Wie die dreidimensionale Struktur den Proteinen ihre Funktion verleiht

Das Geheimnis der Proteinfaltung

Proteinstruktur
Die Faltung eines Proteins bestimmt seine biologische Funktion in der Zelle. Geht bei der Faltung etwas schief, kann das zu Krankheiten führen. © theasis / Getty images

Es ist eines der grundlegendsten Gesetze in der Biochemie: Die Struktur eines Proteins bestimmt seine Funktion. Ohne diese dreidimensionale Faltung würde Proteinen der Schlüssel zum Schloss mancher Zellen fehlen oder sie wären regelrecht blind und könnten Freund nicht mehr von Feind unterscheiden. Doch wie kommt die Proteinfaltung zustande?

Ihre Struktur erhalten Proteine durch die Faltung ihrer Aminosäurekette. Der Faltungsprozess ist ziemlich komplex, aber glücklicherweise erhalten Proteine beim Heranwachsen und Vorbereiten auf ihren Einsatz Hilfe von den „Anstandsdamen“ der Zellen. Doch manchmal kann das auch schief gehen. Proteinfaltung kann krank machen – und gleichzeitig der Schlüssel für Heilungsansätze sein.

Ohne die korrekte Faltung können Proteine nicht funktionieren

Proteinstruktur bestimmt Proteinfunktion

Faltung ist im wahrsten Sinne des Wortes der Schlüssel zum Erfolg. Ohne die korrekte Faltung könnte das Schlüssel-Schloss-Prinzip nicht funktionieren. Auch der Zugang zu bestimmten Zellen bliebe den Proteinen ohne den „richtigen Schlüssel“ verwehrt.

Zwar hat ein Protein nach der Zusammensetzung durch verschiedene Aminosäuren schon alle seine molekularen Komponenten erhalten, doch damit allein ist das Protein noch nicht einsatzfähig: Die Kette aus Aminosäuren muss sich zunächst so falten, dass das Protein eine bestimmte räumliche 3D-Struktur erhält. Ohne diese Struktur kann es bestimmte Funktionen nicht ausüben und es kann auch nicht von anderen Molekülen erkannt werden.

Rezeptorerkennung
Das Hormon kann nur mit der richtigen Struktur an den spezifischen Hormonrezeptor binden und ein Signal in der Zelle auslösen. © Alexkeir/ CC-by-sa 4.0

Struktur ist der Schlüssel zum Schloss

Welche Rolle die Struktur für die Funktion eines Proteins spielt, wird besonders deutlich beim bekannten Schlüssel-Schloss-Prinzip der Enzymreaktionen. Enzyme katalysieren chemische Reaktionen in der Zelle, indem Substrate an ihr aktives Zentrum binden, einer Region, in der bestimmte Aminosäuren die katalytischen Reaktionen ausführen. Das aktive Zentrum ist so spezifisch geformt, dass nur die Substrate daran binden können, deren Faltung ihnen die passende Form gegeben hat.

Dieses Prinzip findet aber nicht nur bei Enzymen Anwendung, sondern auch in der Hormonregulation. Hormone zirkulieren durch unsere Blutbahn, um in spezifischen Zellen Funktionen auszuüben. Dafür binden sie an Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die aus Proteinen bestehen. Die Hormone haben eine spezifische räumliche Struktur, die ihnen das Andocken nur an bestimmten Rezeptoren erlaubt. Zum Beispiel kann das weibliche Geschlechtshormon Östrogen nur an Östrogenrezeptoren binden, welche sich auf der Zelloberfläche von Organen wie der Gebärmutter oder den Eierstöcken befinden.

Erregerstrukturen
Die verschiedenen Oberflächenstrukturen von Erregern unterschieden sich von denen unserer eigenen Zellen. © frentusha / iStock.com

Struktur als Erkennungsmerkmal

Freund oder Feind? Diese Frage ist vor allem für Proteine wie den Antikörpern wichtig zu beantworten. Antikörper erkennen schädliche Erreger an ihrer Oberflächenstruktur und rekrutieren daraufhin weitere Teile des Immunsystems. Die Oberflächenstruktur von körpereigenen Zellen wird von den Antikörpern hingegen als „friedlich“ erkannt und die Zellen werden nicht angegriffen.

Wie immens wichtig die Erkennung von Oberflächenstrukturen ist, zeigt sich bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen. Diese produzieren Antikörper, die gegen körpereigene Zellen gerichtet sind und die Oberflächenstruktur von Proteinen erkennen, die eigentlich wichtig für unseren Körper sind. Anders herum verhält es sich bei den Escape-Strategien der Krebszellen. Normalerweise werden Krebszellen von unserem Immunsystem als solche erkannt und unschädlich gemacht. Doch manche Krebszellen präsentieren auf der Oberfläche Strukturen, die sie als „ungefährlich“ markieren, und können sich so ungehindert im Körper verbreiten.

Mehrere Strukturschichten führen zur korrekten Proteinfaltung

Von der Aminosäurekette zum funktionstüchtigen Protein

Die Faltung eines Proteins beginnt mit einfachen Bindungen der Wasserstoffatome im Proteinrückgrat und wird schnell kompliziert, wenn es um die Interaktion von Seitenketten der Aminosäuren geht. Doch das Verständnis dieser grundlegenden Mechanismen ist wichtig um die Relevanz einer korrekten Faltung nachvollziehen zu können.

Von der DNA zum funktionstüchtigen Protein

Für die Herstellung eines Proteins wird zunächst der Abschnitt der DNA, der für ein bestimmtes Protein codiert, im Zellkern unserer menschlichen Zellen von der DNA-Polymerase abgelesen und in mRNA umgeschrieben. Diese Messenger-RNA ist eine Kopie der DNA, welche die Information der Bauanleitung für die Proteine aus dem Zellkern in das Zellplasma transportiert. Im Zellplasma warten schon die Ribosomen, welche die mRNA auslesen und entsprechend dieser Bauanleitung verschiedene Aminosäuren in einer ganz bestimmten Reihenfolge zu einer Kette verknüpfen und damit das Protein herstellen.

Ein normales Protein wird durch die Aneinanderreihung von etwa 100 – 300 Aminosäuren gebildet. Dafür stehen zwanzig verschiedene Aminosäuren zur Verfügung, die jeweils anders aufgebaut sind und unterschiedliche spezifische Funktionen für das Protein erfüllen können. Diese Funktionen können sie aber erst ausüben, nachdem sie die korrekte räumliche Anordnung eingenommen haben. Der dafür notwendige Faltungsprozess findet ebenfalls im Zellplasma statt, noch während die Aminosäurekette noch am Ribosom synthetisiert wird.

Faltung
Verschiedene Strukturschichten bilden die native Faltung. © ttsz / Getty images

Zuerst interagieren die Moleküle im Proteinrückgrat

Die 3D-Struktur von Proteinen setzt sich aus mehreren Strukturebenen zusammen, die Schicht für Schicht gebildet werden. Am Anfang steht dabei die Aminosäurekette, welche die Primärstruktur bildet. Die Aminosäuren sind miteinander über spezielle Bindungen verknüpft, die im fertigen Protein das sogenannte „Rückgrat“ bilden.

Während die Aminosäurekette am Ribosom noch synthetisiert wird, falten sich an ihrem Anfang – also an den ersten zusammengeknüpften Aminosäuren – schon die Strukturen der zweiten Schicht, der Sekundärstruktur. Dazu gehören erste Interaktionen in Form von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Molekülen der Aminosäuren, die das Rückgrat bilden. Je nach Position und Anordnungen dieser Bindungen formen sich die Aminosäureketten zu Spiralen, auch genannt Alpha-Helix, oder in flache, ziehharmonikaartig gefaltete Scheiben, den Beta-Faltblättern. Die Anordnung und Zusammensetzung dieser Sekundärstrukturen ist spezifisch für jedes Protein.

Hämoglobin
Das sauerstofftransportierende Molekül Hämoglobin hat eine Quartärstruktur, bestehend aus vier Untereinheiten. © Zephyris/ CC-by-sa 3.0

Jede Aminosäure hat ihren Platz

Die Tertiärstruktur wird durch weitere Gruppen von molekularen Bindungen zwischen den sekundären Strukturen der Aminosäurekette gebildet. Diese Bindungen sind zum Teil stärker als die Wasserstoffbrücken der Sekundärstruktur und werden von Atomen wie Stickstoff oder Schwefel geformt.

Vor allem wichtig für die tertiäre Struktur eines Proteins sind hydrophobe – also wasserabstoßende –Wechselwirkungen. Dabei interagieren Teile der Aminosäurekette, die eine ähnliche chemische Umgebung bevorzugen – in diesem Fall eine ohne Wasser – stärker miteinander, als mit anderen Teilen. Dies führt dazu, dass sich die hydrophoben Seitenketten der Aminosäuren im Inneren des Proteins zusammendrängen, während die hydrophilen – also wasserliebenden – Ketten auf der Oberfläche des Proteins exponiert sind und mit Wassermolekülen interagieren können.

Diese ersten drei Strukturschichten sind das Grundgerüst der Proteinfaltung. Manche Proteine bilden zusätzlich noch eine Quartärstruktur, indem sie mit anderen gefalteten Aminosäureketten zu einem Komplex fusionieren. Hämoglobin etwa, welches für den Sauerstofftransport in unserem Blut verantwortlich ist, besteht aus vier Untereinheiten.

Chaperone sind die heimlichen Helden der Proteinfaltung

„Anstandsdamen“ helfen Proteinen beim Falten

Die Faltung der Aminosäurekette kann eine ziemlich komplizierte Angelegenheit sein. Zum Glück müssen die Proteine da nicht alleine durch, sondern bekommen Hilfe dabei, ihre Aminosäureketten auf die richtige Art und Weise zu verknoten. Diese Hilfe kommt in Form von Hitzeschockproteinen, bekannt als Chaperone, die in allen Zelltypen vorkommen.

Chaperonin
Das Chaperonin bildet einen zylinderförmigen Käfig. Im Inneren wird das ungefaltete Protein eingeschlossen und der Faltungsprozess kann beginnen. © P99am/Splette, CC-by-sa 3.0

Chaperone verhindern ein Kuddelmuddel beim Falten

Chaperon ist ein französischen Begriff für „Anstandsdame“. Während früher die Anstandsdamen darauf achteten, dass unverheiratete Mädchen anständig blieben, passen sie in unseren Zellen darauf auf, dass Proteine im Reifungsprozess während der Faltung keinen schädlichen Einflüssen unterliegen und korrigieren ihre Faltungsfehler.

Die wichtigste Aufgabe der Chaperone ist es, Proteine vor einer Aggregation, also einer Akkumulierung und Verklumpung von falsch gefalteten Aminosäureketten, zu bewahren. Der Hauptauslöser für eine solche Aggregation ist die Interaktion von hydrophoben Seitenketten verschiedener Proteine, die aufgrund des ungefalteten Zustands noch nicht im Inneren des Proteins verborgen liegen.

Benimmkurse in der Zelle

Auch Chaperone könnten ihre Arbeit jedoch nicht machen, wäre da nicht ihre spezielle räumliche Struktur. Die zylindrischen Chaperonine, einer der wichtigsten Bestandteile des Chaperon-Systems, bilden käfigartige Strukturen. In einer innenliegenden Kammer schließen sie das noch ungefaltete Protein ein. Damit wird das Protein vor Störfaktoren geschützt und ein Raum geschaffen, indem eine Aggregation mit anderen ungefalteten Proteinen verhindert wird. Die wichtigste Funktion dieser Hohlzylinder ist dabei, die exponierten hydrophoben Aminosäuren vor anderen Proteinen abzuschirmen.

Hydrophober Effekt
Beim hydrophoben Effekt, werden die wasserabweisenden Aminosäuren (rot) im Inneren des Proteins verborgen. Dieser Effekt ist Teil des Faltungsprozess. © Fleischer / Scinexx

Das Protein verbleibt solange im Chaperonin-Käfig, bis alle hydrophoben Seitenketten im Inneren des Proteins verschwunden sind und das Protein seine native Faltung erreicht hat. Dies erklärt auch gleichzeitig, wie die Chaperonine zwischen gefalteten und ungefalteten Proteinen unterschieden können. Denn befinden sich noch hydrophobe Strukturen auf der Oberfläche, fungieren die wie ein Schild auf dem steht: Hey, ich bin noch ungefaltet.

Eine weitere Art der Faltungshelfer sind die Hsp70-Proteine, die im von Ribosomen überfüllten Teil der Zelle zum Einsatz kommen. Diese kleinen Chaperone binden noch während der Proteinsynthese am Ribosom an die austretende Aminosäurekette und verhindern so, dass sie nicht mit anderen Ketten aus benachbarten Ribosomen interagieren kann.

Chaperone können auch Verklumpungen lösen

Doch manchmal nützt der beste Benimmkurs nichts: Manche Proteine haben sich trotz aller Bemühungen falsch gefaltet und als Folge mit anderen Proteinen Aggregate gebildet. Ist die Aggregatbildung noch in einem frühe Stadium, können die Chaperone das Ruder nochmal herumreißen und die aggregierten Proteine wieder auflösen und zurückfalten.

Die Chaperone können ihre Arbeit als Faltungshelfer oft nur unter Verbrauch des chemischen Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) durchführen. Dass dabei mitunter sehr viel Energie verbraucht wird, macht deutlich, wie wichtig die korrekte Faltung der Proteine für die Zelle ist.

Physikalische Gesetze "lenken" Proteine zur optimalen Faltung

Proteine auf dem Weg zur Energieminimierung

Woher genau „wissen“ die Proteine wie sie sich falten müssen, um ihre Funktion korrekt erfüllen zu können? Die Antwort darauf liefert ein biochemisches Grundprinzip. Dies besagt, dass alle Proteine eine Energieminimierung anstreben, also eine Faltung, die für das Protein energetisch besonders günstig ist. Wenn das Protein diesen Zustand der niedrigsten Energie gefunden hat, „weiß“ das Protein: Aha, so bin ich richtig gefaltet und kann meine Funktion erfüllen.

Proteinstrukturen
Vier Proteine in ihrer nativen Konformation. Theoretisch gibt es für ein Protein mehr Möglichkeiten sich zu falten, als es Sterne im Kosmos gibt. © Astrojan/ CC-by-sa 4.0

Levinthal-Paradox – Faltung ist nicht zufällig

Doch wie genau findet das Protein nun die Faltung, die am energetisch günstigsten ist? Ein Protein könnte natürlich alle möglichen Konformationen ausprobieren und würde dann irgendwann schon die richtige – also die energieniedrigste – Faltung finden. Doch das würde unendlich lange dauern, denn für ein Protein mit einer Länge von beispielsweise 150 Aminosäuren gäbe es 2150 Möglichkeiten sich zu falten.

Auch wenn eine Änderung der Konformation nur wenige Pikosekunden dauert, bräuchte das Protein über 1024 Jahre, um die korrekte Faltung zu finden. Tatsächlich findet ein Protein aber innerhalb von Minuten, zum Teil sogar Sekunden zur optimalen Faltung. Damit ist schonmal eindeutig klar, dass die Suche nach der korrekten Konformation nicht zufällig abläuft.

Umweltbedingungen begünstigen korrekte Faltung

Doch was ist dann die Triebkraft? Vereinfacht ausgedrückt: Die Aminosäuren in der Kette des Proteins folgen den gegebenen physikalischen Gesetzen und finden damit ihren Weg zur korrekten Faltung. Zu solchen Gesetzen gehört die Energieminimierung und das Streben nach einem energetisch günstigen Zustand. Auch der hydrophobe Effekt, der dafür sorgt, dass sich die hydrophoben Seitenketten im Inneren des Proteins zusammenlagern, trägt zur Energieminimierung bei.

Energietrichter
Das ungefaltete Protein muss das Energieminimum im Faltungstrichter erreichen – die Wände des Trichters können dabei böse Fallen sein. © Thomas Splettstoesser/ CC-by-sa 3.0

Der hydrophobe Effekt sorgt außerdem für einen weiteren Schritt in Richtung Energieminimierung, weil die hydrophilen Aminosäuren jetzt auf der Oberfläche angeordnet sind. Nun können sie Interaktionen mit Wassermolekülen eingehen, was wiederum für eine Stabilisierung des Proteins sorgt. Und diese Stabilisierung ist energetisch günstig und damit ein weiterer Punkt auf der To-Do-Liste des Proteins auf dem Weg zur korrekten Faltung.

Physikalische und chemische Gesetze, die unter den gegebenen Umgebungsbedingungen einer Zelle herrschen, begünstigen also die korrekte Faltung und „lenken“ die Aminosäureketten in eine optimale Konformation.

Fehlfaltung – gefangen im lokalen Minimum

Der Weg eines Proteins zur Energieminimierung kann als eine Art Trichter betrachtet werden. Ganz oben ist das Protein noch ungefaltet und wenn es unten in der Trichterspitze angekommen ist, hat es seinen nativen, energetisch günstigsten Zustand erreicht. Doch die Wände des Trichters sind nicht glatt, sondern wellig. Die untere Spitze im Trichter ist also nicht das einzige Tal, sondern an den Wänden gibt es ganz viele kleine Täler, deren Wände auf dem Weg nach unten überwunden werden müssen.

Für diese Überwindung der kleinen Täler – in der Fachsprache lokale Minima genannt – muss etwas Energie aufgewandt werden. Die Überwindung dieser kleinen Täler ist jedoch entscheidend, um am globalen Energieminima, nämlich ganz unten im Trichter anzukommen.

Dort ist hat das Protein dann sein Ziel erreicht: den energetisch günstigen Zustand und damit die korrekte Faltung – es ist nun bereit für den Arbeitseinsatz in der Zelle. Allerdings bleiben manche Proteine auf der Strecke, sie sind sozusagen „gefangen“ in einem lokalen Minimum, weil sie die Talwand nicht überwinden können. Und das kann für die Zelle richtig gefährlich werden…

Wenn falsche Proteinstrukturen krankmachen

Fatale Fehlfaltung

Manchmal kommt es vor, dass Proteine in ihrem Faltungsprozess stecken bleiben. Sie entwickeln dann eine Fehlfaltung, aus der sie nicht mehr herauskommen. Damit können sie sehr gefährlich für die Zelle und auch unseren ganzen Körper werden. Inzwischen gibt es sehr viele Krankheiten, deren Ursache auf falsch gefaltete Proteine zurückgeführt wird.

Mutationen als Urheber der Fehlfaltung

Auf dem Weg zur Faltung und damit zur Energieminimierung können Proteine in einem lokalen Minimum stecken bleiben, obwohl der tatsächliche Zustand der minimalen Energie noch gar nicht erreicht ist. Wenn so ein Fall zutrifft sind die Proteine meist erst halbgefaltet.

Die Gründe dafür, dass ein Protein im Faltungsprozess auf halbem Wege stecken bleibt und die korrekte Faltung nie erreicht, sind vielschichtig. Zum Beispiel können Genmutationen dazu führen, dass die Aminosäuresequenz der Proteine verändert wird und damit auch der Faltungsprozess, der zu anderen fehlerhaften Tertiärstrukturen führt als beim gesunden Protein.

Die teils extremen Auswirkungen solcher vereinzelten Mutationen demonstriert das Beispiel der Sichelzellanämie. Dabei wird die räumliche Struktur der roten Blutkörperchen nur aufgrund des Austauschs einer einzigen Aminosäure in ihrem Hauptprotein Hämoglobin so stark verändert, dass die roten Blutkörperchen von ihrer normalen runden Form zu einer sichelförmigen Erscheinung deformiert werden.

Huntington's Disease
Wenn Huntington-Proteine falsch gefaltet sind, verklumpen sie und lagern sich als Plaques an den Neuronen an. © Dr. Microbe / Getty images

Faltungsfehler ohne Mutation

Trotz der sehr aufwendigen Qualitätskontrolle durch Chaperone entstehen aber auch immer wieder falsch gefaltete Proteine, die nicht auf Mutationen zurückgehen. Dabei sind vor allem komplexe Proteine mit mehreren Domänen betroffen. Ein Beispiel dafür ist die Augenkrankheit Grauer Star, bei der die hochkonzentrierte Proteinlösung in den Augenzellen aus dem Gleichgewicht gerät. Proteine die nun in pathologisch hoher Konzentration vorliegen, interagieren miteinander und verklumpen.

Ulrich Hartl vom Max-Planck-Institut für Biochemie bei München vermutet, dass Chaperone die pathologische Fehlfaltung nur verhindern können, wenn sie in ausreichend zellulärer Konzentration vorliegen. Vor allem im Alter seien unsere Chaperone weniger funktionstüchtig, was erklären könnte, warum manche neurodegenerativen Krankheiten erst mit hohem Alter auftreten.

Wie Verklumpungen krank machen können

Die Fehlfaltung von Proteinen kann dazu führen, dass sie nicht mehr ordnungsgemäß abgebaut werden können und stattdessen verkleben. Eine der Ursache dafür ist, dass die hydrophoben Seitenketten der Aminosäuren nicht säuberlich im Proteininnern verstaut sind, sondern nach außen ragen. Dadurch fördern sie eine Verklebung oder Verklumpung der Proteine.
Solche Aggregate können in Form von Oligomeren, ungeordneten Aggregaten oder amyloiden Fibrillen auftreten. Vor allem letztere sind besonders toxisch für die Zelle.

Aber was genau macht die Aggregate so gefährlich für unsere Zellen? Zum einen können die aggregierten Proteine nicht mehr ihre biologische Aufgaben in der Zelle erfüllen und stören somit die Zellabläufe. Vor allem aber können sich diese Aggregate in der Zelle ablagern. Diese Ablagerungen aus verklumptem Protein werden auch Plaques genannt und sind der Hauptgrund für neurodegenerative Krankheiten, wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington, die immer mit einem großen Verlust an Nervenzellen im Gehirn einhergehen.

Bei der Alzheimer-Demenz beispielsweise lagern sich zwischen den Gehirnzellen Plaques des Proteins Beta-Amyloid und Fibrillen des Tau Proteins ab. Beide Aggregatablagerungen stören die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn und führen letztendlich zu einem Absterben der Neuronen.

Prionprotein
Das menschliche Prionprotein. Wenn es falsch gefaltet ist, kann es umliegende Proteine mit der Fehlfaltung anstecken – Nervenschäden im Gehirn sind die Folge. © ttsz / Getty images

Prione – ansteckende Proteine

Ein weiteres Beispiel für ein falsch gefaltetes, pathogenes Protein sind die Prione, welche als infektiöse Proteine bezeichnet werden. Das klingt erstmal widersprüchlich, denn um infektiös zu sein, wie zum Beispiel Viren, ist ja eine Erbsubstanz nötig, die weitergegeben werden kann. Doch Prione sind Proteine und haben weder DNA noch RNA. Stattdessen geben sie ihre abnormale Faltung an umliegende Proteine weiter und bringen sie dazu, sich ebenfalls falsch zu falten. Die molekularen Mechanismen dieser „Ansteckung“ sind bis heute noch nicht verstanden.

Die falsch gefalteten Prionen vermehren sich im Gehirn von Mensch und Tier und lagern sich in Form von Plaques an den Nervenzellen ab. Die Gehirnzellen sterben dabei zuhauf ab und das Gehirngewebe wird regelrecht löchrig wie ein Schwamm. Deswegen wird die Prionen-Erkrankung Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) auch als übertragbare spongiforme Enzephalopathie bezeichnet – „sponge“ ist englisch für Schwamm.

Die Krankheit ist bisher nicht heilbar, und auch deswegen so gefährlich, weil sich die Prionen vom Tier auf den Menschen übertragen können. Als Beispiel ist hier die Rinderwahn-Epidemie in Großbritannien zu nennen, von der auch Menschen betroffen waren, wenn sie mit Prionen infiziertes Rinderfleisch verzehrten.

Vorhersage der 3D-Struktur von Proteinen

KI als Faltungs-Knacker

Die Aufklärung der Proteinstruktur ist entscheidend, um die Funktion der Biomoleküle nachvollziehen zu können und die molekularen Mechanismen in unserem Körper weiter zu verstehen. Dies ist vor allem für die Medikamentenentwicklung wichtig, denn wie der englische Name „structure-based drug design“ schon verrät, basieren die meisten Arzneimittel auf der Struktur des Proteins, an dem ihre Wirkung ansetzen soll – sei es an einem körpereigenen Rezeptor oder wie bei Antibiotika, am Protein eines Erregers.

Ein Beispiel sind gängige Medikamente gegen HIV, die ein entscheidendes Enzym des Virus blockieren. Für die Entwicklung dieser Mittel muss zuvor die Struktur des Zielproteins aufgeklärt werden – in diesem Fall der HIV-Protease.

Proteinkristalle
Proteinkristalle erlauben nach Beschuss mit Röntgenstrahlen einen Einblick in die Struktur von Proteinen. Doch sie herzustellen ist ein kompliziertes Unterfangen. © gemeinfrei

Strukturaufklärung ist eine knifflige Angelegenheit

Die Aufklärung der dreidimensionalen Struktur eines Proteins erfolgte erstmals im Jahr 1958 durch John Kendrew, der die Struktur des Muskelproteins Myoglobin aufklärte. Diese Entschlüsselung der Faltung ist nur durch komplizierte und aufwendige Verfahren wie Röntgenkristallografie oder Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) möglich. Die Strukturen der meisten Proteine in der Proteindatenbank PDB wurden mittels Röntgenbeugung an Proteinkristallen aufgeschlüsselt. Solche entstehen, wenn man eine Proteinlösung kontrolliert verdunsten lässt und somit die Proteinkonzentration in ihr langsam ansteigen lässt – die Proteine kristallisieren dann aus.

Die Proteinkristalle beugen Röntgenstrahlen auf eine charakteristische Art und Weise, die von Wissenschaftlern in ein Strukturmodell übersetzt werden kann. Doch die optimalen Bedingungen für eine Proteinkristallisation zu finden, folgt einem Trial-and-Error Ansatz und kann mitunter sehr lange dauern.

Besser wäre es daher, wenn man schon anhand der Aminosäure-Abfolge vorhersagen könnte, welche Form ein fertiges Protein einnehmen wird. Doch diese Strukturvorhersage ist eine der größten Herausforderungen der Biochemie. Denn bei Proteinen mit Hunderten von Aminosäuren gibt es astronomisch viele Kombinationen der räumlichen Anordnung, von denen aber nur eine die native Faltung des Proteins widerspiegelt.

Strukturanalytik mit künstlicher Intelligenz

Der besonderen Herausforderung der Strukturvorhersage nur auf Basis der Aminosäuresequenz, haben sich Software-Entwickler der Google-Tochter DeepMind mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz AlphaFold angenommen. Das KI-System beruht auf Deep Learning, einer speziellen Form des maschinellen Lernens, bei der neuronale Netzwerke mit bekannten Daten darauf trainiert werden, Regelmäßigkeiten zu erkennen und sie als allgemeingültige Gesetze zu begreifen.

Neuronale Netzwerke
Neuronale Netzwerke können Gesetzmäßigkeiten in der Proteinfaltung erkennen und Proteinstrukturen vorhersagen. © imaginima / iStock.com

So wurde AlphaFold beispielsweise mit 170.000 Proteinsequenzen und deren aufgeklärten Strukturen trainiert, sodass die KI, Gesetzmäßigkeiten in der Proteinfaltung erkennen kann. Wenn das neuronale Netzwerk nun nach dem Training eine unbekannte Aminosäuresequenz erhält, kann es dieser eine Proteinstruktur zuordnen, die den zuvor gelernten Regeln am ehesten entspricht.

Ihre herausragenden Ergebnisse hat das Team von DeepMind beim weltweiten CASP-Wettbewerb (Critical Assessment of Protein Structure Prediction) 2020 unter Beweis gestellt. Bei diesem Wettbewerb erhalten Forschungsgruppen die Aminosäuresequenz von Proteinen, deren Struktur zwar schon aufgeklärt, aber noch nicht veröffentlicht ist. Beim Vergleich der von AlphaFold getroffenen Vorhersagen mit den experimentellen Strukturdaten kam heraus: Die künstliche Intelligenz konnte für 70 von 100 Aminosäuresequenzen die Struktur präzise vorhersagen. Dafür hätten Strukturanalytiker mit experimentellen Methoden im Labor Jahre gebraucht.

Auch das KI-System RoseTTAFold von Forschern der University of Maryland hat es geschafft verborgene Gesetzmäßigkeiten der Proteinfaltung zu erkennen und schnitt beim CASP-Wettbewerb sehr gut ab. Beide zusammen wurden vom Fachmagazin „Science“ für das Entschlüsseln der Proteinstruktur mithilfe von KI-Systemen zum Durchbruch des Jahres 2021 gekürt.