Die Vielfalt der Wanzen

Unterschätzte Sechsbeiner

wanze auf stängel
Wanzen- kaum größer als ein Blatt, aber doch so vielfältig. © Alexandrum79/ iStock.com

Ob als Wasserläufer, Blutsauger oder farbenfroher Gartenbewohner: Wanzen sind für ihre große Vielfalt an Formen, Lebensweisen und Lebensräumen bekannt. Es gibt sie als Pflanzensauger, als Räuber, aber auch als Parasiten. Sie leben in den verschiedensten Biotopen – unter anderem auf Wiesen, im Wald und in menschlichen Wohnungen.

Doch diese oft für unnützlich gehaltenen Gliederfüßler zeichnen sich noch durch viel mehr Potenzial aus: Ihre Vielfalt hat Phänomene hervorgebracht wie stinkende Sekrete zum Schutz vor Feinden, schrillende Laute als Lockruf bei der Paarung, spezielle Atmungen um im Wasser zu überleben und zusätzlich besitzen sie alle eine außergewöhnliche Immunabwehr. Manche Arten weisen auch perfekte Tarntrachten auf oder gehen Symbiosen ein, um sogar giftige Pflanzen zu verspeisen.

Aber wie entstanden diese zahlreichen Wanzenraten mit ihren speziellen Anpassungen? Welche Arten lassen sich im heimischen Garten finden? Und ist es nicht ein Trugschluss, dass Menschen Wanzen häufig nur als Schädlinge ansehen? Könnten wir uns nicht sogar das Potenzial dieser Insekten zu Nutze machen?

Das haben alle Arten gemeinsam

Typisch Wanze

Keine Chance, sie zu verdrängen: Wanzen weisen dank ihrer Überlebenskünste – ihres enormes Nahrungsspektrums, ihrer geringen Standortansprüche und ihrer Abwehrmechanismen – eine enorme Artenvielfalt auf und sind weltweit verbreitet. Und obwohl sich die Wanzenarten stark voneinander unterscheiden, haben sie alle einiges gemeinsam.

Von den weltweit etwa 40.000 bekannten Wanzenarten leben in Europa etwa 3.000. Wanzen gehören wie die verwandten Zikaden (Auchenorrhyncha) und Pflanzenläuse (Sternorrhyncha) zur Ordnung der Schnabelkerfe (Hemiptera). Der deutsche Name beschreibt ihre Gemeinsamkeit: die schnabelartigen, stechend-saugenden Mundwerkzeuge. Biologen unterscheiden Wanzen in 23 Unterfamilien und in sieben Teilordnungen. Die Arten lassen sich auch nach ihrer Lebensweise in Wasserwanzen (Hydrocorisae), Wasserläufer (Amphibiocorisae) und Landwanzen (Geocorisae) gliedern.

Sie überleben überall

Wanzen kommen in nahezu allen Lebensräumen vor. Zwar lieben die meisten Wanzenarten Wärme und Trockenheit. Einige Arten bevorzugen aber auch feuchtere Standorte, andere leben in Mooren, in sandigen oder in salzigen Lebensräumen. Es gibt außerdem aquatische Arten, die im Wasser leben, sowie Arten, welche auf der Wasseroberfläche existieren. Meerwasserläufer aus der Gattung Halobates leben als einzige Insekten sogar permanent auf dem offenen Ozean.

Die weltweite Verbreitung der Wanzen wird durch ihre vielfältigen Ernährungsweisen begünstigt: Hauptsächlich saugen Wanzen Pflanzensäfte. Es gibt jedoch auch eine Reihe von räuberisch lebenden Spezies, die sich von anderen Insekten und Pilzen ernähren. Einige wenige Arten sind Ektoparasiten, die wie zum Beispiel die Bettwanze (Cimex lectularius) an größeren Tieren Blut saugen. Unabhängig von der Art der Ernährung können aber alle Wanzenarten nur Flüssignahrung zu sich nehmen. Hierfür besitzen sie spezielle Werkzeuge.

Maßgeschneiderte Werkzeuge

Lederwanze saugt
Diese Lederwanze saugt an einem Rhabarberstängel. span class=“img-copyright“>© Joachim K. Löckener/CC-by-sa 3.0

Die Mundwerkzeuge am Wanzenkopf sind typischerweise mit Stechborsten ausgestattet, welche an ihrer Spitze scharfe Zähnchen besitzen. Mit deren Hilfe bohren die Insekten winzige Löcher in Pflanzen oder Beutetiere. Die Aufnahme der Nahrung erfolgt dann über einen Saugrüssel, der direkt an der Unterseite ihres Kopfes sitzt. Er besteht aus zwei dünnen Röhrchen, mit denen die pflanzenfressenden Wanzen die nährstoffreichen Säfte einsaugen.

Handelt es sich um karnivore Wanzen, die fleischhaltige Kost verspeisen, ist die Nahrungsaufnahme etwas aufwendiger: Durch das eine Röhrchen pumpen die Wanzen einen Verdauungssaft in ihre Nahrung, der beispielsweise das tote Insekt zersetzt. Durch das andere Röhrchen saugen sie den vorverdauten Nahrungsbrei auf.

Vielfältig ausgestattet

Die Füße der Wanzen verfügen über Krallen, Haftlappen oder Haare und können so je nach Art zum Laufen, Springen oder Schwimmen genutzt werden. Auf der Bauchseite hat der Thorax spezielle Duftdrüsen. Damit verbreiten viele Wanzen bei Gefahr einen üblen Gestank, der Angreifer abschreckt. Gleichzeitig kommunizieren die Wanzen über ihre Duftstoffe. So geben zum Beispiel die Larven ein Gemeinschafts-Pheromon ab, das zur Bildung großer Gruppen führt.

Der Panzer gestaltet sich bei den verschiedenen Wanzenfamilien in seiner Farbe und Form sehr vielseitig – damit lassen sich die Arten meist unterscheiden. Ihre Vorderflügel sind am Ansatz verdickt und ledrig, hinten dagegen häutig. Dieser Zweiteilung verdanken die Wanzen ihren lateinischen Namen Hemiptera – Halbflügel. Die Hinterflügel sind immer häutig. Es gibt aber auch kurzflügelige oder flügellose Wanzenarten.

Paarung nach Belieben

Apropos vielfältig: In puncto Paarung haben die Wanzen ganz unterschiedliche, teils skurrile Methoden entwickelt. Die ausgefallenste ist jene der Bettwanzen (Cimex lectularius), wobei das Männchen das Weibchen ohne Werbeverhalten überfällt und sofort begattet. Sichelwanzen hingegen sitzen stundenlang auf den Weibchen und umklammern es mit den Beinen. Viele Wanzenfamilien wie die Baumwanzen (Pentatomidae), die Feuerwanzen (Pyrrhocoridae), die Randwanzen (Coreidae) und die Stelzenwanzen (Berytidae) paaren sich Hinterleib an Hinterleib. Netzwanzen (Tingidae) sitzen dagegen rechtwinklig zueinander. Bei den Rindenwanzen (Aradidae) sitzt das Männchen während der Paarung unter den Weibchen.

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Gemeine Feuerwanzen bei der Paarung. span class=“img-copyright“>© Walter J. Pilsak/CC-by-sa 3.0

Um ihre Eier abzulegen, verfügen Weibchen etlicher Wanzenarten über einen Legebohrer. Damit werden die Eier in die Erde oder in Pflanzenteile eingebohrt. Andere Arten besitzen dagegen nur einen stark zurückgebildeten Legeapparat. Diese Weibchen verscharren die Eier oder kleben sie in Gruppen von meist 20 bis 30 Eiern an Pflanzenteile an. Die Weibchen der mediterranen Randwanze Phyllomorpha laciniata handhaben die Eiablage auf ihre eigene Art und Weise: Sie kleben ihre Eier oft auf die Flügel der Männchen.

Manche Weibchen verpacken ihre Eier in speziellen Ballen, in denen sich auch Bakterien befinden. Die frisch geschlüpften Nymphen saugen diese als Nahrung auf – ein Beispiel hierfür ist die Kugelwanze Coptosoma scutellatum. Etliche Arten der Wanzen betreiben Brutpflege: Die Eier werden von den Muttertieren bis zum Schlüpfen der Jungen und auch noch einige Zeit danach bewacht und zeitweise mit dem Körper bedeckt. Bei Gefahr können sogar schon die Nymphen ihren Angreifern ihren Hinterleibsrücken mit den Duftdrüsen entgegenwenden.

Im Gegensatz zu Schmetterlingen oder Käfern verpuppen sich Wanzen nicht. Stattdessen machen sie bei der Entwicklung vom Embryo zum erwachsenen Tier meist fünf durch Häutungen getrennte Stadien durch. In deren Verlauf werden die Nymphen dem ausgewachsenen Tier schrittweise immer ähnlicher. Nach der letzten Häutung sind sie geschlechtsreif und können sich wieder paaren.

Ein Besuch bei heimischen Wanzenarten

Vielfalt in der Gartenhecke

Wanzen zählen zu den artenreichsten Insekten überhaupt: Ob Baumwanzen, Feuer-, Streifen- oder Springwanzen – ihrem Namen machen sie meist alle Ehre. Trotz der ähnlichen Anatomie entwickelten sich aber ganz unterschiedliche Anpassungen.
Bereits ein Blick in heimische Gärten verrät, dass sich viele Landwanzen auch in Deutschland wohlfühlen.

Kaum zu übersehen: die Feuerwanzen

Besonders große Ansammlungen von Larven und erwachsenen Tieren findet man bei der Feuerwanze – in Deutschland eine der häufigsten Arten. Namengebend für sie ist ihre auffällig leuchtende rotschwarze Färbung. Sie besitzen außerdem lange Fühler und kurze Flügel. Zum Überwintern verstecken sich die Wanzen in Bodenstreu oder in Mauerritzen und trauen sich bei sonnigem Wetter bereits im Februar oder März nach draußen. Feuerwanzen haben eine Vorliebe für Malven, aber auch für Linden. An Lindenstämmen sieht man sie oft in großen Scharen zu Hunderten sitzen. Schäden richten sie aber auch in dieser Menge keine an.

Die Feuerwanzen ernähren sich hauptsächlich pflanzlich, aber auch von den Säften toter und lebender Tiere wie Milben oder Blattläusen. Selbst die eigenen Artgenossen werden bei Gelegenheit von ihnen ausgesaugt. Für den Menschen sind sie jedoch trotz ihrer auffallenden Warntracht ungefährlich: Feuerwanzen sind keine Humanparasiten und übertragen keine Krankheiten. Man sollte sie jedoch aufgrund ihres zur Verteidigung abgesonderten schlecht riechenden Sekrets nicht berühren.

Vorsicht ist auch bei der Lederwanze (Coreus marginatus) geboten: Sie hinterlässt ihren Verdauungssaft bevorzugt in Brombeersträuchern. Kostet man irrtümlich eine von Lederwanzen angefressene Brombeere, schmeckt sie leicht bitter. Die Lederwanzen sind reine Pflanzenfresser. Im Frühjahr saugen Larven und Erwachsene vor allem an Sauerampferblättern, im Sommer gehen sie gerne an die reifen Brombeeren. Wie bei vielen Wanzenarten kommen erwachsene Tiere und Larven der braunen Lederwanze oft in großer Zahl versammelt vor.

Woher Stinkwanzen ihren Namen haben

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Grüne Stinkwanzen machen ihrem Namen alle Ehre. span class=“img-copyright“>© André Karwath/CC-by-sa 3.0

Die Grüne Stinkwanze (Palomena prasina) gehört ebenfalls zu den bei uns häufigen Landwanzen. Sie wird auch als Gemeiner Grünling bezeichnet. Den Namen „Stinkwanze“ hat sie ihrem üblen Geruch zu verdanken, denn bei Gefahr sondern die Stinkdrüsen an ihrem Hinterleib ein übelriechendes und lange anhaftendes Sekret ab. Außerdem sind die Wanzen im Frühling grün gefärbt und machen sogar einen Farbwechsel durch: Vor dem Überwintern werden die Wanzen braun bis bronzefarben. Manchmal tragen sie auch eine dunkle Querbinde auf dem Halsschild.

Die bis zu vierzehn Millimeter großen Insekten leben bevorzugt auf Laubbäumen wie Linden und Erlen, aber auch auf Disteln und Brennnesseln. Größere Ansammlungen der Tiere lassen sich in ganz Europa finden. Schäden richten aber auch sie trotz ihres Spitznamens kaum an.

Neuankömmlinge in Deutschland

Neben schon lange heimischen Wanzen tummeln sich in deutschen Gärten auch zunehmend neue Arten. Denn durch den Klimawandel können Arten wie die auf Faulbaum und Wildrosen lebende mediterrane Randwanze (Gonocerus acuteangulatus) ihr Verbreitungsgebiet stark nach Norden ausdehnen.

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Die Musterung gibt der Streifenwanze ihren Namen. span class=“img-copyright“>© Fritz Geller-Grimm/CC-by-sa 3.0

Auch die einst nur in Süddeutschland beheimatete schwarz-rote Streifenwanze findet sich heute im Sommer fast überall, besonders gerne auf weißen Doldenblütlern wie Kälberkropf oder Bärenklau. Vermutlich mit Gemüse bei uns eingeschleppt wurde dagegen die aus Afrika stammende Grüne Reiswanze. Ebenfalls neu angekommen ist die Platanen-Gitterwanze, die unter den Rindenschuppen der Platanen in städtischen Alleen lebt.

Neuerdings leistet auch immer öfter die klimawandelbedingt eingewanderte Lindenwanze (Oxycarenus lavaterae) einheimischen Wanzen Gesellschaft. Das winzige Insekt stammt aus dem Mittelmeerraum, erreichte 2004 den Oberrhein und drang ins Münsterland und bis nach Bad Schwartau vor. Sie hält sich an Linden auf – daher auch ihr Name. Lindenwanzen sind bis zu sechs Millimeter groß und zeichnen sich durch ihre überwiegend ziegelrote Farbe an den Flügeln und am Bauch aus. Ihre Flügelmembranen schimmern silbern.

Die Amerikanische Kiefernwanze wurde um das Jahr 2000 nach Europa eingeschleppt, seit 2006 ist sie auch in Deutschland bekannt. Diese recht große Art fällt vor allem auf, wenn sie im Herbst an Gebäuden nach einem Unterschlupf sucht.

Ganz besondere Vertreter der Wanzen

Die Skurrilsten ihrer Gattung

Obwohl bereits die in Deutschland bekannten Wanzenarten sehr vielfältig sind, trumpfen weitere Arten mit ganz besonderen Anpassungen und Strategien auf. Einige davon gehen allerdings zu Lasten des Menschen: Einerseits als Schädlinge in der Landwirtschaft, die für große Ernteverluste verantwortlich sind. Andererseits als gemeine Blutsauger, die Krankheiten übertragen können.

Schädling mit bakteriellen Helfern

Ein spezieller Schädling in der Landwirtschaft ist die zu den Feuerwanzen gehörende Baumwollwanze (Dysdercus cingulatus). Sie frisst giftige Baumwollsamen und hinterlässt dauerhafte Verfärbungen an den Baumwollfasern, weshalb der Schädling auch Baumwollfärber genannt wird. Doch wie kann diese Wanze die giftigen sekundären Pflanzenstoffe der Baumwolle als Futterquelle verwerten?

Das Tier hat unsichtbare Helfer, wie Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena entdeckt haben: Die Baumwollwanze trägt in ihrem Darm Bakterien, die ihr offenbar dabei helfen, die ungenießbare Nahrung zu verwerten. Insgesamt beherbergen die Baumwollwanzen eine hochspezifische Gemeinschaft von drei bis sechs bakteriellen Symbionten in einer bestimmten Region des Mitteldarms, so die Wissenschaftler.

„Die Symbionten werden von der Mutterwanze auf die Eier übertragen“, erläutert Sailendharan Sudakaran. „Die frisch geschlüpften Nymphen saugen an der Oberfläche der Eihülle und nehmen die dort befindlichen Bakterien auf. So wird sichergestellt, dass die Wanzen die Symbionten ihr gesamtes Leben lang behalten und später an die nächste Generation weitergeben.”

Wurden die Wanzen in Experimenten dieses bakteriellen Helfer beraubt, zeigten sie deutliche Anzeichen für Mangelernährung. „Dies lässt sich nur dadurch erklären, dass die Symbionten einen wichtigen Beitrag zur Nahrungsverwertung ihrer Wirte leisten“, sagt Sudakaran. Unklar ist allerdings noch, ob die symbiontischen Bakterien die Baumwollsamen entgiften, oder ob sie nur zusätzliche Nährstoffe aufschließen.

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Diese Wanzen ähneln in ihrem Aussehen Ameisen – eine perfekte Tarntracht. © Insects Unlocked/ gemeinfrei

Die Feinde hintergehen

Tarnen und Täuschen, Lügen und Betrügen – auch in der Tier- und Pflanzenwelt geht es so zu. Manche Tiere ahmen ihre Umgebung nach und sind damit geschickt vor Feinden getarnt. So zum Beispiel das Wandelnde Blatt – ein Insekt, das ein Blatt unbemerkt imitiert. Noch einen Schritt weiter geht die Mimikry, bei der das Tier ein nachgeahmtes, also gefälschtes Signal aussendet, um einen dritten Beteiligten zu täuschen.

Und genau diese Strategie verfolgt die Wanze Hyalymenus als Vertreter der Breitkopfwanzen. Diese Wanzenart ist gut sichtbar – und doch kaum zu erkennen. Denn sie ähnelt in ihrem Aussehen Ameisen – und verhält sich auch so. Räuber, die gelernt haben, Ameisen zu meiden, weil sie aggressiv sind und Säure spritzen, machen auch um ihre Nachahmer einen Bogen – ein erfolgversprechender Täuschungsversuch.

Fossile Seltenheit

Die skurrilen Anpassungen der Wanzenarten gehen bis weit in die Vergangenheit zurück: Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes in Frankfurt haben 2015 eine versteinerte, fossile Netzwanze entdeckt. Sie ist der erste Wanzenfund dieser Art in dem nordamerikanischen Ölschiefervorkommen. „Weltweit gibt es insgesamt 53 Arten fossiler Netzwanzen“, erzählt Sonja Wedmann, jedoch handle es sich bei ihrem Fund um einen ganz besonderen Glücksfall.

fossiler käfer
Auch Insekten wie Käfer und Wanzen werden als Fossilen gefunden. © Torsten Wappler /CC-by-sa 3.0

Das Ungewöhnliche an dieser fossilen Wanze sind ihre erstaunlich großen Fühler: Mit 4,6 Millimetern Länge sind sie so lang wie der gesamte Körper der Netzwanzen und besitzen ein ungewöhnlich verdicktes Ende. „Die Fühler deuten wir als Hilfsmittel der männlichen Tiere, um bei der weiblichen Wanzenwelt zu landen“, erklärt Wedmann. „Solche optischen Merkmale, um die eigene Attraktivität zu steigern, sind ja aus der Tierwelt hinreichend bekannt – man denke nur an das Radschlagen der Pfauen.“ Aber auch den Einsatz der Fühler zur Vertreibung von männlichen Konkurrenten hält die Expertin für möglich. Sicher ist, dass dieses Merkmal erstmals für die Familie der Tingidae – zu der die neu entdeckte Wanze gehört -beschrieben wurde.

Das Wissenschaftlerteam fand in den Sammlungen des National Museums of Natural History in Washington insgesamt vier Wanzenfossilien, die zu der bisher unbekannten Art gehören. Die Zuordnung der Funde ist aber noch nicht abschließend geklärt. „Wir bräuchten noch mehr Funde fossiler Wanzen, um herauszufinden, seit wann und wo es die kleinen Insekten in der Vergangenheit gab.“ Die nun als Gyaclavator kohlsi beschriebene fossile Wanze stamme den Schätzungen zufolge aus dem Eozän, vor etwa 50 Millionen Jahren.

Den Bettwanzen auf der Spur

Dem Mensch ein Feind

In der Welt der Wanzen entwickelten sich Pflanzenfresser sowie karnivore Vertreter. Die Bettwanze (Cimex lectularius) hingegen hat eine ganz andere Nahrungsquelle für sich erschlossen: Sie ernährt sich von menschlichem Blut. Doch das war nicht immer so: Ursprünglich speisten die blutsaugenden Insekten an Fledermäusen. Wie kam es also zu dem veränderten Speiseplan?

Nächtlicher Besuch

Bettwanzen gelten als lästige Plagegeister: Am Tag sind sie nicht zu sehen und lauern in Matratzen von Hotelzimmern und Wohnungen. Sobald aber die Dunkelheit einbricht, trauen sie sich aus ihrem Versteck und werden umso aktiver. Haben sie eine Beute gefunden, locken sich die Wanzen mittels Geruchsstoffen gegenseitig an und bilden größere Ansammlungen.

bettwanze auf haut
Bettwanzen fühlen sich auf menschlicher Haut sehr wohl. © Harvard University/ gemeinfrei

Dann beginnt das nächtliche Saugen: Eine Bettwanze benötigt bis zu zehn Minuten, um ihre blutige Nahrung aufzunehmen, deren Menge das Siebenfache ihres Ausgangsgewichts erreichen kann. Die erwachsenen Insekten sind anfänglich papierdünn und erreichen im vollgesogenen Zustand eine Körpergröße von bis zu neun Millimetern.

Die Wanzen sind behaart und von rotbrauner Farbe. Durch ihre zurückgebildeten Vorderflügel, die fehlenden Hinterflügel und den flachen Körperbau gelangen sie besonders gut in enge Zwischenräume, wo sie sich nach ihrem Blutmahl ins Dunkle zurückziehen. Am nächsten Morgen machen sich dann nur noch die Spuren der hartnäckigen Blutsauger
bemerkbar: Heftig juckende, rote Quaddeln auf der Haut zeugen von dem nächtlichen Blutmahl.

Die schlechte Nachricht: Die sechsbeinigen Blutsauger breiten sich vermehrt auch bei uns aus, weil sie zum Beispiel durch Reisen in südliche Länder immer häufiger nach Deutschland eingeschleppt werden. In Großstädten entwickeln sich bei einigen Bettwanzen bereits Resistenzen gegen Insektizide.

Plagegeister der Vergangenheit

Und das Blutsaugen gibt es nicht erst seit der Neuzeit: Die bisher ältesten fossilen Funde der Cimicidae – die Familie der Bettwanzen – stammten aus Ägypten. Dort wurden 1999 die 3.500 Jahre alten Überreste solcher Blutsauger entdeckt. In den Paisley-Höhlen in Oregon stießen die Archäologen um Dennis Jenkins und Martin Adams von der University of Oregon auf die noch älteren Überreste von gleich drei verschiedenen Bettwanzen-Arten.

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Primärer Wirt der Bettwanzen sind Fledermäuse. © PD-USGov/ gemeinfrei

Das Alter ihrer Funde schätzten die Forscher auf 5. 500 bis 11.000 Jahre. Damit sind sie die bei weitem ältesten bekannten Verwandten der gemeinen Bettwanze Cimex lectularius. Doch im Gegensatz zu der Bettwanze, die heute uns Menschen auflauert, hatten die drei fossilen Bettwanzen-Arten Cimex pilosellus, Cimex latipennis und Cimex antennatus eine andere Beute im Visier: Sie saugten offenbar ausschließlich das Blut von Fledermäusen.

Warum aber saugen heute einige Arten der Bettwanzen menschliches Blut? Zu jener Zeit lebten die Menschen in Europa, Asien und Afrika noch vorwiegend in Höhlen und teilten sich diesen Lebensraum häufig mit Fledermäusen, die erste Beute der winzigen Räuber. Forscher vermuten, dass während dieser engen Koexistenz die Bettwanzen irgendwann auf den Menschen als Wirt übergingen – und das bis heute. Die Arten in den Paisley-Höhlen haben diesen Sprung von der Fledermaus auf den Menschen noch nicht vollzogen.

Wanzen überleben auch im Wasser

Die Gewässer erobert

Einige Wanzenarten haben auch Ozeane und andere Gewässer erobert: Die Wasserwanzen, zu denen unter anderem die Schwimm- und Ruderwanzen und die Rückenschwimmer zählen, tummeln sich in Tümpeln, Teichen und Seen. Fünf Vertreter dieser Familie treiben sogar ihr ganzes Leben auf hoher See.

Perfekt ausgestattet

Diese Lebensweise bedingt eine besondere Ausstattung der Insekten: Alle Wasserwanzenarten verfügen über eine stromlinienförmige Körpergestalt und meist deutlich ausgebildete Schwimmbeine zur Fortbewegung. Die Ruderorgane sind zusätzlich meist mit Borstenhaaren besetzt, um ihre Oberfläche zu vergrößern. Weniger schwimmtaugliche Arten krabbeln und klettern bevorzugt an Wasserpflanzen oder Steinen umher.

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Diese Wanzen sind sogar im Wasser aktiv. © Oceanflynn/CC-by-sa 3.0

Ein weiteres kennzeichnendes Merkmal der Wasserwanzen sind die vielfach gut ausgebildeten Vorderflügel. Fliegen können sie aber meist nicht. Die Fühler aquatischer Insekten sind stark verkürzt und von oben nicht sichtbar. Wasserwanzen sind fast durchweg räuberisch lebende Tiere, die in stehenden Gewässern mit Hilfe ihres Stechrüssels Beute machen.

Manche Wasserwanzenarten besitzen bestimmte Atemröhren am Hinterleib, die sie aus dem Wasser herausstrecken. Der Körper anderer Wanzenarten ist stattdessen von einem Luftfilm bedeckt, der auf dem Rücken von den Flügeln und auf der Unterseite von wasserabweisenden Härchen gehalten wird. Dieser Luftvorrat dient zur Atmung. Zum Luftholen erscheinen die Wanzen nur kurze Augenblicke an der Wasseroberfläche. Sie verlassen das Wasser nur, wenn sie einen Ortswechsel vornehmen oder zur Überwinterung an Land gehen.

Auf und im Wasser unterwegs

Einige Arten sind sogar so angepasst, dass sie dauerhaft unter Wasser leben können. Sie nehmen den Sauerstoff über Hautatmung direkt aus strömungsreichen Teilen im Gewässer auf. Sie ernähren sich von Fischeiern und Kleinstlebewesen, die sie mit ihren kurzen Vorderbeinen fangen und halten. Mit den langen Mittel- und Hinterbeinen rudern und steuern sie. Die Weibchen legen ihre Eier auf Treibholz, Vogelfedern oder Algen ab.

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Manche Wanzen scheuen nicht mal den Meeresgrund. © Masturbius/ gemeinfrei

Leichter zu finden und zu beobachten sind dagegen die Wasserläufer: Unter ihnen sind die Meerwasserläufer der Gattung Halobates mit knapp 50 Arten auf dem Ozean heimisch. Sie leben vor allem in warmen Gewässern in Küstennähe rund um den Äquator. Das Faszinierende: Bis heute ist ungeklärt, wie die Weibchen in den Weiten des Ozeans ein Männchen finden.

Die Wasserläufer-Arten der Unterordnung Amphibiocorisae leben dagegen auf dem Wasserspiegel oder am Ufer vieler Tümpel, Teiche und Seen. Zu ihnen gehören die Wasserreiter und Teichläufer. Auch die im Gartenteich bekannten Wasserläufer, Rückenschwimmer und Wasserskorpione gehören zu den Wanzen

Die Lauteste unter ihnen

Ganz spezielle Vertreter der Wasserwanzen sind die Ruderwanzen (Micronecta). Die nur zwei bis 14 Millimeter kleinen, unauffällig braun gefärbten Insekten finden sich in fast allen stehenden und langsam fließenden Gewässern. Zu Gesicht bekommt man sie jedoch meist nur, wenn sie auftauchen um ihren Luftvorrat im Hohlraum ihres Halsschilds zu erneuern.

Das Faszinierende: Die so winzige Ruderwanze ist das Tier, das im Verhältnis zu seiner Körpergröße die lautesten Geräusche hervorbringt. 99,2 Dezibel erreicht das am Boden von Tümpeln und Teichen lebende Insekt, so die Messungen britischer Forscher. Der erzeugte Lärm entspricht damit dem eines nahe vorbeifahrenden Lastwagens. „Obwohl 99 Prozent der Lautstärke beim Übergang vom Wasser an die Luft geschluckt werden, ist das Zirpen so laut, dass ein Mensch, der am Ufer entlang geht, diese kleinen Kreaturen vom Grund des Gewässers hören kann”, erklärt James Windmill von der University of Strathclyde.

Technische Meisterleistung

Aber was steckt dahinter? Gezirpt wird nur von den Männchen der Ruderwanze, die damit Weibchen anlocken wollen. Das „Singen“ der Ruderwanzen wird von ihnen mit Hilfe eines speziellen Schrillorgans erzeugt. Sie streichen dabei Borstenfelder an den Innenseiten der Vorderschenkel über eine vorspringende, scharfe Kante an der Seite ihres Kopfes. Die lauterzeugende Reibefläche am Bein der Tiere ist nur 50 Mikrometer groß – gerade einmal so breit wie ein menschliches Haar. Der so erzeugte hohe Ton wird von der Luftblase an ihrem Vorderkörper verstärkt. Warum die Tiere dabei eine rekordverdächtige Lautstärke erreichen, ist allerdings noch unklar.

Das verborgene Potenzial der Wanzen

Auf der Mauer auf der Lauer

Wanzen sind Überlebenskünstler: Als einzige Insekten überhaupt leben sie auf hoher See und eroberten die meisten aller Lebensräume. Die meisten von ihnen sind für uns harmlos und schaden in keinster Weise. Nur eine kleine Minderheit sind Schädlinge Andere dagegen haben großes, unentdecktes Potenzial als Nützlinge und Helfer.

Bekannt als Schädlinge

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Raubwanzen- sie sind Überträger gefährlicher Erreger. © Wofl/CC-by-sa 3.0

Einige wenige Wanzenarten können bei Massenauftreten Schäden an Kulturpflanzen in der Landwirtschaft anrichten. Zu den bekanntesten gehören der Spitzling (Aelia acuminata), der sich an Getreide erfreut, die Beerenwanze (Dolycoris baccarum), die sich von Beerenobst ernährt oder die Kohlwanze (Eurydema oleraceum), die für Kohlgewächse eine Gefahr darstellt.

Neben den Schäden, die im Garten und der Landwirtschaft entstehen, bereiten auch blutsaugende Wanzen wie die Raubwanzen (Reduviidae) Probleme: Diese vor allem in Lateinamerika verbreiteten Insekten können gefährliche Krankheitserreger auf den Menschen übertragen. Günter Schaub von der Ruhr-Universität Bochum fand heraus, dass einige der etwa 200 verschiedenen Arten Vektoren für Infektionskrankheiten sein können, darunter auch die von einzelligen Parasiten verursachte Chagas-Krankheit.: „Die Chagas-Krankheit ist eine der sechs großen Tropenkrankheiten“, warnt Schaub.

Ein Helfer für die Medizin?

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Sogar die Kanüle medizinischer Spritzen ist für manche Eingriffe zu groß. © Armin Kübelbeck /CC-by-sa 3.0

Obwohl die Raubwanzen als Krankheitsüberträger verrufen sind, können sie für den Menschen sogar von Nutzen sein. Wissenschaftler setzen die Wanzen beispielsweise als „lebende Spritzen“ ein, weil der Stechrüssel der Raubwanze 30 Mal feiner ist als die feinste, medizinische Kanüle. So können damit auch winzige Kapillargefäße von Kleintieren wie Kaninchen, Hamstern oder Vögeln getroffen werden – für eine herkömmlichen Spritze kaum erreichbar. Bei 40 Wildtierarten wie Erdmännchen und Kängurus nahmen Biologen mithilfe der Wanzen bereits erfolgreich Blut ab.

Für die medizinische Forschung sind Wanzen aber auch aus anderen Gründen interessant: Da Wanzen kein Immunsystem mit Antikörpern – wie zum Beispiel Säugetiere – haben, haben Forscher untersucht, wie sich die Wanzen stattdessen vor Bakterien und anderen Erregern schützen. Sie stellten fest, dass die Insekten effektive antimikrobielle Substanzen produzieren. Diese Abwehrstoffe könnten möglicherweise auch den Menschen vor Infektionen schützen und resistente Bakterien unschädlich machen. Der Bedarf ist groß, denn immer mehr Krankheiten lassen sich nicht mehr mit gängigen Antibiotika kurieren.

Eine nachhaltige Delikatesse

Aus einem ganz anderen Grund gewürdigt werden Wanzen dagegen in Mexiko. Beim Jumil Festival ziehen die Einheimischen in die Berge, um Jagd auf Kieferwanzen zu machen. Die geernteten Wanzen werden leicht gesalzen in Tortillas eingerollt und dann roh verspeist.

insekten als lebensmittel
Insekten lassen sich sogar schon in Deutschland als Lebensmittel kaufen. span class=“img-copyright“>© Wilhelm Thomas Fiege /CC-by-sa 3.0

Wanzen und andere Insekten haben als Lebensmittel einige Vorteile: In ihnen stecken Proteine, Fettsäuren, Ballaststoffe und Mineralien. Außerdem benötigen sie wenig Platz, können fast überall leben und pflanzen sich schnell fort. So lassen sich in kurzer Zeit sehr viele von ihnen auf kleinem Raum züchten. Insekten benötigen im Verhältnis auch weniger Futter als andere Fleischlieferanten, wie beispielsweise Rinder. Für ein Kilogramm Insektenfleisch müssen nur zwei Kilogramm Pflanzen verfüttert werden – im Gegensatz zu neun Kilogramm Futter beim Rindfleisch.

Insekten könnten daher in Zukunft für die Ernährung der Menschen immer wichtiger werden, besonders in armen Regionen. Und Auswahl gibt es reichlich: Mehr als 1.900 Insektenarten gelten heute als essbar, die Spanne reicht dabei von Wanzen über Schmetterlinge, Termiten und Grashüpfern bis hin zu Zikaden und Schaben. Statt sie als Schädlinge mit Insektiziden zu vernichten, könnten sie schon bald als Delikatesse auf dem Mittagstisch landen.