Die Atomkatastrophe und ihre Folgen

Fukushima – zehn Jahre danach

Fukushima
Am 11. März 2011 ereignete sich im japanischen Fukushima das zweitschlimmste Atomunglück der Geschichte – was ist seither geschehen? © Frank Ramspott/ iStock.com

Am 11. März 2011 löste eine Naturkatastrophe einen der schwersten Atomunfälle in Geschichte der Kernenergie aus. Im Atomkraft Fukushima Daiichi kam es zur Kernschmelze, durch Explosionen wurden große Mengen radioaktiver Nuklide freigesetzt. Was aber hat sich seither getan? Was weiß man heute über die Hintergründe – und welche Lehren wurden gezogen?

Klar ist: Die Folgen der Katastrophe von Fukushima sind noch lange nicht bewältigt – weder im Atomkraftwerk selbst, noch in der Bevölkerung der betroffenen Präfektur. In den Reaktoren gibt der geschmolzene Kernbrennstoff bis heute enorme Mengen an Zerfallshitze ab und macht die Reaktorkerne zur strahlenden Todeszone. Durch Lecks in der Anlage kommt es immer wieder zur radioaktiven Kontamination von Meer, Grundwasser und Boden.

Bis die Reaktorruinen rückgebaut und die Ablage dekontaminiert ist, wird es noch Jahrzehnte dauern. Wo der hochradioaktive Abfall dann allerdings hinsoll, ist unklar. Ebenso strittig ist zurzeit, was mit den gut eine Million Tonnen verseuchten Wasser passieren soll, die in Tanks auf dem Kraftwerksgelände stehen. Und für die Bevölkerung der Umgebung von Fukushima stellt sich die Frage ob und wann sie in ihre Heimat zurückkehren.

Wie es zum GAU in Fukushima kam

Eine vermeidbare Katastrophe

Am 11. März 2011 erlebt Japan eine dreifache Katastrophe: Zuerst verwüsten ein Erdbeben der Stärke 9.0 und ein Tsunami weite Teile der nördlichen Ostküste von Honshu, dann zeigt sich, dass auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi betroffen ist – in fataler Weise. Die Naturereignisse, gekoppelt mit gravierenden Sicherheitsmängeln am Kraftwerk und Fehlentscheidungen des Betreibers Tepco, lösen eine Reaktorkatastrophe aus. Sie geht als zweitschwerstes Atomunglück nach Tschernobyl in die Geschichte ein.

Fukushima Daiichi
Das Atomkraft Fukushima Daiichi vor dem 11. März 2011. © Tepco

Was während der entscheidenden Minuten und Stunden in Fukushima Daiichi geschieht und welche Folgen dies für die Reaktorkerne und den Fallout hat, wird teilweise erst Jahre später aufgedeckt.

Beben und Tsunami

Klar ist jedoch, dass die Reaktorblöcke 1-3 zunächst wie geplant mit einer Schnellabschaltung auf das Erdbeben reagieren. Doch der 15 Meter hohe Tsunami, der eine gute halbe Stunde später auf die Küste trifft, überflutet die Schutzmauer des Kraftwerks und überschwemmt die Reaktorgebäude, Schaltzentralen und zwölf der 13 im Keller stehenden Notstrom-Dieselgeneratoren. Die Leitungen zu weiteren, außerhalb stehenden Generatoren werden gekappt.

Als Folge bricht die Stromversorgung der Reaktoren und des Kühlkreislaufs zusammen, die gesamte Elektronik der Kontrollräume fällt aus. Die Kraftwerksangestellten haben damit keinen Einblick und keine Kontrolle mehr darüber, was in ihren Reaktoren geschieht.

Gefahren ignoriert

Doch die Überflutung durch den Tsunami war weder unvorhersehbar noch unvermeidbar. „Ein Hauptfaktor, der zu dem Unfall beitrug, war die in Japan weitverbreitete Annahme, dass Atomkraftwerke so sicher sind, dass ein Atomunfall dieser Größenordnung einfach undenkbar schien“, konstatierte ein Bericht der Internationalen Atomenergieagentur IAEA im Jahr 2015. Als Folge wurden schwerwiegende Sicherheitsmängel in der Konstruktion der Anlage ignoriert – sowohl vom Betreiber Tepco wie von den Behörden.

„Diskussion gab es, gehandelt wurde jedoch nicht“, berichtet die World Nuclear Association. Schon im Jahr 2008 legten Wissenschaftler des Kraftwerksbetreibers Tepco eine Studie vor, nach der in dieser Region mit Tsunamihöhen von bis zu zehn Metern gerechnet werden muss. Auch andere Gutachten kommen in dieser Zeit zu dem Schluss, dass Schutzmauern und andere Sicherheitsmaßnahmen küstennaher Atomkraftwerke auf Pegel von mindestens zehn Metern ausgelegt sein müssen.

KOntrollraum
Verstrahlt und außer Funktion: Der Kontrollraum von Reaktorblock 1 am 24. März 2011. © Tepco

Behörden schauten weg

Während andere Kraftwerke, darunter auch das unmittelbar benachbarte Atomkraftwerk Fukushima Daini, entsprechend gebaut oder umgerüstet werden, bleibt Fukushima Daiichi unverändert. Stattdessen laciert Tepco 2010 einen internen Gegenbericht, in dem von einer maximalen Tsunamihöhe von 5,7 Metern ausgegangen wird – das enthüllen Auswertungen hunderter, teils interner Dokumente. Auch die Platzierung der Dieselgeneratoren im flutgefährdeten Keller der Anlage und die fehlende Wasserschutz-Verkapselung werden weder beanstandet noch geändert.

„Die Fukushima-Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn interne Standards befolgt worden wären, wenn es internationale Reviews gegeben hätte und man den gesunden Menschenverstand genutzt hätte, um existierende geologische und hydrodynamische Fakten zu bewerten“, konstatieren Costas Synolakis von der University of Southern California und sein Team in ihrer Studie von 2015.

Die Konsequenzen zeigen sich am 11. März 2011. Während Fukushima Daini Erdbeben und Tsunami weitgehend unbeschadet übersteht, kommt es in Fukushima Daiichi zur Katastrophe.

Kernschmelze und Wasserstoffexplosion

Inzwischen weiß man, dass der Kühlwasserstand im Reaktorblock 1 durch den Ausfall der Stromversorgung schon drei Stunden nach dem Erdbeben bis auf die Höhe der Brennstäbe abgesunken ist. Vier Stunden nach dem Beben erreichen die Temperaturen im Reaktorkern 2.800 Grad und die Brennstäbe aus Urandioxid-Pellets mit Zirkonium-Umhüllung beginnen zu schmelzen. Das Zirkonium verliert damit nicht nur seine abschirmende Wirkung, es reagiert auch mit dem Wasserdampf und erzeugt Wasserstoff. Dieser lässt den Druck im Reaktorbehälter immer weiter ansteigen.

Block 3 Explosion
Unmittelbar nach der Explosion von Reaktorblock 3 am 15. März 2011. © Tepco

Am 12. März gegen 15:36 Uhr Ortszeit kommt es zu einer ersten Wasserstoffexplosion, die das Dach und den oberen Teil des Reaktorblocks 1 absprengt und radioaktive Zerfallsprodukte freisetzt. Tief unten im Reaktorkern hat sich die heiße Brennstoffmasse inzwischen durch den Boden des Druckbehälters gebrannt und ist rund 65 Zentimeter in das 2,60 Meter dicke Betonfundament eingesunken.

In den Reaktorblöcken 2 und 3 hält die Kühlung dank eines verbliebenen Dieselgenerators und Batterien 70 beziehungsweise 36 Stunden länger an, bevor es auch dort zum Kühlungsausfall und zur Überhitzung kommt. Auch in diesen Reaktorkernen kommt es in der Folge zur Überhitzung, Wasserstoffexplosion und einer Kernschmelze.

Verhindert werden hätte diese Eskalation nur durch eine sofortige Flutung der Reaktoren mit Meerwasser. Doch der Kraftwerkbetreiber Tepco zögert dies zunächst hinaus, weil diese Maßnahme das unwiederbringliche Aus für das Kraftwerk bedeutet hätte. Die Kühlung mit Meerwasser geschieht erst auf Druck der japanischen Behörden – und zu spät. Im Reaktorblock 1 startet das Einpumpen von Meerwasser erst 28 Stunden nach dem Beben – vier Stunden nach der beginnenden Schmelze des Kerns und nach der ersten Wasserstoffexplosion. Auch bei den anderen Blöcken erfolgt die Flutung zu spät.

Was und wieviel wurde freigesetzt?

Der Fallout

Bei dem Atomunglück von Fukushima Daiichi wurden nach Schätzungen der japanischen Atom-Aufsichtsbehörde NISA allein im März 2011 rund 770 Billarden Becquerel (Petabecquerel) an Radioaktivität freigesetzt, das entspricht rund 15 Prozent der Menge beim Atomunglück von Tschernobyl. Andere Studien kommen zu dem Schluss, dass insgesamt zwischen zehn und 100 Petabecquerel in die Umwelt gelangt sind.

Damit ist der Atomunfall von Fukushima nach Tschernobyl der zweite Atomunfall, der die höchste Stufe 7 der internationalen Skala für nukleare Unfälle (INES) erreicht. Sie kommt dann zum Tragen, wenn es zu einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen mit mehr als 50.000 Billionen Becquerel kommt.

Radionuklid-Freisetzung
Beim Atomunfall von Fukushima freigesetzte Radionuklide im Vergleich zu Tschernobyl. ©“>© UNSCEAR Report/ METI

Ausmaß der Freisetzung unklar

Das Problem jedoch: Weil 23 der 24 Strahlenmessstationen rund um das Atomkraftwerk durch Erdbeben und Tsunami zerstört wurden, gibt es keine verlässlichen Messwerte zur radioaktiven Freisetzung der ersten Tage. Wie viele und welche radioaktive Zerfallsprodukte aus den Reaktoren entwichen sind, ist daher bis heute ungewiss.

Klar scheint aber, dass der größte Teil der Kontamination durch die radioaktiven Nuklide Iod-131 und Cäsium-137 erfolgte. Iod-131 ist relativ kurzlebig und hat eine Halbwertszeit von acht Tagen, Cäsium-137 benötigt dagegen 30 Jahre für den Zerfall und setzt dabei vor allem Gammastrahlung frei. Ein Großteil dieser Radionuklide entwich bei den Wasserstoffexplosionen der drei Reaktorblöcke, aber auch danach gelangte noch radioaktives Material in die Umwelt.

Radioaktiver Glasregen bis nach Tokio

2016 enthüllte eine Studie, dass ein Teil des radioaktiven Cäsiums aus Fukushima nicht in wasserlöslicher, leicht wegwaschbarer Form freiwurde, sondern als Regen aus winzigen radioaktiven Glaspartikeln. Dieses Glas entstand, als der Beton der Reaktorinnenwände durch die enorme Hitze der Kernschmelze schmolz. Bei den Explosionen zerspritzte diese Glasschmelze zu Tröpfchen, die die hochradioaktigen Nuklide in der Reaktorluft umschlossen und dann nach dem Herausschleudern aus dem Reaktor erstarrten.

Damit sind diese Glaspartikel eine Art Zeitkapsel für die radioaktiven Stoffe, die zum Zeitpunkt der Explosionen in der Luft der Reaktoren vorhanden waren. 2018 stellte ein Forscherteam bei der näheren Analyse einiger dieser Glaskörnchen aus dem Umfeld von Fukushima Daiichi fest, dass sie entgegen früheren Annahmen nicht nur leichtere Radionuklide wie Cäsium, Xenon, Lithium, Schwefel und Strontium enthalten, sondern auch Uran.

Auch Uran im Fallout

„Wir haben auch Nanofragmente von zwei verschiedenen Uranverbindungen in diesen Mikropartikeln nachgewiesen“, berichten Asumi Ochiai von der Universität Kyushu und seine Kollegen. Dabei handelt es sich um Urandioxid und eine Mischung aus Uran- und Zirkoniumoxiden. Beide haben Halbwertszeiten von mehreren Milliarden Jahren.

Glaspartikel
Elektronen-Rückstreuungsaufnahme eines hochradioaktiven Glaspartikels aus der Umgebung von Fukushima Daiichi. © Satoshi Utsunomiya et al.

Die Präsenz dieser Radionuklide in den Glaskörnchen legt nahe, dass bei den Explosionen in den Reaktorblöcken neben Zerfallsproduktion auch Teile der Brennstäbe ausgeschleudert wurden. „Die Partikel sind eine Mischung aus geschmolzenem Kernbrennstoff und Reaktormaterialien. Sie spiegeln die komplexen thermischen Prozesse wider, die sich im Atomreaktor während der Kernschmelze ereignet haben“, erklären die Forscher.

„Das verändert einige unserer Annahmen über den Fallout von Fukushima“, sagt Ochiais Kollege Satoshi Utsonomiya. Denn in diesen Glaspartikeln sind die radioaktive Nuklide stark angereichert und die radioaktive Belastung ist entsprechend hoch. Einige dieser Körnchen sind zudem klein genug, um aufgewirbelt und eingeatmet zu werden. Gleichzeitig trägt die Glasumhüllung dazu bei, kurzlebigere Radionuklide wie Cäsium zu konservieren. Sie könnten dadurch in Böden, aber auch in Organismen und in der Nahrungskette länger erhalten bleiben.

Meeressand als Schwamm

Ebenfalls länger erhalten bleibt offenbar ein Teil des radioaktiven Fallouts, der zunächst auf das Meer hinausgeweht wurde. Denn dort reicherten sich die radioaktiven Partikel an Sandkörnern an, sanken ab und sammelten sich im Sediment. Dadurch sind der Meeresgrund und das darunter fließende Grundwasser selbst mehr als 100 Kilometer von Fukushima entfernt radioaktiv kontaminiert, wie ein Forschungsteam im Jahr 2017 feststellte.

„Niemand hätte erwartet, dass die höchsten Cäsium-Konzentrationen heute nicht im Hafen des Atomkraftwerks gemessen werden können, sondern in kilometerweit entferntem Grundwasser unterm Sandstrand“, sagt Virginie Sanial von der Woods Hole Oceanographic Institution. Der Sand habe 2011 wie ein Schwamm gewirkt, der das radioaktive Material jetzt nur langsam freigebe.

Was aber bedeutet dies konkret für Mensch und Natur rund um Fukushima?

Die Folgen für die Bevölkerung

Verstrahlt und vertrieben?

160.000 Menschen haben durch den Atomunfall von Fukushima ihre Heimat verloren, ihre Häuser und Ortschaften wurden zum Sperrgebiet. Tausende weitere haben die Region aus Angst vor der Strahlung freiwillig verlassen. Ein Großteil der Evakuierten und Geflüchteten ist bis heute nicht zurückgekehrt. Das Gebiet im 30-Kilometer Radius um das Kraftwerk ist bis heute zu stark kontaminiert und gilt als Sperrzone.

Fallout
Im Gebiet von Fukushima durch Luftmessungen bestimmte Strahlendosen am 29. April 2011. © US Department of Energy

Evakuierung noch am gleichen Tag

Nach dem Versagen der Reaktorkühlung in Fukushima Daiichi am Nachmittag des 11. März 2011 reagierten die Behörden immerhin prompt: Noch am gleichen Abend wurde die Bevölkerung im Umkreis von drei Kilometern um das Atomkraftwerk evakuiert, am nächsten Tag wurde die Evakuierungszone zunächst auf zehn, dann auf 20 Kilometer Umkreis ausgeweitet. Als sich am Nachmittag des 12. März in Block 1 die erste Explosion ereignete, war die unmittelbare Umgebung daher schon weitgehend menschenleer.

Wegen der vorherrschende Windrichtung wurde der Fallout der Explosionen zum größten Teil in nordwestliche Richtung getragen. Die Städte Okuma, Futaba und Namie liegen daher in der am stärksten kontaminierten Zone. Erst nachträglich wurde bekannt, dass auch das rund 40 Kilometer entfernte Dorf Iitate besonders hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt war. Die Evakuierungs- und Sperrzone wurde daher bis dorthin ausgeweitet.

Wie hoch war die Strahlendosis der Bevölkerung?

Ein Bericht des UN-Komitees zu den Effekten radioaktiver Strahlung (UNSCEAR) kam im Jahr 2013 zu dem Schluss, dass die in der Präfektur Fukushima gebliebenen Menschen je nach Alter und Nähe zum Kraftwerk einer Strahlendosis zwischen 1,0 und 7,5 Millisievert im ersten Jahr ausgesetzt waren. In wenigen Einzelfällen wurden Extremwerte von bis zu 25 Millisievert erreicht. Zum Vergleich: Die Dosis der normalen Hintergrundstrahlung liegt laut Bundesamt für Strahlenschutz in Deutschland bei durchschnittlich 2,1 Millisievert pro Jahr. In Gebieten mit hoher Radonbelastung kann sie bis zu zehn Millisievert erreichen.

Das UN-Komitee kommt daher zu dem Schluss: „Die Dosis für die allgemeine Bevölkerung im ersten Jahr und auf die Lebenszeit hochgerechnet ist niedrig bis sehr niedrig. Es wird kein erhöhtes Auftreten von strahlungsbedingten Gesundheitsfolgen bei diesen Personen oder ihren Nachkommen erwartet.“ Tatsächlich gab es bislang keine klaren Indizien für eine erhöhte Krebsrate in Fukushima – allerdings entwickelt sich Krebs meist erst mit Jahrzehnten Verzögerung. Anders sieht dies für die Arbeiter im Atomkraftwerk aus: Viele von ihnen bekamen in den Tagen und Wochen nach dem Unfall Strahlendosen von teils über 100 Millisievert ab.

Allerdings betont der UNSCEAR-Bericht auch, dass die Menschen rund um Fukushima erhebliche psychische und seelische Belastungen davongetragen haben. „Die bedeutendste Folgen gibt es für die mentale und soziale Gesundheit, aufgrund der enormen Auswirkungen des Erdbeben, Tsunamis und nuklearen Unfalls, aber auch der Angst und des Stigmas, die mit dem Risiko der Strahlenbelastung verbunden sind“, so die Experten.

Dekontamination
Um die radioaktive Belastung zu senken, wird in und um die Orte in der Evakuierungszone die oberste Erdschicht abgetragen. © Giovanni Verlini/ IAEA Imagebank, CC-by-sa 2.0

Die große Dekontaminations-Aktion

Um die radioaktive Belastung in der Umgebung von Fukushima zu senken, begann die japanische Regierung ein Dekontaminationsprogramm, das elf Landkreise in der Evakuierungszone und 40 weitere in angrenzenden Gebieten umfasste. Dafür wurden in Siedlungen, entlang von Straßen und auf Feldern die oberen fünf Zentimeter Boden abgetragen, Gebäude, Straßen und andere versiegelte Flächen mit Hochdruckreinigern abgewaschen.

2019 kam eine Studie im Fachjournal „Soil“ zu dem Schluss, dass die die Belastung durch radioaktives Cäsium in den behandelten Bereichen um 80 Prozent gesunken ist. Allerdings sind drei Viertel der betroffenen Region dicht bewaldet und daher nicht dekontaminierbar. Mit jedem Regen besteht daher die Gefahr, dass Radionuklide aus den Waldgebieten in die benachbarten Felder und Wiesen geschwemmt werden. Auch was mit dem bisher ausgehobenen Boden geschehen soll, ist noch unklar – bis Ende 2019 haben sich 20 Millionen Kubikmeter belasteter Erde angesammelt.

Noch sind die Dekontaminations-Maßnahmen nicht abgeschlossen. Seit 2014 hat die japanische Regierung aber sukzessive einige Orte im Evakuierungsgebiet wieder zu Besiedelung freigegeben – zunächst nur Orte außerhalb der am stärksten verseuchte Zone, 2017 folgten unter anderem Iitate und Namie. 2019 wurde auch die dem Atomkraftwerk am nächsten liegende Stadt Okuma wieder freigegeben. Zurückgekehrt sind allerdings bislang nur wenige der ehemaligen Bewohner.

Wohin mit dem radioaktiv kontaminierten Wasser?

Flüssiges Problem

Auch zehn Jahre nach dem Atomunfall von Fukushima sind die Folgen in den Reaktoren noch bei weitem nicht unter Kontrolle oder gar behoben. Wie es im Inneren der Reaktorkerne aussieht, in welchem Maße die Fundamente der Druckbehälter geschädigt sind und wo die Lecks liegen, ist erst in Teilen klar. Dem Zeitplan des Kraftwerksbetreibers Tepco nach werden der Rückbau der Anlage und die Dekontamination mindestens 30 bis 40 Jahre dauern.

In vielen Bereichen der Kraftwerksruinen ist die Strahlenbelastung noch immer so hoch, dass selbst Spezialroboter ihr nicht standhalten. Sie sind für rund 70 Sievert ausgelegt, in den Reaktorkernen herrschen aber teilweise Belastungen von mehr als 500 Sievert pro Stunde. Auch die ausgebrannten Brennstäbe in den Abklingbecken der drei Reaktorblöcke sind bislang noch nicht geborgen. Dies soll sukzessive ab 2021 beginnen und rund zehn Jahre dauern.

Wasserschutzmaßnahmen
Durch unterirdische Wälle und Pumpen wird versucht, eine großräumige Kontamination von Grundwasser und Ozean durch das radioaktive Sickerwasser zu vermeiden. © Tepco

Eiswall, Lecks und Pumpen

Weil in den geschmolzenen Reaktorkernen noch immer Zerfallsreaktionen ablaufen, muss das beschädigte Innenleben der Reaktoren zudem ständig weitergekühlt werden. Weil die Druckbehälter jedoch nicht mehr dicht sind, wird das Kühlwasser dabei radioaktiv kontaminiert. Es kann daher nicht wieder in den Kühlkreislauf eingespeist werden und wird in Spezialtanks auf dem Kraftwerksgelände gespeichert. Über undichte Stellen in den Reaktorgebäuden und Lecks an den Lagertanks gelangt immer wieder verseuchtes Wasser in die Umwelt – sowohl als schleichende Versickerung als auch in großen Schüben.

Als Folge sind Grundwasser und Boden unter der Kraftwerksruine stark radioaktiv verseucht. Um eine Ausbreitung dieser Kontamination zu vermeiden, wurde im Jahr 2016 auf der Landseite ein 1,5 Kilometer langer Eiswall installiert. Dieser soll den Untergrund der Reaktorblöcke vom umgebenden Grundwasser abtrennen. Dafür sind Kühlmittel-Leitungen in den Boden eingelassen, durch die minus 30 Grad kaltes Kühlmittel fließt und Boden samt Bodenwasser bis in eine nicht wasserdurchlässige Gesteinsschicht gefrieren lässt.

Auf der Meerseite hat Tepco bis zum Jahr 2015 einen zweiten Bodenwall errichtet. Diese aus 594 Stahlrohren bestehende, 780 Meter breite Barriere soll verhindern, dass kontaminiertes Grundwasser ins Meer fließt. Zusätzlich wird auf dem Gelände an mehreren Stellen das in den Untergrund sickernde Wasser abgepumpt und ebenfalls in Tanks gelagert und gereinigt.

Volle Tanks

Das Problem jedoch: Inzwischen stehen auf dem Gelände gut 1.040 Tanks mit rund 1,23 Millionen Tonnen radioaktiver Abwässer – und täglich kommen rund 170 Tonnen verseuchtes Wasser hinzu. Die Betreiberfirma Tepco schätzt, dass spätestens im Jahr 2022 der Platz für weitere Tanks ausgeht.

Wassertanks
Mehr als eine Million Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser werden zurzeit in Tanks auf dem Gelände des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi gelagert. © Susanna Loof/ IAEA, CC-by-sa 2.0

Wohin dann mit dem verseuchten Wasser? Abhilfe schaffen will Tepco mit einem speziellen Reinigungssystem. Das sogenannte „Advanced Liquid Processing System“ (ALPS) soll gut 60 verschiedene Radionuklide nahezu vollständig aus dem Wasser entfernen können. 2019 enthüllten geleakte Tepco-Dokumente allerdings, dass diese Dekontamination weniger gut funktioniert als geplant. Demnach könnten noch immer unterschiedlich hohe Dosen an 61 Radionukliden – darunter auch Strontium, Cäsium, Iod und Kobalt – im Wasser enthalten sein.

Ein weiteres Problem: Das im Kühlwasser enthaltene radioaktive Tritium kann nicht mit dem ALPS entfernt werden. „Wir wissen nicht, wie radioaktiv das behandelte Wasser wirklich ist, aber unseren Schätzungen nach liegen allein die Tritiumwerte schon bei rund einer Million Becquerel pro Liter“, sagte 2019 Hideyuki Ban vom Citizens‘ Nuclear Information Center in Japan.

Ab ins Meer damit?

Brisanz erhält dies durch Pläne von Tepco, das gereinigte Wasser ab dem Jahr 2022 in den Ozean abzulassen. Dafür soll das Tankwasser zunächst um das 40-Fache verdünnt und dann nach und nach ins Meer geleitet werden. Dort, so das Argument, wird die verbleibende Kontamination so stark verdünnt, dass dies für die Umwelt unbedenklich sei.

Tatsächlich stufte auch ein Expertengremium der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA eine Einleitung der Fukushima-Abwässer ins Meer als vertretbar ein. Allerdings dürfe dies nur mit entsprechenden Sicherheitsstandards erfolgen: „Dies wird eine anhaltende Überwachung, regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen und ein umfangreiches Monitoring-Programm erfordern“, sagt Christophe Xerri von der IAEA.

Bisher hat die japanische Regierung allerdings nicht entschieden, ob sie diese Einleitung zulässt.

Die Renaissance der Atomkraft

Nichts gelernt?

Der GAU in Fukushima hat weltweit einen Schock ausgelöst und das Misstrauen gegenüber der Atomkraft in vielen Länder verstärkt. Schon zum zweiten Mal gab es bei dieser lange als sicher geltenden Technologie einen katastrophalen Unfall – und das im hochtechnisierten Japan.

radioaktiv
Erlebt die Atomkraft eine Renaissance? © nzphotonz/ iStock.com

Ausstieg und Abschaltung

In Deutschland trug dies entscheidend dazu bei, dass die von Angela Merkel geführte Regierung kurze Zeit später ihre früheren Zeitpläne über den Haufen warf und einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie einleitete. Auch andere Länder wie Südkorea, die Schweiz, Belgien und Spanien beschlossen unter dem Eindruck der Atomkatastrophe den Atomausstieg – zumindest auf dem Papier.

In Japan wurden noch im März 2011 alle 54 Atomreaktoren des Landes abgeschaltet. Die Stromversorgung wurde in den Folgejahren größtenteils auf fossile Brennstoffe umgestellt. Noch im Jahr 2019 verkündete der damalige Umweltminister Shinjiro Koizumi, dass er für Japan den Ausstieg aus der Atomenergie anstreben wolle – um ein zweites Fukushima-Desaster zu vermeiden. Inzwischen sind allerdings neun der Atomkraftwerke wieder am Netz und weitere sollen folgen.

Schon wieder ein Zwischenfall

Wie berechtigt Koizumis Befürchtungen waren, demonstrierten im Februar 2021 zwei Zwischenfälle im Atomkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa nördlich von Fukushima. Zuerst kam heraus, dass ein Angestellter sich mit dem Werksausweis eines Kollegen Zutritt zum zentralen Kontrollraum des Kraftwerks verschafft hatte. Die japanische Atomaufsichtsbehörde stufte diesen nicht autorisierten Zugang als potenzielle Gefahr für die Sicherheit ein.

Am 13. Februar 2021 ereignete sich vor der Küste ein schweres Erdbeben der Stärke 7,3 – für Japan war es das stärkste Beben seit dem 11. März 2011. Durch die Erschütterungen schwappte in mehreren Reaktorbecken des Kraftwerks Kashiwazaki-Kariwa radioaktives Wasser über den Rand, gleichzeitig fiel der Wasserstand in zwei der Reaktorbehälter, wie aus einem Bericht an die Atomaufsichtsbehörde hervorgeht. Die fallenden Pegel könnten ein Indiz dafür sein, dass die Hülle durch das Erdbeben beschädigt wurde oder dass bestehende Risse vergrößert wurden.

Im Nachhinein kam zudem heraus, dass die für eine Notabschaltung nötigen Seismometer in zwei der Reaktorgebäude schon seit einem Jahr defekt waren und nicht ausgetauscht wurden. Der Betreiber dieses Atomkraftwerks ist – wie in Fukushima – die Firma Tepco. „Die Art, wie dieses Unternehmen die Dinge managt, deutet für mich daraufhin, dass sie ihre Lektion vom März 2011 nicht gelernt haben“, kommentierte Hajime Matsukubo vom Citizens‘ Nuclear Information Centre in Tokio diese Ereignisse in der Deutschen Welle.

Energiegewinnung zwischen Teufel und Beelzebub

Trotz dieser Vorkommnisse bahnt sich in Japan eine Renaissance der Atomkraft an. Denn der aktuelle Energiemix verträgt sich schlecht mit den Klimaschutzzielen der japanischen Regierung. Sie will Japan bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen. Im Energiesektor ist dies jedoch nur möglich, wenn auf fossile Brennstoffe weitgehend verzichtet und auf erneuerbare Energien umgestellt wird.

In Japan sind allerdings wegen der sehr bergigen, waldreichen Topografie die Möglichkeiten für die Onshore-Windkraft und die Photovoltaik begrenzt. Zumindest vorübergehend sieht die japanische Regierung daher die Atomkraft als klimafreundlichere Alternative zu Kohle, Gas und Öl. Der aktuelle Plan für den Energiemix bis 2030 sieht vor, 22 bis 24 Prozent des Energiebedarfs über erneuerbare Energien abzudecken und 20 bis 22 Prozent über die Atomenergie.

Nichts nur Japan, auch andere Länder sehen sich angesichts der nötigen Reduktion von Treibhausgasen vor der Frage, welches das kleinere Übel ist: die im Unglücksfall hochgefährliche Atomenergie, mit deren Folgen noch Generationen leben müssen und für deren Abfälle es bis heute kein richtiges Endlager gibt – oder aber ein Versagen im Klimaschutz durch die Weiternutzung fossiler Energien.

China – der größte Emittent von CO2 weltweit, setzt in dieser Frage ganz auf die Atomenergie und entwickelt neue Reaktortypen, an denen auch andere Länder bereits Interesse bekundet haben. Andere Länder wie Belgien planen zwar theoretisch einen Ausstieg aus der Atomenergie, zögern aber mit der Umsetzung und halten selbst 40 Jahre alte Reaktoren noch am Netz.