.

Ein weiterer Punkt, an dem Mendel Darwin korrigierte, betraf den Ablauf der Befruchtung bei Pflanzen: Darwin war der Ansicht, dass für eine erfolgreiche Befruchtung der Eizelle zahlreiche „Gemmulen“ nötig seien – und damit auch mehrere Pollenkörner. Mendel nahm darauf in mehreren Briefen Bezug und führte gezielt Experimente unter anderem mit der Wunderblume (Mirabilis jalapa) durch, die dies widerlegten. Er habe deren Blüten mit nur einem einzigen Pollenkorn bestäubt und daraufhin „18 wohlentwickelte Samen und genauso viele Pflanzen erhalten“, so Mendel.

Einseitige Beziehung

„Wenn man die existierenden Belege als Ganzes betrachtet, dann ergibt sich von Gregor Mendel das Bild eines akribischen Forschers, der die Grundsätze der darwinistischen Evolution akzeptierte“, erklärt Fairbanks. „Gleichzeitig scheute sich der Mönch aber keineswegs, in privater Kommunikation auch auf Irrtümer und Diskrepanzen zu den Ergebnissen seiner Vererbungsexperimente hinzuweisen.“

Und umgekehrt? Kannte Darwin die Schriften von Gregor Mendel und seinen Ideen zur Vererbung? „Diese Frage wird seit mehr als 50 Jahren debattiert, aber die kurze Antwort darauf ist ein klares Nein“, schreibt Fairbanks. Offenbar hat Darwin nie ein Exemplar von Mendels Fachartikel zu den Pflanzenhybriden erhalten und auch keine Sekundärliteratur dazu gelesen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass Mendels Werk nur in wenigen Exemplaren gedruckt wurde und kaum Beachtung fand.

Was bleibt?

Während Charles Darwin schon zu Lebzeiten berühmt war und seine Theorie weltweit diskutiert wurde, blieb Gregor Mendel ein solcher Ruhm versagt. Im Jahr 1883, kurze Zeit vor seinem Tod, sagte er: „Mir haben meine wissenschaftlichen Arbeiten viel Befriedigung gebracht und ich bin überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, bis die ganze Welt die Ergebnisse dieser Arbeit anerkennen wird.“

Allerdings wusste Mendel da nicht, dass sein gesamter Nachlass an Aufzeichnungen nach seinem Tod im Jahr 1884 auf den Klosterhof verbrannt werden würde. Erst Jahrzehnte nach Mendels Tod wurden einige Exemplare von Mendels Schriften wiederentdeckt und man erkannte die Bedeutung seiner Erkenntnisse.