Alternativen zum Fetalen Kälberserum in der Zellkultur

Neue Nährmedien gesucht

Nährmedien
Zellkulturen benötigen spezielle Nährmedien, bisher enthalten diese meist fetales Kälberserum. © luchschen/ Getty images

Ohne Nährmedien keine Zellkultivierung. Während Forschung und Entwicklung rund um modernste Zelltherapien längst Fahrt aufgenommen haben, verharren die Nährmedien für die Kultur solcher Zellen auf dem Stand der 1950er Jahre. Dabei gibt es mehr als genug Gründe auch hier umzudenken. Und tatsächlich: Es tut sich was.

Bisher wird als Zusatz in gängigen Nährmedien für Zellkulturen meist Fetales Kälberserum verwendet – eine Lösung, die aus ungeborenen Föten von in Schlachthöfen getöteten Kühen gewonnen wird. Weil diese Gewinnung ethisch in der Diskussion ist und zudem das Produkt in seiner Zusammensetzung stark schwankt, suchen Wissenschaftler schon länger nach Alternativen – und sind bereits fündig geworden.

Was Stammzelle und Co zum Wachsen bringt

Nährmedien im Labor

Um Zellen in vitro zu erhalten und wachsen zu lassen, braucht es Nährmedien mit wachstumsfördernden Eigenschaften. Der Bedarf steigt rasant, vor allem am umstrittenen Bestandteil Fetales Kälberserum. Doch Forschende arbeiten bereits an Ersatz.

Zellkulturen finden in der Zell- und Molekularbiologie in verschiedensten Anwendungen Einsatz. Etwa bei der Erforschung der zellulären Physiologie und Biochemie, der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen, Pharmazeutika, therapeutischen Proteinen und Antikörpern sowie bei der Entwicklung neuartiger Therapien wie der Stammzelltherapie.

Zellklulturen
Die Zellzüchtung für Forschung und Anwendungen kommt nicht ohne spezielle Nährmedien aus. © JVisentin/ Getty images

Steigender Bedarf

Nährmedien durchziehen den gesamten Forschungsprozess hin zu Therapien und Anwendungen: Von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung, beispielsweise bei Krebstherapien oder Geweberekonstruktionen. Auch in der Forschung rund um künstliches Fleisch aus Bioreaktoren sind Nährmedien essenziell.

Welche Relevanz Nährmedien auch zukünftig haben, spiegelt der wachsende Biotechmarkt wider. Laut Schätzungen der Unternehmensberatung Roland Berger wächst der Bedarf im Zeitraum von 2020 bis 2025 um jährlich 33 Prozent an. Auch das Marktforschungsunternehmen Research Nester kommt zu ähnlichen Prognosen: Von einem Gesamtmarkt von 34 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 wird das Umsatzvolumen demnach bis Ende 2029 auf 167 Milliarden US-Dollar steigen. Der Löwenanteil daran soll auf Zelltherapien entfallen.

Was steckt drin?

Nährmedien fördern den zellulären Stoffwechsel und sind die Grundlage dafür, dass physiologische Zellprozesse auch außerhalb des Ausgangsorganismus aufrechterhalten werden. Die Basis von Zellkulturmedien bilden sogenannte Basalmedien, die grundlegende Nährstoffe wie Aminosäuren, Nukleotide, Salze und Vitamine bereitstellen. Die Zugabe eines Zellkulturzusatzes, der insbesondere Wachstumsfaktoren liefert, vervollständigt das Nährmedium. Die Auswahl eines geeigneten Zellkultursupplements ist dabei von der Art der Anwendung und den Zelltypen abhängig.

Am Markt lassen sich aktuell drei dominierende Zellkultursupplemente finden: Fetales Kälberserum (Fetal Bovine Serum – FBS), Humanes Plättchenlysat (HPL) und chemisch definierte Zellkulturmedien. Das FBS gilt in vielen Life-Science-Unternehmen und Hochschulen immer noch als „Goldstandard“ und ist unangefochten die Nummer eins der Nährmedien weltweit.

Aber: Es gibt immer mehr Forschende, die aufgrund der massiven wissenschaftlichen Risiken von FBS, ethischer Bedenken und Nachhaltigkeitsdefiziten zum Umdenken kommen. Denn FBS beinhaltet eine ganze Palette an Unwägbarkeiten und Risiken. Jan van der Valk, emeritierter Wissenschaftler an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Utrecht und jahrzehntelanger Vorkämpfer für alternative Nährmedien, nennt sowohl FBS als auch die gesamte Herstellungspraxis von FBS eine unkalkulierbare „Black Box“.

Ein Anachronismus in der modernen Zellforschung

Fetales Kälberserum

Ethisch nach Ansicht vieler Wissenschaftler nicht zu vertreten und qualitativ keinesfalls mit modernen Standards in Einklang zu bringen: Fetales Kälberserum (FBS) ist umstritten und birgt nach Meinung von Kritikern unkalkulierbare Risiken für die Zellforschung.

Trächtige Kuh
Fetales Kälberserum wird aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen. © skhoward/ Getty images

Im Jahr 1958 ließ der Genetiker und Biophysiker Theodor Puck erstmals Zellen erfolgreich in Fetalem Kälberserum wachsen. Seither gilt dieses Serum als Standard unter den Nährmedien. Aufgrund seines hohen Gehalts an wachstumsfördernden Komponenten setzen Forschende über Jahrzehnte hinweg auf FBS zur Zellkultivierung.

Gewinnung auf Schlachthöfen

Die Herstellungspraxis des Serums sowie permanente Unwägbarkeiten bezüglich seiner Inhaltsstoffe und potenzieller Krankheitserreger machen eine Suche nach Alternativen jedoch aktueller denn je. FBS wird aus dem Blut von Kälberföten gewonnen. Die ungeborenen Kälber werden nach der Schlachtung der trächtigen Muttertiere dafür weder betäubt noch durch eine tierschutzgerechte Methode zuverlässig getötet, bevor ihnen ihr Blut durch einen Kanüleneinstich ins Herz entnommen wird.

Gängige Praxis ist oftmals, die Kälberföten nach ihrer Entnahme aus dem Mutterleib aufgrund von Sauerstoffmangel verenden zu lassen. Dieses Prozedere widerspricht fundamental dem heutigen ethischen Grundverständnis. Denn es gilt als wahrscheinlich, dass Föten im letzten Drittel ihrer Entwicklung Schmerzen empfinden können.

Leid schon auf dem Transport

„Darüber hinaus kann und muss verhindert werden, dass trächtige Tiere überhaupt in Schlachthöfen landen. Denn bereits der Transport führt zu Leiden, Ängsten, Schmerzen und Schädigungen der Tiere, etwa durch daraus resultierende Verletzungen oder Früh- und Totgeburten“, erklärt Tilo Weber, Fachreferent für Alternativmethoden zu Tierversuchen bei der Akademie für Tierschutz beim Deutschen Tierschutzbund.

Das Verfahren zur Gewinnung des Serums wird hauptsächlich außerhalb der EU durchgeführt, besonders in Ländern mit großen, freigrasenden Herden ohne Geschlechtertrennung. Dadurch steigt auch die Verfügbarkeit von trächtigen Tieren. Toni Lindl und Gerhard Gstraunthaler, Autoren eines Lehrbuchs zur Zell- und Gewebekultur nennen Brasilien, Südafrika, Australien, Neuseeland und die USA als Hauptproduzenten von FBS. Aber auch in einigen europäischen Ländern wie den Niederlanden und Frankreich wird FBS aus Kälberblut hergestellt.

Sicherheitsrisiko FBS

Gewinnungsorte des Nährmediums FBS sind demnach Schlachthöfe – fernab standardisierter Prozesse und jenseits des in der Branche geltenden Qualitätsstandards „Good Manufacturing Practice“ (GMP). Das birgt auch Risiken: Für klinische Studien, beispielsweise im Bereich der Stammzelltherapie, ist FBS aufgrund von Sicherheitsbedenken meist ungeeignet. Zu diesen Risiken zählen die potenzielle Übertragung von Prionenerkrankungen, Zoonosen sowie die Möglichkeit, dass die artfremden Proteine eine nachteilige Immunantwort bei den Patienten hervorrufen.

Weiterer Schwachpunkt des Serums ist neben der bis heute noch nicht vollständig identifizierten Zusammensetzung vor allem die von Charge zu Charge unterschiedliche Beschaffenheit. In der Praxis erfordert dies aufwendige Chargenprüfungen, die eine Vergleichbarkeit von Studienergebnissen trotzdem nicht immer gewährleisten können.

Jan van der Valk von der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Utrecht spricht von derart gravierenden Abweichungen in Untersuchungsergebnissen, dass er wissenschaftliche Journale auffordert, wegen mangelnder Vergleichbarkeit keine Fachartikel auf Basis von FBS mehr anzunehmen.

Blutkonserven-Reste statt Kälberserum?

Die Suche nach Alternativen

Der Einsatz von Fetalem Kälberserum für Nährmedien ist nicht erst seit heute umstritten. Auf der Suche nach einer Abkehr von FBS setzt die Wissenschaft heute auf chemische Lösungen sowie auf eine Nährlösung auf Basis von humanen Blutkonserven – das Humane Plättchenlysat (HPL).

Humanes Plättchenlysat
HPL ist ein tierfreies Zellkultursupplement auf Basis menschlicher Thrombozyten. © PL BioScience GmbH

Welche Alternativen gibt es?

Aufgrund der Vielzahl von Schwachpunkten beim Fetalen Kälberserum mehrten sich spätestens im vergangenen Jahrzehnt Bestrebungen, Alternativen zu tierischen Seren zu finden. Jan van der Valk von der Universität Utrecht setzt sich seit Jahrzehnten für tierfreie Nährmedien ein. Auf der Website https://fcs-free.org/ stellt der Wissenschaftler eine Datenbank mit zumeist chemisch definierten Medien zur Verfügung. Deren Nachteil: Für jeden Zelltyp und jede Anwendung muss ein eigenes Nährmedium zusammengestellt werden.

Tilo Weber verweist auf im eigenen Zellkulturlabor hergestellte Nährlösungen, deren Zusammensetzung auch frei zugänglich veröffentlicht wurde. Ebenso wurde dort im Rahmen einer bestehenden Kooperation eine Methode entwickelt, mit der Nährmedien innerhalb von 24 Stunden auf die besonderen Erfordernisse von verschiedenen Zelltypen bewertet werden können. Forschende erfahren also innerhalb eines Tages, welches Nährmedium für ihre Experimente das richtige ist.

Humanes Plättchenlysat als Brücke

Breiter einsetzbar als chemische Nährlösungen und im Gegensatz zum Fetalen Kälberserum besser für reproduzierbare Forschungsergebnisse geeignet, ist ein humanes „Recyclingprodukt“: Das Humane Plättchenlysat (HPL) auf Basis ungenutzter Blutkonserven gilt als effiziente, ethisch vertretbare und nachhaltige Alternative.

Das HPL wird aus nicht mehr zur Transfusion geeigneten Thrombozytenkonzentraten aus der Transfusionsmedizin produziert. Thrombozyten (Blutplättchen) bilden beim Wundheilungsprozess die Blutkruste, die die Wunde verschließt. Die somit einsetzende Wundheilung wird durch die von den Thrombozyten ausgeschütteten Wachstumsfaktoren initiiert.

Genau diese Wachstumsfaktoren werden während des Herstellungsprozesses von HPL extrahiert. Das Endprodukt ist ein Lysat, das reich ist an Wachstumsfaktoren und Botenstoffen, die die Zellproliferation stimulieren sowie die Gestalt und das Differenzierungspotenzial der Zellen erhalten. Das sorgt für einen geeigneten Nährboden, der das Zellwachstum fördert und eine Grundlage für aussichtsreiche Therapieansätze in der Humanmedizin bietet.

Ein Vorteil auch: Die dafür verwendeten Blutkonserven wurden nachweislich auf Viren getestet und zu Transfusionszwecken freigegeben. Dies verringert das Risiko, dass mit dem Nährmedienzusatz Viren oder Prionen in die Zellkultur übertragen werden.

Interview mit einem Pionier des Humanen Plättchenlysats

„Basis für erfolgversprechende Stammzelltherapien“

In dem auf humanen Blutkonserven basierenden Nährmedium Humanes Plättchenlysat (HPL) sieht Dr. Hatim Hemeda ein großes Potenzial in der Weiterentwicklung von Stammzelltherapien. Der Mitgründer und CEO des Biotechunternehmens PL BioScience erklärt im Interview mit „scinexx“, warum.

Hatim Hemeda
Der Zellbiologe Hatim Hemeda möchte das Humane Plättchenlysat etablieren und hat dafür das Startup PL BioScience gegründet. © PL BioScience GmbH

Herr Dr. Hemeda, Sie entwickeln und vertreiben mit Ihrem Unternehmen PL BioScience Humanes Plättchenlysat. Was sind Ihre Beweggründe?

Die Idee entstand 2013 im Labor, als ich noch am Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik der RWTH Aachen gearbeitet habe. Damals forschte ich als Zellbiologe im Bereich der automatisierten Isolierung humaner Stammzellen. Dabei stieß ich auf ein Nährmedium aus menschlichem Thrombozytenkonzentrat, HPL, das damals nicht kommerziell erhältlich war. Wir stellten HPL in unserer Arbeitsgruppe in kleinem Maßstab selbst her und erzielten damit viel bessere Ergebnisse als mit FBS.

Um die Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, suchten wir nach einem standardisiert hergestellten HPL. Als diese Suche scheiterte, war die Idee zur PL BioScience geboren. Anfang 2015 wurde aus der Idee ein Start-up: Zusammen mit meinem Geschäftspartner Christian Wilkes gründete ich, ebenfalls in Aachen, die PL BioScience GmbH. Unser Ziel: Ein effizientes und sicheres Zellkulturmedium herzustellen und zu vertreiben, um die Brücke zwischen Forschung und Klinik zu schlagen.

Kann HPL mit dem Standardmedium mithalten?

HPL ist eine sichere und wissenschaftlich geprüfte Alternative zu Fetalem Kälberserum (FBS). Die Einsatzgebiete decken sich in der Grundlagenforschung zu großen Teilen mit denen von FBS und umfassen eine Vielzahl humaner und tierischer Primärzellen sowie Zelllinien. In vielen Bereichen der akademischen Forschung ist FBS deshalb durch HPL ersetzbar. Die Qualität des Zellwachstums und die Performance der Zellkultur sind vergleichbar oder besser, wie publizierte Studien mit HPL von PL BioScience belegen.

So veröffentlichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Würzburg im Jahr 2019 in der Open-Access-Datenbank der Fachzeitschrift „Nature“ ihre Ergebnisse zur Verträglichkeit von Biomaterialien. Bei der Anzucht von Makrophagen und Mesenchymalen Stammzellen (MSC) in verschiedenen Nährmedien schnitt HPL besser ab als FBS. Eine Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums Heidelberg belegte 2020 in einer im Journal „Cells“ publizierten Studie den positiven Einfluss von HPL auf die Zellproliferation Mesenchymaler Stammzellen; mit HPL erzielte die Gruppe eine doppelt so schnelle Proliferationsrate wie mit FBS.

Ihr HPL basiert auf „abgelaufenen“ menschlichen Blutkonserven. Ethisch ist das selbstverständlich dem Standard überlegen. Wie sieht es aber mit der Qualität der Lösung aus?

Mit unserem HPL bieten wir eine tierfreie und qualitativ bessere Alternative zum FBS an. Für klinische Studien, etwa in der Stammzelltherapie, ist FBS meist ungeeignet. Es birgt Risiken wie die potenzielle Übertragung von Prionenerkrankungen und die Möglichkeit, dass eine nachteilige Immunantwort beim Patienten hervorgerufen wird. Unser HPL löst dieses Problem, denn es wird gemäß GMP (Gute Herstellungspraxis) hergestellt.

Darüber hinaus fördert es das Zellwachstum für humane Stammzellen, die für die Entwicklung von Zelltherapien verwendet werden, sogar besser als FBS. Das liegt neben der Zusammensetzung unserer Produkte auch am humanen Ursprung sowohl der kultivierten Zellen als auch unseres Mediums. Genauso kann unser HPL aber auch zur Kultivierung anderer primärer Zellen und Zelllinien eingesetzt werden. So fördern unsere wissenschaftlich geprüften Produkte die Zellkultivierung in allen Stadien der Entwicklung regenerativer Therapien – von der Grundlagenforschung bis zur Zellproduktion für Stammzelltherapien.

Humanes Plättchenlysat
Mit Humanem Plättchenlysat ist eine nahtlosere Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen und Therapeutika auf den Menschen möglich. © PL BioScience GmbH

Kritikpunkte an FBS sind unter anderem potenzielle Verunreinigungen, die Übertragbarkeit von nicht entdeckten Krankheiten sowie Unterschiede nach Chargen. Ist das bei HPL nicht genauso?

Nein, HPL ist da klar überlegen. Es handelt sich bei den Thrombozytenkonzentraten ja um ein Rohmaterial, das bereits für den Einsatz am Patienten, nämlich zur Transfusion, zugelassen wurde. Wir arbeiten mit zertifizierten Blutbanken zusammen, durch die das Ausgangsmaterial auf Viren untersucht und freigegeben wurde. Um höchste regulatorische Anforderungen auf Kundenseite zu erfüllen, bieten wir zudem ein HPL an, das zusätzlich durch Virusinaktivierungsschritte behandelt wurde. Alles in allem vergleicht man hier die Situation von Blutspendezentren und deren höchsten Qualitätsstandards mit der Gewinnung von FBS auf Schlachthöfen.

Aufgrund der Homogenität von HPL sind keine ständigen Überprüfungen der Chargen nötig. Durch große Pools von Thrombozytenkonzentraten ist die Chargenkonsistenz sichergestellt und damit auch die Reproduzierbarkeit von Studienergebnissen. In der Praxis bedeutet das: Anders als bei FBS müssen Chargen nicht vor Verwendung durch die Anwender selbst getestet und qualifiziert werden.

Wenn Sie rein chemische Nährlösungen und HPL vergleichen – schneidet eine der alternativen Nährmedien besser ab?

In der klinischen Forschung schneidet HPL besser ab. Chemisch definierte Medien werden aus synthetisch hergestellten Komponenten in exakten Konzentrationen zusammengesetzt. Protokolle zur Zusammensetzung müssen zudem in den Laboren individuell pro Zelle und Anwendung erprobt werden, unter Zugabe essenzieller Faktoren, zum Beispiel Wachstumsfaktoren. Diese müssten synthetisch rekonstruiert werden, weshalb häufig Wachstumsfaktoren tierischen Ursprungs beigemischt werden. Das ist notwendig, um das Zellwachstum zu ermöglichen.

Die Auswahl vorgefertigter synthetischer Medien ist noch begrenzt und diese sind teils patentrechtlich geschützt, was die Preise hochtreibt. Eine Offenlegung der Inhaltsstoffe und deren Konzentrationen würde das Vertrauen der Forschenden stärken.

Humane Wachstumsfaktoren werden während des Herstellungsprozesses von HPL extrahiert. Das Endprodukt ist ein Lysat, das reich ist an Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die die Zellproliferation stimulieren sowie den Phänotypen und das Differenzierungspotenzial der Zellen erhalten. Das sorgt für einen geeigneten Nährboden, der das Zellwachstum fördert und eine Grundlage für aussichtsreiche Therapieansätze in der Humanmedizin bietet.

Forschende, die mit FBS arbeiten, fürchten Komplikationen beim Wechsel auf ein anderes Nährmedium. Berechtigterweise?

Der Wechsel von FBS zu HPL erfolgt in der Praxis unkompliziert, ohne ausschlaggebende Anpassungen der Arbeitsschritte. Werden die im HPL vorkommenden Gerinnungsfaktoren (Fibrinogene) während des Produktionsprozesses nicht entfernt, kann eine Gerinnung im fertigen Medium durch die Zugabe von Antikoagulanzien (zum Beispiel Heparin) vermieden werden. Diese können Anwenderinnen und Anwender dem Basalmedium zusammen mit dem HPL beimischen. Daneben sind Fibrinogen-depletierte HPL-Varianten verfügbar (also ohne Gerinnungsfaktoren), sodass die Zugabe eines Antikoagulanz obsolet ist.

Bei tierischen Zellen kann eine sequenzielle Adaption der Zellen an das neue Zellkultursupplement notwendig sein. Dieser Vorgang ist nach ein bis zwei Passagen abgeschlossen. Humane Zellen vertragen in der Regel einen direkten Wechsel zu HPL. Bei dem Wechsel gilt es, die optimale Konzentration (also den Anteil des Humanen Plättchenlysats im Gesamtmedium) auszumachen. Ist diese Konzentration einmal ermittelt, lässt sich der Zellkulturprozess nahtlos fortführen.

Sie arbeiten seit mehreren Jahren mit HPL. Wo sehen Sie die größten Hürden, FBS vom Thron zu stoßen?

FBS ist seit Jahrzehnten Bestandteil zahlreicher Zellkulturlabore und wird breit verwendet, Forschungsergebnisse basieren auf FBS. Die Umstellung wird da häufig gescheut. Viele Anwender wissen nicht, wie FBS produziert wird und sind sich der ethischen Problematik nicht bewusst. Andere sind sich darüber bewusst und kommen auf uns zu, weil sie aus ethischen und nachhaltigen Motiven eine Alternative suchen. Andere haben von HPL gehört und wollen von den verbesserten Ergebnissen bei der Kultivierung humaner Stammzellen mit HPL profitieren.

Die Zelltherapie entwickelt sich rasant weiter und neue Anwendungsgebiete sind oft nur dann möglich, wenn das Nährmedium hier mithalten kann, also es für klinische Studien zugelassen ist. HPL ermöglicht vor allem bei Stammzelltherapien mehr Anwendungsgebiete als FBS.

Herr Dr. Hemeda, wie optimistisch sind Sie, dass die Stammzellforschung mithilfe von HPL ihre Therapieansätze verbessern wird?

Durch das zur Transfusion freigegebene humane Ausgangsmaterial eignet es sich besonders gut für die Stammzellkultivierung. Da mit HPL sowohl die kultivierten Zellen als auch das Medium humanen Ursprungs sind, ist ein nahtloser Transferprozess von Forschungsergebnissen in die Therapie möglich. So können Zellen von der Grundlagenforschung bis zur Stammzelltherapie in einem Medium kultiviert werden.

Junge Forschende haben bereits heute die Möglichkeit, HPL einzusetzen und so von Anfang an einen Beitrag zu nachhaltiger Forschung zu leisten. Nachhaltig nicht nur im Hinblick auf unsere Umwelt und das Tierwohl, sondern genauso mit Blick auf die langfristige und lückenlose Verwendbarkeit ihrer Studienergebnisse.