Mit RNA gegen Krebs, Erbkrankheiten und Infektionen

RNA-Wirkstoffe: Mehr als nur Corona

mRNA
RNA-Wirkstoffe sind durch die Corona-Impfstoffe bekannt geworden. Aber die messenger-RNA lässt sich auch gegen andere Krankheiten einsetzen. © libre de droit/ Getty images

Die Corona-Pandemie hat erstmals bewiesen, wie leistungsfähig mRNA-Impfstoffe sind und wie effektiv sie gegen virale Infektionskrankheiten wirken können. Doch die Technologie kann noch mehr: RNA-Wirkstoffe könnten ein echter „Gamechanger“ auch im Kampf gegen Erbkrankheiten, Krebs und andere Leiden werden.

Die messenger-RNA ist in jeder unserer Zellen massenweise vorhanden, denn ohne sie kann kein Gen in das passende Protein umgesetzt werden. Gerade diese Funktion der mRNA als Boten und Informationsüberträger macht sie aber auch in der Medizin vielseitig anwendbar. Bringt man sie in die Zellen, können dadurch Gendefekte ausgeglichen, krankmachende Proteine blockiert oder ersetzt und sogar ganze Zellen gezielt ausgeschaltet werden. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten medizinscher Behandlungen.

Warum die RNA so wichtig und vielversprechend ist

Software des Lebens

Heute sind die Wissenschaftler von BioNTech, Moderna und anderen auf mRNA spezialisierten Unternehmen gefeierte Pioniere. Ihnen haben wir die effektivsten Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zu verdanken und damit die Chance, die Corona-Pandemie zu überwinden. Doch dieser Erfolg hat eine jahrzehntelange Vorgeschichte, in der die mRNA-Technologie eher ein Stiefkind der medizinischen Forschung war – trotz ihres früh erkannten Potenzials.

DNA, RNA,. Protein
Die messenger-RNA ist eine Kopie des Gencodes für ein Protein und bringt diese Bauanleitung zu den Proteinfabriken der Zelle. © Fancy Tapis/ Getty images

Bote zwischen DNA und Protein

Denn die enormen Einsatzmöglichkeiten von RNA-Wirkstoffen liegen schon lange auf der Hand. „Warum sind wir so überzeugt von der messenger-RNA?“, fragte Moderna-Präsident Stephen Hoge im April 2018 bei einer Investoren-Tagung. „Weil alles Leben, das wir kennen, erst durch messenger-RNA möglich wird. Mit unseren Worten ausgedrückt: mRNA ist die Software des Lebens.“

Tatsächlich ist diese einsträngige Ribonukleinsäure die Voraussetzung dafür, dass unsere Zellen Proteine herstellen können – und damit die Biomoleküle, auf der alle zellulären und körperlichen Aktivitäten beruhen. Die Rolle der mRNA für die Proteinproduktion erkannten Wissenschaftler schon Anfang der 1960er Jahren. Damals wiesen sie nach, dass die mRNA bei der Transkription des Erbguts im Zellkern entsteht. Beim Ablesen eines Gens wird die ursprünglich in der DNA kodierte Bauanleitung eines Proteins kopiert und in ein RNA-Stück umgeschrieben.

Die mRNa wandert nun in das Zellplasma zu den Ribosomen und wird dort im Prozess der Translation ausgelesen. Die zellulären Proteinfabriken setzen entsprechend der RNA-Bauanleitung verschiedene Aminosäuren nach und nach zum gewünschten Protein zusammen. In jeder unserer Zellen findet dieser Prozess tagtäglich in milliardenfacher Ausführung statt.

10.000 Proteinkopien aus einer mRNA

RNA-Wirkstoffe nutzen dieses Prinzip, indem sie maßgeschneiderte Abschnitte der Ribonukleinsäure in die Zelle schmuggeln, um dann die Produktion des gewünschten Proteins anzustoßen. Ist die eingeschleuste mRNA einmal im Zellplasma angekommen, läuft die Translation genauso ab wie bei der von der Zelle selbst produzierten Boten-RNA. Als Ergebnis produziert die Zelle dann genau das Protein, dessen Bauanleitung zuvor von außen zugeführt wurde.

Der Einsatz der mRNA eröffnet damit die Möglichkeit, direkt vor Ort und von der Zelle selbst nahezu jedes beliebige Protein herstellen zu lassen. Und das extrem effizient: Ist die mRNA optimal konfiguriert, wird sie schnell in die Zellen aufgenommen und dort in große Mengen der gewünschten Proteine übersetzt. Aus einer einzigen mRNA kann eine Zelle 1.00 bis 10.000 Proteinkopien herstellen. Weil in der Medizin Proteine bei vielen Krankheiten eine Rolle spielen, ließe sich diese Technologie nahezu überall einsetzen. „Der mRNA sind in dieser Hinsicht nahezu keine Grenzen gesetzt“, sagt Hoge.

Lipidpartikel
In Lipidbläschen verpackt kann mRNA in de Zellen eingeschleust werden. Moderne mRNA-Wirkstoffe nutzen dafür speziell optimierte Lipid-Nanopartikel. © Fancy Tapis/ Getty images

Das entscheidende Experiment

Die theoretischen Möglichkeiten dieser Technologie wurden schon in den 1980ern erkannt – spätestens nach einem bahnbrechenden Experiment des US-Forschers Robert Malone. Der damals am Salk Institute im kalifornischen La Jolla arbeitende Doktorand hatte messenger-RNA mit dem Bauplan für ein bestimmtes Protein mit Lipiden vermischt, wodurch die RNA in winzige Fettkügelchen eingeschlossen wurde. Diese Mischung gab er zu einer Zellkultur und konnte dann wenig später beobachten, dass einige der Zellen begannen, das entsprechende Protein zu bilden.

Damit war es erstmals gelungen, fremde mRNA über Lipidtröpfchen in Zellen einzuschleusen und so gezielt die Produktion eines Proteins zu erreichen. Malone schrieb damals in seinem Fachartikel vom Januar 1989: Wenn Zellen Proteine aus in sie eingeschleuste Proteine erzeugen können, dann könnte man RNA auch als Medikament einsetzen.

Doch trotz dieser Aussichten herrschte zunächst Skepsis und die Entwicklung konkreter RNA-Wirkstoffe stagnierte. „Trotz früher, vielversprechender Ergebnisse wurde kaum in die Weiterentwicklung der mRNA-Therapeutika investiert“, erklären Norbert Pardi von der University of Pennsylvania und seine Kollegen in einem Review. Viele anfangs enthusiastisch vorangetriebene Forschungsprojekte verliefen im Sand, Studien wurden aus Mangel an finanzieller Förderung abgebrochen oder gar nicht erst begonnen und Pharmakonzerne investierten ihre Gelder in den 1990er und 2000er Jahren lieber in andere Technologien.

Was aber war das Problem?

Die drei großen Hürden auf dem Weg zur RNA-Therapie

Die Tücke liegt im Detail

Egal ob als Impfstoff oder RNA-Medikament: Wenn man messenger-RNA als Wirkstoff in eine Zelle bringen möchte, muss man drei große Probleme überwinden: ihre Instabilität, ihre entzündungsfördernde Wirkung und die geringe Passierbarkeit der Zellmembran für das RNA-Molekül. Lange galten diese Hürden als nahezu unüberwindbar, weshalb die RNA-Technologie trotz ihres theoretisch enormen Potenzials für die Medizin nur am Rande erforscht wurde.

mRNA
Typischer Aufbau der menschlichen mRNA. © gemeinfrei

Schutz vor verfrühtem Abbau

Inzwischen jedoch hat sich die Lage geändert. Dank der hartnäckigen, von vielen Rückschläge geprägten Arbeit von hunderten Wissenschaftlern weltweit ist es der Forschung gelungen, für alle drei Probleme Lösungen zu entwickeln. Das erste ist die Instabilität: Weil die mRNA nur als Bote dient und entbehrlich wird, sobald ihr Code in den zellulären Proteinfabriken ausgelesen wurde, beseitigt die Zelle „nackte“ mRNA relativ schnell. Spezielle Enzyme, sogenannte RNasen, lagern sich am Strangende der mRNA an und bauen sie ab.

Inzwischen weiß man, dass sich dieser Abbau durch einige gezielte Modifikationen an den nicht zum Proteincode gehörenden Enden der RNA-Stränge umgehen oder zumindest hinauszögern lässt. Heutige RNA-Wirkstoffe, darunter auch die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfitzer und Moderna, haben daher spezielle Endkappen am 5′-Ende und veränderte Basenabfolgen am gegenüberliegenden Endstück, dem Poly-Tail-A. Auch der auf diesen „Schwanz“ folgende 3-UTR-Abschnitt, ein ebenfalls nicht für die Proteinproduktion ausgelesener Teil der Boten-RNA, ist modifiziert.

Lipid-Nanopartikel als Stabilisator und Einschleuse-Hilfe

Ein zweiter „Trick“ hilft sowohl gegen das Problem der Instabilität wie auch bei der Aufnahme der RNA in die Zelle : die Verpackung. In den mRNA-Impfstoffen gegen Corona und den meisten im Test befindlichen RNA-Wirkstoffen wird der Ribonukleinsäure-Strang in einem Lipid-Nanopartikel eingeschlossen. Dieses winzige Fettbläschen besteht aus einer Mischung aus vier verschiedenen Lipiden. Zwei dieser Fette, darunter ein Cholesterin und ein weiteres ungeladenes Lipid stabilisieren die Struktur des Nanopartikels, ein weiteres, meist ein Polyethylenglykol (PEG), sorgt für gute Aufnahme und Verträglichkeit.

Die entscheidende Komponente ist jedoch ein viertes, sogenanntes ionisierbares Lipid. Dieses ist unter Laborbedingungen kationisch und damit positiv geladen. Das ermöglicht es ihm, besonders eng an die negativ geladene mRNA zu binden und deren Struktur zu stabilisieren. Sobald das Lipid-Nanopartikel aber in den Körper gelangt, wird diese vierte Fettkomponente neutral und stellt so sicher, dass diese RNA-Fähre nicht zu unerwünschten Gegenreaktionen führt. Gleichzeitig wird dieses neutrale Fettbläschen von der Zellmembran relativ leicht aufgenommen.

Die im Jahr 2000 erstmals umgesetzte Produktion dieser Lipid-Nanopartikel als RNA-Fähren löst damit gleich zwei Probleme der RNA-Technologie: Im Fettpartikel geschützt kommt die mRNA weitgehend ungeschoren an ihrem Wirkort an und wird dort relativ effizient ins Innere aufgenommen. Zusätzlich lassen sich sogar noch Moleküle einbauen, die diese Lipid-Nanopartikel bevorzugt in bestimmte Organe lenken.

Basen-Austausch gegen die Abwehrreaktion

Bleibt noch das dritte Problem: Wird fremde RNA von außen in eine Zelle eingeschleust, schlägt die zelleigene Immunabwehr Alarm, weil sie darin den Angriff eines Virus zu erkennen glaubt. Sogenannte Toll-Like Rezeptoren (TLR) 7 und 8, tasten die durch die Zellmembran eindringenden Substanzen ab und binden RNA und ihre Abbaustoffe. Ist diese Anlagerung erfolgt, löst dies die massive Ausschüttung von Immun- und Entzündungs-Botenstoffen aus. Die Folge ist eine schwere Immunreaktion und der Stopp jeder Proteinproduktion in der Zelle – die Therapie wäre damit zum Scheitern verurteilt.

Pseudouridin
Die RNA-Base Uridin und die modifizierte Base Pseuorudin. © gemeinfrei

Einen entscheidenden Durchbruch bei diesem Problem erzielten im Jahr 2005 Katalin Karikó und ihr Kollege Drew Weissman an der University of Pennsylvania. Sie stellten im Experiment fest, dass die zelluläre Abwehrreaktion weitgehend unterblieb, wenn man die RNA-Base Uridin durch die chemisch engverwandte Base Pseudouridin ersetzt.

Der Gencode der RNA wird trotz dieser Modifikation von den Ribosomen korrekt ausgelesen, aber die Toll-Like-Rezeptoren der Zelle lassen sich dadurch irreführen: Sie reagieren nun nicht mehr auf die eingeschleuste mRNA und die Ausschüttung der Immunbotenstoffe bleibt aus. Die Coronavirus-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und von Moderna nutzen eine solche mit Pseudouridin modifizierte mRNA. Viele Experten schreiben die hohe Effektivität beider Vakzinen gegen Covid-19 dieser Modifikation zu.

Oder geht es auch ohne?

Es geht aber auch anders: Die deutsche Biotech-Firma CureVac und einige Forschungsgruppen setzen für ihre RNA-Wirkstoffe auf nicht modifizierte mRNA. Dabei bleibt das Uridin erhalten und man versucht durch eine geringere Dosis und Anpassungen an den nicht-proteinkodierenden RNA-Abschnitten, die Abwehrreaktion der Zelle zu minimieren. Hintergrund dafür sind Tierversuche, die schon vor einigen Jahren eine stärkere Proteinproduktion und annehmbare Nebenwirkungen bei der Gabe nicht-modifizierter RNA zeigten.

Allerdings: Zumindest bei den Corona-Impfstoffen scheint CureVac damit möglicherweise auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Wie das Unternehmen im Sommer 2021 mitteilte, zeigte das Vakzin in der klinischen Studie der Phase II/III nur eine Schutzwirkung von 48 Prozent – zu wenig für eine Zulassung. Das könnte daran liegen, dass die Dosis wegen der nicht-modifizierten RNA um das Drei- bis Sechsfache niedriger liegen musste als bei der Konkurrenz – sonst wären die Nebenwirkungen zu stark.

CureVac sieht die enttäuschenden Resultaten dagegen nicht als Folge der nicht-modifizierten RNA. Stattdessen schreiben sie dies primär der Ausbreitung von mutierten Virenstämmen wie der Deltavariante zu und führen bereits erste, offenbar vielversprechendere Tests mit einer auf dieses Coronavirus optimierten Vakzinvariante durch. Dennoch bleiben Zweifel, ob es für RNA-Therapien nicht doch der bessere und sicherere Weg ist, auf modifizierte RNA zu setzen.

RNA-Therapien gegen Krankheiten

Von Muskoviszidose bis Herzinfarkt

Dank neuer Lösungen für die jahrzehntelang bestehenden Hürden erleben RNA-Therapien inzwischen einen Boom. Zahlreiche Startups, aber auch etablierte Forschungseinrichtungen arbeiten an der Entwicklung von RMA-basierten Wirkstoffen gegen verschiedenste Erkrankungen.

Mukoviszidose
Die auf einem Gendefekt basierende Krankheit Mukoviszidose ist bislang nicht heilbar. Eine RNA-Therapie könnte aber helfen. © SDI Productions/ Getty images

Mit mRNA-Aerosol gegen Mukoviszidose

Eine Einsatzmöglichkeit für RNA-Therapien sind Erbkrankheiten, bei denen aufgrund eines Gendefekts keine oder nur fehlgebildete Proteine gebildet werden. So laufen bereits Studien, in denen mittels Inhalation verabreichte mRNA-Stücke gegen Mukoviszidose helfen sollen. „Die Atmung selbst dient dabei als einfacher, aber effektiver Transportweg in die Lunge“, erklärt Asha Patel vom Imperial College London. „Wenn die Aerosoltropfen einmal eingeatmet sind, können die in ihnen enthaltenen mRNA-Nanopartikel in die Zellen gelangen und sie dazu bringen, das nötige Protein zu produzieren.“

Die für diese experimentelle Mukoviszidose-Therapie eingesetzte mRNA kodiert die Bauanleitung für das sogenannte CFTR-Protein, die bei dieser Erbkrankheit fehlerhaft ist. Eine von der US-Biotech-Firma Translate Bio initiierte Phase I/II-Studie erbrachte allerdings im März 2021 enttäuschende Ergebnisse. Auch Moderna und das Biotech-Unternehmen Vertex arbeiten schon seit 2016 an einem inhalierbaren mRNA-Mittel gegen Mukoviszidose.

…oder Herzinfarkt-Folgen

Hilfreich kann eingeschleuste mRNA aber auch bei nicht erblichen Erkrankungen sein, wenn durch sie beispielsweise der Gencode für bestimmte Wachstumsfaktoren in beschädigtes Gewebe eingeschleust wird. Schon seit längerem laufen Studien mit mRNA-Präparaten, die bei Patienten mit einem Herzinfarkt während einer Bypass-Operation direkt ins Herzgewebe injiziert werden. Dort regt die mRNA die Herzzellen dazu an, den Wachstumsfaktor VEGF-A zu produzieren und vermehrt neue Blutgefäße zu bilden. Dieses in Tierversuchen bereits erfolgreiche Verfahren wird zurzeit in einer klinischen Studie der Phase 2a unter anderem von AstraZeneca getestet.

Proteinblockade gegen Retinitis und Chorea Huntington

Umgekehrt lässt sich eingeschleuste RNA aber auch dazu nutzen, die Produktion und Funktion bestimmter Proteine gezielt abzuschalten – beispielsweise indem man ihre mRNA stilllegt oder verändert.

Eine Variante solcher auf die mRNA zielender Blockade-Therapien ist die sogenannte Antisense-Oligonukleid-Therapie (ASO), bei der ein einsträngiges RNA-Stück eingeschleust wird, das die Ziel-mRNA direkt blockiert. Das erste nach diesem Muster funktionierende Medikament, Formivisen, wurde gegen die sogenannte CMV-Retinitis zugelassen. Diese zur Erblindung führende Netzhauterkrankung tritt bei Aids-Kranken auf und wird durch Cytomegalie-Viren verursacht. Das Medikament lagert sich an die mRNA einer viralen Protein-Bauanleitung an und verhindert so die Schädigung des Auges.

Chorea Huntington
Bei der Erbkrankheit Chorea Huntington wird durch einen Gendefekt das Huntingtin-Protein fehlerhaft gebildet. © Dr. Microbe/ Getty images

Große Hoffnung wecken diese RNA-basierten Antisense-Therapien auch bei Patienten mit der Erbkrankheit Chorea Huntington. Bei dieser werden durch einen Gendefekt fehlgefaltete Versionen des Proteins Huntingtin (HTT) erzeugt, die sich im Gehirn anreichern und dort nach und nach Gehirnzellen zerstören. Bisher gibt es kein Mittel, das den unweigerlich tödlichen Ausgang dieser Erkrankung aufhalten oder verhindern kann.

Inzwischen laufen klinische Studien mit Antisense-RNA-Wirkstoffen gegen Chorea Huntington, die erste vielversprechende Ergebnisse zeigen. Demnach verringerte die Injektion eines solchen Präparats die Konzentration der fehlerhaften Huntingtin-Proteine im Gehirn der Patienten um 40 bis 60 Prozent. Eine größere Phase-3-Studie läuft zurzeit noch.

Interferenz und Aptamere

Eine weitere Variante von RNA-basierten Therapien ist die RNA-Interferenz. Bei ihr wird ein kleines, doppelsträngiges RNA-Stück in die Zellen eingeschleust. Dieses lagert sich nicht direkt an die Ziel-mRNA an, sondern blockiert deren Translation unter Mithilfe bestimmter Enzyme. Das erste auf dieser Basis funktionierende RNA-Medikament, Patisiran, wurde 2018 in den USA und der EU gegen die Erbkrankheit hATTR-Amyloidose zugelassen. Es enthält eine doppelsträngige silencer-RNA und verhindert die Bildung und Anreicherung fehlerhafter Amyloid-Proteine in Herz, Nieren, Augen und Nerven.

Es gibt aber auch RNA-Wirkstoffe, die sich nicht gegen Gene oder RNA richten, sondern direkt an das Zielprotein binden. Eine erstes Medikament nach diesem Prinzip wurde 2004 in den USA gegen die feuchte altersbedingte Makuladegeneration (AMD) zugelassen. Das Pegaptanib getaufte Präparat besteht aus einem kurze RNA-Strang, der spezifisch an den Wachstumsfaktor VEGF-A bindet. Dies soll verhindern, dass unter dem Einfluss dieses Proteins Blutgefäße in die Netzhaut einwachsen und diese so zerstören.

Während die Forschung an solchen direkt auf die Proteinsynthese zielenden mRNA-Therapien noch am Anfang steht, läuft die Entwicklung einer zweiten Gruppe von mRNA-Präparaten bereits auf Hochtouren: Wirkstoffen, die das Immunsystem aktivieren.

mRNA als Impfstoff gegen Infektionen

Gegen Covid, Influenza und Co

Durch die Corona-Impfstoffe sind mRNA-Wirkstoffe bekannt geworden – es war der erste groß0e Einsatz dieser neuen Technologie. Doch dass sich mRNA dazu eignet, das Immunsystem zu stimulieren und eine gezielte Abwehrreaktion hervorzurufen, bewiesen Experimente schon Anfang der 1990er Jahre. Damals gelang es Wissenschaftlern der Firma Transgéne erstmals bei Mäusen, mit einem in Lipidpartikel verpackten mRNA eine Immunreaktion gegen ein Protein hervorzurufen.

Damit eröffnete sich die Chance, mRNA-basierte Ansätze auch als Impfstoff einzusetzen – gegen die Erreger von Infektionskrankheiten, aber auch gegen Krebs. Denn wenn man mittels mRNA die Zellen des Körpers dazu bringt, beispielsweise das Oberflächenprotein eines Virus und damit sein Erkennungsmerkmal zu produzieren, kann das Immunsystem dieses vor der Infektion kennenlernen und entsprechende Antikörper und Abwehrzellen produzieren.

Corona-Impfstoff
Corona-Impfstoffe auf mRNA-Basis haben das Potenzial der Technologie unter Beweis gestellt. © kovop58/ Getty images

Schneller, einfacher und flexibel anpassbar

Die Vorteile der mRNA-Technologie liegen dabei auf der Hand: mRNA kann im Labor mithilfe von Enzymen direkt aus seinen chemischen Bausteinen zusammengesetzt werden. Der Gencode der RNA lässt sich dadurch schnell und gezielt auf bestimmte Erreger hin maßschneidern. Anders als beispielsweise beim klassischen Grippeimpfstoff, der aufwendig über Monate in Hühnereiern herangezüchtet und vermehrt werden muss, lassen sich zudem in relativ kurzer Zeit viele Dosen herstellen. Das beschleunigt sowohl die Tests und klinischen Studien vor der Zulassung als auch die Massenproduktion des fertigen Impfstoffs – vorausgesetzt das Knowhow ist vorhanden.

Entsprechend verdanken BioNTech und Moderna ihren schnellen Start auch Jahren der Vorarbeit unter teils schwierigen Bedingungen. Beide als Startups begonnene Unternehmen setzten schon zu einer Zeit auf die mRNA-Technologie, als große Pharmafirmen und andere Investoren zwar theoretisch Potenzial sahen, aber in der Praxis eher abwinkten: RNA galt als zu instabil und unerprobt, der Beweis, dass solche Impfstoffe tatsächlich effektiv wirken und verträglich sind, stand noch aus.

Covid und noch mehr

Inzwischen haben die mRNA-Vakzinen eindrücklich bewiesen, was sie leisten können: Die Impfstoffe von Moderna und BioNTech/Pfizer gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wurden in Rekordzeit entwickelt und getestet und gehören heute zu den effektivsten Waffen gegen SARS-CoV-2. „Die jüngsten Erfolge mit Impfstoffen gegen Covid-19 unterstreichen die Vorteile der mRNA-basierten Plattformen – darunter vor allem das hochgradig zielgenaue Design, die flexible und schnelle Produktion und die Fähigkeit, eine starke Immunreaktion hervorzurufen“, sagt Evelena Angov vom Walter Reed Army Institute of Research.

Dieser Durchbruch hat inzwischen auch der Forschung anderen mRNA-basierten Impfstoffe Rückenwind verschafft. Angov und ihr Team arbeiten an einem mRNA-Vakzin gegen Malaria, das die Bauanleitung für ein Protein des Malaria-Erregers Plasmodium faliciparum kodiert. Bei Mäusen hat ihr Impfstoff-Kandidat bereits eine hohe Schutzwirkung unter Beweis gestellt, jetzt sollen klinische Studien folgen. Erste klinische Tests beim Menschen laufen dagegen bereits mit einem mRNA-Impfstoff gegen Tollwut, der effektiver sein soll als die bisher gegen das Rabies-Virus eingesetzten Vakzine.

Influenza-Virus
Erste mRNA-Vakzinen gegen Influenza-Viren werden zurzeit bereits in klinischen Studien getestet. © CDC Doug Jordan

Mit mRNA gegen die saisonale Influenza

Ebenfalls in der Entwicklung sind gleich mehrere mRNA-Impfstoffe gegen die Influenza. Bisher ist die Herstellung von Impfstoffen gegen die saisonale Grippe immer ein Vabanque-Spiel, weil die Impfviren schon Monate vor Beginn der Grippewelle herangezüchtet und vermehrt werden müssen. Welche Varianten der Influenzaviren dann tatsächlich ab Herbst kursieren, lässt sich zu diesem frühen Zeitpunkt nur schätzen. Weil die mRNA-Produktion deutlich schneller geht, könnte dies die Treffsicherheit der Vakzinen erhöhen.

Gleich drei Pharma-Unternehmen testen zurzeit einen mRNA-Grippeimpfstoff in klinischen Studien der Phase I/II. Zwei davon, Pfizer/BioNTech und Sanofi nutzen dafür mRNA, das zunächst nur die Bauanleitung für das Oberflächenprotein eines Influenza-Stammes enthält. Moderna hat gerade eine Studie mit einem quadrivalenten Vakzin begonnen, das den Code für vier verschiedene Influenza-Varianten beinhaltet. Damit ist dieser Impfstoff ähnlich umfassend wie schon jetzt die saisonalen Grippe-Vakzinen.

Fernziel von Moderna und auch seinen Konkurrenten ist es, künftig mit nur einer Impfung gleich gegen mehrere Atemwegsinfekte zu schützen. Möglich wird dies, weil sich mRNA für ganz unterschiedliche Proteinen in einem Lipidbläschen verpacken lässt. „Unsere Vision ist es, zukünftig einen Atemwegsimpfstoff für die erwachsene und ältere Bevölkerung zu entwickeln, der die saisonale Grippe, einen Booster gegen SARS-CoV-2-Varianten und das Respiratorische Syncytial-Virus (RSV) kombiniert“, beschreibt Moderna das Ziel.

Wie eine Impfung Tumore bekämpfen kann

Mit mRNA gegen Krebs

Eine weitere wichtige und vielversprechende Anwendung von mRNA-Wirkstoffen ist der Kampf gegen Krebs – und auch hier spielt die Aktivierung des Immunsystems eine entscheidende Rolle. Denn die meisten Krebstumore schaffen es auf gleich mehrfache Weise, sich vor dem Immunsystem zu verstecken und so die normalen Abwehrmechanismen gegen entartete Zellen zu unterlaufen.

Krebszelle
mRNA-Wirkstoffe können die Abwehrzellen des Immunsystems gezielt auf Krebszellen lenken. © peterschreiber.media/ Getty images

Impfstoff „verrät“ Krebszell-Biomarker ans Immunsystem

An genau diesem Punkt setzen die mRNA-Vakzinen gegen Krebs an: Sie enthalten die Bauanleitung für sogenannte Neoantigene – Proteine, die nur von mutierten Krebszellen produziert werden, darunter bestimmte Wachstumsfaktoren und Antigene. Unter normalen Umständen rufen diese Biomarker keine oder eine nur gebremste Immunreaktion hervor, weil die Krebszellen diese bremsen.

Das aber ändert sich, wenn die mRNA-Bauanleitung für diese Biomarker durch bestimmte Immunzellen aufgenommen wird. Diese präsentieren dann die entsprechenden Krebsproteine auf ihrer Oberfläche und ermöglichen es dadurch anderen Abwehrzellen wie den T-Killerzellen, diese Proteine als krank oder fremd zu erkennen. „Ein erfolgreicher Krebs-Impfstoff muss solche starken T-Zell-Reaktionen hervorrufen, vor allem bei den T-Killerzellen, die entartete Zellen direkt abtöten können“, erklärt Norbert Pardi von der University of Pennsylvania in Philadelphia.

mRNA gegen Melanom und Co im Test

Ein Vakzin nach diesem Prinzip wird zurzeit von BioNTech/Pfizer in einer Phase-2-Studie getestet. Das Vakzin enthält den RNA-Code für vier Proteine, die bei Schwarzem Hautkrebs von den Melanomzellen produziert werden. Voruntersuchungen hatten ergeben, dass die Krebszellen von rund 90 Prozent aller Melanom-Patienten mindestens einen dieser Biomarker tragen. Bei ihnen könnte die Impfung daher funktionieren.

Die Studie soll nun zeigen, wie gut das Immunsystem auf die Impfung anspricht und wie effektiv das BNT111 getaufte mRNA-Vakzin allein oder in Kombination mit einem Antikörper-Präparat gegen den Hautkrebs und seine Metastasen wirkt. „In der frühen klinischen Untersuchung konnten wir für BNT111 bereits ein vorteilhaftes Sicherheitsprofil sowie ermutigende erste Ergebnisse feststellen“, sagt BioNTech Mitgründerin Özlem Türeci. Neben diesem Krebs-Vakzin sind sowohl bei BioNTech wie bei Konkurrenzfirmen weitere Kandidaten im Test, die unter anderem gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs oder Prostatakrebs helfen sollen.

DNA-Test
Weil Krebstumore auf unterschiedliche Mutationen zurückgehen können, muss erst ein DNA-Test klären, ob und welche Therapie greift. © undefined/ Getty images

Chance auf personalisierte Therapien

Allerdings haben diese allgemeinen Vakzinen einen großen Nachteil: Sie wirken immer nur bei den Patienten, deren Krebstumore die passenden Neoantigene tragen. Bei vielen Krebsarten gibt es aber so viele verschiedene Formen entarteter Zellen, dass sich kein einheitliches, alle Tumortypen abdeckendes Zielprotein finden lässt. Hinzu kommt, dass die im Impfstoff kodierten Biomarker auch wirklich nur auf Krebszellen vorkommen – sonst drohen schwere Nebenwirkungen, weil auch gesunde Zellen vom Immunsystem attackiert werden.

An diesem Punkt kommt eine zweite Impf-Strategie ins Spiel: individualisierte mRNA-Vakzinen. Dafür wird zunächst bei jedem Krebspatienten mittels DNA-Analyse untersucht, welche Mutationen seine Tumorzellen aufweisen und welche Neoantigenen sich als Angriffspunkt für eine mRNA-Therapie eignen. Dann wird ein mRNA-Impfstoff hergestellt, der speziell für diesen Patienten und seine Krebszellen angepasst ist.

„Die nächsten Jahre werden spannend“

Während solche personalisierten Therapien bisher zu teuer und kaum machbar waren, eröffnet die RNA-Technologie nun erstmals die Chance, sie zu realisieren. „Als wir 2008 BioNTech gründeten, haben wir uns eine grundlegende Frage gestellt: Wenn der Tumor jedes Patienten einzigartig ist, warum behandeln wir dann alle Patienten gleich? Wir haben ein immenses Potenzial darin gesehen, uns das einzigartige Profil eines Tumors zu Nutze zu machen“, erklärt BioNTech-Mitgründer Ugur Sahin. Weil mRNA im Labor verhältnismäßig schnell und einfach produziert werden kann, sind solche individuellen Vakzinen nun mit vertretbarem Aufwand umsetzbar.

Noch allerdings steht die mRNA-Impfung gegen Krebs erst ganz am Anfang. Zwar haben schon einige Vakzinkandidaten ihre Sicherheit und Verträglichkeit unter Beweis gestellt. Wie effektiv sie aber wirklich gegen Tumore und Metastasen wirken, muss sich erst noch zeigen. Bisher hat es noch keiner dieser mRNA-Wirkstoffe in eine Phase-3-Studie und damit die letzte Stufe vor einer Zulassung geschafft. Aber die Tests laufen: „Die nächsten Jahre werden wirklich spannend, denn sie könnten und mehr darüber verraten, wie breit die Wirkungspalette von mRNA-Impfstoffen tatsächlich ist“, sagt Pardi.